Was wurde aus den teilnehmern der wannseekonferenz

Gerade mal 90 Minuten dauert sie, die geheime Besprechung in der Villa am Großen Wannsee. Bilder von dem historischen Treffen gibt es keine. Ein neuer ZDF- Film zeigt, wie es gewesen sein könnte. Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Reinhard Heydrich, versammelt 15 hochrangige Vertreter des NS-Regimes. Einziger Tagesordnungspunkt: Die Kooperation bei der geplanten Deportation und Ermordung europäischer Jüdinnen nd Juden.

Jakob Müller, Historiker 

"Was Heydrich hier auf der Konferenz deutlich macht, ist eigentlich, die Entscheidungsbefugnis, die liegt jetzt bei mir. Egal in welchem Gebiet, die SS hat jetzt das sagen. Aber wir geben euch die Möglichkeit, euch nicht nur zu informieren, sondern eben auch ein Wörtchen mitzureden."

 

Deportationen, der Massenmord finden zu diesem Zeitpunkt längst statt. Alle Beteiligten wissen das. Nun soll geklärt werden, wie man ihn systematisch organisiert und koordiniert, um ihn auf ganz Europa auszuweiten. Und wer dabei für was zuständig ist.

 

Filmausschnitt, Die Wannseekonferenz, ZDF 2022, Regie: Matti Geschonneck

 

"Die Aufgabenstellung erscheint mir überaus ambitioniert. Ich betrachte mich durchaus als Kenner der Materie, aber ich vermag kaum zu überblicken, über wie viel Juden wir hier insgesamt reden."

 

- "Wir reden über 11 Millionen."

  15 Schreibmaschinenseiten halten das Ergebnis der Konferenz fest. Verfasst vom Leiter des sogenannten Judenreferats Adolf Eichmann. Das Ziel, der millionenfache Massenmord, wird darin nicht beim Namen genannt. In nüchternem Bürokraten-Deutsch wird der Plan umschrieben und kaschiert. 

Der Historiker Jakob Müller beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der Wannseekonferenz und ihrem Protokoll.

 

Jakob Müller, Historiker

 

"Wir wissen, dass die hochrangigen NS-Führer, zum Beispiel Himmler, immer wieder darauf gedrängt haben, dass eine bestimmte Sprachregelung eingehalten wurde, aus Geheimhaltungsgründen. Und man muss es genau lesen, man muss zwischen den Zeilen lesen, um zu erkennen, was da gemeint ist."

  So heißt es im Protokoll: "Evakuierung nach dem Osten" anstatt Deportation. Es ist die Rede davon, dass alle "entsprechend behandelt" werden. 

Die Shoah – ein Verbrechen der Menschheit, das die Nazi-Bürokratie umfassend dokumentiert hat.

 

Jakob Müller, Historiker

 

"In den Ministerien von der Regierung hat man mit dem Anrücken der Sowjetarmee, mit dem Anrücken der Roten Armee, begonnen, Dokumente systematisch zu zerstören und zu vernichten. Und deswegen ist dieses Protokoll so wichtig. Also auf dieser hohen Ebene, auf der Staatssekretärsebene, was ja wirklich so die Regierungsebene ist, ist das eines der wichtigsten Dokumente."

  30 Kopien des Protokolls werden im Anschluss der Konferenz an die Teilnehmer und ihre Dienststellen geschickt. Aber nur das Exemplar Nummer 16 des Unterstaatssekretärs Martin Luther bleibt zufällig erhalten. Wegen einer Intrige gegen seinen Chef, den Außenminister von Ribbentrop, wird Luther 1943 verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Seine Akten werden ausgelagert. Nur deswegen konnten die Nazis sein Protokoll vor Kriegsende nicht vernichten. 1947 finden es US-Soldaten. 

Luther selbst ist da schon tot. Ebenso fünf weitere Teilnehmer der Konferenz. Von den anderen werden nur wenige nach dem Krieg vor ein Gericht gestellt. Nur bei Zweien steht die Beteiligung des Holocaust im Mittelpunkt. Einer davon Adolf Eichmann. Nach dem Krieg taucht er unter. Lebt in Argentinien. 1960 entführt ihn dort der israelische Geheimdienst. Sein Gerichtsprozess in Jerusalem geht um die Welt. Er zeigt keine Spur von Reue.

 

Filmausschnitt, Eichmann-Prozess

 

"Im Sinne der Anklage nicht schuldig."

 

Jakob Müller, Historiker

 

"Eichmann hat es verstanden, sehr erfolgreich sich eigentlich als ein kleines Rädchen im System darzustellen. Und erst so in den letzten 20 Jahren ist es eigentlich dazu gekommen, dass man gesagt hat: Moment, also Eichmann hat schon 1938 mit am Tisch gesessen, als Göring zu ner Konferenz gerufen hat, nach den Novemberpogromen, also nach der sogenannten Kristallnacht. Man kann nachweisen, dass er sehr viel selber die Initiative ergriffen hat."

  Eichmann und zwei andere NS- Funktionäre werden zum Tode verurteilt. Die Übrigen: Obwohl sie in hohen Regierungskreisen des Dritten Reichs tätig waren werden sie nur geringfügig bestraft. Oft kommt es gar nicht erst zur Anklage. Andere bestreiten ihre Schuld, verharmlosen ihre Rolle, schieben die Verantwortung weg. 

Jakob Müller, Historiker

 

"Man braucht diese Leute ja, man will einen neuen Staat aufbauen. Deutschland soll in den Westen integriert werden. Also der kalte Krieg ist ausgebrochen. Und wenn man eins über die Nazis sagen konnte, dann wars, dass sie Antikommunisten waren und dass sie Erfahrungen im Kampf gegen die Sowjetunion hatten."

  Ab Ende der 40er Jahre werden die Strafen immer milder. Einige der Konferenzteilnehmer machen später sogar wieder Karriere: wie Gerhard Klopfer als Rechtsanwalt in Ulm. Oder Georg Leibbrandt als Politikberater und Lobbyist in Bonn. 

Jakob Müller, Historiker

 

"Und das ist eben auch eine der großen Fragen. Die Leute in der Verwaltung, die hatten ja teilweise schon dem Kaiser gedient, waren dann also in der Weimarer Republik Beamte eines demokratischen Staates, waren dann im Nationalsozialismus Nationalsozialisten und wurden dann teilweise in die Bundesrepublik übernommen oder in die DDR. Und das ist ja das Interessante. Was sagt uns das denn eigentlich über unsere Verwaltung, über unsere Beamten, über unseren Staat, wenn die so wandlungsfähig sind, dass die egal welche Ziele ein Regime hat, dem dienen können?"

Vor 80 Jahren sprechen in einer Villa am Berliner Wannsee 15 Männer über die "Endlösung der Judenfrage". Die etwa anderthalbstündige Konferenz gilt als entscheidende Etappe auf dem Weg zum Holocaust, der Ermordung von rund sechs Millionen europäischen Juden durch die Nationalsozialisten. Wer aber waren die Bürokraten der "Endlösung?

In seinem Buch zur Wannsee-Konferenz spricht der Historiker Peter Longerich von drei Gruppen: den "Vertretern der 'Zentralinstanzen'", also beispielsweise Auswärtiges Amt oder Innenministerium, den "Vertretern der zivilen Besatzungsbehörden" und den "Funktionären der SS". Ein Überblick der Teilnehmer nach diesen Gruppen geordnet:

"Vertreter der 'Zentralinstanzen'"

Martin Luther (1895-1945): Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt. Half mit, die Judendeportationen aus besetzten und befreundeten Ländern diplomatisch vorzubereiten und abzusichern. Geboren in Berlin, ohne höheren Schulabschluss, zeitweilig als Möbelspediteur und Entrümpelungsunternehmer tätig; ab 1932 geschäftlich dem späteren Außenminister Joachim von Ribbentrop verbunden. Wegen des Versuchs, Ribbentrop zu stürzen, 1943 als "privilegierter Schutzhäftling" im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Luthers Exemplar des Protokolls zur Wannseekonferenz hat sich offenbar als einziges erhalten.

Wilhelm Stuckart (1902-1953): Staatssekretär im Reichsministerium des Inneren; war an der Ausarbeitung aller grundlegenden Gesetze und Verordnungen gegen die im Deutschen Reich wohnenden Juden beteiligt. Geboren in Wiesbaden als Sohn eines Bahnangestellten, christlich erzogen; Promotion zum Dr. jur. mit einer Arbeit zum Handelsrecht. 1949 zu drei Jahren Haft und zehn Monaten Gefängnis verurteilt, die wegen vorangegangener Haft als verbüßt galten. Soll Mitglied der 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei gewesen sein; verunglückte im November 1953 tödlich.

Gerhard Klopfer (1905-1987): Ministerialdirektor in der Parteikanzlei der NSDAP, zuständig für "Rasse- und Volkstumsfragen". Gehörte zur grauen Eminenz der Parteibürokraten. Geboren im schlesischen Schreibersdorf (Pisarzowice) als Sohn eines Landwirts. Nach Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften Promotion in Jura. Nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst interniert, 1949 aber für "minderbelastet" erklärt. Später Rechtsanwalt in Ulm; ein Ermittlungsverfahren wegen Teilnahme an der Wannseekonferenz wurde 1962 von der Ulmer Staatsanwaltschaft eingestellt.

Erich Neumann (1892-1951): Staatssekretär im Amt des Beauftragten für den Vierjahresplan; fungierte auf der Wannseekonferenz laut Peter Longerich als "Auge und Ohr" für Reichsmarschall Hermann Göring. Geboren in Forst (Niederlausitz) in einer evangelischen Familie als Sohn eines Fabrikbesitzers; "Karrierebeamter"; 1945 interniert, 1948 wegen Krankheit entlassen und kurz darauf gestorben.

Roland Freisler (1893-1945): Staatssekretär im Reichsjustizministerium, das seit 1935 mit den Nürnberger Gesetzen die Entrechtung der Juden systematisch vorantrieb. Geboren in Celle als Sohn eines Diplomingenieurs; protestantisch-reformiertes Elternhaus. Promovierter Jurist, 1925 eingetreten in die NSDAP. Von August 1942 an Präsident des Volksgerichtshofs, wo unter anderem die Prozesse gegen die Unterstützer des gescheiterten Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 verhandelt wurden. Starb Anfang Februar 1945 bei einem Luftangriff auf Berlin.

Wilhelm Kritzinger (1890-1947): Ministerialdirektor in der Reichskanzlei, zweiter Mann hinter Reichskanzlei-Chef Hans Heinrich Lammers. War laut Peter Longerich der einzige Teilnehmer der Konferenz, der sich nach 1945 "freimütig an den Inhalt der Besprechung erinnerte und Reue zeigte". Zuletzt Ende 1946 inhaftiert, jedoch kurz darauf Haftverschonung wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes. Starb wenig später. Geboren als Sohn eines Pfarrers im heute polnischen Grünfier bei Schönlanke (Trzcianka).

"Vertreter der zivilen Besatzungsbehörden"

Alfred Meyer (1891-1945): Staatssekretär im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete. Geboren in Göttingen als Sohn eines Regierungs- und Baurates in einem evangelischen Elternhaus, promovierte mit einer staatswissenschaftlichen Arbeit über den belgischen "Volkskrieg", in der er die brutalen Vergeltungsmaßnahmen der deutschen Besatzer gegen belgische Widerständler im Ersten Weltkrieg rechtfertigte. Beging im Mai 1945 Suizid.

Georg Leibbrandt (1899-1982): Ministerialdirektor im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete. Zwei Tage nach der Wannseekonferenz lud er zu einer Dienstbesprechung über die Definition des Begriffs "Jude" in den "Ostgebieten" ein. Geboren in Hoffnungsthal bei Odessa, einer deutsch-schwäbischen Siedlung; studierte Theologie, Philosophie und Volkswirtschaft, Aufenthalt in Washington als Stipendiat der Rockefeller Foundation. Promotion zum Dr. phil. mit einer Arbeit über die schwäbische Auswanderung nach Russland im frühen 19. Jahrhundert. 1945 bis 1949 interniert; starb unbehelligt von juristischer Verfolgung 1982 - laut Internet-Enzyklopädie wikipedia in Bonn.

Josef Bühler (1904-1948): Staatssekretär in der Regierung des Generalgouvernements in Krakau; seit Juni 1941 ständiger Stellvertreter von Generalgouverneur Hans Frank. Geboren im württembergischen (Bad) Waldsee als Sohn eines Bäckers in einer katholischen Familie. Doktortitel in Jura. Drängte auf der Wannseekonferenz darauf, mit der "Endlösung" im Generalgouvernement zu beginnen. Direkt beteiligt an Verbrechen gegen die polnische Bevölkerung und am Massenmord an den Juden. 1948 in Polen zum Tode verurteilt und hingerichtet.

"Funktionäre der SS"

Reinhard Heydrich (1904-1942): Chef der Sicherheitspolizei, des Sicherheitsdienstes (SD) und des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), Reichsprotektor von Böhmen und Mähren. Geboren in Halle an der Saale als Sohn eines Komponisten und Konservatoriumsdirektors; katholisches Gymnasium, aus der Reichsmarine wegen eines gebrochenen Eheversprechens in Unehren entlassen. Der Gastgeber der Wannseekonferenz starb im Juni 1942 an den Folgen eines Attentats in Prag.

Otto Hofmann (1896-1982): Chef des SS-Rasse-und Siedlungshauptamts; forderte auf der Wannseekonferenz mit Nachdruck die Sterilisierung der "Mischlinge". Geboren in Innsbruck als Sohn eines Kaufmanns, zeitweilig als Weingroßhändler tätig. Im März 1948 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 25 Jahren Haft verurteilt; 1954 begnadigt. Danach als kaufmännischer Angestellter in Baden-Württemberg tätig. Starb 86-jährig in Bad Mergentheim.

Adolf Eichmann (1906-1962): Referatsleiter im Reichssicherheitshauptamt. Spielte als Organisator der Deportationen eine zentrale Rolle bei der Ermordung der europäischen Juden. Fertigte das Protokoll zur Wannseekonferenz. Geboren in Solingen als Sohn eines Buchhalters, abgebrochene Ingenieursausbildung, danach kaufmännische Lehre; Verkäufer und Reisevertreter. Nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst Flucht nach Celle und dann über Österreich und Italien nach Lateinamerika. 1962 in Israel hingerichtet.

Heinrich Müller (1900-?): Chef der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) Vorgesetzer Eichmanns. Spielte eine zentrale Rolle bei der Deportation von Juden aus den besetzen Gebieten. Geboren als Sohn eines Gendarmeriebeamten in einer katholischen Familie, später selbst zunächst als Polizist tätig; 1934 Eintritt in die SS. Gilt seit 1945 als verschollen, starb aber vermutlich um das Kriegsende herum.

Karl Georg Eberhard Schöngarth (1903-1946): Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) für das gesamte Generalgouvernement. Neben Rudolf Lange einer von zwei Konferenzteilnehmern, die bereits an verantwortlicher Stelle an den Massenmorden von Juden beteiligt waren. Geboren in Leipzig als Sohn eines Bauführers; zunächst Bankangestellter, dann rechts- und staatswissenschaftliches Studium mit anschließender Promotion; 1933 Eintritt in die SS. Im Februar 1946 von einem britischen Militärgericht wegen der Erschießung eines Kriegsgefangenen zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Rudolf Lange (1910-1945): Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD). Mit 31 Jahren jüngster Teilnehmer der Wannseekonferenz. Führte im Baltikum zeitweilig das Einsatzkommando 2, das bis Dezember 1941 etwa 60.000 lettische und nach Lettland deportierte Juden ermordete. Geboren in Weißwasser in der Oberlausitz als Sohn eines Reichsbahnbauinspektors, Doktortitel in Jura. Beging im Februar 1945 Suizid.