Page 228 MEDIZIN & PRAXIS »WUNDDÉBRIDEMENT und WUNDRANDPFLEGE« Oktober 2010 MEDIZIN Beläge auf chroni- schen Wunden –– –– – Fibrin, Nekrosen, Biofilm Zum besseren Verständnis sollte erst einmal die Fra- ge geklärt werden, woher kommen die Beläge in Wunden, insbesondere chronischen Wunden. Nach der Entstehung einer Verletzung werden betroffene Gefäße eng gestellt (Vasokonstriktion), um einem Blutverlust entgegen zu wirken. Nach einigen Minu- ten induzieren Thrombozyten (Blutplättchen) die Ge- rinnungskaskade, die zu einem Verschluss der ver- letzten Gefäße führt und gleichzeitig den Wundgrund bedecken. Es entsteht ein provisorischer Wundver- schluss, der nach außen als trockener Wundschorf sichtbar wird. Der Körper hat sich vor der feindlichen Umwelt geschützt. Parallel dazu kommt es zu einer Entzündungsreaktion im Wundgebiet (inflammatorische Phase). Die Vaso- konstriktion wird durch eine Gefäßweitstellung (Vaso- dilatation) abgelöst, was zu einer verstärkten Durch- blutung und erhöhten Wärmeabgabe führt. Sinn und Zweck dieser Vasodilatation ist es, das schnelle Ein- wandern von für die Wundheilung notwendigen Zel- len und azellulären Bestandteilen zu gewährleisten. Die Gefäßwände werden durchlässiger für Blutbe- standteile, Blutplasma tritt in den Interzellularraum aus. Es entwickelt sich eine vaskuläre Stase (Stauung), die am Ende als Wundödem sichtbar ist (Asmussen und Söllner 1993).1 Da alle offenen Wunden mit einer Keimbesiedlung (Kontamination) einhergehen, werden vermehrt wei- ße Blutkörperchen in die Wunde ausgeschüttet. Hier handelt es sich insbesondere um Makrophagen, die Fresszellen. Makrophagen sind für eine unspezifische Infektabwehr und die Wundreinigung zuständig. Mit- tels Phagozytose erfolgt die Beseitigung von Krank- heitskeimen, Zelltrümmern und Zellabbauprodukten. Entscheidend ist auch die Produktion von entzün- dungsfördernden Zytokinen durch die Fresszellen. H.-D. Hoppe1, V. Gerber2 1Leiter der Bildungseinrichtung „Gandersheimer Modell“ HoppeConsult, Quedlinburg 2Pflegeexpertin für Chronische Wunden, Spelle Beläge auf chronischen Wunden –– –– – Fibrin, Nekrosen, Biofilm Chronische Wunden sind häufig mit hartnäckigen Belägen bedeckt, deren visuelle Unterscheidung in der Pra- xis nicht immer leicht fällt. Diese Be- läge stellen ein mechanisches Hinder- nis für zellaufbauende Prozesse dar und bieten einen guten Nährboden für eine mikrobielle Vermehrung und kön- nen somit Ausgangspunkt von Infek- tionen sein ( Eming 2006).5 Eine Dif- ferenzierung dieser Beläge ist von gro- ßer Bedeutung für den Heilerfolg, weil nur dann eine Chance besteht, diese auch gezielt in einem über- schaubaren Zeitrahmen zu beseitigen. TNF-α (Tumornekrosefaktor α) und IL-1β (Interleukin 1β) nehmen hierbei eine Schlüsselrolle ein (Lobmann et al. 20039 , Auböck 20072). Durch beide Zytokine wird die Synthese von Matrix-Metalloproteasen (MMPs) stimuliert. In chronischen Wunden ist eine deutlich erhöhte Proteasenaktivität festzustellen, die rund 90 % den MMPs zuzuordnen ist (Lobmann et al. 2003).9 Proteasen sind während der inflamma- torischen Phase der Wundheilung (Entzündungs- oder Reinigungsphase) für das zelluläre Wunddébride- ment verantwortlich. Der gesamte Detritus (Zell- und Gewebstrümmer, Abbauprodukte der Makrophagen und Proteasen, etc.) lagert sich auf dem Wundgrund ab bzw. wird in Form von Wundexsudat abgegeben. Je nach Wundsituation entstehen dabei unterschied- liche Beläge, die in drei Typen unterschieden wer- den können: • Fibrinbeläge • Nekrosen • Biofilm Fibrinbeläge Ein auf chronischen Wunden häufig zu findender gel- ber Belag kann aus Fibrin bestehen. Fibrin gehört zu den Gerinnungsfaktoren und führt bei Schnittwunden zu einer Verklebung der Wundflächen. Durch dieses Verkleben können bereits nach wenigen Stunden keine Keime mehr in die Wunde eindringen. Die Be- reitstellung von Fibrin ist eine physiologische Reakti- on des Körpers auf Verletzungen. Bei oberflächlichen Wunden oder Wunden mit Gewebedefekt ist dieser Effekt ebenfalls zu beobachten. Fibrin ist als klebriger, bernsteinfarbener, transpa- renter Belag sichtbar (Abb. 1). Im feuchten Zustand ist dieser leicht mechanisch zu entfernen. Trocknet er aus, bildet er eine harte borkige Platte. Diese ist durch Rehydration, z.B. mit einem Hydrogel, nach einigen Stunden Einwirkzeit ebenfalls gut mecha- nisch zu entfernen. Abb. 1: Fibrinbelag (Foto: V. Gerber) Dekubitus - Definition und Abgrenzung EPUAP (European Pressure Ulcer Advisory Panel) und NPUAP (das amerikanische National Pressure Ulcer Advisory Panel) definieren Dekubitus wie folgt: "Dekubitus ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunter liegenden Gewebes, in der Regel über knöchernen Vorsprüngen, infolge von Druck oder von Druck in Kombination mit Scherkräften. Es gibt eine Reihe weiterer Faktoren, welche tatsächlich oder mutmaßlich mit Dekubitus assoziiert sind; deren Bedeutung ist aber noch zu klären." Quelle: European Pressure Ulcer Advisory Panel and National Pressure Ulcer Advisory Panel. Prevention and Traetment of pressure ulcers: quick reference guide. Washington DC: National Pressure Ulcer Advisorx Panel; 2009 Die Betonung liegt dabei auf der Ursache der Hautschädigung und ihrer Lokalisation. Nicht jede Wunde im Gesäßbereich zum Beispiel ist ein Dekubitus. Feuchtigkeit in Kombination mit Reibung führt gerade in Hautfalten des Steißbeines sehr viel häufiger zu einer Mazeration der Haut. Allzu oft werden feuchtigkeitsbedingten Läsionen als Dekubitus bezeichnet. Erhebungen der Akademie für Wundversorgung ergaben, dass „mehr als zwei Drittel der dokumentierten Dekubitalgeschwüre in Wirklichkeit keine sind“. Quelle: G. Schröder „Dekubitusprophylaxe. Was ist praktikabel? Was ist effektiv?“ in: Die Schwester Der Pfleger, Oktober 2010, Seite 946 ff. EPUAP und NPUAP definieren deshalb eine Reihe von Kriterien, die bei der Abgrenzung zwischen Dekubitus und feuchtigkeitsbedingter Läsion helfen: Ursachen Dekubitus
Feuchtigkeitsbedingte Läsion
Anmerkungen Lokalisation Dekubitus
Feuchtigkeitsbedingte Läsion
Anmerkungen
Form Dekubitus
Feuchtigkeitsbedingte Läsion
Anmerkungen
Tiefe Dekubitus
Feuchtigkeitsbedingte Läsion
Anmerkungen
Nekrosen Dekubitus
Feuchtigkeitsbedingte Läsion Anmerkungen Nekrosen
Achtung: Unterschied zwischen schwarzen Nekrosen und getrockneten Blutergüssen Wundränder Dekubitus
FeuchtigkeitsbedingteLäsion
Anmerkungen Erhabene und verdickte Wundränder deuten in der Regel auf alte Wunden hin. Farbe Dekubitus
Feuchtigkeitsbedingte Läsion
Anmerkungen
Klassifikation des Dekubitus Die Unterscheidung verschiedener Stufen bzw. Grade eines Dekubitus dient zur Beschreibung einer Gewebeschädigung und deren Tiefe. Eine solche Unterscheidung eignet sich jedoch nicht zur Beschreibung des Verlaufs einer Dekubituswunde und deren Heilung. Quelle: J. Stausberg, E. Kiefer „Klassifikationen des Dekubitus“, Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 53. Kategorien eines Dekubitus nach EPUAP und NPUAP Im Folgenden wird ausschließlich die von EPUAP und NPUAP entwickelte „gemeinsame internationale Definition und Klassifikation von Dekubitus“ vorgestellt. Da die bisher für Dekubitus-Klassifikationen verwendeten Begriffe „Stufen“ oder „Grad“ bzw. „Schweregrad“ ein Fortschreiten von I zu II, III oder IV unterstellten, wird in der Quelle: European Pressure Ulcer Advisory Panel and National Pressure Ulcer Advisory Panel. Prevention and Traetment of pressure ulcers: quick Bitte beachten Sie: „Das EPUAP-Druckgeschwür-Klassifizierungssystem wurde als ein Leitfaden für Klinikärzte bei der Bewertung von Patienten entwickelt, und als Grundlage für sachkundige, klinische Entscheidungen in Bezug auf die Behandlung. Die Bereitstellung von spezialisierten, druckentlastenden Vorrichtungen könnte ein Faktor bei der Quelle: Übersetzung der EPUAP-Pressemitteilung vom 13.10.2008 Kategorie I: Nicht wegdrückbare Rötung Nicht wegdrückbare, umschriebene Rötung bei intakter Haut, gewöhnlich über einem knöchernen Vorsprung. Bei dunkel pigmentierter Haut ist ein Abblassen möglicherweise nicht sichtbar, die Farbe kann sich aber von der umgebenden Haut unterscheiden. Der Bereich kann schmerzempfindlich, verhärtet, weich, wärmer oder kälter sein als das umgebende Gewebe. Diese Symptome können auf eine (Dekubitus-)Gefährdung hinweisen. Kategorie II: Teilverlust der Haut Teilzerstörung der Haut (bis zur Dermis), die als flaches, offenes Ulcus mit einem rot bis rosafarbenen Wundbett ohne Beläge in Erscheinung tritt. Kann sich auch als intakte oder offene/rupturierte, serumgefüllte Blase darstellen. Manifestiert sich als glänzendes oder trockenes, flaches Ulcus ohne nekrotisches Gewebe oder Bluterguss*. Diese Kategorie sollte nicht benutzt werden um Blasen-, Verbands- oder pflasterbedingte Hautschädigungen, feuchtigkeitsbedingte Läsionen, Mazerationen oder Abschürfungen zu beschreiben. * Blutergüsse weisen auf eine tiefe Gewebsschädigung hin.
(Stufe/Grad III) Zerstörung aller Hautschichten. Subkutanes Fett kann sichtbar sein, jedoch keine Knochen, Muskeln oder Sehnen. Es kann ein Belag vorliegen, der jedoch nicht die Tiefe der Gewebsschädigung verschleiert. Es können Tunnel oder Unterminierungen vorliegen. Die Tiefe des Dekubitus der Kategorie/Stufe/Grad III variiert je nach anatomischer Lokalisation. Der Nasenrücken, das Ohr, der Hinterkopf und die Knöchel haben kein subkutanes Gewebe, daher können Kategorie III Wunden dort auch sehr oberflächlich sein. Im Gegensatz dazu können an besonders adipösen Körperstellen extrem tiefe Kategorie III Wunden auftreten. Knochen und Sehnen sind nicht sichtbar oder tastbar. Kategorie IV: Vollständiger Haut- und Gewebsverlust (Stufe/Grad IV) Totaler Gewebsverlust mit freiliegendem Knochen, Sehnen oder Muskeln. Belag und Schorf können vorliegen. Tunnel oder Unterminierungen liegen oft vor. Die Tiefe des Kategorie IV Dekubitus hängt von der anatomischen Lokalisation ab. Der Nasenrücken, das Ohr, der Hinterkopf und der Knochenvorsprung am Fußknöchel haben kein subkutanes Gewebe, daher können Wunden dort auch sehr oberflächlich sein. Kategorie IV Wunden können sich in Muskeln oder unterstützenden Strukturen ausbreiten (Fascien, Sehnen oder Gelenkkapseln) und können dabei leicht Osteomyelitis oder Ostitis verursachen. Knochen und Sehnen sind sichtbar oder tastbar. Verlauf einer Dekubituswunde Die Unterscheidung verschiedener Stufen bzw. Grade eines Dekubitus eignet sich nicht zur Beschreibung des Verlaufs einer Dekubituswunde und deren Heilung. Insbesondere bei tieferen Wunden werden verloren gegangene Gewebsschichten, zum Beispiel Muskelgewebe und subkutanes Fettgewebe, durch Ersatzgewebe, zum Beispiel durch Granulation, ersetzt. Das Ersatzgewebe schließt zwar den Dekubitus, ist aber weniger belastbar als das Originalgewebe, verfügt über eine stark reduzierte Druckelastizität und ist aufgrund verringerter Melaninzellen gegenüber UV-Strahlen empfindlicher. Entwicklungen von Kategorie (Stufe/Grad) IV oder III zu II oder I sind somit schlichtweg unmöglich. Die Kategorien (Stufen/Grade) sollten auch aus anderen Gründen nicht zur Beschreibung des Verlaufs der Wundheilung eines Dekubitus verwendet werden: Wird bei einem zu entlassenden Patienten zum Beispiel ein "abgeheilter Dekubitus der Kategorie IV" dokumentiert, wird bei seiner eventuellen Wiederaufnahme eine ganz Beantragt ein zum Beispiel bettlägeriger Patient Hilfsmittel für die außerklinische Pflege, bekommt er in der Regel die zu seiner Dekubitus-Kategorie passenden. Ist also in den Entlassungspapieren ein "Dekubitus der Kategorie I" oder gar nichts vermerkt, wird ihm wenn überhaupt eine Antidekubitusauflage erstattet. Handelt es sich jedoch in Wirklichkeit um einen "abgeheilten Dekubitus der Kategorie IV", ist der Patient damit unter Umständen unterversorgt. Es besteht ein hohes Risiko eines neuen, ebenfalls tiefen Dekubitus. Dokumentation und Beschreibung des Heilungsverlaufs einer Wunde sollte daher anhand objektiver Merkmale wie Größe, Tiefe, Menge des nekrotischen Gewebes, Granulationsgewebe usw. erfolgen. Der Zusammenfassung dieser objektiven Parameter und der groben Beschreibung des Heilungsverlaufs kann auch die Stadieneinteilung eines Dekubitus nach Seiler/Stähelin dienen. Sie wird zur entsprechenden Kategorie (Stufe/Grad) als A, B oder C ergänzt: Stadium A
Stadium B
Stadium C
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