Die entdeckung der currywurst unterschied film und buch

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

Wer kam eigentlich auf die Idee, Curry mit Tomatenketchup zu mixen und das Gemisch auf einer Bratwurst zu servieren? Soviel vorweg: Die Berliner waren es nicht. Die Antwort liefert Regisseurin Ulla Wagner nun in „Die Entdeckung der Currywurst", einer werkgetreuen Adaption der gleichnamigen Novelle, nur ganz nebenbei. In der Hauptsache präsentiert sie dem Zuschauer ein grundsolides Drama über die gefährliche Liebe eines ungleichen Paares zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Dieses ist dank des tollen Zusammenspiels der beiden Hauptdarsteller äußerst unterhaltsam, kommt stellenweise aber auch einen Tick zu naiv daher.

Hamburg im Frühjahr 1945: Die Mittvierzigerin Lena Brücker (Barbara Sukowa) lernt im Kino den jungen Marinesoldaten Hermann Bremer (Alexander Khuon) kennen und lädt ihn prompt in ihre Wohnung ein. Eine falsche Krebssuppe („Ich hab' früher gar nicht so gern gekocht, erst jetzt, wo's nichts mehr gibt.") und eine verstaubte Pulle Schnaps, mehr hat der Krieg nicht übrig gelassen. Es kommt, wie es kommen muss: Beide verbringen die Nacht miteinander und Lena bietet ihrem Seemann an, ihn für den Rest des Krieges in ihrer Wohnung vor den Nazis zu verstecken. Hermann liefert sich einer Frau aus, die er erst wenige Stunden kennt und willigt ein. Zwischen der reifen Frau und dem jungen Hermann entwickelt sich eine gefährliche Liebesbeziehung, die in Friedenszeiten undenkbar wäre. Das wird auch Lena schnell bewusst, als Hamburg von den Alliierten befreit wird. Aus Angst, ihren Liebhaber zu verlieren, unterschlägt Lena ganz einfach das Ende des Krieges...

Die Regisseurin Ulla Wagner landete bereits im Jahr 2000 einen Erfolg mit dem einfühlsamen Drama „Anna Wunder", das von der Sehnsucht einer Elfjährigen nach ihrem Vater erzählt und beim Filmfest in Vancouver als Bester Film ausgezeichnet wurde. Damals bewies Wagner erstmals ihr Talent, neben dem Regiestuhl auch den Autorensessel in Beschlag zu nehmen. Ihr Drehbuch zu „Die Entdeckung der Currywurst" hält sich dabei nahe an die Vorlage von Uwe Timm, nur die Rahmenhandlung, die die Entdeckung der titelgebenden Wurst behandelt, wurde abgewandelt. Lena erzählt nicht wie in Timms Novelle als alte, erblindete Frau von ihren Erlebnissen mit dem fahnenflüchtigen Hermann. Stattdessen versetzt Wagner die Rahmenhandlung in eine Imbissbude, die Lena Jahrzehnte nach dem Ende des Krieges führt und wo sie schließlich die erste Currywurst der Welt verkauft. Uwe Timms Bestseller aus dem Jahr 1993 wurde bis heute in mehr als 20 Sprachen übersetzt, als Comic adaptiert und auf die Theaterbühne gebracht. Sein Werk ist deshalb so erfolgreich, weil es ihm gelingt, die intime Liebesgeschichte um Lena und Hermann wunderbar unaufdringlich in die politischen Ereignisse um den Zerfall des Nazi-Regimes einzubetten. Das ist Ulla Wagner weniger gut gelungen, was letztlich das größte Problem der Kinoadaption ist. Die Regisseurin deutet die politischen Umstände nur gelegentlich an – zu wenig, um dem Anspruch der Buchvorlage gerecht zu werden, zu viel, um die Anhänger seichter Romanzen nicht zu verschrecken. Während Deutschland in Trümmern liegt und Menschen auf offener Straße ermordet werden, wirken Lena und Hermann auf ihrer „Matratzeninsel" wie auf einem fremden, flauschig-weichen Planeten. Die unmittelbare Gefahr, von den Nazis entdeckt zu werden, wird fast ausgeblendet. Wenn der durch und durch braune Hausmeister dann seine wöchentliche „Verdunklungskontrolle" durchführt, wirkt das schon fast zu amüsant. Plagen Hermann, der noch immer an den „Endsieg" der Deutschen glaubt, gelegentlich noch Zweifel, wirkt Lenas Sicht der Dinge vollkommen verklärt. Während die einheimische Bevölkerung den Einmarsch der Alliierten als Erlösung feiert, plagt sie die Angst, von ihrem Liebhaber verlassen zu werden. Die Beweggründe der Protagonisten sind für den Zuschauer oft aber nur schwer nachzuvollziehen. Vermutlich war es aber auch nicht die Absicht der Regisseurin, dem Zuschauer ein realitätsnahes Bild des kriegsversehrten Hamburgs zu vermitteln. Vielmehr konzentriert sich Wagner ganz auf die Romanze zwischen Lena und Hermann. Darin liegt zweifellos die Stärke des Films. Zwei Fremde finden in denkbar ungünstigen Zeiten zueinander. Statt ihr Leid zu teilen, schweigen sie einander an. Hermann könnte ihr vieles erzählen: über seine Angst, entdeckt zu werden, wie sehr er darunter leidet, eingesperrt zu sein. Doch er tut es nicht. Lena hingegen, die seit Jahren keine Leidenschaft und Zärtlichkeit mehr erfahren hat, genießt die gewonnene Zweisamkeit. Dass die beiden nie offen miteinander umgehen, macht den Reiz der Geschichte aus.

„Die Entdeckung der Currywurst" profitiert dabei von seiner erstklassigen Besetzung. Insbesondere das Zusammenwirken von Barbara Sukowa und Alexander Khuon überzeugt derart, dass die Liebe zwischen ihnen glaubhaft wird und die Unterschiede zwischen ihnen für Spannung sorgen. Die einstige Fassbinder-Schauspielerin und Sängerin Barbara Sukowa („Berlin Alexanderplatz", Lola, Romance And Cigarettes) wirkt verführerisch, ohne aber übertrieben jugendlich zu erscheinen. Ihre rauchige Stimme und kesse Art („Arsch kaum warm, Fliegeralarm.") wachsen dem Zuschauer schnell ans Herz. Dass sie knapp dreißig Jahre älter als ihr Filmpartner Khuon ist, merkt man ihr keine Sekunde an. Mit einer solchen Selbstverständlichkeit spielt sie die üppigen Reize einer reifen Frau aus. Gelegentlich auch mit viel nackter Haut. Der gelernte Theaterdarsteller Alexander Khuon (Sohn des Intendanten des Hamburger Thalia-Theaters Ulrich Khuon) kommt in seiner ersten Kinorolle nicht ganz an die Klasse seiner Kollegin heran, überzeugt aber dennoch. Gemeinsam schaffen sie es, dem Zuschauer die noch immer tabuisierte Liebe einer älteren Frau zu einem jüngeren Mann glaubhaft und als etwas Natürliches, beinahe Selbstverständliches zu vermitteln.

Fazit: Ulla Wagners Adaption „Die Entdeckung der Currywurst" verzichtet weitgehend auf den politischen Anspruch der Buchvorlage. Stattdessen konzentriert sie sich ganz auf die romantische, aber zuweilen auch illusionäre Beziehung zwischen Lena und dem Deserteur Hermann. Das wird Anhängern von Uwe Timms Novelle sauer aufstoßen. Wer sich daran nicht stört, bekommt ein Liebesdrama serviert, dass stellenweise zu brav und unreflektiert wirkt, aber dank der starken Leistung von Barbara Sukow und Alexander Khuon dennoch mitreißt.

Aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges, einer besonderen Liebe und einer zerbrochenen Ketchup-Flasche wird die Currywurst geboren.

Die entdeckung der currywurst unterschied film und buch

„Der Krieg ist aus!“ Für Lena Brücker ist Deutschlands Kapitulation 1945 kein Grund zur Freude, sondern das Ende von ihrem persönlichen „Glück“ – so einfach betitelt die Protagonistin in Uwe Timms Novelle Die Entdeckung der Currywurst (1993) ihre kurze, aber intensive Affäre mit dem deutlich jüngeren, fahnenflüchtigen Marinesoldaten Hermann Bremer.

In der Verfilmung von Regisseurin und Drehbuchautorin Ulla Wagner malt sich Lena (Barbara Sukowa) aus, wie Hermann (Alexander Khuon) nach ihrer Übermittlung der Neuigkeit die Hamburger Wohnung für immer verlässt, in der sie ihn seit dem Kennenlernen vor einem Kino versteckt hält. In ihrer Vorstellung blickt sie ihm aus dem Fenster nach, er dreht sich auf der Straße um und winkt ihr im Weggehen ein letztes Mal zu. Und weil die Kantinenangestellte ihr Glück noch ein wenig festhalten möchte, verschweigt sie ihrem Geliebten zunächst das Kriegsende, wie er ihr verheimlicht hat, dass Frau und Kind auf ihn warten.

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Der imaginierte Abschied ist einer der seltenen Momente, in denen Hermann im Freien zu sehen ist. Die meiste Zeit läuft er wie ein gefangenes Tier in Lenas Wohnung auf und ab, was die Nachbarn misstrauisch aufhorchen lässt, da Lenas Ehemann seit Jahren an der Ostfront verschollen scheint und bereits davor eher durch Abwesenheit auffiel. Der junge Deserteur leidet zunehmend unter dem Eingesperrtsein, während seine Partnerin hingegen eine lang entbehrte Zweisamkeit genießt. Sie verbringt mit ihm die Nächte auf einer „Matratzeninsel“ auf dem Fußboden, kocht „falsche Krebssuppe“ und behauptet, eine neue Röhre fürs kaputte Radio sei nirgendwo aufzutreiben. Erst als Bilder von Konzentrationslagern in den Zeitungen veröffentlicht werden, muss sich das Paar mit der Wirklichkeit auseinandersetzen und kann die Welt nicht mehr aussperren.

Ulla Wagner (Anna Wunder, 2000) richtet den Fokus wiederholt auf die Beine ihrer Hauptdarsteller. Im Gegensatz zu Hermanns nervösen, angespannten Schritten auf begrenzter Quadratmeterzahl zeugt Lenas gelöstes, kraftvolles Gehen im Draußen von ihrer aufblühenden Vitalität. Ihre Beziehung setzt bei beiden entscheidende Richtungswechsel in Gang: Dem naiven, propagandabeeinflussten Soldaten, der an einen Sieg Deutschlands glauben will, werden die Augen für die Realität des „Dritten Reichs“ geöffnet; die nicht wertgeschätzte Ehefrau stellt sich beruflich und privat auf eigene Füße. Nach der Kündigung ihrer Kantinentätigkeit betreibt Lena einen Imbiss. Als ihr Mann nach Hermanns Verschwinden plötzlich wieder auf der Matte steht und wie eh und je sein Herumtreiberdasein pflegt, setzt sie ihn ohne Erklärung vor die Haustür.

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Diese Rauswurfszene entstammt Uwe Timms Novelle, genauso wie die Regisseurin einige weitere Bilder aus ihr direkt übernommen hat. Zustände und Stimmungen in Deutschland am Beispiel Hamburgs während und nach dem Krieg sind im Film allerdings weniger deutlich präsent als im Buch. In Wagners Umsetzung werden sie größtenteils durch Hermanns Beobachtungen der Vorgänge auf der Straße und im Haus gegenüber gespiegelt, anhand Lenas Erlebnissen bei der Arbeit und des Verhaltens ihrer Nachbarn. Die überwiegend kammerspielartige Inszenierung konzentriert sich verstärkt auf das sich wandelnde Verhältnis der zwei Protagonisten, dessen anfangs ausgelassene Unbekümmertheit im Handlungsverlauf unter wachsenden Zweifel und Misstrauen krankt.

Die Entdeckung der Currywurst profitiert vor allem von dem facetten- und spannungsreichen Zusammenspiel der einstigen Fassbinder-Akteurin Barbara Sukowa und des ihr ebenbürtigen Alexander Khuon, der als erfahrener Theaterdarsteller hier in seiner ersten Filmrolle überzeugt. Die unaufdringlich berührende Geschichte einer Emanzipation entfaltet ihre Tiefe und nachhaltige Wirkung mit angenehm ruhiger Zurückhaltung. Wagners emotionales, jedoch nie sentimentales Liebesdrama bleibt dabei dem Geist der literarischen Vorlage treu. Beide Werke sind in ihrem schlichten Ton die liebevolle Würdigung eines bewegten und mutigen Lebens, in dem sich Traurigkeit und Heiterkeit ergänzen und das auch stellvertretend für die Epoche und ihre Frauen Einschränkung und Befreiung, Einbruch und Wiederaufbau repräsentiert.

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In einer späten Sequenz trägt Lena auf dem Schwarzmarkt erstandene Ketchup-Flaschen und Gewürze die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf, lässt sie im Stolpern fallen und fängt an zu weinen, da sie an die schöne, aber vergangene Zeit mit Hermann denken muss. Anschließend rappelt sie sich wieder auf und erfindet aus dem süßlich-scharfen Matsch der vermengten Lebensmittel die Currywurst – und damit die Grundlage für ihre Selbstständigkeit. In der Schlusseinstellung läuft sie dann noch einmal: Mit der Leichtigkeit und Verspieltheit eines jungen Mädchens jagt sie Servietten hinterher, die der Wind aus ihrem Imbiss wegweht.

10.07.2008 Seite drucken

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