Wo spielt der film ein leben lang

  • Ein Leben lang: Ein aller Düsternis zum Trotz positives Drama über eine endende Ehe, weil der Mann an Demenz erkrankt ist. Ein aller Düsternis zum Trotz positives Drama über eine endende Ehe, weil der Mann an Demenz erkrankt ist.

    Bereits die ersten Bilder dieses Herbstfilms verbreiten eine Melancholie, zu der sich im Verlauf der Handlung noch sehr viel Wehmut gesellen wird. „Ein Leben lang“ ist ein Abschiedsfilm, und es wird ein Abschied für immer sein: Arthur (Henry Hübchen) leidet an Demenz, die klaren Momente werden zunehmend rarer. Um seinen Platz in einem Pflegeheim finanzieren zu können, muss seine Frau Elsa (Corinna Kirchhoff) das Ferienhaus der Familie verkaufen. Ein letztes Mal reisen die beiden zu dem See in der Nähe Berlins, um das Anwesen zu entrümpeln. Sie haben dort viele schöne Tage verbracht, bis Arthur seine Frau vor einigen Jahren wegen einer Jüngeren verlassen hat. Als seine geistige Gesundheit nachließ, war die Beziehung wieder vorbei, und nun kümmert sich Elsa um ihn, wenn auch eher aus Pflichtgefühl als um der alten Zeiten willen: Die einstigen Gefühle sind offenbar unwiederbringlich dahin, und das nicht nur wegen Arthurs Krankheit; selbst wenn der Film nicht verhehlt, wie kräftezehrend das Leben mit einem Demenzkranken ist.

    „Ein Leben lang“ beginnt als Zweipersonenstück, in dem die Vorzeichen klar verteilt sind: Die Demenz verleiht Arthur den Status eines unschuldigen Kindes. Die Rolle ist ein Traum für jeden Schauspieler, denn sie bietet ihrem Darsteller ein großes Spektrum, das Henry Hübchen bis zur bitteren Neige auskostet, zumal Drehbuchautor Paul Salisbury eine weitere tragische Facette ergänzt hat: Arthur war mal ein prominenter Schlagersänger. Wenn er sich ans Klavier setzt, kommt die Vergangenheit kurz zurück, aber mittendrin muss er abbrechen, weil er nicht mehr weiß, wie die Melodie weitergeht. Im Vergleich zu Hübchen, der alle Register ziehen darf, weil immer wieder auch jener Schalk aufblitzt, in den sich Elsa vor über vierzig Jahren verliebt hat, hat Corinna Kirchhoff als Mischung aus Krankenschwester und Spaßbremse die undankbarere Rolle. Das ändert sich, als Salisbury für die dringend nötigen Reparaturarbeiten eine dritte Figur ins Spiel bringt. Die erste Begegnung fällt eher frostig aus, denn Elsa hat Sorin (Eugen Knecht) kurz zuvor dabei ertappt, wie er Obst geklaut hat. Hinter seiner ungehobelten Fassade offenbart der Gelegenheits-DJ jedoch eine verletzte Seele. Arthur schließt ihn in sein Herz, als die beiden spontan zusammen Musik machen, und auch in Elsa weckt er verschüttet geglaubte Emotionen.

    Mehr noch als die wenigen vergleichsweise plakativen Szenen - Arthur empfängt die Maklerin in durchnässter Unterhose, weil er das Klo nicht gefunden hat - sind es die kleinen Momente, die ein Gefühl für die Figuren vermitteln: die Jahrzehnte alten Fotos als Dokumente des einstigen Glücks oder ein ins Holz des Ruderboots geritztes Herz mit den Buchstaben A und E. Die besondere Qualität des Films resultiert jedoch aus den Spielräumen für Zwischentöne, die das Drehbuch Hübchen und Kirchhoff ermöglicht; der tieftraurige Blick Arthurs, als Elsa ihm klar macht, warum das Haus verkauft werden muss, geht direkt ins Herz. Ähnlich bewegend war auch eine der letzten Arbeiten Salisburys, „Das deutsche Kind„, ein Drama über den Sorgerechtsstreit zwischen einem muslimischen Ehepaar und den deutschen Großeltern eines verwaisten Mädchens.

    Regisseur Till Endemann setzt mit diesen Szenen einer endenden Ehe die Erkundungen der Psyche fort, die auch seinen letzten Film geprägt haben, „Das Versprechen“ (2021), ein aller Düsternis zum Trotz positives Drama über Krankheiten der Seele. „Ein Leben lang“ schildert eine ähnliche Entwicklung, denn am Schluss finden Arthur und Elsa unabhängig voneinander einen Weg, mit sich im Reinen zu sein; und auch für Sorin mündet die Geschichte in einen Hoffnungsschimmer. Sehenswert ist aber nicht nur das dreiköpfige Ensemble: Viele der Aufnahmen, die Kameramann Philipp Sichler von der Seelandschaft gemacht hat, haben die Schönheit klassischer Ölgemälde aus der Zeit der Romantik

    Tilmann P. Gangloff.

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Wo spielt der film ein leben lang
„Ein Leben lang“ // Deutschland-Start: 26. Januar 2022 (Das Erste)

40 Jahre waren Elsa (Corinna Kirchhoff) und Arthur (Henry Hübchen) verheiratet. Dann verließ er sie für eine andere. Doch Arthur, ein ehemaliger Schlagerstar, hat kein Glück in seiner neuen Beziehung. Als er immer mehr Dinge vergisst, schwant der Geliebten nichts Gutes. Einen Demenzkranken am Hals zu haben, überlässt sie lieber der 64-jährigen Ehefrau. Trotz schwerer Kränkung bleibt der noch nicht geschiedenen Elsa kaum etwas anderes übrig, als den untreuen Gatten zurückzunehmen. Zumindest auf Zeit. Denn ein Pflegeheim ist schon gefunden. Jetzt heißt es, das gemeinsame Ferienhaus am See zu verkaufen, um mit dem Erlös die teure Heimunterbringung zu finanzieren. Ein letztes Mal fahren Elsa und Arthur zu dem kleinen Paradies im Brandenburgischen. Zusammen wollen sie entrümpeln und das Anwesen für den Verkauf fit machen. Oder besser gesagt: Elsa will das, Arthur hat nicht nur ein schlechtes Gewissen, sondern krankheitsbedingt kaum noch Kraft zur Gegenwehr. Inzwischen vergisst er sogar die Melodie seines größten Hits, des titelgebenden Lieds „Ein Leben lang“.

Stilles Refugium

Herbstlich ist die Stimmung an dem stillen Gewässer. Niemand badet mehr, die Ferien sind längst vorbei. Nur die, die immer hier leben, lassen sich vereinzelt blicken. Noch immer ist Arthur verzaubert von dem Sehnsuchtsort, setzt sich einsam an den Steg, der vom eigenen Garten direkt ins Wasser führt. Hier hat er einst seine Lieder geschrieben. In dem kleinen Refugium war er mit Elsa glücklich. Die hingegen bringt keinen Sinn mehr für Romantik auf. „Der Steg ist morsch, er muss repariert werden“, mehr hat sie zur Stätte der gemeinsam Erinnerung nicht zu sagen. Da weiß sie noch gar nicht, dass der untreue Ehemann auch seine „Neue“ mit hierher genommen hat – ein größerer Verrat ist kaum noch denkbar. Nichts scheint mehr zu gehen in dieser Beziehung. Nur der eine Generation jüngere Sorin (Eugen Knecht), den das Paar für kleine Reparaturen anheuert, bringt ein belebendes Element in die festgefahrene Lage. Mit ihm, der auch Musik macht, schließt Arthur schnell Freundschaft. Und auch Elsa entdeckt in dem jungen Mann nach anfänglicher Skepsis einen Seelenverwandten.

Regisseur Till Endemann inszeniert das Dreipersonenstück als stilles Kammerspiel. Er dimmt die Dramatik der Lage konsequent herunter, verzichtet auf Gefühlsausbrüche und laut ausgestellte Verzweiflung. Das ist mutig bei einem Thema, das sich als Komödie (wie Honig im Kopf, 2014) oder als Verwirrspiel (The Father, 2021) publikumsträchtiger verkaufen ließe. Für eine reine Fernsehproduktion recht ungewohnt, verlässt sich Ein Leben lang auf einen ruhigen Erzählfluss. Der Film nimmt sich Zeit für die Zwischentöne eines melancholischen Grundakkords. Etwa für das genaue Registrieren im Grad des Vergessens. Ist es nicht besonders schlimm, wenn Arthur seine Pillen länger nicht genommen hat? Und könnte es nicht ein Zeichen für Hoffnung sein, wenn der Schlagersänger im lange unbewohnten Haus sofort sein altes Tonstudio entdeckt und sich gleich ans Klavier setzt? In welchen Momenten überwiegt die Verwirrung über die Reise an einen lange nicht besuchten Ort? Und wann bringt die Erinnerung an bessere Tage ein Stück verlorene Vitalität zurück?

Gegen den Strich besetzt

Hauptdarsteller Henry Hübchen wäre natürlich als früherer Schlagerstar mit Rüschenhemd und Glitzerjacke die ideale Rampensau. Aber eigentlich besetzt ihn der Film gegen den Strich. Selten hat man den Tausendsassa mit Draufgängerimage so verletzlich und sanft gesehen. Allein an seinen Augen und in seinem Gesicht lässt sich die Verwirrung ablesen, die ihn immer wieder überkommt – ebenso wie gelegentlich eine Phase von relativer Klarheit. Ansonsten spürt er dem nach, was wohl jeder schon beobachtet hat, der einen Dementen kennt: dem Überspielen von Unsicherheit, dem Überhören von Fragen, der scheinbar souveränen Eigenbrötelei. Die nuancenstark aufspielenden Schauspieler verlassen sich darauf, dass solche Feinheiten die Geschichte tragen. Das gelingt auf stimmungsvolle Weise. Aber nur, wenn man sich darauf einlässt, ohne große Dramatik auszukommen.

Credits

OT: „Ein Leben lang“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Till Endemann
Drehbuch: Paul Salisbury
Musik: Raffael Seyfried
Kamera: Philipp Sichler
Besetzung: Henry Hübchen, Corinna Kirchhoff, Eugen Knecht

Bilder

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