Wo fand die erste herztransplantation statt

Louis Washkansky und sein Chirurg Christiaan Barnard Anfang Dezember 1967. (Bild: Keystone)

Vor 50 Jahren fand die erste erfolgreiche Herzverpflanzung statt – der Patient starb nach 18 Tagen. Heute lebt die Hälfte der Transplantierten 20 Jahre, einige noch länger. Trotzdem sind noch nicht alle Probleme gelöst.

Alan Niederer 01.12.2017, 05.30 Uhr

«I schänke dir mis HärzMeh han i nidDu chasch es ha, we dä woschEs isch es guets

U es git no mängi, wos würd näh


Aber dir würdis gäh».

Songtext der Berner Rockband Züri West

«Ich hatte mit dem Leben schon abgeschlossen.» Das sagt keine alte, depressive Frau, sondern die quirlige Renata Isenschmid. Die 57-jährige Versicherungsfachfrau wirkt im Gespräch so lebendig und optimistisch wie eine Sportlerin nach gewonnenem Turnier. Nur der etwas seltsame Ort ihrer Heirat macht stutzig. Die Zeremonie fand auf der Intensivstation des Inselspitals in Bern statt. Der Raum sei mit Papierblumen geschmückt gewesen, erinnert sich Isenschmid. Und ein CD-Rekorder habe Musik gespielt.

Das war vor gut 13 Jahren. «Ende April habe ich plötzlich Atembeschwerden, extremen Husten und grosse Müdigkeit entwickelt», erzählt Isenschmid. Der zweite Arzt, den sie konsultiert, stellt Wasser auf den Lungen fest. Er vermutet einen Tumor. Die weiteren Untersuchungen zeigen, dass das Wasser nicht krebsbedingt ist, sondern vom Herzen kommt. Dieses ist so schwach, dass es kaum noch genügend Blut durch den Körper pumpt.

Vor 50 Jahren hätte eine solch schwere Herzinsuffizienz den sicheren Tod bedeutet. Denn damals standen den Ärzten weder eine Herztransplantation noch Pumpen zur Überbrückung der Herzfunktion zur Verfügung. Das ist heute anders. Doch der Weg zu einem neuen Leben ist steinig – und eine Erfolgsgarantie gibt es nicht.

Was viele nicht wissen: Bei einer Herzschwäche ist die Prognose auch heute noch schlechter als bei vielen Krebsleiden. Bei den meisten der rund 200 000 Patienten in der Schweiz nimmt die Herzleistung aber bei optimaler Therapie und einer Anpassung der Lebensgewohnheiten nur langsam ab. «Ein so akutes Versagen wie bei Renata Isenschmid ist eher selten», bestätigt ihr betreuender Kardiologe Paul Mohacsi vom Herz-Gefäss-Zentrum Zürich der Hirslanden-Klinik. Das hat auch mit der Ursache der Herzinsuffizienz zu tun. Diese ist meist durch Herzinfarkte oder eine Herzmuskelschwäche bedingt. Bei Isenschmid ist sie dagegen auf eine Chemotherapie zurückzuführen, die Jahre zuvor gegen eine Krebserkrankung eingesetzt wurde.

Im Kampf gegen ihre Herzschwäche versuchen es die Ärzte zuerst mit Medikamenten – ohne Erfolg. Als sich ihr Zustand immer mehr verschlechtert und sie nur noch auf allen vieren die Treppe hochkommt, fährt sie ihr heutiger Mann in den Notfall eines Privatspitals. «Danach ist die Erinnerung weg», sagt Isenschmid. Wie sie später erfährt, wird sie in kritischem Zustand mit dem Helikopter ins Berner Inselspital geflogen und sofort operiert. Dabei wird sie an ein künstliches Herz angeschlossen, das die Pumpfunktion beider Herzkammern übernimmt. Damit ist ihr unmittelbares Überleben sichergestellt. Doch längerfristig braucht sie ein neues Herz.

«Das Warten auf der Intensivstation war die schlimmste Zeit», sagt Isenschmid. Die meiste Zeit muss sie bewegungslos auf dem Bett liegen. Und ihr Kunstherz ist so laut, so dass sie kaum schlafen kann. In dieser düsteren Zeit schliesst sie gedanklich mit dem Leben ab. Dann macht ihr Partner ihr einen Heiratsantrag – und die Todgeweihte spürt neuen Lebenswillen und Hoffnung.

Das frischgebackene Ehepaar hat Glück. Schon nach viereinhalb Wochen auf der Warteliste wird Renata Isenschmid ein Spenderherz eingepflanzt. Ein ähnliches Schicksal erleiden in der Schweiz jedes Jahr 40 bis 45 Personen. Ihnen allen kann die Medizin zu einem zweiten Leben verhelfen.

Sonntagmorgen in Kapstadt

Was heute ein Routineeingriff ist, hat vor 50 Jahren bei der Premiere in Südafrika hohe Wellen geschlagen. Die gesamte Weltpresse berichtete darüber. Der medizinische Triumph über den Herztod war dem Chirurgen Christiaan Barnard in den Morgenstunden des 3. Dezember 1967, eines Sonntags, im Groote Schuur Hospital in Kapstadt gelungen. Auch die NZZ meldete die Sensation am Tag darauf – unter dem bemerkenswert nüchternen Titel «Transplantation eines menschlichen Herzens».

Das grosse Medieninteresse dürfte auch mit dem Organ zu tun gehabt haben. Zwar symbolisiert das Blut das Leben. Doch das Herz sorgt dafür, dass der Lebenssaft durch den Körper gepumpt wird. Und anders als die Niere, die schon 1954 erfolgreich übertragen wurde, ist das Herz aufs Engste mit unserem Gefühls- und Seelenleben verzahnt. Oder welcher Verliebte würde seiner Angebeteten statt des Herzens seine Nieren schenken?

Barnards erster Patient war Louis Washkansky, ein 54-jähriger Lebensmittelhändler, dessen Herz nach mehreren Infarkten stark geschwächt war. Das rettende Organ kam von einer jungen Frau, die nach einem Verkehrsunfall in unmittelbarer Nähe des Spitals hirntot war. Schon damals stellten die Ärzte den Tod der Organspenderin anhand des Fehlens von elektrischer Hirnaktivität fest.

Was sich ebenfalls nicht verändert hat: Eine Herztransplantation ist Teamwork. So stand bereits hinter Barnard eine 30-köpfige Mannschaft aus Ärzten, Krankenschwestern und Technikern. Wie die NZZ damals schrieb, hatte sich das Team fast einen Monat lang auf die riskante Operation vorbereitet. Diese musste offenbar einmal verschoben werden, weil sich das Herz eines Spenders als ungeeignet erwies. Aus anderen Quellen ist bekannt, dass sich die Ärzte im damaligen Südafrika der Apartheid bei der ersten Verpflanzung bewusst für Weisse als Organspender und Organempfänger entschieden. Sie wollten damit unnötige Rassenkonflikte verhindern.

Trotz allen Vorbereitungen starb der Patient bereits 18 Tage nach dem Eingriff – an einem «Lungenkollaps», wie die NZZ schrieb. «Damit ist ein Experiment zu Ende, welches die ganze Welt in Atem gehalten hatte», hiess es weiter. Wie später bekanntwurde, war der Lungenkollaps nicht, wie von Barnard vermutet, die Folge der gefürchteten Abstossungsreaktion, sondern eine gewöhnliche Lungenentzündung. Statt Antibiotika einzusetzen, erhöhte Barnard die Medikamente gegen die Abstossung – und besiegelte damit den Tod des Patienten.

Das Problem der optimalen Immunsuppression beschäftigt die Transplantationsmediziner bis heute. Denn ist die Wirkung der Medikamente zu gering, wird das Organ abgestossen. Ist die Immunsuppression dagegen zu stark, drohen Infektionen und langfristig Krebs. Auch Renata Isenschmid, die bis auf die Medikamente, die sie einnehmen muss, und die regelmässigen Arztkontrollen ein nahezu normales Leben führt, hat mit ihrem Spenderherzen schon Phasen der Abstossung erlebt. Gespürt hat sie aber nichts, denn heute kann die Diagnose anhand von regelmässigen Gewebebiopsien frühzeitig gestellt werden.

Diese Möglichkeit hatte Barnard noch nicht. Er versuchte, die Abstossungsreaktion mit den damals verfügbaren Medikamenten und einer Bestrahlung des Spenderherzens in Schach zu halten. Der gewählte Therapieansatz funktionierte bei seiner zweiten Transplantation Anfang Januar 1968 schon recht gut. Der Patient, der Zahnarzt Philip Blaiberg, konnte das Spital verlassen und lebte 19 Monate lang.

Wie dieses Resultat einzuschätzen ist, lässt sich erahnen, wenn man sich die Ergebnisse anderer Transplantationsteams anschaut. Denn nach dem Hype um die Weltpremiere begann alles, was in der Herzchirurgie Rang und Namen hatte, Herzen zu transplantieren. Bis Ende 1968 waren bereits über 100 Eingriffe erfolgt. Doch nur ein Drittel der Patienten lebte länger als 3 Monate.

«Die Anfänge waren harzig», kommentierte der Schweizer Herzchirurg und Transplantationspionier Marko Turina diese Zahlen vor kurzem an einem Symposion. Die Einschätzung gilt auch für die Versuche am Universitätsspital Zürich, wo Turinas Vorgänger Ake Senning 1969 die ersten zwei Herzverpflanzungen in der Schweiz durchführte. Laut Turina starben die Patienten nach wenigen Wochen an einem Lungeninfekt beziehungsweise an akuter Abstossung. Die schlechten Ergebnisse bedeuteten das vorläufige Aus für die Herzverpflanzung in Zürich. Auch weltweit wich die Anfangseuphorie der Ernüchterung, so dass sich die meisten Ärzte aus der Herztransplantation zurückzogen.

Neuer Schwung kam erst in den 1980er Jahren auf, nachdem das Medikament Cyclosporin auf den Markt gekommen war. Das von der Basler Firma Sandoz entwickelte Immunsuppressivum war so potent, dass es der gesamten Transplantationsmedizin zum Durchbruch verhalf. In der Schweiz begann Turina 1985 mit einem erfolgreichen Herztransplantationsprogramm. Ein an Weihnachten 1988 operierter Patient lebt noch heute.

«Masslose Hybris»

Wie aber hat vor 50 Jahren die Medizin auf die von Christiaan Barnard aufgestossene Tür in der Herzchirurgie reagiert? «Nicht nur euphorisch», sagt der Berner Herzchirurg Ulrich Althaus, der 2003 das Herztransplantationsprogramm am Inselspital lancierte. Er erinnert sich an einen Chefarzt, der von «massloser Hybris» sprach. Andere warnten davor, dass sich die Medizintechnik immer mehr auf Kosten der Menschenwürde profilieren werde.

Als Herzchirurg habe man 1967 gewusst, dass die erste Transplantation kurz bevorstehe, erzählt Althaus. Doch niemand habe Barnard auf dem Radar gehabt. Alle hätten angenommen, dass Norman Shumway von der Stanford University in Kalifornien der Erste sein würde. Der Amerikaner wird von vielen als der wahre Vater der Herztransplantation verehrt. Seine Gruppe führte ab 1958 Herzverpflanzungen bei Hunden durch. Nachdem Shumway den Eingriff jahrelang perfektioniert hatte, erklärte er 1967 gegenüber der Presse, dass die Technik reif sei für den Einsatz am Menschen.

Barnard war damals Gast in Shumways Team und hatte Einblick in das geplante Transplantationsprogramm. Zurück in Südafrika, nutzte er die Gunst der Stunde und führte einen Monat vor Shumway die erste Herztransplantation durch. So lautet das oft gehörte Narrativ zu den medizinhistorischen Begebenheiten jener Zeit. «Wir waren entsetzt, dass Barnard das gemacht hat», sagt Althaus. Denn zuvor habe er sich in seinem Forschungslabor kaum mit Transplantationsfragen befasst. Andere sprechen von einem «gemeinen Hund». Etwas weniger streng geht der Kardiologe Mohacsi mit dem Südafrikaner ins Gericht: «Er hatte den Ehrgeiz und den Mut, als Erster die Verantwortung für eine damals sehr gewagte Operation zu übernehmen. Dafür verdient er Respekt.»

Heute gilt die Herzverpflanzung nicht mehr als besonders schwieriger Eingriff. «Die Operationstechnik hat sich seit Barnard nur unwesentlich verändert», sagt der Herzchirurg Markus Wilhelm vom Universitätsspital Zürich. Während man früher vier Nähte gesetzt habe, seien es heute meist fünf (vgl. Infografik). Bei der neueren Variante ist die Überlebensrate höher, und die Patienten brauchen seltener einen Herzschrittmacher. «Das hängt damit zusammen», erklärt Wilhelm, «dass der rechte Herzvorhof, wo der natürliche Herzschrittmacher sitzt, nicht durchtrennt wird.» So kommt es seltener zu Herzrhythmusstörungen.

Weltweit sind schon rund 140 000 Herzen verpflanzt worden – und die Überlebensrate hat sich schrittweise erhöht. Heute sind fast 90 Prozent der Patienten nach zwei Jahren noch am Leben; nach 20 Jahren ist es noch die Hälfte. «Dieser Fortschritt war nur möglich, weil die Immunsuppression besser und weniger toxisch geworden ist», sagt Mohacsi. So sei bei der Herztransplantation das einstige Wundermittel Cyclosporin durch neue Substanzen ersetzt worden. Diese Wirkstoffe nähren die Hoffnung, dass auch das letzte Problem der Abstossungsreaktion noch gelöst werden kann: die immunologisch vermittelte Schädigung der Herzkranzgefässe im Spenderorgan.

Grosse Fortschritte sind auch bei den Herzpumpen erzielt worden. «Diese werden inzwischen bei einigen Patienten als definitive Lösung eingesetzt», sagt der Chirurg Wilhelm. Das sind etwa Patienten über 65 Jahren, die bei der heutigen Organknappheit keine Chance auf ein Spenderherz haben. Eine solche Pumpe sei aber nur bei einer isolierten Schwäche der linken Herzkammer eine Langzeitlösung, betont Wilhelm. Denn nur für diese Form der Herzinsuffizienz stehen heute kleine, alltagstaugliche Pumpen zur Verfügung. Noch haben diese aber gegenüber dem biologischen Herzersatz einen gewichtigen Nachteil: Sie können ihre Pumpleistung nicht an die Aktivitäten des Patienten anpassen.

Wann ist ein Mensch tot?

Trotz ihren Erfolgen stösst die Organtransplantation in der Bevölkerung nicht nur auf Zustimmung. Die Skepsis zeigt sich etwa daran, dass in der Schweiz nur wenige einen Organspenderausweis besitzen. Zudem entscheiden sich die Angehörigen in 60 Prozent der Fälle gegen die Spende. Die Vorbehalte der Menschen sind nicht nur irrational. Skandale im Ausland um manipulierte Wartelisten und kriminellen Organhandel schwächen das Vertrauen. Ein anderer Punkt, der immer wieder zu Diskussionen führt, ist die Art und Weise, wie beim Organspender der Tod festgestellt wird. Seit einigen Jahren wird hierbei nicht mehr nur der primäre Hirntod berücksichtigt, sondern auch das primäre Herz-Kreislauf-Versagen, das erst sekundär zum Ausfall der zerebralen Funktionen führt.

Von einigen wird befürchtet, dass bei «herztoten» Spendern die Organe zu einem Zeitpunkt entnommen werden, zu dem der Patient noch nicht «richtig» tot ist. Diesen Vorbehalt weist Franz Immer, Direktor von Swisstransplant, vehement zurück. «Aus biologischer Sicht gibt es nur einen Tod», sagt der ausgebildete Herzchirurg. Dieser sei dann gegeben, wenn alle Funktionen des Gehirns irreversibel ausgefallen seien. Erst danach dürften die Ärzte mit der Organentnahme beginnen.

Um das Problem der Organknappheit zu entschärfen, ist im Oktober eine Volksinitiative gestartet worden. Diese will das heutige System, das vom Spender oder von seinen Angehörigen eine explizite Zustimmung verlangt, in ein sogenanntes Widerspruchssystem umwandeln. In diesem Fall müssen sich alle, die sich nicht als Organspender zur Verfügung stellen wollen, in ein Register eintragen lassen.

Immer unterstützt diesen Systemwechsel. Denn er ist überzeugt, dass sich damit die Ablehnungsrate auf 20 bis 30 Prozent senken liesse. «So könnten wir relativ einfach die benötigten 200 bis 240 Organspender pro Jahr rekrutieren», sagt er. Heute sind es erst 140. Es gibt aber auch kritische Stimmen, die den angestrebten «Automatismus» aus ethisch-moralischen Gründen ablehnen. Diese Leute betonen, dass die Organspende ein Geschenk bleiben müsse, auf das niemand ein Anrecht habe. Es sei daher alles zu vermeiden, was potenzielle Spender und ihre Angehörigen unter Druck setzen könnte. Den Begriff «automatische Organspende» weist der Swisstransplant-Direktor zurück. Denn auch bei der Widerspruchslösung würde man vor der Organentnahme mit den Angehörigen sprechen.

Auch Renata Isenschmid setzt sich für den Systemwechsel ein. Gegenüber ihrem eigenen Organspender empfindet sie tiefe Dankbarkeit. Immer wieder fragt sie sich, wer wohl diese Person gewesen ist. Weil es das Transplantationsgesetz in der Schweiz verbietet, dass Spender und Empfänger beziehungsweise ihre Familien voneinander wissen, kennt sie weder Alter noch Geschlecht ihres Retters. Mit der verordneten Anonymität sollen beide Seiten geschützt werden. «Denn nicht alle möchten dem Menschen begegnen, der mit dem Herzen des verstorbenen Sohnes weiterlebt», sagt Immer und bringt das emotional aufwühlende Thema auf den Punkt.

Doch auch in der Schweiz ist die Anonymität nicht sakrosankt. «Wenn sich beide Seiten einverstanden erklären, ist eine Offenlegung der Verbindung möglich», sagt Immer. Deshalb stellt sich Swisstransplant seit kurzem als «postillon d’amour» zur Verfügung und vermittelt Briefe von Spender- und Empfängerfamilien an die Gegenseite. Es ist daher möglich, dass Renata Isenschmid noch erfahren wird, wer ihr das Herz und damit ein zweites Leben geschenkt hat.

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