Wo der besen hängt im remstal

Wenn der Wengerter den Besen vor die Tür hängt, wird alles gut. Besenwirtschaften sind ganz spezielle Biotope. Hier rücken wildfremde Menschen auf der Bank zusammen und plaudern angeregt. Acht Autoren stellen ihre persönlichen Favoriten in Stuttgart und der Region vor.

Stuttgart - Die Wohnung ist voll, überall stehen Tische und Stühle, eigentlich scheint kein Platz mehr frei zu sein. Da kommt ein resoluter Wengerter dazu und gibt lautstark die Devise aus: „Rutschat zsamma! No langt’s für älle.“ Übersetzt: Rutscht auf den Bänken etwas näher zusammen, dann findet jeder noch einen Platz.

Genau so funktioniert der Besen, diese in unseren Breiten so beliebte Form des Ausschanks. Anscheinend geht alles auf einen Erlass von Karl dem Großen im Jahr 812 zurück. Auf jeden Fall dürfen Weinbauern zeitlich begrenzt ihren eigenen Wein ausschenken – und unterliegen damit nicht der Gaststättenverordnung. Früher war das so, dass die Wengerter für ein paar Wochen ihre eigene Wohnung ausgeräumt und so Platz für die Gäste geschaffen haben.

Inzwischen gibt es viele Formen: umgebaute Scheunen, klassische Wohnungen oder Besen, die von normalen Wirtschaften kaum zu unterscheiden sind. Was über all die Jahre gleich geblieben ist: die Gemütlichkeit. Rutscht zusammen! Und schon geht das Gespräch los. Nirgends kommt ein Mensch mit einem ihm bis dahin völlig unbekannten Nachbarn so schnell ins Gespräch wie in der Besenwirtschaft.

Die Karte bietet einen Überblick über die Lieblingsbesen unserer Redakteure:

Kinzingers Berghof: Großer Wein, kleiner Preis

Vaihingen/Enz – Lange Zeit gab’s ein merkwürdiges Missverhältnis zwischen der Verweildauer in einem Besen und der Qualität des dort konsumierten Weins. Familie Kinzinger im Vaihinger Stadtteil Enzweihingen hat beides ins Lot gebracht: Man sitzt dort oben einfach gern, genießt Schlachtplatte und Schmalzbrot mit einem Wein, der jedes gute Restaurant und jeden privaten Weinkeller in der Gegend ziert. Und das Beste daran: Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist eindeutig schwäbisch. (Von Holger Gayer)

Kinzingers Berghof, Vaihingen/Enz. Bis 5. November, täglich ab 11 Uhr

Weinstube Weidenbusch: Mit Musik wird’s richtig urig

Leonberg - Der Hintere Ehrenberg beim Autobahndreieck Leonberg gilt nicht gerade als Württembergs beste Lage in Sachen Wein. Doch die Familie Hartmann schafft es trotzdem, brauchbare Tropfen für ihre Besenwirtschaft im nahen Eltingen daraus zu gewinnen. Die deftige Küche mit Rostbraten und Toast rustikal passt bestens dazu, und wenn – je nach Lust – zwei, drei oder vier Musikanten eintrudeln, wird’s richtig urig beim Weidenbusch. (Von Alexander Ikrat)

Weinstube Weidenbusch, Renninger Straße 11, Leonberg. Bis 16. Dezember, donnerstags bis samstags ab 17.30 Uhr

Besen 66: Urbanes Feeling

Stuttgart - Eine Besenwirtschaft ragt in Stuttgart heraus. Sie liegt an der Neuen Weinsteige, hat eine Schnapszahl als Hausnummer und eine glamouröse Vergangenheit: der Besen 66. Einst war dort der Saunaclub 66 beheimatet. Nun betreiben die umtriebige Modemacherin Sonja Marohn und Milan Benadik dort ihren urbanen Besen, ­machen guten Wein und gutes Essen. Und wenn die Autos vorbeidüsen und man die Augen schließt, dann hört sich der Lärm fast an wie Meeresrauschen. (Von Kathrin Haasis)

Besen 66, Neue Weinsteige 66. Bis 17. Dezember, von 17 bis 23 Uhr, Montag zu.

Besa am Kelterplätzle: Drucketse im Gewölbekeller

Stuttgart - Helmut Zaiß hält gerne an Ur-Besen-Regeln fest: eigener Wein und schwäbisches Essen. Wenn offen ist, hängt draußen an dem Wengerterhaus der Besen an der Tür, und drinnen im Gewölbekeller muss bei Maultaschen oder Küferbraten an Trollingersößle niemand einsam in sein Viertele starren. Seit 35 Jahren ist Zaiß am Kelterplätzle, seine Stammgäste lieben natürlich auch die schwäbischen Preise. (Von Nina Ayerle)

D’Besa am Kelterplätzle, Strümpfelbacher Straße 40, Untertürkheim. Vom 3. November bis 2. Dezember, dienstags bis samstags ab 16 Uhr

Gundis Besastüble: Deftig und heimelig

Aichwald - Den eigenen Weinbau hat Familie Ahl inzwischen zwar aufgegeben, dafür ist alles, was in ihrem wohlig-heimeligen Besa­stüble die Küche­ verlässt, hausgemacht – und schmeckt nach mehr. „Auch das Brot backen wir selbst“, sagt die Wirtin Gundula Ahl. Ob Maultaschen, Krustenbraten oder ein Teller mit Sauerkraut: Zur deftigen Kost wird süffiger Wein von den Esslinger Weingärtnern serviert. (Von Bettina Hartmann)

Gundis Besastüble, Schnaiter Straße 7, Aichwald. Bis 1. November sowie von 10. bis 26. November, montags bis samstags ab 16 Uhr, sonntags ab 11.30 Uhr

Michels Gauder Besen: Modern ist nur der Wein

Stuttgart - Das entspricht ganz genau meiner Vorstellung von Ruhestand! Thomas Michel, der frühere Direktor des Linden-Museums, macht als rüstiger Rentner sein Ding: Wein und einen phänomenalen Besen. Da stehen die Tische, wie es sich gehört, in der Wohnung, das Essen ist der Hammer (gröschde Wurschdrädla!), und wer den Syrah probiert hat, der ist ­endgültig ein Fan dieser Oase. (Von Michael Weier)

Michels Gauder Besen, Meistersingerstraße 23. Von 27. Oktober bis 10. Dezember, Mittwoch bis Freitag ab 16 Uhr, Samstag ab 15 Uhr, Sonntag ab 11 Uhr

Schwegler in Weinstadt: Damenschenkel zum Dessert

Weinstadt - Oberhalb von Endersbach, am Fuß der Weinberge, liegt der Aussiedlerhof von Jörg Schwegler. Sein Käppeles Besen ist einer der ältesten im Remstal. In der Urigkeit ist man mit den Nachbarn schnell per Du. Mit dem Wirt sowieso. Das Viertele kostet 2,80 Euro, für Weinzähne gibt’s eine Extrakarte. Wer nach der Schlachtplatte nicht satt ist, beißt in einen Damenschenkel – aus Hefeteig. (Von Daniela Eberhardt)

Käppeles Besa, Weinbergstraße 82, Weinstadt. Von 24. Oktober bis 30. November, Dienstag bis Samstag ab 14 Uhr, Sonntag ab 11 Uhr

Escher in Schwaikheim: Jungstars im Besen

Schwaikheim - Ein einziger Lieblingsbesen im Remstal? Das geht nicht. Empfehlen würde ich aber dringend den Gang gen Schwaikheim, wo in gemütlichen Gutsschänken Nachwuchswengerter von hoher Klasse ihre Tropfen ausschenken. Der Escher-Besen zählt mit seinen 48 Jahren zudem zu den ältesten seiner Art in der Umgebung. (Von Harald Beck)

Weingut Escher, Seestraße 4. Noch bis 22. Oktober und 24. November bis 17. Dezember, Mittwoch bis Sonntag ab 11 Uhr

Für die auf mehr Abstand bauenden neuen Rahmenbedingungen ist die Öffnung zwischen Besen und Weinverkauf bei den Rienths ein großer Vorteil. Foto: ©SW2018/Stefan Wiemker

Nach der Weinlese beginnt in Fellbach und Umgebung die Besenzeit. Im Weintreff Rienth im Fellbacher Osten und anderswo haben sich die Besenwirtschaften auf die veränderten Bedingungen in Pandemiezeiten eingestellt.

Weinstadt/Fellbach - Die Weinlese ist rum, also ist längst Besenzeit. Nach mehrwöchiger Öffnung im Herbst haben einige der Stuben Anfang November bereits wieder Pause, wie etwa im Strümpfelbacher Sonnenbesen oder in Endersbach seit heute die Neue Scheuer. An anderer Stelle hängt im unteren Remstal das Symbol der weinseligen Geselligkeit erst seit kurzem oder demnächst. Ob in Weinstadt der Käppelesbesen (bis 28. November) und der Schlossbesen, an vielen Stellen ist der Besen just Anfang November wieder rausgehängt worden.

Gänse- und Winterbesen

In Schwaikheim dauert es noch etwas bis das Weingut Escher am 26. November und das Weingut Maier zum 28. Dezember ihre Winterbesen starten, in Stetten setzt Familie Felden am 18. November ihre Besentradition fort. Und in Fellbach ist Schmiegs Kellerbesen bis Ende des Jahres offen, am Mittwoch, 10. November, startet das Weingut Rienth in die nächste Besenphase und auch Bauerles Gänsebesen ist bis 22. Dezember offen

Allerdings ist auch zwischen Weinberg, Keller und eigentlich gemütlich engem Besenstüble im zweiten Pandemiejahr noch längst nicht alles so, wie es früher einmal war, damals als Corona nur als mittelmäßige mexikanische Biersorte oder als lodernde kronenartige Sonnenatmosphäre bekannt war. „Wir versuchen das Beste draus zu machen“, sagt dazu in Fellbach der Wengerter und Besenwirt Markus Rienth.

Im Hasentanz geht es am Mittwoch wieder los

Im Weintreff mit der vielversprechenden Adresse Im Hasentanz hat man sich – auch baulich – gleich auf mehrfache Weise auf die veränderten Bedingungen eingestellt. Bereits vor einiger Zeit ist da der Besenstubenbereich zum Probierzimmer des Weinverkaufs hin geöffnet, die beiden Bereiche großzügig gestaltet und miteinander verbunden – was sich jetzt platztechnisch als Glücksfall erweist. Das mache auch die Zusammenhänge klarer, sagt Markus Rienth. Davor hätten oft Gäste im Weintreff irgendwann ganz verwundert gefragt: „Was, den ganzen Wein macht ihr selbst?“ Nunmehr ist die gesamte Palette dessen, was im Hause Rienth so alles abgefüllt wird, in den neuen Vitrinen an der Wand des neuen Probierbereichs zu sehen – bis hin zum just dieser Tage neu in Flaschen gefüllten Glühwein.

Ganz direkt den veränderten Rahmenbedingungen geschuldet sind die Veränderungen im Außenbereich mit Wintergarten und neu überdachter Zusatzterrasse. Im Sommer habe sich auch die neu organisierte Bewirtung im Besengarten hervorragend bewährt, sagt der Juniorchef des Weinguts. Dort wurde ein separater Selbstbedienungstresen installiert. Sodass die Gäste dort, wo auch im Winter die mit Tisch und Bank versehenen Weinfässer weiter zum gemütlichen Gläsle im Außenbereich einladen, das infektionsanfälligere Beseninnere gar nicht betreten mussten.

Glühweinwochenende als Alternative zum Weihnachtsmarkt

Im neu mit Zeltplane und Markise überdachten und geschützten Terrassenbereich an der mit eindrucksvollem Weinstock ausgestatteten Pergola finden – unter coronakonformen Tischabständen – immerhin 36 Besengäste Platz. Und auch da setzt die Besenwirtschaft etwa bei den anstehenden adventlichen Glühweinwochenenden auf den Abstand erlaubenden Außenbereich. Dies natürlich auch als Alternative zu den doch oft eng gedrängten Events in den Städten. Rienth: „Ich bin mal gespannt, wie das funktioniert mit den Weihnachtsmärkten.“

Im bereits seit Anfang Oktober offenen Schmiegs Kellerbesen in Oeffingen startet derweil auch in der kommenden Woche und klassisch zum 11. November wieder das traditionelle Angebot der „Gänsebratenwochen“. Und dort wird es zu Weihnachten auch wieder eine Aktion mit Benefizcharakter geben: Von den 85 Euro für die für vier Personen reichende Gans, dienen jeweils fünf Euro einem guten Zweck und gehen an die Aktion 6666, mit der Fellbacher Bürger unterstützt werden, die in Not geraten sind.