Wo befinde ich mich zur zeit

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Wo befinde ich mich zur zeit


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mich ums Leben, ich werde es nicht ein Vierteljahr treiben"; er mußte den dringenden und wohlbegründeten Bitten fich endlich fügen. Ein schöner und edler Kampf, der eben so sehr für seinen tiefen fittlichen Ernst und seine hohe Ehrfurcht vor dem Göttlichen und Heiligen, wie für sein, aller weltlichen Ehrliebe fremdes, allein durch die edelsten Rücksichten zu bestimmendes Gemüth spricht. Dieselben widerstrebenden Ges sinnungen außerte er, als ihm im Jahre 1512 auf Betreiben Staupißens die theologische Doktorwürde zuerkannt wurde, wozu der Churfúrst die Promotionskosten bezahlte. „Er rey ein schwacher, kranker Bruder", đußerte er, „der nicht lange zu leben habe, man folle sich nach tůchtigen und gesunden Leuten umsehen."

216 Baccalaureus der Theologie, welche Würde er schon vorher erlangt, hatte er sich das Recht erworben, theologische Vorträge an der Universität zu halten, und war somit in dies jenige Lehrstellung eingetreten, welche er sich gleich anfangs bei seinem Rufe an die Wittenberger Hochschule gewünscht. Nun konnte er der studierenden Jugend fein eigenthúmliches Lebenselement nach seiner bis dahin gewonnenen Ueberzeugung darlegen, und eben so sehr fand er sich bei dieser Stellung ver: anlaßt, durch das sorgfältigfte Studium der Propheten und des Evangeliums dem Kern der Wahrheit weiter nachzufor: fchen. Dieß alles betrieb er mit einem so unausgesetzten Ei: fer, daß er sich kaum einige Augenblice der Erholung gönnte. Seine Lehrvorträge machten fo viel Aufsehen und fanden fo ungewöhnlichen Beifall, daß man schon damals bedeutsame Wirkungen für die Zukunft daraus entnahm. „Der Mönch", sagt der gelehrte Doktor Mellerstadt, ,,wird alle Doctores zu Schanden machen, und eine neue Lehre aufbringen und die ganze Römische Kirche reformiren; denn er legt sich auf der Propheten und Apostel Schriften und stehet auf Jesu Wort; das kann Keiner weder mit Philosophei, noch Sophisterei umstoßen und widerfechten.”

Der Geift, in dem er lehrte, reine unbefangene und le: bendige Auffassung des göttlichen Wortes, auf der selbsterfahrenen Kraft desselben ruhend, erschienen eben so neu als ergreis fend. Die Unfruchtbarkeit und Dürre der mittelalterlichen Scholastik, welche in inhaltleeren Verstandesbegriffen den Geist zu fesseln noch immer vergebens sich abmühte, lastete damals noch fchwer wie auf den meisten übrigen Disciplinen, so auch auf der Theologie, wie sie damals auf den Hochschulen gelehrt ward. Luther, bei seiner eben so gemüthreichen als geistes freien und kräftigen Natur, fühlte den Druck dieses todten Formalismus als ein wesentliches Hemmniß für jede freiere Erhebung des Geistes, er fühlte ihn um ro tiefer, jemehr fein Geist an der lebendigen Schriftwahrheit sich náhrte und starkte: Treu feinem als Doktor der Theologie abgelegten Eide: ger wolle die heilige Schrift sein Leben lang predigen und den christlichen Glauben wider alle Keller vertreten”, legte er sich mit verstärktem Eifer auf das Studium der heil. Schrift und der Kirchenvåter. In demselben Maße trat er immer entschies dener gegen die blinde Hochschållung des Aristoteles und des ganzen scholastischen Treibens auf, und zeigte mit überzeugender Klarheit, wie der Propheten und Apostel Schrift, die aus Gottes Munde hervorgegangen ist, sicherer, gründlicher, gewisser rey, denn alle Schultheologie.” Mochte dieser mit Ernst und Entschiedenheit betretene Weg den scholastischen Theo: logen mißfalen, und die freiere Richtung schon damals hin und wieder Anstoß erregen, gewiß ist, daß Luthers Geist der ganzen Hochschule ein neues Leben einhauchte und daß er eine Wiedergeburt in der Kultur der Wissenschaften und namentlich der theologischen hervorrief, der die Studierenden mit Begeisterung fich hingaben, und welche ihr Licht gar bald über die Grenzen ihrer ersten Pflegestatte verbreitete.


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ich nicht war, Hüte didy, je nach folcher Reinheit zu streben, daß du dir nimmer als Sünder erscheinen, ja kein solcher mehr seyn willst, denn Christus wohnt nur in den Sündern; darum nåmlich ist er vom Himmel, wo er unter Gerechten wohnte, herabgekommen, um auch unter Sündern zu wohnen. Diese seine Liebe betrachte anbáchtig, alsdann wirst du den füßesten Trost davon empfinden. Denn wenn wir durch uns fere Arbeiten und Leiden zur Gewissensruhe gelangen könnten, warum wäre er denn gestorben? Darum wirst du nur in ihm durch zuversichtliches Verzagen an dir und deinen Wer: ten Frieden finden; überdieß wirst du von ihm selbst lernen, wie er dich aufgenommen und deine Sünden zu den feinigen, so wie feine Gerechtigkeit zu der deinigen gemacht hat” u. . w. In dem Briefe an Spalatin tritt er gegen die Weise auf, in welcher Erasmus die Gerechtigkeit des Gesetzes bei Paulus verstand; fie fey, behauptet luther, nicht bloß von der Beobachtung der heiligen Gebräuche, sondern von der Erfüllung des ganzen Gefelles zu verstehen, so daß, wenn Paulus sagt, daß die Gerechtigkeit nicht aus dem Geseke komme, der ganze Dekalog hierunter mitbegriffen fer. „Denn wir werden nicht, wie Aristoteles meint, gerecht durch rechtmäßige Handlungen, durch Rechtthun, sondern, nachdem wir gerecht geworden sind, thun wir das Rechte; erst muß die Person geheiligt seyn, dann die Werke.” Wir sehen ihn hier schon bei derjenigen Ueberzeus gung angelangt, aus welcher, als im Widerspruche mit den Fundamenten des Römischen Kirchengebäudes, feine ganze reformatorische Thätigkeit organisch hervorging. Senen Mis derspruch mit allen feinen Folgen hat Luther damals wohl kaum entfernt geahnt, und schwerlich wäre daraus so bald ein offener Konflikt mit der Kirche hervorgegangen, wenn nicht kurz darauf ein Fall eingetreten wäre, der denselben nothwen: dig zum Ausbruch führen mußte.

Wie es nåmlich im Guten wie im Bófen zu gefchehen pflegt, daß, wenn eine bestimmte Sinnesrichtung im Menschen einmal Wurzel gefaßt, es selten oder nie an Veranlassung fehlt, dieselbe auch äußerlich zu bethätigen, fo geschah es auch hier. Wir haben gesehen, bis zu welchem Grade der Evidenz die Ueberzeugung von der Unzulänglichkeit der geseßlichen Werke


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schwiegen und ihn mit ihren fernern Angriffen verschont håtten. Dieß hat er offen und wiederholt erklårt. „Mir genügt”, fchrieb er in dieser Zeit an Staupik, „mein süßer Erlöser und Bersáhner, mein Herr Jesus Christus, dem ich singe, so lange ich lebe. So aber Jemand nicht mit mir singen will, was geht's mich an? Beliebt es ihm, fo heule er bei fich felbft allein." Doch allein, in der Stile und Verborgenheit seinem Herrn zu singen, war ihm nicht zugedacht. Er sollte hervor auf den Plan, da er doch lieber in einem Winkel seine Tage volbracht. Und wohl war es nicht allein seine Scheu vor allem Uuffehn und der Berührung mit der Welt, die ihm diese Wünsche eingab, er fürchtete ficher damals auch, durch sein ferneres Auftreten eine bedenkliche Erschütterung in der Stirche hervorzurufen.

Darum zeigte er sich auch so geneigt, sich mit dem Papste zu verföhnen, und schrieb in dieser Stimmung jenen so unter: múrfigen Brief vom 30. Mai 1518 an Leo X., worin er ihm seinen ungeschwachten Glauben an die Autoritat des Rómifchen Stuhles und seine Bereitwilligkeit zur Versöhnung erklárt. Er stellt in diesem Schreiben den ganzen Handel so dar, als sey, was in Bezug auf den Ablaß geschehen, ohne des Papstes Wissen und Wollen geschehen; er fey allerdings dagegen aufgetreten, aber nicht in der Form von Lehrsagen, sondern von Ihesen, worüber sich weiter reden lasse. Widerrufen könne er freilich nicht, aber er fer wider seinen Millen bem Urtheile der Welt bloßgestellt, nennt sich ungelehrt, arm an geistigen Gaben, unerfahren und solcher hohen Dinge zu gering; er ruft des Papstes Schuß an, gesteht seine Ehrfurcht vor seiner Macht und schließt mit den Worten: „Derohalben, glückseligster Bater, werfe ich mich deiner Heiligkeit zu FüBen mit Adem, was ich bin und habe; gib Leben, tódte, rufe, widerrufe, billige, verwerfe, wie das dir gefällt. In deiner Stimme erkenne ich die Stimme Christi, der durch dich hans delt und redet; habe ich den Job verdient, fo weigere ich mich nicht, zu sterben. Denn die Erde ist des Herrn und alles, was darinnen ist; er rey hochgelobt in Ewigkeit. Amen,”.

Aus diesem merkwürdigen Schreiben Luthers an leo X., den er freilich wegen seiner Gesinnung hochschåbte, erseben wir recht, wie tief er durch frühe Gewöhnung, Erziehung und Lebensgang im Römischen Kirchensysteme wurzelte, wie schwer es ihin einging, etwas im Widerspruche mit dem Haupte desa felben zu glauben und zu behaupten, und wie groß überhaupt seine Scheu war, etwas zu unternehmen, wodurch die kirch. liche Theorie erschüttert werden konnte. Wir sehen ihn hier noch ein Mal, aber auch zum leßten Male als unterwürfigen Sohn der Kirche, dem es nicht bewußt war, wie er in seinem Innern schon mit dieser Kirche gebrochen und daß eine Verföhnung ohne Widerruf nicht möglich war. Aber schon bald mußte er es fühlen, wie er in seiner Unterwürfigkeit zu weit gegangen war, denn er sah es von Tag zu Tag mehr ein, wie sehr er es bei diesem ganzen Handel mit Rom felbst zu thun habe, und wie sehr er sich getauscht, wenn er von dort: her auch nur einen Schein der Anerkennung seiner Bestrebungen erwartete, wie er denn auch spåter seine große Schwachheit und Unwissenheit gesteht, dem Papste in vielen und hohen Artikeln so viel eingeräumt und überhaupt mit so großer Furcht und Lengstlichkeit gehandelt zu haben. Schon daß der hochangesehene Sylvester Prieriaś zu Rom bald darauf gegen ihn schrieb und, um ihn zu widerlegen oder vielmehr zu betäuben, das Unsehn des Papstes auf eine ungebührliche Weise erhob, mußte ihn in seiner Hoffnung, mit Rom ein gútliches Abkommen zu finden, mehr und mehr enttäuschen, und wir vernehmen in seiner Antwort auf jene Schrift Leußerungen, welche, wenn auch nur bedingungsweise ausgesprochen, doch über feine ver: ånderte Unsicht keinen Zweifel lassen. „Hålt und lehrt man", sagt er, ,,Öffentlich dermalen zu Rom mit Wissen und Verhängniß des Papstes und der Kardinále (als ich nicht hoffe), To fage und bekenne ich offentlich mit dieser Schrift, daß der wahrhaftige Antichrist site im Tempel Gottes und regiere zu Rom, in der rechten Babylon, bekleidet mit Scharlacken und Rosenfarb, und daß der Römische Hof des Satans. Synagog und Schule sey,” Er gesteht es offen, daß, wenn diesem Unwes sen nicht Einhalt gethan werde, er es ferner mit der Römischen Kirche fammt Papst und Kardinálen nicht zu halten denke. Hierbei mag denn die Erinnerung an dasjenige, wað er frůs her in Rom mit eigenen Augen gesehen, ihn in seiner Unsicht


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Uppellation aufgefekt, mit der Bitte, ihm förmliche Untersu chung und sichere Vertheidigung seiner Sache zu gewähren.

Welchen Eindruck mußte nun ein solches Verfahren auf Luthers Seele machen? Es mußte ihm die Ueberzeugung geben, daß mit Rom kein Vertrag zu schließen rey. und daß ihm ferner nur zwei Wege offen blieben, entweder unbedingte Unterwerfung und Widerruf oder Kampf auf Leben und Tod.

Höchft peinlich, aber auch wiederum gefaßt erscheint seine Stimmung nach seiner Rückkehr nach Wittenberg, da der Kardinal dem Churfürsten geschrieben, Luther entweder nach Rom zu schicken, oder ihn des Landes zu verweisen. Es machte ihm Sorge und that ihm wehe, den Churfürsten seinetwegen in Verlegenheit zu sehen, und er zeigte sich bereit, das Land zu verlassen, wiewohl er nicht wußte, wohin er fich wenden sollte. Dabei erwartete er tåglich den Bannfluch von Rom. ,,Darum”, schreibt er an Spalatin d. 25. Nov. 1518, „bringe ich alles in Ordnung, damit, wenn er kommt, ich gerüstet und gegúrtet bin, mit Abraham zu ziehen, und weiß nicht wohin, doch ich weiß aufs allergewisseste wohin, denn Gott ist úberal; doch will ich einen Abschiedsbrief zurůdlassen. Sieh du zu, daß du den Muth hast, zu lesen die Epistel eines Vermaledeiten und Verbannten.” So erscheint er gang ges faßt und war auf dem Punkte, das Land zu verlassen, als sich die Umstånde wieder zu seinen Gunsten gestalteten, indem das Gesuch des Kardinals vom Churfürsten abgelehnt wurde.

So wogte es nun in Bezug auf seine Stellung zum Rós mischen Stuhle und feine Zukunft in feinem Innern noch forts während auf und nieder. Bald fuhr es ihm wie ein Blik durch die Seele, daß sich eine große und ernste Zukunft vorbereite, und er konnte in solcher Stimmung die Worte an eiz nen Freund niederschreiben: „Meine Feder geht schon mit viel größern Dingen schwanger; ich weiß felbst nicht, wober mir jene Gedanken kommen; die Sache hat noch nicht ein: mal ihren rechten Anfang genommen meines Bedünkens, so

fo viel fehlt, daß meine Römischen großen Herren schon auf das Ende hoffen. Ich will dir meine Einfälle schicken, daß du siehst, ob ich recht prophezeie : daß der rechte Untichrist nach Paulus in der Römischen Kurie herrscher und schlimmer


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Kirche. helfen, sintemal der geistliche Stand, dem es billiger gebührt, ist ganz unachtsam worden.” In dieser Schrift gibt er ein Bild der Wirren und Schäden, wie sie aus der Ges waltherrschaft Roms und der Kirchenregierung überhaupt fúr Deutschland erwachsen, des Annatenwesens, der verderblichen Wirkungen des Klosterlebens, des Célibats, der Menge der Feste und vieler verwandten Gegenstande, und leitet so die offentliche Aufmerksamkeit auf die Berunstaltungen, welche die Kirche im Gegensaß zu ihrer ursprünglichen Bestimmung ers fahren. Er spricht hier vom allgemeinen chriftlichen, wie vom nationalen Standpunkte aus, und wendet sich an den Adel, weil er von demselben, als dem wichtigsten und einflußreichs ften Laienstande, am ersten Hülfe erwarten durfte, und zwar mit solcher Kraft und solchem Nachdruck, daß schon in vier Wochen über viertausend Eremplare dieser Schrift ausgegeben wurden.

In seinem trefflichen Werkchen: „Von der Freiheit eines Christenmenschen”, worin er das Wesen und die Natur der christlichen Freiheit gegenüber der göttlichen und menschlichen Dronung von einem hoch erleuchteten, acht evangelischen Stand: punkte aus entwickelt, zeigt er uns die Tiefe feines christlichen Gefühls und eine treffliche Anwendung seiner Ideen auf die gegebenen Verhältnisse , indem er die beiden Sáße ausführt: daß ein Christ ein freier Herr úber alle Dinge und Niemand über ihn, und wiederum ein dienstbarer Knecht aller Dinge und Sedermann unterthan sey.

Aus dieser Schrift erhelt, wie klar und geordnet schon damals seine Einsicht in die Mißstánde der Kirche war, und zwar ganz in Gemáßheit seines materiellen Glaubensprincips und seiner Ueberzeugung von der allein gúltigen Autoritat der heiligen Schrift. „Drei Mauern", sagte er, „haben die Romanisten mit großer Behendigkeit um sich gezogen, damit sie fich bisher 'beschůgt, daß sie niemand hat mogen reformiren, dadurch die ganze Christenheit greulich gefallen ist. Zum er: ften, war man auf fie gedrungen mit weltlicher Gewalt, haben sie gelegt und gesagt, weltliche Gewalt habe nicht Recht über fie, sondern wiederum geistliche fey über die weltliche. Zum andern, hat man sie mit der heiligen Schrift wollt strafen, ses


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seinem Churfürsten, sich gern den friedlichen Studien zum Beßten des Volkes widme, seine Feinde ihm aber keine Ruhe ließen, so suche er Beides zu vereinigen: mit der einen Hand baue er die Mauern Zions und mit der andern führe er das Sdwert. Welch ein neidenswerther Gleichmuth mitten unter den Aufregungen und Gefahren einer bewegten Zeit!

Wiewohl mit Luthers faktischer Lossagung von der Ros mischen Kirche feine Glaubensstellung dem Wesen nach als vollendet und nach verschiedenen Richtungen als durchgebildet betrachtet werden kann, so folgen wir ihm dennoch in wenigen Hauptzügen auf seinem Wege bis zum Wormser Reichstage, weil dieß ein Ereigniß seines Lebens ist, welches uns seinen Glaubens charakter in seiner ganzen Fúlle und in seiner legten und höchsten Ausprägung offenbart.

Was zunächst den Eindruck betrifft, den der Gedanke, vor Kaiser und Reich zu erscheinen, auf Luthers Seele machte, so spricht derselbe fich vollkommen in den Worten aus, die er seinem Churfürften antwortete, der, da er dessen Erscheinen in Worms nicht für gefahrlos hielt, bei Luther hatte anfragen lassen, wie er in dieser Hinsicht gefonnen sey. ,,Wenn ich berufen werde", sagt er, ,,will ich mich eh krank hinführen lar: sen, wofern ich nicht gesund kommen kann, denn es ist nicht zu zweifeln, daß ich von Gott berufen werde, wenn mich der Kaiser beruft. Wollen sie die Sache mit Gewalt handeln, wie es wahrscheinlich ist, so ist die Sache Gott zu befehlen ... Wil er mich nicht erhalten, so ist es um meinen Kopf eine gar schlechte Sache, wenn er mit Christo zusammengestellt wird, der mit höchster Schmach, Quer Vergerniß und Vieler Unters gang getódtet worden ist. Denn hier ist auf keine Gefahr, noch Wohlfahrt Rúdficht zu nehmen, vielmehr im Gegentheil Sorge zu tragen, daß wir das Evangelium, das wir einmal angefangen haben, nicht zur Verspottung der Gottlofen im Stiche lassen, noch den Gegnern Anlaß geben, sich zu rühmen, daß wir nicht zu bekennen wagen, was wir gelehret haben, und uns scheuen, unser Blut dafür zu vergießen. Welche uns sere Kleinmuthigkeit und ihre Prahlerei der barmherzige Heis land abwende; Amen." In einem Briefe an einen Unges nannten sagt er: „Iener allerheiligste Widerfacher Chrifti, das


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wonnene Ueberzeugung stand, wie tief fie in seiner Seele bes gründet war. Bezeichnend ist die Art, wie er seinem Gevatter Lukas Kranach auf dem Rúdwege von Frankfurt aus den Verlauf der Wormser Verhandlungen berichtet: „Ich meinet, Kaiserliche Majestát follte ein Doctor funfzig haben versam: melt, und den Münch redlich überwunden; fo ist nichts mehr hie gehandelt, denn so viel: Sind die Bücher dein? Sa. Wilt du sie widerrufen, oder nicht? Nein. So heb dich.

wir blinde Deutschen, wie kindisch handeln wir, und lassen uns fo jammerlich die Romanisten åffen und narren.”

Wie wenig er es gleichwohl bei diefer Verweigerung des Widerrufs zu belassen wünschte, und wie ernstlich es ihm darum zu thun war, feine Sache gründlich untersucht und von fähigen, unparteiischen Richtern beurtheilt zu sehen, geht unter anderm aus den Briefen hervor, die er in dieser Beziehung an den Kaiser, so wie an die Churfúrsten, Fürsten und Stånde des Reiches schrieb, und worin er sich wiederholt er: bietet, sich vor folchen Richtern zu stellen und, falls er wider: legt würde, zu widerrufen. „Denn Gott", sagt er in einem Schreiben an den Kaiser, „der alle Herzen erforscht, ist mein Gezeug, daß ich Kais. Maj. Gehorsam zu leisten in allen Dingen, es betreff Leben oder Sterben, Ihun oder Lassen, Ehr oder Schand, Gut oder Schaden, ganz willig und geflissen bin, hab mich deß auch zu vielmalen erboten, und nocha mals erbeut, nichts fürbehalten, denn allein das heilig Gottes Wort, barin nit allein des Menschen ewigs Leben, sondern auch der Engel Freud und Wunn stehet (1 Petr. 1, 14.), welchs über alle Dinge frei und unverbunden seyn soll und muß." Nachdem er für das ihm gewordene sichere Geleite gedankt, gibt er zum Schluß noch ein schönes Zeugniß für fein, nur die Ehre der Wahrheit suchendes, gegen Fúrst und Volk gleich treues Herz: „denn ich ja niemals meinen eignen Nuk und Ehr, sondern allein die Ehre göttlichs Namens und der Christenheit Besserung und Seligkeit gesucht habe, und nochmals, ob Gott will, bis an mein Ende suchen will. Denn weil Christus, mein Herr und Gott, für seine Feinde am Kreuz gebeten hat, wieviel mehr ich für Raif. Maj. und das ganz heilig Reich, mein allerliebste Herren, Oberkeiten und deutschen Na


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Wortes, fühlte er sich überall zu Hause, wo ihr Ddem in bewußtloser Einfalt ihn anwehte. Es scheint seinem, in so schroffen Gegensaßen arbeitenden, Geiste wohlgethan zu haben, da zu weilen und zu lernen, wo er die Gegensåpe von Geist und Natur in unbewußter Vermittlung fand. Wie schon sagt er in dieser Beziehung: „Die Vögelein fliegen vor unfern Uu: gen über, uns zu kleinen Ehren, daß wir wohl möchten un: fere Hútlein vor ihnen abthun und sagen: Mein lieber Herr Doctor, ich muß je bekennen, daß ich die Kunst nicht kann, die du kannst. Du fchlafft die Nacht über in einem Neftlein, ohne alle Sorge;. des Morgens stehst du wieder auf, bift fröha lich und guter Dinge, Tepest dich auf ein Bäumlein und sin: gest, lobest und dankest Gott, darnach suchest du deine Nah. rung und findest sie. Psui, was hab ich alter Narr gelernet, daß ichs nicht auch thue, der ich doch so viel Ursach dazu habe?” Hiermit hångt auch zusammen seine Liebe zur Fa: bel, die er allen Dichtungsarten vorzog, weil sie, die naiveste von allen, feinem Naturgefühl am meisten zusagte, und dabei so ganz geeignet ist, ernste Wahrheiten in einer am wenigsten Verlegenden Form auszusprechen. Er versuchte sich selbft mit Glúd in dieser Form und bekennt in seiner Vorrede zu seinem „deutschen verneuerten und gescheuerten Mährleinbuch", daß nach der heiligen Schrift die feinste Weltweisheit in vernünf: tigen Fabeln zu lehren sey, denn unter den Thierlein und Bäumlein finde man die rechten Perlen der Weisheit.

So zeigt uns Luther bei der Ritterlichkeit seiner Gefins nung zugleich das Bild einer Natureinfalt und naiven Ge: müthlichkeit, wobei das Auge des sinnigen Beobachters um so lieber verweilt, ie feltner er sich in unsern Tagen von einem áhnlichen Geiste angeweht fühlt.

Mit dieser Seite feines Wesens ist nun auch fein Humor verwandt, der, wenn er rechter Art ist, immer auf einer tiefern Lebensanschauung ruht und naturkräftigen Geistern besonders eigen ist. So tief er in die Gegenfäße und Kämpfe, die seine Zeit erschütterten, verflochten war, und fo schwer oft sein Ges müth dadurch betroffen wurde, er konnte von seinem Sieges: muthe aus auch in fieghafter Laune fich darüber erheben. Im Kreise Feiner vertrautern Freunde ließ er dieser seiner Laune freien Lauf, und ganz besonders spricht fich dieselbe in seinen Schreiben an seine Hausfrau aus, die fast alle diesen Geist athmen. Er nennt sie bald seine Rippe, bald Herr Kåthe, bald seine tief gelehrte Frau Doctorinn, sich felbft ihr alt Liebchen, oder auch En. Heiligen williger Diener. Allein diese Laune tritt bei ihm nie ohne die Folie eines tiefern Ernstes hervor. Er verwarf jede leichtfertige Satyre, worin die Irr: thümer und Mißbrauche seiner Zeit gegeißelt wurden. So erklärte er fich laut gegen eine fatyrische Schrift wider die falschen Theologen, die, im Tone der Briefe von Dunkelmånnern verfaßt, ihm dem Zwecke nach lóblich, aber der Form nach durchaus verwerflich erschien. Im Uebrigen war dieser Humor für Luther, bei den ernsten Anfassungen des Lebens, die er so häufig erfuhr, eine besonders glüdliche Mitgabe, die ihm úber manche Widerwårtigkeit in einer Weise hinaushalf, welche für manche Fälle nicht leicht zu erseken war. Sein gefundes Naturell und sein glaubensstarker Geist machten ihn denn auch in druckenden und peinlichen Lagen noch zum Scherzen geneigt. Diese Laune hat ihn auch im Alter, als er oft über Abnahme seiner Kräfte klagte, nicht verlassen und begleitete ihn recht eigentlich bis ans Ende seiner Tage, wie aus dem durchgehends scherzhaften Tone hervorgeht, worin er wenige Tage vor seinem Hinscheiben von Eisleben aus im Zuftande großer körperlicher Sowache an seine Gattin we: gen ihrer übergroßen Sorge und Uengstlichkeit in Betreff feis ner Perfon schrieb und hierdurch einen Beweis innerer Ge: sundheit gab, der uns als ein eben so seltner, als schöner Zug in dem Ganzen seines Bildes gelten muß. Er schreibt: „Liefe du, liebe Kethe, den Johannem und den kleinen Catechismum, davon du zu dem Mal sagtest: es ist doch alles in dem Buch von mir gesagt. Denn du wilt sorgen für deinen Gott, grabe als wäre er nicht almachtig, der da könnte zehn Docs tor Martinus fchaffen, wo der einige alte erfoffe in der Saal, oder im Ofenloch, oder auf Wolfes Vogelheerd. Eaß mich in Frieden mit deiner Sorge, ich hab einen bessern Sorger, denn du unb alle Engel sind." Einige Tage fpåter : ,,Allerheiligfte Frau Doctorin! Wir danken euch gar freundlid für eure große Sorge , dafür ihr nicht schlafen könnt; denn sint der Zeit ihr


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fcheinungen in der Menschengeschichte macht, sondern zugleich auch die primitiven Bedingungen zur Volbringung seines gros Ben Werkes enthält. Nur diejenige innere Glaubensthat, wel: che nicht allein die Freilassung seiner naturkräftigen Persón: lichkeit erlaubte, sondern dieselbe auch erhöhte und verklárte, konnte ein Wert volbringen, welches den Umschwung einer ganzen Zeit bervorrief.

So dürfen wir nun futher als Muster einer schönen und glücklichen Verknúpfung und Einigung beider Potenzen, der Gnade und der Natur, betrachten, des Christlichen, welches das Menschliche nicht unterdrúdt, sondern heiligt, und des Menfchlichen, welches im Christlichen seine höhere Berechtigung findet. So stark, wie das menschlich Natürliche, wie die positiven Lebenstriebe in ihm ausgeprägt waren, so kráftig war seine Anfassung durch den göttlichen Gnadengeist, und in dies fer gleichmäßigen Stärke und Gewalt, wie beide fich kund geben, liegt der Reiz, wie die Große seiner christlichen Per: fönlichkeit. Denken wir uns eine gleich starke Einwirkung des lektern Faktors auf eine nur schwache Naturbestimmtheit, wir würden das Bild einer schönen, weichen, im Gefühl oder in finnender Beschaulichkeit fich offenbarenden, chriftlichen Frommigkeit vor uns sehen, wie wir sie etwa in einem Thomas a Kempis oder Fenelon wiederfinden, eine thatkräftig hans delnde und gar reformatorische Natur wåre nie daraus hers vorgegangen. Und wiederum, denken wir uns eine Luther: natur, nach ihrer konkreten Ausprägung, ohne eine gleich durch greifende Erfassung von der christlichen Lebensmacht, würde eine folche nicht, die fittliche Ordnung burdy brechend, maßund bahnlos wirkend, in zerstörender Leidenschaft sich verzehrt haben? Indem futher beide Momente auf eine wunderbare Weise in fich vereinigte, konnte er ein christliches Lebensbild darstellen, welches an Gesundheit, Einheit, Kraft und Tüchtig keit als ohne Beispiel in der Geschichte zu betrachten ist.

Diese organische Verschmelzung des christlichen Lebensprincips mit allem Reinmenschlichen, welche das legtere in seinem Wesen ungekránkt und in feinem natürlichen Flufse er: båt, gab seiner christlichen Lebensgestalt zugleich eine Ungezwungenheit und Frische, welche , verbunden mit der natür:


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lichen Gradheit feines Sinnes, alles Unfreie und Peinlide von derselben fern hielt. Was wir so häufig finden, daß eine bes sondere Christlichkeit mit einer unfreien Abgeschlossenbeit und Befangenheit der äußern Lebensstellung verbunden ist, konnte bei dem Manne keinen Boden finden, ber Christum nicht in der Gestalt eines außerlich beschränkenden Gesetzes besaß, sona dern wahrhaft als Geist und Leben inne hatte. Und indem er also, wie Wenige, im Besitz des Wesens war, konnte er um den Schein vor der Welt, um die Form nicht verlegen feyn, so daß feine Unbefangenheit in dieser Hinsicht wohl in Unbekümmertheit um das außerliche Dekorum überging, Manchmal glaubte er jedoch in der Beobachtung seiner geistlichen Würde zu wenig sorgfam zu seyn, und klagt sich darum an. „Ich habe mir oft fürgenommen”, außert er gegen Bu: genhagen, sich wollte der Welt zu Dienft mich etwas ernst: licher und heiliger (weiß nicht, wie ich's nennen soll) stellen; aber Gott hat mir Solches zu thun nicht gegeben.” Nein, es war der ungeheuchelten Einfalt seines Wesens nicht gegeben, irgend aus sich selbst herauszugehen; eher konnte er manche , vielleicht nöthige, Rücksichten christlicher Weltklugheit aus den Augen sehen und dadurch bei den Schwachen an: stoßen. Wie gerne sehen wir diese Sorglosigkeit ihm nach, die aus einer solchen Quelle kommt, und die wir darum sicher nicht gegen eine rücksichtsvolle Klugheit vertauschen möchten,

Es fehlt uns nicht an ausgezeichneten christlichen Indi: viduen, die uns ihr Bekenntniß des Herrn in einer gewissen strengen, åußern Abgeschlossenheit gegenüber der Welt darstellen, und Legion ist die Zahl Derer, deren christlicher Cha rakter bis zu einer nothdürftigen Beobachtung der außern, im Christenthum begründeten Sitte zerflossen ist, allein Wenigen ist es beschieden, im Dienste der göttlichen Wahrheit aufzus gehen und dabei nicht das Ich des Menschen der Selbstsucht

Idy und des Fleisches, sondern die Freiheitsrechte der individuellen Persönlichkeit sich zu retten und mit Unbefangenbeit zu üben. Wir finden fast überall eine überwiegende Hinneigung nach der einen oder nach der andern Seite, je nachdem die Auffarsung des Christenthums selbst eine mehr geseßlich-orthodore, oder eine rationalistisch moralisirende ist,


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wir Gott nicht versuchen, weder durds solche Vermessenheit, noch durch Verzweifelung.

So gab er beiden Momenten ihr Recht, so wußte er die menschliche Thätigkeit und Kraftanstrengung mit der göttlichen Weltregierung zu verbinden, und in dieser schönen Verknů: pfung der Abhängigkeit und der Freiheit erscheint denn auch der christliche Charakter seines Lebens, Waren schon seine

. kråftigen Naturtriebe weniger zu einem můßigen Zusehen und Ubwarten geschaffen, so hatte er im Glauben nicht minder jene Freiheit des Geistes errungen, kraft welcher er sich immer mehr als ein thátiges Werkzeug in der Hand Gottes erkannte, um in diesem Bewußtfern fort und fort zu Seiner Ehre zu wirken. Hierin fühlte er den schärfsten Sporn zu einer un: ausgesekten Thåtigkeit. Wie er die Menschen die Larven nennt, unter denen Gott sich verbirgt, so fühlte er sich als eine solche Larve in der Hand des Herrn, Seine Sache im Kampf mit der Welt zu führen. So steht er als ein gebarnischter Ritter vor uns, angethan mit dem Schild des Glaubens und dem Schwert des Geistes, wachend, betend und streitend, aber eben so bereit zu leiden und zu sterben, wo es die Ehre der Wahrheit erfordert. Nur aus dem Zusammenwirken der sich gegenseitig bedingenden Gefühle der Abhängigkeit und Freiheit ist diese Richtung und Gestalt feines Lebens zu erklären. Ohne die erste ware er in Bahnlose Wiüfür, ohne die zweite in eis nen thatenlosen Quietismus gefallen, wenn nicht bei seinem ersten geschäftigen Gefeßesdienst stehen geblieben.

Beiden Seiten begegnen wir weiter als christlicher Ausprås gung feines Charakters in der Gestalt der Demuth und eines unerschrockenen Muthes, wovon jene seinem Abhängigkeits-, dies fer mehr feinem Freiheitsbewußtseyn entspricht, während beide, nach entgegengefetten Richtungen sich die Wage haltend, feia nem Wesen jene feste, unerschütterliche Haltung gaben, welche überal von der Kraft der Wahrheit unzertrennlich ist. Diese seine Demuth war die Frucht jener Glaubensstellung, kraft welcher' er Alles, was er war, keinerlei Verdienst seiner Werke, sondern allein der freien, erbarmenden Gnade Gottes ver, dankte. Er sagt felbft: „Es muß eine rechte Demuth fols

selbst gen, wo der Glaube recht schaffen ist", und nennt es ,,ein


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fcheidet er strenge die Ungriffe, die seiner Person galten, von denen, die auf die Sache gerichtet waren, welcher er vor: stand. „Meiner Person und Lebens halben wil ich mich des müthigen für jedermann, auch für einem Kinde, Gnade und Gunft bitten, sofern sie dem Evangelio nicht feind find: denn für mein Leben gebührt mir nichts, denn der Höllen Abgrund, das weiß ich gewißlich, so gestrenge gerichtet wird. Aber meines Umts und Lehre halben, und sofern mein Les ben derselben gleich ist, warte nur Niemand seiner Geduld noch Demuth, sonderlich die Tyrannen und Berfolger des Evangelii.”

Es ist Luthern zum Vorwurf gemacht worden, daß bei dem Aden fein Leben von übermüthiger Selbsterhebung nicht frei zu sprechen sey, und daß er hierdurch seiner Sache ges schadet, wie denn auch sein Landesherr und manche feiner Freunde die leidenschaftliche Hårte feiner Rede oft getadelt und ihn zur Milde und Sanftmuth ermahnt. Allerdings mag

. sein Eifer ihn zuweilen überholt, und er mag die Worte, des ren er sich seinen Widersachern gegenüber bediente, nicht immer gehörig abgewogen haben; wir geben zu, daß seine derbe, plastische Natur nicht immer von dem Geiste evangelischer Milde geleitet war. Qlein wenn wir die eigenthümliche Lage erwägen, in der er sich befand, und von der einen Seite bes rücksichtigen, wie es doch immer nur die hinterlistige Feigheit und Bosheit seiner Feinde war, die ihn zu einem Uebermaß der Leidenschaft hinriß, während er im ehrlichen Kampfe fich stets zu beherrschen wußte, und von der anderen Seite beden: ken, wie oft er's erfahren mußte, daß grade durch ein glimpfliches und schonendes Verfahren von seiner Seite der Ueber: muth und Troß seiner Gegner am meisten gesteigert wurde, fo moge fein zuweilen überwallender Zorneifer hierdurch , wo nicht gerechtfertigt, so doch entschuldigt werden, besonders wenn wir auf die Gradbeit und Ehrlichkeit seiner Absichten sehen, welche ftets auch durch die heftigste innere Erregung hindurchleuchtet, wie er denn in dieser Beziehung so wahr sagt: „Bin ich unbescheiden, fo bin ich doch ehrlich und deutsch und halte dafür, daß ich es hierin meinen Feinden zuvor thue, die auf das allerliftigste schreiben.” Zuweilen


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Brief beidrucken ließ, öffentlich des Widerrufs, und weidete seine Augen im Gefühle feiner königlichen Majeståt an dem Opfer, das vor seiner Herrschermacht sich so tief gedemüthigt.

Wer nur irgend einen Blick in Luthers Seele gethan, kann die ganze Macht des Eindrucs errathen, den dieses un: würdige Verfahren des Königs auf unsern Helden machte. Kein Moment feines Lebens zeigt uns ihn in áhnlicher Aufregung. Reue, Scham und Zorn kämpfen zugleich in ihm, daß er sich so tief gedemüthigt, nicht seiner Person halber, sondern weil sein Schritt als Feigheit und Widerruf in Betreff seines Glaubens und feiner Lehre ausgeschrieen ward. In sei: ner ,,Antwort auf des Königs von Engeland Låsterschrift”, die wie ein Strom entrusteter edler Leidenschaft daher rauscht, bezeugt er, anfangs haben schweigen zu wollen, es aber wegen der Beschuldigung des Widerrufs nicht vermocht zu haben. „Das gehet nicht an meine Person (welche foll leiden und schweigen), sondern meine Lehre (welche fou schreien und schmeißen). Hier gebe mir Gott nur keine Geduld und Sanft: muth. Hie sage ich: Nein, nein, nein! weil ich eine Ader regen kann, es verdrieße König, Kaiser, Fürsten, Teufel, und wen es will." Und dann ruft er in erhabener Ironie, welche an den Apostel Paulus gegenüber den Korinthern erinnert, aus: „Hilf Gott, wie genau und mit geschwinden Griffen fucht man mic! Bin ich nicht ein theurer, edler Mann? Ia freilich, in tausend Jahren ist kaum ein edler Blut gewesen, denn Luther. Wie ro? Rechne du selbst! es sind nun drei Pápste gewesen, so viel Kardinále, Könige, Fürsten, Bischöfe, Pfaffen, Mönche, große Hansen, Gelehrte und die ganze Welt, die allzumal an des Luthers Blut Verråther, Mórder, Henker sind, oder je gerne wolten fenn, und der Teufel auch mit den - Seinen. Pfui dich, ich bin selbst meinem Blute feind, wenn ich daran denke, daß ich folche herrliche, köftliche Henker und Mörder haben foll. Dem türkischen Kaiser foute folche Ehre widerfahren, nicht solchem armen Bettler, als ich bin. Aber weil sie es je seyn wollen, 'muß ich solche Ehre leiden, und aus ihrem Zorn und Wüthen meines Herzens Freude und Spiel machen. Diese Fastnacht würde mir fonft vielleicht nicht freudenreich genug seyn, ich håtte denn folche machtige, hoch


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fchreibe, nicht bete, nicht studiere, theils von Anfechtungen des Fleisches, theils von andern Beschwerden geplagt. Mo es nicht besser wird, muß ich allerwege öffentlich gen Erfurt; dort wirst du mich sehen, oder ich dich, denn ich muß die Verzte oder Chirurgen um Rath fragen. Denn ich kann dieß Uebel nun nicht langer ertragen" (er litt vor allem an hartnäs diger Verstopfung); ,,denn ich wollte leichter zehn große Wunden ertragen, als diese geringe Spur eines Schadens. Vielleicht sucht mich Gott auch deßwegen so schwer heim, damit er mich aus dieser Wüstenei wieder ans Licht ziehe.” Ein andermal klagt er, wie er sich in jener Einöde tausend Satanasjen preis gegeben sehe, und wie ein Geringes es fer, ges gen den leibhaftigen Teufel, d. h. gegen Menschen zu streiten, als gegen die geistliche Anfechtung.

Luthers Leben, ein fast unausgesepter Kampf mit åußern Feinden und Wirren aller Art, zeigt uns auch spåter vielfache Spuren solcher heftigen innern Erschütterungen. Es gab Beis ten für ihn, wo ein Gefühl tiefer Traurigkeit, hervorgegana gen oder doch zusammenhangend mit einer fast ans Krank: bafte grenzenden Empfindung seiner Sündhaftigkeit und Ohn: macht, sich seines ganzen Wesens bemachtigte, und die schmerzvouften, an Verzweiflung streifenden Seelenkámpfe hervorrief, die uns zu tiefem Mitgefühl stimmen. Was konnte auch für eine solche Heldennatur erschütternder feyn, als jenes, wenn auch vorübergehende, Bangen um ein mögliches Erlöschen jener Kraft und des Vertrauens, welche ihn bis daher in als len Anfechtungen der Noth, wie des Todes aufrecht erhalten! Doch wie sein Leben in allen seinen Kämpfen mit der Welt uns stets eine stårkende und erhebende Seite zeigt, so offen: bart er auch im Leiden und Dulden, wobei es vornehmlich auf ein Stillefeyn und Harren ankam, oft in erhabener Weise dieselbe Glaubensmacht. Geistverlassen war er nie, und auch aus den schwersten Anfechtungen geht er als Sieger hervor.

Eine solche schwere Zeit durchlebte Luther vor allem um die Mitte des Jahres 1527, während und nach den Tagen eines schweren Krankheitsanfalles, den er sich durch úbermå: ßige Anstrengung, zugezogen und worüber uns Dr. Pommer und Dr. Iuftus Ionas einen ausführlichen Bericht gegeben.


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Ichen des Geiftes, gleichsam ein Ringen mit Gott, eine Abnöthigung feiner Gaben, wobei man das Schamhútlein ab. thun und ihn zwingen müsse, daß er komme und helfe." Sein Famulus, Veit Dietrich , berichtet uns hierüber während Lu: thers Aufenthalt in Koburg in einem Briefe an Melanchthon: „Ich kann mich nicht genugsam wundern über seiner treffli: chen Beständigkeit, Freude, Glauben und Hoffnung in diesen jåmmerlichen Zeiten. Solche Stück aber mehret er tåglich durch fleißige Uebung Gottes Worts. Es gehet kein Tag vorüber, an welchem er nicht aufs wenigste drei Stunden, so dem Studiren am allerbequemlichsten find, zum Gebet nimmt. Es hat mir einmal geglückt, daß ihn hórete beten; hilf Gott, welch ein Geift, welch ein Glaube ist in seinen Worten! Er betet so andåchtiglich, als einer, der mit Gott, mit solcher Hoffnung und Glauben, als einer, der mit seinem Vater res det. Ich weiß, sprach er, daß du unser lieber Gott und Pater bist; derhalben bin ich gewiß, du wirst die Verfolger deiz ner Kinder vertilgen. Thust du es aber nicht, so ist die Sache dein sowohl als unser, die ganze Sache ist dein ; was wir gethan haben, das haben wir müssen thun; darum magst du, lieber Vater, sie beschůben. Als ich ihn folde Worte mit heller Stimme von fern hårete beten, brannte mir 's Herz im Leibe für großer Freude, sintemal ich ihn so freundlich und andächtiglich mit Gott hörete reden, fürnemlich aber, weil er auf die Verheißungen aus den Psalmen so hart drang, als wåre es gewiß, daß alles geschehen müsse, was er begehrte. Darum zweifle ich nicht, sein Gebet werde eine große Hülfe thun in dieser, wie mans achtet, verlornen Sache, welche auf jepigem Reichstage wird gehandelt werden."

So steigert sich sein Gebetsdrang in den großen und ents fcheidenden Momenten seines Lebens zu wahrhaft erhabenen Ergießungen seiner mit Gott ringenden Seele. So betet er unmittelbar vor seiner Erscheinung vor Kaiser und Reich: ,,Ich Gott, ach Gott! o du mein Gott, du mein Gott! stehe bu mir bei wider aller Welt Vernunft und Weisheit! thue du es, du mußt es thun, du allein! Ist es doch nicht meine, fons dern beine Sache, habe ich doch für meine Person allhie nichts zu schaffen und mit diesen großen Herren der Welt zu thun,


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und in der That, bei einer solchen Gemüthsrichtung und unter den rastlosen Kämpfen und Gefahren seines sturmbes wegten Lebens mußten wohl Luthers Gedanken und Hoffnun: gen einem Jenseits sich zuneigen, wo alle Kämpfe dieser Zeit ruben, alle Dissonanzen verhallen. In diesem Sinne mag Luther, so tief er in die Wirren dieser Zeit verflochten war, wie Wenige, ein Gast und Pilgrim auf Erden heißen, dessen Schritte auch auf vielfach durchkreuzter Bahn doch stets der wahren Heimath zugekehrt blieben. Das Sehnen und Seuf: zen der der Eitelkeit unterworfenen Kreatur nach der "Erlófung vom Dienste des vergånglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes sprach in ihm lauter und vernehmbarer, als in irgend einem feiner Genossen und Mitstreiter. Mitten in der Arbeit seines bewegten Lebens durchzieht der Zug, außer dem Reibe zu wollen und daheim zu seyn bei dem Herrn, stets feine Seele und er zeigt uns auch von dieser Seite den åcht christlichen Lebenstypus, wonach, wie er sich selbst ausdrůdt, „wir nur mit der linken Hand in diesem Leben und auf Erden, mit der rechten und mit der Seele und gan: zem Herzen im Himmel feyn und desselben in gewisser Hoffnung allezeit fröhlich warten sollen."

So sehr dieses Bewußtseyn feine Seele erfüllte und sein Leben beherrschte, nie konnte es einen låhmenden Einfluß auf die Rústigkeit seines Geistes und auf sein unermüdliches Wir: ken im Dienste des Herrn üben, oder ihn gar einem thaten: losen Beseufzen der irdischen Pilgernoth preis geben. Viels mehr entnahm er aus dieser feiner gewissen Lebenshoffnung stets neue Kräfte zu einem unausgelegten Wirken, so lange es für ihn Tag war.

Nachdem er auf diese Weise, wie Gnade und Natur, die Freiheit und die Abhängigkeit, so auch das Gegenwärtige und Zukünftige, den Pilger dieser Erde und den Bürger und Hausgenossen des Himmels in seiner wahren, gesunden Verknüpfung und in seiner acht christlichen Vermittlung dargestellt, beschloß er, nachdem er noch wenige Tage vorher, als seine Kräfte schon dahin schwanden, im heitersten, ja scherzhaften Ton an seine Lebensgefährtinn geschrieben, sein Leben in Mitte seines Berufswirkens mit den Worten: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlóset,


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welche der Bildungsstand der neuen Gemeinde vertrug, und lieber manchen alten Mißbrauch vor der Hand stehen lassen, als den Schwachen durch voreilige Neuerungen Zergerniß bes reiten, fest vertrauend, daß zur rechten Zeit der neue Glaubensgeift die überjáhrige Hülle von selbst abwerfen und seinen rech: ten Leib fich bilden werde. Dieß galt besonders in Betreff der åußern Gebråuche und namentlich der kirchlichen Cerimonien, welche zu dem veränderten Glaubensstand nicht paßten, und welche von Karlstadt mit stürmender Hand angetastet wurden. Treffend drůđt Luther feine Ansicht in dieser Beziehung in folgenden Worten aus: „Man muß sich sehr wohl in Ucht nehmen, daß man die Serimonien nicht eher tadle, als bis die schwachen Seelen eines bessern unterrichtet sind, gleich wie Etliche mit allzu großer Dreistigkeit zu thun pflegen. Diese thun zwar sehr wohl, daß fie die Cerimonien und Menschen: fakungen tadeln, aber daran thun sie sehr übel, daß sie nicht mehr auf die schwachen Seelen, welche noch daran hangen, sehen, daß sie gemachlich aus denenselben herauswickeln, als daß sie nur die Cerimonien tadeln. Diese Thoren sind denenjenigen gleich, welche, wenn sie sehen, daß einer ihrer Freunde an dem Halfe in Stricken verwickelt ist, aus schnellem Eifer auf die Stride zufahren und sie mit ganzer Gewalt herunterreiBen wollen, und also ihren Freund vielmehr erwürgen, als daß sie ihn herauswickeln sollten; da sie vielmehr die Strice håtten müssen ganz gemachlich und langsam erst auflösen, und also ihren Freund in Freiheit leben.”

Weiter sehen wir Luther neben dieser Scht reformatorischen Weisheit mit einer reichen Fülle derjenigen persönlichen Eigenschaften ausgestattet, welche geeignet waren, der neuen Lehre na: mentlich beim Volke Anerkennung und Eingang zu verschaffen. Wir fassen sie zusammen in seiner Volksthúmlichkeit. Wer zum Volke reden, wer auf das Volk ergreifend einwirken wil, kann es nur durch das Medium seiner' eignen Anschauungs- und Redeweife. Luther, so viele Zeit er auf ernste Studien und gelehrte Forschungen verwandte, blieb ganz und ununterbrochen bis an sein Ende Mann des Volkes, Volkston, Volkssitte war ihm von Jugend auf eigen, da ihm, als dessen Schooße ents sprossen, auch die untern und dürftigsten Stufen des Lebens


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erscheinen, die fich fast ausschließlich im Gebiete abstrakter Re: flerionen und namentlich der bloßen Verstandeskategorien bes wegte. Unter diefen stand Aristoteles oben an, Luthern darum nach seiner ganzen Richtung am fernsten. Er konnte sich nicht erklären, wie die Beschäftigung nur mit den allgemeinsten Begriffen der Dinge die eigentlichen Interessen des Lebens nur irgend fördern könne. Er sagt: „Da ich mich unter euern Mitstreitern genug herumgetummelt, so werdet ihr mich nicht bereden, daß das Geschwäße von der Materie, von un: endlicher Bewegung, vom Ort, von der Leerheit (de vacuo), von der Zeit 2c., so fast allein im Aristotele stebet, und so weder den Verstand, noch die Neigung oder Gelüste, noch das gemeine Leben der Menschen bessert und nur 3ank zu stiften und zu erhalten dient, eine wahre Philosophie fey.” Demgemäß zog er z. B. Cicero's Bücher von den Pflichten der Ethik des Aristoteles vor, der dabei dem Leben selbst fern stand. „Nachdem Cicero in großen Sorgen im Regiment gestedt ist, und große Bürde, Mühe und Arbeit auf ihm gehabt, doch ist er weit überlegen Aristoteli, dem můßigen Esel, der Geld und Gut und gute, faule Tage genug hatte.” Dabei verkennt er nicht, daß Aristoteles ihn an Verstand und Scharfsinn übertroffen; nur fühlte er sich dem Cicero, dessen Richtung überall auf das Praktische hingewandt war, und dessen bewegtes Leben so manche analoge Punkte mit dem seinigen darbot, in einer eignen Weise verwandt. Er nennt ihn einen „weisen Mann, der mehr geschrieben, als alle Philosophen, dabei ale Bücher der Griechen durchlesen", und naiv klingt es aus Luthers Munde, wenn er fagt: „mich wundert, daß der Mensch in so großen Geschäften und Handeln so viel hat können lesen und schreiben.” Hierbei erwähnen wir noch eine höchst merkwürdige Leußerung des Mannes in Bezug auf jenen Römischen Weisen, welche uns einen tiefen Blick in sein menschlich fühlendes und großes Herz thun låßt, das in seinen freien, acht humanen Regungen, ohne der Wahrheit zu nahe zu treten, nie durch die Fesseln des Systems eingeengt ward. Er sagt an einem andern Orte: ,,Cicero, ein weiser und flei: ßiger Mann, hat viel gelitten und gethan. Ich hoffe, unser Herrgott wird ihm und seines Gleichen gnädig seyn, wiewohl


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denn er war fich der Redlichkeit seiner Absichten bewußt. Darum überall nichts Zweideutiges, Gewundenes oder Vors behaltliches ; es ist überall des aufrichtigen und ehrenfesten Mannes Rede, die wir vernehmen, und wenn je ein Sterblicher gelebt, der sich in einem entschiedenen Gegenfat gegen das Wort des größten Diplomaten der Neuzeit befunden, daß die Sprache dem Menschen gegeben sey, um seine Gedanken zu verbergen, so war es unser Held.

Ein Mann, der so ganz in dem Gegenstande lebte, wofür er die Feder und seine Stimme erhob, dessen leicht erregbare Gefühle so laut durch seine Gedanken hindurchtónten, defsen Leben dabei ein fo vielfach bewegtes war, konnte auf die Form seiner Geistesprodukte nicht den Fleiß und die Sorgfalt verwenden, wie der sinnige Denker, der dem Leben fern steht, oder der berechnende, auf Effekt bedachte Redner. Er hatte dazu weder Zeit noch Neigung. Er ließ überau gern seinen Gedanken freien Lauf und unaufhaltsam entquoll dem Reich thum seines Geistes der Strom dieser Gedanken. Die Evidenz und Beweiskraft derselben war mehr eine plastisch-anschauliche, als eine logisch-pracise, so daß wir ihm in dieser Hinsicht manche unregelmäßigkeiten zu gute halten müssen. Er erkennt dieß selbst als einen Mangel, und in seiner Bescheidenheit und Offenheit nennt er sich Melanchthon gegenüber einen Wäscher. Einst, berichtet uns Uurifaber, schrieb Luther auf seinen Tisch: „Res et verba Philippus, verba sine re Erasmus, res sine verbis Lutherus; nec rem nec verba Carolostadius, das ift: was Philippus schreibet, das hat Hånde und Füße, die Materia ist gut, so sind die Wort auch gut, Erasmus macht viel Wort, es ist aber nichts dahinter, Lutherus hat wohl gute Materia, aber die Wort sind nicht gut, Carlstadt hat weder gute Materia noch gute Wort." Wie aber Melanchthon die

. ses Lob, das ihm Luther ertheilt, von sich weist und gesteht, daß er zugleich vortrefflich reden könne, so hat Luther der Welt durch seine Schriften bewiesen, wie ihm die Gabe einer eben so fchlagenden als ergreifenden Veranschaulichung seiner Gedanken in feltnem Maße eigen war.

Als ein unauslöschliches Denkmal eines schöpferischen und genialen Sprachtalentes betrachten wir mit Recht Luthers


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habens nicht versucht. Es heißet: Wer am Wege bauet, der hat viele Meister, Also geht miro auch. Diejenigen, die noch nie haben recht reden können, geschweige denn dolmetschen, die find aUzumal meine Meister, und ich muß ihrer aller Sünger seyn."

Er hatte dabei mit der hebräischen wie mit der deutschen Sprache zugleich zu kämpfen, da auch die Kultur der erstern damals noch in der Kindheit war. „Ich befehle alle meine Leser Christo", sagt er in seiner Vorrede zu den fünf Büchern Mofe, „und bitte, daß fie mir helfen bei Gott erlangen, dieß Werk nůklich hinaus zu führen. Denn ich bekenne frei, daß ich mich zu viel unterwunden habe, fonderlich das alte Testament zu berbeutfchen. Denn die hebräische Sprache liegt lei: der zu gar darnieder, daß auch die Juden selbst wenig genug davon wissen, und ihren Glossen (als ich versucht habe) wenig zu trauen ist.” In Betreff des Deutschen gesteht er: „Ich habe noch bisher kein Buch noch Brief gelesen, da rechte Art deutscher Sprache inne wåre. ES actet auch Niemand recht deutsch zu schreiben, fonderlich die Herren Canzeleien- und Puppenschreiber, die sich lassen dúnken, sie haben Macht deut: fche Sprache zu ảndern." So konnte nur Der reden, der vom Genius dieser Sprache sich durchdrungen fühlte. Er erkannte es, wie dieser Genius, wie er im Volke lebte, studiert seyn müffe, für Seden, der wahrhaft deutsch schreiben wolle, und geistreich und treffend sagt er: ,,Ich habe deutsch, nicht latei: nisd), noch griechisch reden wollen, da ich deutsch zu reden im Dolmetschen vorgenommen hatte. Man muß nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch reden, wie die Esel thun, sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gaffe, den gemeinen Mann auf dem Markte fragen, und denselbigen auf das Maul sehen, wie fie reden und dolmetschen, so verstehen sie es dann und merken, daß man mit ihnen deutsch redet."

Eben so klar erkannte er es, daß, wie jede Uebertragung an den Geist des Originals, so auch sein Werk sich an den Geist der Schrift anlehnen müsse, und wie treu wußte er denfelben in seiner hohen Einfalt wiederzugeben! Durchdrungen von dies sem Gedanken, schrieb er an den Hofprediger Spalatin: „Wir


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ter machen, die Ungehorsamen, falsche Lehre und ihre Stifter mit Ernst strafen."

Besonders war er beinůht, in feinen Vorträgen fich ganz dem Fassungsvermogen und der Vorstellungsweise der Gemeinde anzubequemen, und so viel wie möglich in ihrer eignen Sprache zu reden. „Man muß den armen Leuten weiß weiß, schwarz

, schwarz sagen mit schlichten, deutlichen Worten und fassen's dennoch kaum." Wie sehr er bei seinem ungeschminkten Wahrheitssinne allem rednerischen Schmucke und allem eiteln Wortgeprange feind war, bezeugt er unter Anderm in einer Anweisung, die er dem Dr. Erasmus Alberus auf sein Befragen gab, wie man vor Fürsten predigen müsse: „Que deine Pres digten sollen aufs Einfältigfte seyn, und siehe nicht auf den Fürsten, sondern auf die einfältigen, albern, groben und unge: lehrten Leute, welchen Tuchs auch der Fürst feyn wird. Wenn ich in meiner Predigt sollte den Philippum Melanchthonem ansehen und andere Doctores, so mache ich nichts Gutes, sondern ich predige aufs Einfältigste den Ungelehrten, so gefalle ich Ullen.” „Ich bin denen fehr feind, die sich in ihren Predigten richten nach den hohen, gelehrten Zuhörern, nicht nach dem gemeinen Volke, das achten sie nicht. Denn mit hohen und prächtigen Worten einherfahren, årgert und zerbricht mehr, denn es bauet. Viel mit wenig Worten fein kurz anzeigen können, das ist Kunst und große Tugend.” So waa ren ihm Diejenigen in der Seele zuwider, welche aus der Ran: gel eine Schaubühne machten, ihrem Ehrgeize und ihrer Ruhmfucht zu fröhnen, und in der Ueberwallung seiner Gefühle ruft er einmal aus: „Verflucht und vermaledeiet sind alle Prediger, die in den Kirchen nach hohen, schweren und subtilen Dingen trachten und dieselben dem Volke vorbringen, und davon pre: digen, suchen ihre Ehre und Ruhm, wollen einem oder zween Ehrgeizigen zu gefallen thun, wollen den Kluglingen gefallen und versáumen indeß die Einfältigen und den gemeinen Haufen.”

So war es überal die arme, verwahrloste und lehrbedúrftige Menge, die er bei seinen Vorträgen zunächst im Auge hatte; er fühlte es, daß hier vor allen die evangelische Wahr: beit Wurzel fassen könne und müsse, wenn sie in das Herz


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Nach dem, was wir über Luthers Stellung zu den freien Kúnsten erwähnt, láßt sich nun auch seine Ansicht von denje: nigen Kúnsten entnehmen, welche, ihrer Natur nach der Sinn: lichkeit nåher stehend, leicht einen Reiz zur Sünde hervorrufen können, namentlich von dem Tanze und der Schauspielkunft. Niemand war mehr überzeugt von dem Mißbrauche, dessen sie fåhig sind und der wirklich damit getrieben wird; Niemand hat sich offener dagegen ausgesprochen, wie Luther. Allein fein unbefangener Geist konnte darum eben so wenig ihre natur: liche Berechtigung innerhalb der Grenzen, welche die gute Sitte vorschreibt, verkennen, und auch hierüber hat er sich uns verholen ausgesprochen, ohne den möglichen Schein weltlicher Gesinnung, den seine Gegner ihm so gerne aufgebúrdet, zu fcheuen. „Bom Sanzen muß man das Gleiche, wie vom Schmuck sagen: daß man davon sagt, es bringe viele Reizung zu Sünden, das ist wahr, wenn es über die Maße und Zucht führt. Weil aber Sanzen auch der Welt Brauch ist des juns gen Volkes, das zur Ehe greift, so es auch züchtig, ohne schandbare Weise, Worte oder Gebehrden und zur Freude geschieht, ist es nicht zu verdammen. Daraus sollen die hoffårthigen Heis ligen nicht so bald eine Sünde machen, wenn man es nur nicht in Mißbrauch bringt. Wo es züchtig zugeht, lasse ich der Hochzeit ihr Recht und Brauch. Der Glaube und die Liebe låßt sich nicht austanzen und aussißen, so du züchtig und måßig darinnen bist. Die jungen Kinder tanzen ja ohne Sünde; das thue auch und werde ein Kind, so schadet dir der Tanz nicht.” Welch ein treffendes Wort! So durfte ein Mann sich aussprechen, der, überall seiner lautern Absicht sich bewußt, nie mit tadelsüchtiger Gråmlichkeit ins Leben schaute und darum nachsichtig gegen jede Deußerung desselben seyn durfte, welche an sich nicht mit den göttlichen Geboten und einer christlichen Gemüthsstellung in Widerspruch war.

Eben fo dachte er über die Schauspielkunst, welche freilich zu jener Zeit eine höchst beschränkte Stellung einnahm. Würdig gehalten, erkannte er darin ein nübliches Mittel zur Sittenund Anstandsbildung, namentlich für das jüngere Geschlecht. ,,Komödien zu spielen", antwortet er, über diesen Gegenstand befragt, soll man um der Knaben willen in der Schule nicht wehren, sondern gestatten und zulassen, erstlich, daß fie fich ůben in der lateinischen Sprache; zum Andern, daß in Komós dien fein künstlich erdichtet, abgemalet und fürgestellet werden folche Personen, dadurch die Leute unterrichtet und ein Jegli: cher feines Amtes und Standes erinnert und vermahnet wird, was einem Knecht, Herrn, jungen Gesellen und Alten gebührt, wohl anstehe und was er thun folle; ja es wird darin fürgehalten und für die Augen gestellet aller Dignitáten Gnade, Aemter und Gebühr, wie fich ein jeglicher in seinem Stand halten fou, im außerlichen Wandel, als in einem Spiegel. Zu: dem werden darin beschrieben und angezeiget die listigen Un: schläge und Betrug der bösen Bálge, deßgleichen was der Weltern und jungen Knaben Umt sen, wie sie ihre Kinder und jungen Leute zum Ehestand ziehen und halten, wenn es Zeit mit ihnen, und wie die Kinder den Weltern gehorsam seyn und freien sollen. Solches wird in Komödien fürgehalten, welches denn sehr nůß und wohl zu wissen ist, denn zum Regiment kann man nicht kommen, mag auch dasselbe nicht erhalten, denn durch den Ehestand. Und Christen sollen Komödien nicht ganz und gar fliehen, darum daß bisweilen grobe Zoten und Bůberei darin sind. Darum ists nichts, daß fie folches für: wenden, und um der Ursach verbieten wollen, daß ein Christ nicht folle Komödien lesen und spielen." So wußte Luther Alles, worin irgend ethische Bedeutung für das Leben lag, mit dem chriftlichen Elemente auszugleichen und zu vermitteln, und dieß um so mehr, je weniger fein unbefangener, argloser Sinn von dem Mißbrauch auf eine befledende Weise berührt ward.


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(wie auch an allen andern Stånden) lernen fou, ist das, daß ein Jeder wisse und gewiß dafür halte, daß der Ehestand von Gott geordnet und gestiftet sen. Das ist fast die höchste Kunst in dem ehelichen Leben, daß man diesen Stand lerne ansehen nach seiner höchsten Ehre, nåmlich, daß es Gottes Gestift ist und Gottes Wort hat: wiewohl es scheinet, als rey es leicht, und fich Jedermann låsset důnken, er kónne es felbst und dürfe keines Meisters dazu. Denn wer weiß das nicht, daß der Ehestand von Gott im Paradies eingesekt, und auch außerhalb des Paradieses bestätigt ist? Ich habs auch oft gelesen und wohl lernen nachreden; aber es ist eine solche Kunst, die ich noch nicht kann, und mich nicht schämen muß, ob ich wohl ein alter Doctor bin, tåglich daran zu lernen. Die Worte sind wohl bald gelernet, daß es sey ein Stand von Gott eingefekt, aber das ist die Kunst, davon ich sage, daß man solches gewiß und ungezweifelt dafür halte, und ein Seglicher den Ehestand an ihm und andern allenthalben also ansehe, daß es von Gott also geschaffen, geordnet, geschidt, und (wie man sagt) beschert werde. Denn die tolle Welt, und zwar auch die kluge Ver: nunft hålt es nicht ernstlich dafür, sondern meinet, es geschehe ohngefähr und zufalls also, daß Einem diese oder jene zu Theil werde, gleich wie sonst außer der Ehe ihrer zwei zusammen gerathen. Daher ifts kommen, daß man so ein Gaukelspiel aus dem Eheftande gemacht, und allenthalben fo leichtfertig davon geredt hat. Das machet, daß sie allein dem åußerlichen Wesen und ansehen nach denket und richtet.” So hebt er bei jeder Gelegenheit die ausdrücklich göttliche Weihe dieses Stan: des hervor; er fühlte es tief, wie fehr davon die Würde und Heilighaltung desselben unter allen Umständen abhing.

Es ist schwer, aus der reichen Fúte sowohl aus dem Wesen und Zwecke dieses Standes, wie dem praktischen Leben und der Erfahrung, gefcópfter, treffenden und geistreichen Ges danken und Bemerkungen eine Auswahl zu treffen, und wir müssen uns auf dasjenige beschrånken, worin fich das Charak: teristische seiner Ueberzeugung nach einigen Hauptgesichtspunkten im Wesentlichen ausspricht.

Bei seinen hohen Begriffen von der Würde und dem Segen des Ehestandes, worüber er fidh kaum ftark genug aus: zuðrúden weiß, mußte es sein Gefühl tief verlegen, wenn der: selbe im Augemeinen als weltlicher Stand tief unter den geistlichen gesegt ward. Er bekämpft diesen Wahn von seinem freien geistigen Standpunkt aus, und sagt: „Ich will bewei: fen, daß der Ehestand sey der alergeistlichste Stand, und daß man fälschlich und mit Unrecht etliche Stảnde hat geistliche Drden und die Ehe weltlichen Stand genannt... Fürs Erste sollte nichts geistlich heißen ohne das inwendige Leben des Glaubens im Herzen, da der Geist regieret. Aber weil nun auch geistlich heißt, was auswendig am Leibe geschieht durch den Geift des Glaubens, fo wollen wir hier gar eben und fein fehen und greifen, daß der Ehestand mit allem Recht geistlich und die Orden weltliche Stảnde heißen sollten." Er zeigt nun erst, wie beide Stande nothwendig ihre äußere, zeitliche und leibliche Seite haben, und wie auch die auf die äußerlichen Werke und Verrichtungen sich beziehenden Gedanken und An: fdlage des Herzens als leiblich zu betrachten leven. Solle darum ein Stand geiftlich heißen, so müsse etwas anderes und mehr dazu gehören, als solche außerliche Werke, „námlich der Glaube im Herzen, welcher ist Geist, und macht alles geistlich, was am Menschen ist, beide, auswendig und inwendig." Er zeigt ferner, wie das Ordensleben, welches, außerlich aufs sicherste gestellt, von den Früchten fremder Urbeit und Sorge fich náhrt, von Gott abführt, indem der Glaube darin weder Raum noch Státte, noch Zeit, noch Wert, noch Uebung habe. „Was ist das anders, denn einen solchen Stand suchen und haben, da man nicht dürfe gen Himmel gaffen, und des tåglichen Brods von Gott gewarten und trauen, daß man fich und andere ernáhre ?" Er weist nun das Gegentheil vom Ehestand nach, wie die Sorge für Weib und Kind auf Gottes Hand und Gnade sehen lehre und gleichsam zum Glauben zwinge, und fragt: „o fage mir, welcher Stand billig der geistliche heiße, obs nicht der rey, darinne der Glaube noth ist, und sein eigen Werk hat und täglich Uebung und Ursach hat, Gott zu ver: trauen, und nach dem Spruch des 145. Psalmes gehet: Aller Augen warten auf dich, Herr, und du giebest ihnen ihre Speise zu seiner Zeit. Du thuest deine Hand auf und erfüleft alles, was lebet, mit Wohlgefallen, Siehe, fo greifft du hier für


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denn die Welt hålt das nicht für Segen, daß man sich mit denen Hånden ernähren muß, bie Beschwerung des Weibes und der Kinder, die viel und mancherlei sind, tragen und leiden muß. Diese Dinge alle hålt die Welt für Fluch und Unglüd: der heilige Geist aber, auf daß er deren Christen Herzen starke und trófte, nennet solches alles mit dem herr: lichen, lieblichen Namen Segen, damit er uns erwede, Gott und seine Gabe recht zu erkennen, auf daß wir nicht, wie die Welt pfleget zu thun, überdrüffig werden. Darum muß man alhier diese Emphasie fleißig merken, daß er biefen Stand, der nach der Vernunft fo elend und trübselig ist, gesegnet nennet, da er sagt: Siehe, also wird gesegnet der Mensch, als wollte er sagen: was willst du Weiteres ? Daß du ein Weib hast, daß du Kinder hast, daß du dich deiner Hånde Arbeit nåhrest, das ist wahrhaftig Gottes Segen : darum árgere dich nicht allein daran, sondern danke auch Gott für feinen Segen."

Uues in Gott! war auch hier sein Grundfak. So leitet er allen Segen eines solchen Bündnisses von der rechten Bes gründung und Führung desselben im demüthigen Gottvertrauen ab. „Willst du durch göttlichen Segen dich in den Ehestand begeben, so fuche am alerersten bei dem Herrn Rath, und bete also: Lieber Herr Gott, gib mir ein frommes Weib und mein täglich Brod. Also ist das der erste und höchste Segen, wenn du weißt, daß du nach Gottes Willen bift in den Ehestand getreten. Was dir danach Gott gibt, dieselbigen Güter verzeichne alle mit dem rechten Namen, und sage: diesen Sohn, diese Tochter hat mir der Herr gegeben; diesen Ucker, Wiesen, diese Kühe und Ziegen hat mir der Herr gegeben und ist alles Gottes Segen. Das ist denn wahrlich ein schoner und glückseliger Ehestand, worin beide, an Tisch und Bett, geschrieben stehet: hier ist Gottes Gunst, Wille und fein gna: diges Wohlgefallen." In demselben Geiste spricht er sich über das gegenseitige Berhältniß der Ehegatten und die eheliche Treue aus. „Chriftlich und göttlich davon zu reden, ist das das Höchste, daß Gottes Wort an deinem Weibe und an deinem Manne geschrieben ist; wenn du dein Weib also ana siehest, als wäre nur eins, und keins mehr auf der Welt, und wenn du deinen Mann also ansiehest, als wäre nur einer, und sonst keiner mehr auf der Welt; daß kein König, ja auch die Sonne nicht schöner scheinen, und in deinen Augen leucha ten roll, als eben deine Frau oder dein Mann. Denn alhier hast du Gottes Wort, welches dir die Frau, oder den Mann zuspricht und schenket, spricht: der Mann sou dein seyn: die Frau foll dein seyn; das gefällt mir so wohl, alle Engel und Creatur haben Freude darob. Denn es ist je kein Schmuck über Gottes Wort, damit du dein Weib ansiebeft als ein Gottes Geschenk.”


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liches Leben in mufterhafter Treue, Zucht und Ehren führen, die Pflichten eines chriftlichen Gatten, Hausvaters und Ers ziehers feiner Kinder mit der strengsten Gewissenhaftigkeit er: füllen fah? Hat er durch diese That seine vorurtheilsfreie

sah Gesinnung bekundet und „Denen, die ihn mit seiner Katharina von Bora austrugen, das Maul gestopft”, so noch weit mehr durch die makellose, acht christliche Führung seines ehelichen Lebens. Håtte diesem Leben irgend eine Schmach, irgend ein Flecken angeklebt, seine so erbitterten Gegner würden nicht verfehlt haben, ihn zwiefach zu verunglimpfen und alle Waffen der Låsterung wider ihn zu kehren.

Wie innig und glücklich Luthers Verhåltniß zu seiner Hausfrau war, geht aus vielen seiner zufälligen Ueußerungen hervor: ,,Kathe, du hast einen frommen Mann, der dich lieb hat; du bist eine Kaiserinn! aber zu einem solchen Stande gehört eine fromme und gottesfürchtige Person." Un Stiefel schrieb er: „Es grüßt dich Kathe, meine Rippe. Sie befindet sich wohl durch Gottes Gnade und ist mir folgsam , und in allem zu Willen und unterthänig, mehr als ich zu hoffen gewagt håtte, so daß ich meine Urmuth nicht möchte mit den Schagen des Ritrofus vertausden." Gin andermal fagt er, er würde eine Hausfrau nicht um das Königreich Frankreich, noch um die Schabe von Venedig geben, und dieß wegen dreierlei Ursachen: weil sie ihm von Gott gegeben worden, nachdem er ihn vorher um ein gutes Eheweib herzlich an: gerufen; weil, wenn sie gleich nicht ohne Fehler sey, sie doch bei ihr kleiner, als bei Undern feyen, und weil fie ihm so treu ergeben sey. Den Brief an die Galater nennt er seine Epistel, mit der er fich verlobt. Sie ist meine Katharina von Bora!"

Wiewohl sein eheliches Leben überal die Weibe seines ernsten Glaubensgeistes trágt, so konnte hierdurch seinen natür: lich-menschlichen Empfindungen kein Eintrag geschehen. Diese stimmten ihn grade in seinen ehelichen Beziehungen gar oft zu Scherz und heitrer Laune, welche mehr oder weniger in allen seinen Briefen an seine Hausfrau hervortreten. Dieser Ton findet sich selbst noch in denen, welche er wenige Tage vor seinem Tode an fie schrieb. Er sagt in dieser Beziehung: „Ein frommer Scherz ftehet einem frommen ehelichen Mann