Wie viele Menschen sind im Zweiten Weltkrieg gestorben

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Im Zweiten Weltkrieg kamen 3,5 Prozent der damaligen Weltbevölkerung ums Leben. Es war der verheerendste Krieg der Geschichte. Das lässt sich auch an den Unmengen der Daten ablesen, die er hinterlassen hat.

Julia Monn (Text), Anja Lemcke (Grafik) 08.05.2020, 05.30 Uhr

Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht verkündeten die Alliierten am 8. Mai 1945 den «Victory in Europe». Damit endete der Zweite Weltkrieg in Europa fast sechs Jahre nach seinem Ausbruch 1939. Die brutale Auseinandersetzung hinterliess nicht nur in Europa, sondern rund um den Globus eine Spur von Tod, Elend und Zerstörung – und eine ganze Flut an Daten, die Aufschluss über das Ausmass des Krieges geben können.

Erhoben und aufbewahrt wurden diese Daten von den Ministerien, Armeen oder Unternehmen, die direkt oder indirekt mit der Kriegsführung betraut waren. Die Historiker Jean Lopez, Nicolas Aubin und Vincent Bernard haben in ihrem Buch «Infographie de la Seconde Guerre Mondiale» versucht, anhand des Datenbergs wichtige Zusammenhänge grafisch aufzuzeigen. Ihr Werk ist Grundlage dieses Artikels.

Inhaltsverzeichnis

Auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gestaltet es sich schwierig, eine genaue Bilanz der Kriegsopfer zu ziehen. Während militärische Verluste im Gefecht, durch Gefangennahme oder Krankheit noch verhältnismässig leicht zu schätzen sind, ist es weitaus schwieriger, jene zu erfassen, die an den indirekten Folgen der Kampfhandlungen gestorben sind.

Nicht nur, weil dieser Konflikt geografisch so umfassend war, sondern auch deshalb, weil er wie kein anderer vor ihm die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zog.

So fielen im Kampf nicht nur Soldaten und paramilitärische Kräfte, sondern auch unzählige Zivilisten. Doch auch jene, die erst nach dem Krieg ihren Verletzungen erlagen, zählen zu seinen Opfern sowie jene, die durch Zwangsarbeit, Missbrauch, Kälte und Hunger ihr Leben liessen.

Daher kommen zu der konservativen Schätzung von 40 bis 50 Millionen Todesopfern in Wirklichkeit wohl noch etliche Millionen hinzu. Heute ist in der Forschung von über 75 Millionen Menschen die Rede. Das entspricht etwa 3,5 Prozent der Weltbevölkerung von 1940. Auf die heutige Weltbevölkerung umgerechnet wären dies über 200 Millionen Todesopfer.

Dabei war es nicht der Kriegsverursacher Deutschland, der die meisten Opfer zu beklagen hatte, sondern sein Gegner im Osten, die 1941 angegriffene Sowjetunion. Sie zahlte mit rund 28 Millionen Toten den höchsten Blutzoll im sogenannten «Grossen Vaterländischen Krieg».

Dieser Verschleiss an menschlichem Leben, auch durch die von der Wehrmacht und anderen Formationen ausgeführten Massenverbrechen an der Zivilbevölkerung, führte zu Rekrutenknappheit in der Sowjetunion. Ab 1942 wurden 800 000 Frauen als Lazarettschwestern, Fahrerinnen und Sekretärinnen an die Front berufen. Rund 95 000 von ihnen starben. Fast die Hälfte der gefallenen Frauen kam in direkten Kampfhandlungen um.

Die prekäre Versorgungslage der Roten Armee, die Kälte und die schlechten hygienischen Zustände führten dazu, dass ein Rotarmist, der verwundet oder krank war, mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit starb wie ein Angehöriger der Wehrmacht und sogar viermal so wahrscheinlich wie ein britischer oder amerikanischer Soldat.

Abgesehen von der Sowjetunion hatte China am meisten Todesopfer zu beklagen, das sich schon seit 1931 im Krieg gegen Japan befand. Die japanische Armee hatte China überfallen und weite Teile der Mandschurei besetzt. Der folgende Eroberungszug der Japaner entlang der Küste nach Süden forderte unzählige Menschenleben. Alleine bei der Eroberung der damaligen Hauptstadt Nanjing im Dezember 1937 fielen über 200 000 Menschen einem grausamen Massenmord zum Opfer.

Erst nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor und dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 erhielt China Schützenhilfe. Mit dem Abwurf von Atombomben über Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 besiegelten die USA die japanische Niederlage und damit das Ende des Zweiten Weltkriegs am 2. September 1945.

Die Zahl der chinesischen Opfer wird auf 15 Millionen geschätzt, viele davon waren Zivilisten. Das Land hatte somit mehr Tote im Zweiten Weltkrieg zu beklagen als die Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan zusammen.

Shoah: die systematische Vernichtung der Juden

Als sowjetische Truppen im Juli 1944 im polnischen Lublin das Konzentrationslager Majdanek befreiten, wurden sie Zeugen der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie. Systematisch wurden hier Juden, Sinti und Roma sowie politische Gefangene umgebracht und in Massengräbern verscharrt.

Auf dem Weg nach Berlin entdeckten Russen, Briten und Amerikaner noch zahlreiche solche Lager. Darunter auch das grösste deutsche Vernichtungslager, Auschwitz-Birkenau. Je nach Rekonstruktion geht die Forschung heute von 5,6 bis 5,8 Millionen ermordeten Juden aus.

Das entspricht rund 58 Prozent der vor dem Krieg in Europa lebenden Juden. Die Gemeinde in Polen traf es besonders hart. Rund 91 Prozent der polnischen Juden wurden vernichtet. Im Sommer 1944 wurde mit den ungarischen Juden die letzte grosse Bevölkerungsgruppe ermordet. Zwei von drei ungarischen Juden wurden getötet.

Die systematische Ausgrenzung der deutschen Juden hatte bereits 1933 begonnen. Mit dem Ausbruch des Krieges fanden Massenerschiessungen sogenannter «Todesschwadronen», zusammengesetzt aus SS, der Polizei und der Wehrmacht, statt. Um die Effizienz der Vernichtung zu steigern, setzte die Nazi-Führung schliesslich auf die Gase Zyklon B und Kohlenmonoxid. Diese wurden ab 1942 systematisch eingesetzt, nachdem sich bei der sogenannten «Wannseekonferenz» hochrangige Vertreter des nationalsozialistischen Regimes in Berlin getroffen und die Vernichtung der Juden in Europa koordiniert hatten.

Insbesondere im letzten Kriegsjahr wurde dieses grausame System auf die Spitze getrieben und gipfelte in den sogenannten «Todesmärschen». Angesichts der heranrückenden Roten Armee wurden in den letzten Kriegsmonaten mehrere KZ aufgelöst und ihre Insassen zu Fuss nach Westen getrieben. Ein Drittel der Verschleppten, der bis dahin überlebt hatte, starb in den letzten Monaten des Krieges.

Flucht und Vertreibung

Auch wenn am 8. Mai 1945 in Europa offiziell Frieden herrschte, war dies für Abermillionen Menschen der Beginn der Not der Nachkriegszeit. Der Kontinent bot noch während Jahren ein Bild des Elends und der Verwüstung. Millionen von Menschen waren ausgebombt, verschleppt und vertrieben worden. Auf der Suche nach Schutz traten sie nun meist zu Fuss und in grossen Kolonnen eine Reise mit ungewissem Ziel an.

Dazu gehörten auch etwa rund 10 Millionen Deutsche, die aus Ostpreussen, Pommern, dem Sudetenland und anderen ehemaligen deutsch besiedelten Gebieten im Osten vor der anrückenden Roten Armee geflüchtet waren. Wurden sie eingeholt, so drohten Vergewaltigung, Plünderungen und spontane Erschiessungen.

In Deutschland trafen die Alliierten auf 12 bis 13 Millionen ausländische Zivilisten und Kriegsgefangene, die der deutschen Rüstungsindustrie als Zwangsarbeiter gedient hatten. Sie wurden befreit, doch was nun?

Die Versorgungslage war prekär, da ein Grossteil der landwirtschaftlichen Nutzflächen und des Viehbestandes Europas vernichtet war. Der Luft- und Bodenkrieg hatte überall in Europa Zehntausende Dörfer, Städte und Fabriken in Schutt und Asche gelegt.

Ein Grossteil des Verkehrsnetzes war beschädigt oder zerstört, die Versorgungswege für Nahrung, Kleidung oder Medizin waren abgeschnitten. Nachkriegseuropa war auf Nahrungsmittelhilfe aus den USA angewiesen. Essensrationen wurden weiterhin nur gegen Lebensmittelkarten ausgegeben.

Die wirtschaftliche Bilanz des Kriegs

Bis heute kann nicht genau beziffert werden, wie viel die Materialschlacht des Krieges die einzelnen Volkswirtschaften gekostet hat. Die hier dargestellten Zahlen beruhen auf den Schätzungen amerikanischer Forscher.

Sie zeigen nicht nur auf, dass der Zweite Weltkrieg der bisher teuerste Krieg der Geschichte war, sondern auch welche exorbitanten Summen für die Rüstung verwendet wurden. Einzig für die UdSSR gibt es bis heute keine verlässlichen Quellen, die die Rüstungsausgaben der Sowjetunion vergleichbar aufschlüsseln.

Die deutsche Kriegswirtschaft basierte zu einem Grossteil auf der Zwangsarbeit verschleppter KZ-Häftlinge und der Ausbeutung der besetzten Gebiete. 7,6 Millionen Menschen wurden so eingesetzt; über die Hälfte davon waren verschleppte Sowjetbürger und Polen, ein Viertel waren Kriegsgefangene und ein weiteres Viertel Frauen.

1944 waren zudem 57 Prozent der deutschen Frauen berufstätig. Eine grosse Anzahl Frauen in Deutschland, Japan und der Sowjetunion arbeitete in der Landwirtschaft. In Amerika und Grossbritannien war dieser Sektor mechanisiert, weshalb der Anteil berufstätiger Frauen bei Kriegsende geringer ausfiel. 1944 wurden 80 Prozent der Landarbeit in der Sowjetunion von Frauen geleistet, und auch unter der Industriearbeiterschaft lag der Frauenanteil bei 50 Prozent.

Insbesondere in Deutschland prägten die sogenannten «Trümmerfrauen» auch das Bild des Wiederaufbaus nach dem Krieg. Denn viele Männer im arbeitsfähigen Alter waren entweder tot, verwundet oder über Europa verstreut. Mit der Befreiung der besetzen Gebiete und der Kapitulation des Deutschen Reiches kollabierte die Wirtschaft in Deutschland endgültig. Vielerorts in Europa war 1945 die industrielle Produktion zum Erliegen gekommen.

Erst mit der Wiederinbetriebnahme von Fabriken, der allmählichen Instandstellung des Verkehrs- und Elektrizitätsnetzes und der Unterstützung der USA im Rahmen des sogenannten «Marshall-Plans», der ein 13 Milliarden Dollar schweres Konjunkturprogramm umfasste, begann der Wiederaufbau Europas nach dem Krieg.