Welche partei ist für geschwindigkeitsbegrenzung

Kurz vor Beginn der zweiten Vorsondierungsrunde mit den Grünen sprechen sich die Liberalen gegen eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen aus. Der potenzielle Koalitionspartner reagiert überraschend gesprächsbereit.

Oliver Maksan, Berlin 01.10.2021, 10.35 Uhr

Kurz vor Beginn der zweiten Vorsondierungsrunde zwischen Grünen und FDP an diesem Freitag haben die Liberalen eine rote Linie in der Verkehrspolitik formuliert. So haben sich FDP-Politiker gegen ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen ausgesprochen und sich damit klar gegen eine grüne Kernforderung gestellt.

FDP sieht in Tempolimit Symbolpolitik

Der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Oliver Luksic, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Bei der Mobilität liegen die Wahlprogramme teilweise deutlich auseinander. Wir Liberalen stehen dabei auch für die Autofahrer ein. Statt um Symbolpolitik wie Tempolimit und Verbrennerverbot geht es für uns um eine bezahlbare, nachhaltige und innovative Mobilität. Dafür werden wir uns auch in allen Gesprächen einsetzen.»

Auch die FDP-Verkehrspolitikerin Daniela Kluckert sprach von «reiner Symbolpolitik» und sieht keine sachlichen Gründe in einer Geschwindigkeitsbeschränkung: «Ein allgemeines Tempolimit ist weder von uns gewollt, noch ergibt es für den Klimaschutz oder die Verkehrssicherheit Sinn.»

Bei der seit Jahren diskutierten Frage einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen handelt es sich um ein Thema von hoher Breitenwirkung und Symbolkraft in Deutschland. SPD und Grüne haben sich für eine Geschwindigkeitsbegrenzung ausgesprochen, Union und FDP dagegen.

Grüne sehen in Tempolimit klimapolitische Massnahme

Der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, zeigte derweil Gesprächsbereitschaft. Der dem linken Flügel der Partei zugeordnete Politiker sagte der «Rheinischen Post» und dem Bonner «General-Anzeiger» am Freitag: «Ich halte nichts davon, einzelne Massnahmen zur Bedingung zu machen, das verkompliziert die Verhandlungen und wird unserer Aufgabe nicht gerecht.» Zwar gingen die Grünen mit «unseren gesamten Positionen» in die Gespräche, «dazu gehört auch ein Tempolimit 130 auf Autobahnen». Allerdings gehe es «jetzt nicht um Spiegelstriche, sondern um einen Aufbruch für Klimaneutralität, Fortschritt und Gerechtigkeit».

In ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl haben die Grünen eine «Vision Zero» formuliert. Künftig solle es keine Toten und Schwerverletzten im Strassenverkehr mehr geben. «Um mehr Sicherheit auf den Strassen zu erreichen, wollen wir in geschlossenen Ortschaften das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehren», heisst es da. Tempo 30 sei dann die Regel, Abweichungen wie Tempo 50 würden vor Ort ausgewiesen. «Für die Autobahnen wollen wir ein Sicherheitstempo von 130 km/h. Wenn besondere Gründe es notwendig machen, wie beispielsweise in Städten oder Ballungsgebieten oder um sie herum, dann gelten maximal 120 km/h.»

Bereits im vergangenen Jahr haben die Grünen auch verdeutlicht, warum sie in einer Geschwindigkeitsbegrenzung eine wichtige klimapolitische Massnahme sehen. Sie bezogen sich dabei auf Berechnungen des Umweltbundesamtes, wonach eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h und ein gleichmässiger Verkehrsfluss ohne viele Bremsmanöver eine Verringerung des CO2-Ausstosses um 2,2 Millionen Tonnen bewirken können. Das entspreche rund 5 Prozent der Emissionen von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen auf Autobahnen. «Wenn die Bundesregierung das Klimaschutzziel bis 2030 und eine Verringerung der CO2-Emissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 erreichen will, dann muss sie jede dafür nötige Massnahme in Betracht ziehen.»

FDP will intelligente Verkehrslenkung

Die Liberalen hingegen haben ein Tempolimit in ihrem Wahlprogramm abgelehnt. «Tempolimits, Diesel- oder Motorradfahrverbote sind weder progressiv noch nachhaltig», heisst es da. Innovationen und eine bessere Infrastruktur könnten die Verkehrssicherheit und einen umweltfreundlichen Verkehrsfluss voranbringen. Pauschale Einschränkungen des Individualverkehrs seien keine Lösung. «Intelligente und innovative Verkehrslenkung bietet hingegen enorme Möglichkeiten.»

FDP und Grüne haben sich am Dienstag erstmals zu Vorsondierungen getroffen. Beide Parteien haben noch am Wahlabend mitgeteilt, vor Gesprächen mit den potenziellen Koalitionspartnern SPD und Union zunächst miteinander Gespräche führen zu wollen. Liberale und Grüne wären sowohl in einer SPD-geführten Ampelkoalition wie in einem von der Union geführten Jamaica-Bündnis Teil der Regierungskoalition.

Ein Tempolimit bedeute mehr Sicherheit und weniger Umweltbelastung, argumentierte Riexinger. Das in der Praxis minimal schnellere Vorankommen ohne Tempolimit stünde dazu in keinem Verhältnis. "Die Untätigkeit der Regierung in Sachen Tempolimit kostet jedes Jahr Menschenleben", sagte Riexinger. "Andere mit Rasen und Drängeln zu gefährden, hat nichts mit Freiheit zu tun, sondern mit Rücksichtslosigkeit."

"Tempolimit scheitert nicht am Widerstand der Sozialdemokratie"

Die SPD signalisierte ebenfalls ihre Unterstützung für ein Tempolimit – warf den Grünen jedoch Untätigkeit auf Landesebene vor. "Tempo 130 auf Autobahnen erhöht die Sicherheit und schützt das Klima", sagte Kirsten Lühmann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, t-online.de. "Das Tempolimit scheitert nicht am Widerstand der Sozialdemokratie. Wir fordern schon lange ein Ende der Raserei auf Autobahnen."

Welche partei ist für geschwindigkeitsbegrenzung

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Die Grünen seien an 11 von 16 Landesregierungen beteiligt, betonte Lühmann. Wenn Habeck es wirklich ernst meine, könne er ja mindestens seine Länderkollegen auf Linie bringen. "Wie so häufig liegt der Anspruch von Wunsch und Wirklichkeit bei den Grünen ganz schön weit auseinander."

"Das ist alter Wein in alten Schläuchen"

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die SPD bei einem Grünen-Vorstoß im Bundestag im vergangenen Oktober aus Fraktionsdisziplin selbst nicht für ein Tempolimit gestimmt hatte – und damit aus dem gleichen Grund, aus dem sich Baden-Württemberg mit seiner Regierung aus Grünen und CDU im Bundesrat enthalten hatte. Lühmann hatte damals erklärt, dass es traurigerweise nicht gelungen sei, die Union von einem Tempolimit zu überzeugen. Die SPD stimme "allein aus Vertragstreue zu dieser Koalition" gegen den Vorstoß.

Und auch heute noch ist die Begeisterung in der Union für ein Tempolimit sehr überschaubar. Während der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak den Grünen-Vorstoß in den Zeitungen des RedaktionsNetzwerks Deutschland als Sommerlochthema abtat und den Grünen falsche Prioritäten vorwarf, wurden Parteikollegen noch deutlicher.

So etwa der stellvertretende Chef der Unionsfraktion, Thorsten Frei. "Die Grünen entlarven mit ihrer Forderung bereits vor der Wahl und möglichen Koalitionsverhandlungen wieder einmal ihre dogmatische Art, Politik zu machen", sagte Frei t-online.de. "Das ist alter Wein in alten Schläuchen!" Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen sei "eher Ideologie, als dass es an Fakten festzumachen wäre".

Frei sagte zum Grünen-Vorstoß dann aber auch noch: "Ich bin mir sicher, dass wir damit pragmatisch umgehen werden." Gesprächsbereitschaft, so kann man das interpretieren, ist also im Zweifel auch bei der Union noch vorhanden.

Eine Tabelle mit den Positionen der 709 Bundestagsabgeordneten finden Sie am Ende des Artikels

Mehr als die Hälfte der Bundestagsabgeordneten sind gegen die Einführung eines Tempolimits von 130 km/h auf deutschen Autobahnen (mind. 367 der insgesamt 709 MdBs). Dies geht aus Angaben der Parlamentarierinnen und Parlamentarier hervor, die diese im Kandidaten-Check von abgeordnetenwatch.de zur Bundestagswahl 2017 gemacht haben. Die Abgeordneten äußerten sich damals zu der folgenden These:

"Auf Autobahnen soll es ein flächendeckendes Tempolimit von 130 km/h geben."

Nur 151 Abgeordnete sprachen sich im Kandidaten-Check für eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung aus, 34 äußerten sich "neutral". Von 157 Politikerinnen und Politikern liegt keine Position zum Tempolimit vor – sie hatten sich am Kandidaten-Check nicht beteiligt.

Bei CDU und CSU fällt auf, dass sich ein einzelner Parlamentarier für eine Geschwindigkeitsbegrenzung aussprach – der Abgeordnete Martin Patzelt. 

Aus der SPD-Fraktion stellten sich im Kandidaten-Check eine große Mehrheit der Abgeordneten gegen ein Tempolimit – und damit gegen den gültigen SPD-Parteitagsbeschluss (97 von 153 MdBs). Im Jahr 2007 hatte sich die SPD auf ihrem Hamburger Parteitag mehrheitlich für eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h ausgesprochen. 

In der folgenden Tabelle haben wir die Positionen der Bundestagsabgeordneten zur Einführung eines Tempolimits von 130 km/h aufgeführt. Bei Politikerinnen und Politikern, die sich 2017 nicht am Kandidaten-Check beteiligt haben, ist dies in der Tabelle vermerkt – deren Position zum Tempolimit können Sie hier via abgeordnetenwatch.de erfragen.

Ein wichtiger Hinweis: Bei den Angaben der Bundestagsabgeordneten handelt es sich um Positionen, die diese im Sommer 2017 eingenommen haben. Es ist möglich und durchaus legitim, dass Abgeordnete einen Standpunkt überdenken und mit der Zeit ändern. Die Aussagen beziehen sich auf das Jahr 2017 und geben deswegen möglicherweise nicht mehr die derzeitige Überzeugung wieder.* 

*Ergänzung: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Mathias Stein sprach sich im Kandidaten-Check zur Bundestagswahl 2017 gegen die Einführung eines Tempolimits aus und ist entsprechend in der untenstehenden Tabelle aufgeführt. Sein Büro teilte uns nun mit, dass er inzwischen für die Einführung eines Tempolimits eintritt, mit folgender Begründung: "Ein Tempolimit von 130 km/h erhöht die Verkehrssicherheit, leistet einen Beitrag zum Umweltschutz und vermindert den Stresspegel während der Fahrt." 

Daten zum Herunterladen: xls | ods

Martin Reyher, Sabrina Winter | Mitarbeit: Andrea Knabe