Was passiert mit griechenland wenn es pleite ist

Griechische Flagge: Der lange Schatten des Euro-Austritts

Foto: Vladimir Rys/ Getty Images

Niemand kann sagen, er habe von nichts gewusst. Wenn Griechenland pleitegeht, dann kommt das alles andere als überraschend. Seit zwei Jahren geht es mit dem Land bergab. Mit anderen Worten: Den Verantwortlichen in Unternehmen, Banken und Behörden, die nicht vorbereitet sind, droht Ärger - wegen mangelnder Sorgfalt, Untreue und dergleichen. Folglich bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als sich auf das schlimmstmögliche Hellas-Szenario einzustellen.

Das ist das Perfide an der jetzigen Situation: Weil sich alle auf ein Scheitern Griechenlands vorbereiten müssen, wird dieses Scheitern umso wahrscheinlicher.

Was also wird passieren? "Der Griechenland-Ausstieg wird auf jeden Fall ungeordnet geschehen", sagt ein deutscher Euro-Retter. "So etwas kann gar nicht geplant, ruhig und geordnet geschehen."

Das wahrscheinlichste Szenario sieht in den Augen vieler Entscheidungsträger so aus: Mitte Juni, bei der nächsten Wahl in Griechenland, wird nach derzeitigen Umfragen abermals keine Mehrheit herauskommen, die bereit ist, sich an die Programmzusagen zu halten. Sollte es so kommen, wird die neue Regierung in Athen kein weiteres Geld aus den Hilfsprogrammen von EU und IWF erhalten. Spätestens dann werden die griechischen Banken sich nicht mehr refinanzieren können, weil ihnen niemand, wirklich niemand mehr Geld leiht. Die Lage in Griechenland spitzt sich in diesem Fall extrem zu: Das Finanzsystem funktioniert nicht mehr, der Zahlungsverkehr kommt zum Erliegen, die Banken schließen, die Geldautomaten sind leer, die Bürger bunkern Bargeld.

Was dann? Vermutlich wird die Europäische Zentralbank die schmutzige Arbeit erledigen müssen. Sie muss am Ende den Stecker ziehen. Irgendwann wird sie aufhören, die griechischen Geschäftsbanken mit Liquidität zu versorgen; schließlich wollen und dürfen die Euro-Banker nicht immer größere Risiken eingehen. Bereits jetzt funktioniert diese Liquiditätsversorgung bei vielen griechischen Banken nur noch auf dem Umweg über die sogenannte Emergency Liquidity Assistance der griechischen Notenbank. Eine letzte Möglichkeit, jenen Banken Geld zuzuschanzen, die keine Sicherheiten mehr besitzen, die sie bei der EZB hinterlegen können.

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Mit dem Euro-Ende käme auch der EU-Austritt

Wenn die EZB die letzte Geldquelle der griechischen Banken kappt, wird der griechischen Regierung nichts anderes übrig bleiben, als den sofortigen EU-Austritt zu erklären. Nur den Euro zu verlassen und ansonsten in der Europäischen Union zu bleiben, ist nach dem EU-Vertrag nicht möglich. Auch ein Ausschluss aus der Euro-Zone ist vertraglich nicht vorgesehen. Aber Griechenland braucht sofort eine eigene Währung, wenn die EZB die Refinanzierung der Banken einstellt. Das Land braucht eine eigene Zentralbank, die die Banken refinanzieren kann und den Zahlungsverkehr wieder zum Laufen bringt.

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Griechenland steht dann eine harte Zeit bevor. Inflation und Abwertung werden ruinöse Wirkungen auf die Gesellschaft entfalten. Die Auslandsschulden explodieren. Das Land ist abgeklemmt vom internationalen Kapitalmarkt. Vielleicht hilft die EU mit weiteren Geldern. Vielleicht helfen Russen oder Chinesen, um ihren Einfluss zu erhöhen. So wie die Russen offenbar bereits dem ebenfalls am Rand der Pleite stehenden Zypern mit einem Milliarden-Kredit unter die Arme gegriffen haben.

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Für die EZB stellt sich an diesem Punkt die Frage, was anderswo in der Euro-Zone passiert. Ist der Spuk vorbei - Griechenland ausgesondert, Euro-Land stabilisiert, der Unruheherd beseitigt? Oder wird damit die Grundlage der europäischen Integration zerbrochen? Wenn ein Land die EU und den Euro verlassen kann, wer glaubt dann noch an die "immer engere Union der Völker Europas", die der EU-Vertrag verspricht?

Warum Griechenland weiter unterstützt werden muss

Gut möglich, dass es nach einer Pleite Griechenlands zu einem Sturm auf die Banken in Spanien und Italien und anderswo kommt, weil deren Gläubiger und Kunden fürchten, nun werde dieses Land als nächstes aus dem Euro ausscheiden. Das Bröckeln des Euro-Landes könnte eine zerstörerische Eigendynamik entwickeln - aller "Brandmauern" zum Trotz. Eben deshalb haben die G-8-Regierungschefs am Wochenende noch mal Griechenlands Verbleib in der Euro-Zone angemahnt.

Doch soll dieses Alternativszenario gelingen, wird der Europäischen Zentralbank wohl nichts anders übrig bleiben, als viele hundert Milliarden in die nun von Kapitalflucht bedrohten Länder zu pumpen. Staatsanleihen kaufen, den Banken Liquiditätshilfen gewähren - wieder wird die EZB die Schmutzarbeit machen müssen. Die Risiken in den Zentralbank-Bilanzen würden immer weiter steigen, die Glaubwürdigkeit der EZB in Sachen Inflationsbekämpfung würde weiter schrumpfen, weil die EZB nun ganz offensichtlich andere Prioritäten hat: die Stabilisierung des Finanzsystems. Umso argwöhnischer würden Nordstaaten wie Deutschland die Euro-Zone betrachten.

Angesichts dieses Krisenpanoramas erscheint die weitere Unterstützung Griechenlands als das am wenigsten risikoreiche Szenario - auch wenn die Stützung fragwürdig, womöglich rechtswidrig, auf jeden Fall aber hochgradig umstritten sein mag.

Die Lage in Griechenland ist bedrohlich. Die Schuldenlast ist erdrückend, die Wirtschaft kommt nicht in Schwung. Die Maßnahmen der Regierung Papandreou, um aus der Notsituation herauszukommen, sind unzureichend – und das Volk macht seinem Unmut über die einschneidenden Sparpakete immer heftiger Luft. Die Solidarität der anderen Euro-Staaten indes wird arg strapaziert. In Deutschland wird in den Reihen der schwarz-gelben Koalition schon die Möglichkeit einer „geordneten Insolvenz“ ins Gespräch gebracht. Wir betrachten die Szenarien, die eintreten könnten, sollte Griechenland trotz aller Rettungspakete den Weg aus der Schuldenkrise nicht schaffen.

Ist eine Insolvenz möglich?

Wäre Griechenland ein Unternehmen, hätte es längst den Insolvenzverwalter anrufen müssen. Eine Insolvenz liegt vor, wenn jemand nicht mehr in der Lage ist, mit seinem Einkommen seine Schulden vollständig und fristgerecht abzuzahlen. Bei Griechenland ist das im Grunde jetzt schon der Fall. Das Land wird Ende 2011 Schulden in Höhe von 166 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung angehäuft haben, die Zinsen lasten schwer auf dem Staatshaushalt. Auf dem Kapitalmarkt leiht den Griechen längst niemand mehr Geld zu vernünftigen Konditionen. Wenn EU und IWF die nächste Tranche des Hilfsprogramms nicht überweisen, ist die griechische Regierung zahlungsunfähig.

Ein Unternehmen würde in so einem Fall unter die Aufsicht eines Insolvenzverwalters gestellt. Er bestimmt darüber, wofür der Geschäftsführer noch Geld ausgeben darf, er sorgt dafür, dass die Angestellten ihren Lohn weiterhin bekommen. Vor allem aber verhandelt er mit den Gläubigern, ob sie bereit sind, auf einen Teil ihres Geldes zu verzichten, damit die Firma gerettet werden kann. Das nennt man Schuldenschnitt. Den Geldgebern bleibt meistens nichts anderes übrig als zuzustimmen, denn anderenfalls wird die Firma liquidiert, alle Wertgegenstände werden verkauft, und der Erlös wird unter den Gläubigern aufgeteilt.

Für Staaten gibt es bislang kein Insolvenzrecht. Die frühere IWF-Vizechefin Anne Krueger hat das schon 2002 angeregt. Auch Ex-Bundespräsident Horst Köhler plädierte dafür, und Bundeskanzlerin Angela Merkel regte im Juli 2010 an, einen Insolvenzplan für Krisenstaaten zu schaffen. Passiert ist bislang nichts.

Was würde bei einer ungeordneten Insolvenz Griechenlands passieren?

Ginge Griechenland einfach so pleite, wäre das Chaos unermesslich. Wenn der Staat seine Angestellten, die Rentner und die Krankenhäuser weiterfinanzieren will, müsste die Regierung sofort sämtliche Zahlungen an ihre Gläubiger aussetzen. Das hieße: Nicht nur die griechischen Banken, die ihrem Staat eine Menge Geld geliehen haben, kämen ins Wanken, auch andere europäische Institute würden empfindlich getroffen. „Das Schlimmste an diesem Szenario ist die Unsicherheit“, sagt Nicolas Heinen von Deutsche Bank Research. Die Gläubiger hätten zwar ein Anrecht auf Rückzahlung ihres Geldes, die Prozesse könnten aber Jahre dauern. Griechenland selbst wäre für viele weitere Jahre vom Kapitalmarkt abgeschnitten. Niemand würde dem Land mehr trauen. Um die laufenden Ausgaben zu decken, müsste die Regierung aber weiter Schulden machen – oder die Ausgaben noch drastischer reduzieren. Hinzu kommt: Wenn die griechischen Banken pleitegehen, verlieren die griechischen Sparer ihr ganzes Geld. Die Unternehmen kommen nicht mehr an Kredite. Die Wirtschaft bricht zusammen.

Lesen Sie auch, ob eine geordnete Insolvenz eine Lösung wäre.

Wäre eine geordnete Insolvenz die Lösung?

Dabei würde sich Griechenland quasi freiwillig unter fremde Verwaltung begeben. „Am besten könnte der europäische Rettungsfonds EFSF diese Rolle übernehmen“, sagt Nicolaus Heinen. Dieser, beziehungsweise später der ständige europäische Rettungschirm ESM, hätte als einziger die notwendige Autorität, denn die Griechen wären auf weitere Kredite von der Institution angewiesen. Dann könnte der ESM zwischen Griechenland und seinen Gläubigern über einen Schuldenschnitt verhandeln, der Griechenland von den Zinszahlungen entlastet. „Die spannende Frage ist: Wie viel zahlen die Griechen zurück?“, sagt Commerzbank-Analyst Christoph Weil. Er glaubt, dass das Land sich nur noch dann sanieren kann, wenn die Gläubiger auf 80 Prozent ihres Geldes verzichten. Das würde wiederum ein riesiges Loch in die Bilanzen vieler Banken reißen. Noch gefährlicher aber ist die Ansteckungsgefahr: Auch die Risikoaufschläge für spanische und italienische Staatsanleihen würden bei einer Pleite Griechenlands sofort in die Höhe schießen, sagt Weil. Zu verhindern wäre dies nur, wenn die Europäer diese Staaten mit enormen Beträgen unterstützen, weit mehr, als der Rettungsschirm bislang vorsieht. Die Alternative wäre, dass die Europäische Zentralbank weiter Anleihen aus diesen Staaten aufkauft – oder dass die Euro-Länder sich durchringen, gemeinsame Anleihen herauszugeben.

Kann Griechenland die Euro-Zone verlassen oder ausgeschlossen werden?

Weder ein Ausschluss noch ein Austritt ist in den EU-Verträgen vorgesehen. In der EU-Kommission wird das Szenario, dass Griechenland den Euro wieder abschaffen könnte, deshalb auch nicht durchgespielt – anders als das laut „Spiegel“ im Bundesfinanzministerium der Fall ist, wo dem Bericht zufolge sowohl über die Folgen eines Verbleibs Griechenlands in der Euro-Zone im Fall einer Pleite als auch über einen Austritt nachgedacht wird.

Dass für den möglichen Austritt eines Mitgliedstaates keine Vorkehrung getroffen wurde, bedeutet allerdings nicht, dass die seit 2001 bestehende Mitgliedschaft Athens im Club der Euro-Länder in Stein gemeißelt ist. Verfassungsrechtler weisen darauf hin, dass ein Mitgliedstaat durchaus aus freien Stücken die Euro-Zone verlassen kann, wenn dies dem demokratisch legitimierten Willen der dortigen Regierung entspricht. Die EU und die Euro-Zone funktionieren schließlich nach dem Demokratie-Prinzip: Die europäischen Institutionen in Brüssel haben in der Praxis keine Möglichkeiten, ein Land gegen seinen Willen im Kreis der 17 Euro-Länder festzuhalten.

Eine Entscheidung über einen Austritt wäre für Athen mit erheblichen Risiken und mit vergleichsweise geringen Vorteilen verbunden. Zu den Vorteilen gehört die Abwertung einer eigenen hellenischen Landeswährung: Wenn in Hellas die Drachme wieder eingeführt würde, wäre dies aller Voraussicht nach mit einer erheblichen Abwertung der griechischen Währung gegenüber dem Euro verbunden. Dies wiederum würde die griechischen Exporte in die Euro-Zone enorm verbilligen. Die griechische Wirtschaft könnte sich also über den Umweg über eine permanente Abwertung der eigenen Währung einen internationalen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Viel schwerer wiegt hingegen das Risiko, dass sich mit einer Wiedereinführung der Drachme die Schuldenprobleme Athens noch verschlimmern. Denn Griechenland müsste seine Hilfskredite nach wie vor in Euro an die Europäer zurückzahlen. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat Athen inklusive der Hilfen des Internationalen Währungsfonds (IWF) 65 Milliarden Euro allein aus dem ersten Hilfspaket vom Mai 2010 erhalten. Nach einer Umrechnung in die – abgewertete – Drachme würde diese Summe ins Unermessliche steigen. Griechenland würde dann wohl endgültig unter der Schuldenlast zusammenbrechen.