Narrated by: Mel Robbins 5 out of 5 stars
Narrated by: James Clear 5 out of 5 stars
Narrated by: Matthew McConaughey 5 out of 5 stars
Narrated by: Riz Ahmed 4.5 out of 5 stars
Narrated by: David John 4 out of 5 stars
Narrated by: Neil Gaiman 5 out of 5 stars
Narrated by: Sidney Crosby 5 out of 5 stars
Narrated by: Phoenix Pagliacci 4 out of 5 stars
Narrated by: Jim Dale 5 out of 5 stars
Narrated by: Brené Brown 5 out of 5 stars
Narrated by: Steven Weber 4.5 out of 5 stars
Narrated by: Roger Wayne 4.5 out of 5 stars
Anita und Walter Widmer verbringen die Ferien im Spätsommer 1937 zusammen mit dem befreundeten Paar Anni und Conrad Beck im Lötschental.
So wird Urs gezeugt. Die Geburt findet dann am 21. Mai 1938 in Basel statt, wo der Philologe Walter Widmer (1903 – 1965) am Realgymnasium Französisch unterrichtet und zu Hause als Übersetzer und Literaturkritiker arbeitet. Als Kleinkind geht Urs dem Geräusch der Schreibmaschine seines Vaters nach. Der nimmt ihn auf die Knie und lässt ihn über die wirbelnden Typenhebel staunen.
Das Haus, in dem die Familie in Basel wohnt, gehört Onkel Emil Häberli, einem Staatsanwalt, der auch das erste Auto in der Straße besitzt und mit Anita Widmers Schwester Norina verheiratet ist. Anita und Norina, geborene Mascioni, stammen aus Brusio im Kanton Graubünden. Ihr Vater hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten und das Leben genommen [Suizid]. Anita fand den Verbluteten in der Badewanne. Die Widmers wohnen im Parterre des Hauses, die Häberlis in der Beletage darüber. Urs Widmer glaubt sich später daran zu erinnern, dass seine Mutter ihn, als er zwei oder drei Jahre alt war, mit einem brennenden Kissen zu ersticken versuchte. Aber das hält er für eine trügerische Erinnerung.
Aus Furcht vor einem Einmarsch der deutschen Wehrmacht fährt Anita Widmer mit ihrem Sohn im Mai 1940 nach Grimentz im Val d’Anniviers. Walter Widmer bleibt in Basel. Als die Deutschen doch nicht kommen, kehren auch Frau und Sohn wieder zurück. Einige Zeit später ist Anita Widmer erneut schwanger.
Im Juli 1942 bekommt Urs eine Schwester: Nora Margherita. Tante Norina verlässt ihren Ehemann und zieht aus. Dann kehrt das Dienstmädchen Simone, mit dem Urs viel herumtollte, auf den Bauernhof der Eltern zurück. Plötzlich ist auch der Vater weg. Kurz nach ihm verschwindet Nora.
Und schließlich vermisst Urs auch seine Mutter. Dafür richten sich Lotti und Heiri Strub im Haus ein, Freunde der Eltern, beide kaum älter als 20. Sie versuchen Urs zu erklären, dass der Vater beim Militär ist, die Mutter wegen ihrer Traurigkeit im Spital und Nora bei Tante Norina. Anita Widmer kommt nach einiger Zeit aus der psychiatrischen Klinik in Münchenbuchsee bei Bern nach Hause, wird jedoch auch später immer wieder wegen ihrer endogenen Depression stationär behandelt. Es ist eine Zeit der Entbehrungen. Die Mutter kocht im Mantel in der eiskalten Küche. Das Licht – „eine einsame 25-Watt-Glühlampe an der Decke“ – muss beim Verlassen des Raumes ausgeknipst werden, auch wenn es nur für ein paar Minuten ist.
Im Alter von fünf oder sieben Jahren erkrankt Urs an einer Hirnhautentzündung. Nach dem Krieg zeigt der Vater ihm Fotos von Auschwitz. Aufgrund von Streitigkeiten mit Emil Häberli müssen die Widmers 1948 das Haus verlassen und mit einer Wohnung in Riehen vorliebnehmen. Urs geht dort noch ein halbes Jahr zur Primarschule, dann wechselt er ans Realgymnasium in Basel, wo sein Vater zum Lehrkörper gehört. Die Widmers, die ihre Ferien bis 1947 so zuverlässig im Lötschental verbrachten, dass Urs den Spitznamen „Lötschi“ ertragen musste, wählen von nun an regelmäßig La Rösa im Puschlav für die Sommerfrische. Anita Widmer läuft einer früheren Schulfreundin über den Weg, und des stellt sich heraus, dass Fräulein (!) Dr. Hedwig Schaub Mieter für ein Haus sucht, das sie unlängst geerbt hat. Die Familie Widmer zieht also aus der Wohnung in das Haus um. Urs bekommt ein Zimmer unter dem Dach, das im Winter eiskalt und im Sommer glühend heiß ist. Die Besitzerin besteht darauf, dass nichts verändert wird und alles in dem Zustand bleibt, in dem es sich beim Tod ihres Vaters befand. So darf beispielsweise die Türklingel nicht repariert werden, und als der Gasherd nach einer Explosion, die Urs‘ Mutter beinahe das Leben gekostet hätte, ausgetauscht werden muss, empfindet Fräulein Dr. Schaub dies als Katastrophe.
Nachdem Urs den Film „Ein Herz und eine Krone“ („Roman Holiday“, 1953, Regie: William Wyler) mit Audrey Hepburn und Gregory Peck gesehen hat, denkt er zu Hause an die Hauptdarstellerin. Plötzlich verspürt der 15-Jährige etwas, was er für Harndrang hält und rennt zur Toilette. Dort kriegt er gerade noch die Hose auf, bevor er – ejakuliert und seinen ersten Orgasmus erlebt.
Obwohl die Eltern keiner Kirche angehörten, ließen sie Urs taufen, und zwar von Walters Bruder Otto, einem protestantischen Pfarrer. Aber ein paar Tage nach der Konfirmation im Alter von 16 Jahren tritt Urs aus der Kirche aus. Seine Eltern betrachtet er als grundverschieden.
Ständig befürchtet Urs, sein Vater oder seine Mutter könnten sich wie sein Großvater das Leben nehmen.
Es sind Jahre des Aufbruchs. Die Schweizer Bürger verwandeln sich in Konsumenten und lernen Importe aus den USA schätzen: AFN, Jeans, Coca-Cola und Hollywood-Filme. Umso mehr wird der Kommunismus verabscheut. Am 29. Oktober 1956, weit nach Mitternacht, steht Urs mit zahlreichen amerikanischen Marinesoldaten in weißen Ausgehuniformen am Tresen einer Bar in Cannes, als Militärpolizei die Soldaten einsammelt. Am nächsten Morgen sind der Flugzeugträger und die Kriegsschiffe, die vor Cannes ankerten, verschwunden.
Anne-Marie, die Tochter eines frühpensionierten Chemikers, ist unter den ersten Mädchen, die sich von Urs küssen lassen. Als Anne-Marie mit einer Grippe im Bett liegt und er sie in ihrem Zimmer im ersten Stock besucht, sieht er plötzlich das Gesicht seiner Mutter am Fenster. Sie kam mit einer Leiter und schaute nach dem Rechten. Einige Zeit später bleibt bei Anne-Marie die Monatsblutung aus. Die beiden jungen Menschen geraten in Panik, und Urs fragt seinen Vater, ob eine Frau auch durch Spermareste am Finger geschwängert werden könne. Eine Antwort erhält er darauf nicht, und Anne-Marie ist auch gar nicht schwanger. Im Sommer 1956 nehmen Anne-Maries Eltern, die in Cannes ein Ferienhaus gemietet haben, den 18-Jährigen mit in die Ferien. Urs muss allerdings vor den anderen zurück nach Basel, um sich in einer Rekrutenschule zu melden. In der Nacht vor seiner Abreise schleicht Anne-Marie sich zu ihm ins Zimmer, lässt den Bademantel zu Boden gleiten, unter dem sie nackt ist und legt sich aufs Bett. Urs ejakuliert, bevor er sie auch nur berührt. Statt nun ein paar Minuten zu warten, halten sie das Vorhaben für gescheitert. Anne-Marie verlässt enttäuscht den Raum, und damit endet auch ihre Beziehung. Urs Widmer liest viel. Außerdem arbeitet er als Platzanweiser in der Komödie Basel und schaut sich alle Aufführungen an. Anfang März 1958 fährt er mit einer Vespa nach Montpellier. Unterwegs wird ihm der Scheinwerfer gestohlen. Er nimmt sich ein Zimmer außerhalb der Stadt und immatrikuliert sich an der Universität. Weil ihm das Gebäude jedoch zu düster ist, nutzt er nur die Mensa. Dort lernt er eine junge Hebamme kennen, die in der Mensa essen darf. Sie heißt Rolande und wurde mit ihren Eltern aus Marokko vertrieben. Nach kurzer Zeit nimmt sie ihn mit in ihr Zimmer, obwohl sie einen Verlobten hat, der in Orange seinen Militärdienst ableistet. Übrigens redet noch niemand vom Vögeln oder Ficken. Die Männer versprechen stattdessen, eine Frau glücklich zu machen. Über Cannes und den Berninapass trampt Urs nach Brusio, die Heimatstadt seiner Mutter, und von dort weiter nach La Rösa, wo er seine Eltern und Nora gerade noch in der Sommerfrische antrifft. Im August 1958 fährt er nach San Sebastian und trifft sich dort mit dem Engländer Clive, den er in Montpellier kennengelernt hatte. Clive besitzt einen schrottreifen VW. Damit fahren sie bis nach Gibraltar hinunter. Irgendwo im Süden, in Málaga oder Sevilla, schwärmt Urs arglos in einer Kneipe von den Vorzügen einer Demokratie. Eine Hälfte der Gäste verlässt daraufhin das Lokal, und die andere versucht ihn zum Schweigen zu bringen. Auf der Rückfahrt hält der VW bis Muttenz durch. Dort, kurz vor Basel, bleibt er liegen.
Schon als Kind wurde Urs von einem Psychiater untersucht. Auch später lässt er sich wegen verschiedener Ticks, Ängste und Neurosen therapieren. Ohne übermäßige Begeisterung studiert er in seiner Geburtsstadt Deutsch, Französisch und Geschichte. Zu seinen Lehrern gehören Walter Muschg, Edgar Bonjour, Werner Kaegi, Georges Blin, Karl Jaspers und Karl Barth. In dieser Zeit zählt er zu den Stammgästen in der Gaststätte „Hasenburg“. Rieter, der Wirt, steht 18 Stunden am Tag in der Küche, während seine wesentlich jüngere Frau Elsi bedient.
Rieter ist zu geizig, um auch nur eine Küchenhilfe einzustellen. Dabei kauft er heimlich die Häuser um den Andreasmarkt herum auf, renoviert sie und vermietet die Wohnungen dann an betuchte Leute, die sich das leisten können. Auf diese Weise vertreibt er seine Gäste aus der Gegend, denn die neuen Mieter sind sich für die „Hasenburg“ zu fein. Urs beginnt eine Liebesaffäre mit Brigitte, einer sechs Jahre älteren Lehrbeauftragten für französische Alltagssprache, deren Kurs er besucht. Die Beziehung endet 1961 während eines Campingurlaubs in Fiesole. 1961/62 verbringt er eineinhalb Jahre in Paris. Um etwas Geld zu verdienen, unterrichtet er ein paar Stunden pro Woche deutsche Konversation am Lycée Pasteur in Neuilly. Mehrmals nutzt er die Gelegenheit, als Mitarbeiter des Schweizer Studenten-Reisedienstes kostenlos auf einem frei gebliebenen Platz nach Athen zu fliegen und sich Griechenland anzuschauen. Nachdem seine Schwester Nora, die bei Jean Piaget in Genf Psychologie studiert, 1964 einige Zeit als Au-pair-Mädchen in der Nähe von Saint Tropez verbracht hat, soll ihr Freund Karl Heinz Baumgartner („Bummi“) sie mit dem Auto abholen. Urs, der mit Bummi befreundet ist, beschließt, ihn auf der Fahrt zu begleiten. Gleichzeitig telefoniert Nora mit einer befreundeten Kommilitonin, und diese – sie heißt May – würde auch gern ein paar Tage an der Côte d’Azur verbringen. So kommt es, dass Urs und Bummi die in Lausanne wohnende und am Office médico-pédagogique angestellte Studentin abholen und in den Fond des Autos klettern lassen. Die beiden Jungen albern in ihrer Muttersprache auf den Vordersitzen herum, und obwohl May kein Wort Deutsch versteht, nimmt sie ihnen die Rücksichtslosigkeit nicht übel. An der Riviera fragen sie sich zu der Villa durch, in der Nora zu finden ist. Bei der Mutter der Hausherrin handelt es sich um „eine etwa sechzigjährige ledrig-braune Jugendliche in Jeans“. Nora kündigt an, dass die Kinder gleich gebracht werden, möglicherweise von Brigitte Bardot. Die beiden jungen Schweizer würden das Sexidol gerne sehen, geben sich jedoch betont uninteressiert, Bummi, um Nora nicht zu verärgern, und Urs, um May nicht zu missfallen. Zu viert fahren sie dann zu einem Campingplatz und schlagen dort zwei Zelte auf. In der ersten Nacht schlafen sie nach Geschlechtern getrennt, in der zweiten Nacht als Pärchen. Urs verdient etwas Geld, indem er am Realgymnasium in Basel Französisch unterrichtet. Vorübergehend arbeitet er auch als Kulturkorrespondent der Tageszeitung „Welt“, aber sein Bericht über den Zürcher Literaturstreit – eine Kontroverse um eine am 17. Dezember 1966 gehaltene Rede Emil Staigers, die Max Frisch und andere als Verunglimpfung der modernen Literatur auffassen – wird nicht veröffentlicht, und danach braucht er auch nichts mehr für die „Welt“ zu schreiben. Walter Widmer stirbt am 18. Juni 1965 im Alter von 62 Jahren. Die Witwe wirft die hinterlassenen Papiere dieses Homme de lettres, der mit Thomas Mann und Heinrich Böll korrespondierte, einfach weg. Urs Widmer fährt mit dem Auto in die Provence und schreibt dort in einem Haus bei Gordes, das Otto F. Walter gehört, seine Dissertation. 1966 promoviert er bei Heinz Rupp in Basel. Otto F. Walter (1928 – 1994) leitet die literarische Abteilung des von seinem Vater gegründeten Walter Verlags in Olten. Schon im Herbst 1965, noch vor der Promotion, fing Urs Widmer als Lektor im Walter Verlag an. Im Jahr darauf wird Otto F. Walter wegen Meinungsverschiedenheiten über das Verlagsprogramm entlassen, und der Verleger Dr. Josef Rast bietet Urs Widmer die Nachfolge an, aber der lehnt das Angebot aus Solidarität mit Otto F. Walter ab. Während Otto F. Walter dann zum Luchterhand Verlag wechselt, wird Urs Widmer von Siegfried Unseld eingestellt. Bevor er nach Frankfurt am Main umzieht und seine Tätigkeit im Suhrkamp Verlag übernimmt, heiratet er May, die zunächst noch in Lausanne bleibt. Eine Wohnung in Frankfurt hat Urs Widmer von Basel aus gemietet. Als er hinkommt, ist der Vormieter noch mit der Renovierung beschäftigt, und er muss auf dem Dachboden nächtigen. Schließlich kommt May nach. Sie lernt Deutsch, setzt ihre Ausbildung zur Psychoanalytikerin fort und bewirbt sich erfolgreich bei Günther Feldmann, dem Leiter der Erziehungsberatungsstelle der jüdischen Gemeinde Frankfurt:
In Frankfurt erleben May und Urs Widmer die Proteste gegen den Vietnamkrieg und die Studenten-Unruhen des Jahres 1968. nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe)
Mit diesen Sätzen beginnt Urs Widmer seine Autobiografie „Reise an den Rand des Universums“. Er fährt fort:
Später schreibt er:
Der 75-Jährige Schriftsteller erzählt von den ersten 30 Jahren seines Lebens. Er beginnt sogar noch früher, mit seiner Zeugung. Und er versetzt sich in den Kopf des Säuglings, als der „Rand des Universums“ noch ganz nah ist.
An diesen Beispielen sehen wir, dass Urs Widmer seine Erinnerungen durch empathische Vorstellungen ergänzt.
„Reise an den Rand des Universums“ ist in drei Kapitel gegliedert: 1938 – 1948, 1948 – 1958 und 1958 – 1968. Jedes davon beschließt Urs Widmer mit einem kursiv gedruckten Abschnitt, in dem er die Dekade unabhängig von seiner Person beleuchtet. In seiner Autobiografie lässt uns Urs Widmer an seinen Erinnerungen teilhaben. Das eine oder andere dürfte eher für ihn selbst und andere Betroffene einen Wert haben und erschließt sich Außenstehenden auch gar nicht. Aber wie in „Der Geliebte der Mutter“ und „Das Buch des Vaters“ erlaubt Urs Widmer uns auch in „Reise an den Rand des Universums“ einen ungeschönten Blick auf sich und seine Eltern, der betroffen macht. Zugleich lässt sich das Buch mit Gewinn als Zeitzeugnis lesen. „Reise an den Rand des Universums“ ist kein stringenter Entwicklungsroman, sondern eine im humorvollen Plauderton vorgetragene lockere Aneinanderreihung von Anekdoten. Vieles davon ist nicht nur gut beobachtet, sondern auch treffsicher dargestellt. Obwohl an mehreren Stellen Trauer und Tragik zu spüren sind, handelt es sich bei „Reise an den Rand des Universums“ um eine leicht lesbare und kurzweilige Lektüre. Noch ungetrübter wäre das Lesevergnügen, wenn das Lektorat nicht einige Sprachschnitzer des Friedrich-Hölderlin-Preisträgers der Stadt Bad Homburg übersehen hätte. Da steht zum beispielsweise ein Dativ statt eines Genitivs („wegen dem Geld“, S. 246), und an einigen Stellen stoßen gleiche oder ähnlich klingende Wörter unschön aneinander. nach oben (zur Kritik bzw. Inhaltsangabe) |