Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen Analyse

TU Darmstadt

Fachbereich 02 - Institut für Philosophie

Proseminar: Kant: Kritik der praktischen Vernunft

Dozent: M.A. Philipp Richter
Sommersemester 2013

Immanuel Kant: Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen (1797) - Unter welchen Voraussetzungen ist das Lügenverbot der Kantischen Moralphilosophie absolut?

Studiengang: Lehramt für Gymnasium/ Geschichte und Philosophie/ Ethik


„Man nennt einen Menschen böse, nicht darum, weil er Handlungen ausübt, welche böse sind, sondern weil diese so beschaffen sind, daß sie auf böse Maxime in ihm schließen lassen.“

Immanuel Kant 1793

1. Einleitung

Immanuel Kants Ethik entsprang aus der kritischen Prüfung der praktischen Vernunft. Nach Kants Auffassung haben wir als vernunftbegabte Wesen das Ingenium, unser Handeln unabhängig von sinnlichen Bestimmungsgründen, den Trieben, Bedürfnissen und Leidenschaften, den Empfindungen des Angenehmen und Unangenehmen, zu wählen. Auch haben wir, durch unsere Vernunft, das Vermögen zu wollen.

Das Begehrungsvermögen, mit welchen wir nach selbst vorgestellten Gesetzen handeln können, die vorgestellten Gesetze als Maximen anerkennen und ihnen gemäß zu handeln. Durch unser Begehrungsvermögen, unser Wille, unterscheidet sich der Mensch als Vernunftwesen von bloßen Naturwesen, wie Tieren, die nur nach naturgegebenen Gesetzen handeln. Ein weiteres wichtiges Element im Denken von Kant ist der Kategorische Imperativ, welcher das höchste Beurteilungskriterium für die Moralität, sogar unsere gesamte Sittlichkeit ist.

Der Kategorische Imperativ prüft unsere subjektiven Maxime, welche aus unserem Begehrungsvermögen entsprungen sind, auf eine objektive allgemeine Gültigkeit. Ebenfalls wird durch den Kategorischen Imperativ geprüft ob eine Maxime als allgemeines Gesetz widerspruchslos gewollt werden kann. Immanuel Kant entwickelt mit seiner Ethik, der transzendentalen Vernunftkritik, etwas so in extenso und neuartiges, dass sein Denken eine neue Epoche schafft und selbst bis heute werden Grundelemente aus Kants Moralphilosophie anerkannt; wie der Kategorische Imperativ als Prüfstein unserer Maximen.

Und weil aber der Kategorische Imperativ die kompromisslose Form der Verallgemeinerung beinhaltet, hat man Kant sittlichen Rigorismus vorgeworfen, nach dem Maximen, wie nicht zu lügen, unter allen Umständen zu befolgen sind. So kam es auch zu dem im Jahre 1797 berühmten Disput mit dem französischen Schriftsteller und Politiker Benjamin Constant, dass Kant in seinem Aufsatz „ Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen“, rechtfertigt, dass selbst dann wenn ein Täter mit erklärender Mordabsicht nach dem Aufenthaltsort des Opfers fragen sollte, den er zu ermorden gedenkt, das bedingungslose ethische und rechtliche Verbot der Lüge gilt.1 So gilt es in der Vorliegenden Arbeit die Debatte „Über ein vermeintliches Recht aus Menschenliebe zu lügen“ darzustellen, Kants Moralphilosophie zu deskribieren und somit aufzeigen zu können unter welchen Voraussetzungen das absolute Lügenverbot in der kantischen Moralphilosophie gilt.

2. Die Constant-Kant-Debatte: Anklage der Beihilfe zum Mord

Im November des Jahres 1798 erschien im „Königsberger Generalanzeiger“2 der Rapport „ Des Mordes an dem unbescholtenen Commerzienrat C. angeklagt wurde gestern der wegen seiner bisweilen argen Angriffswütigkeit stadtbekannte Anatom A. Des hingemordeten Commerzienrats Bruder, Student B. der hiesigen juristischen Fakultät, steht unter Anklage der Beihilfe zum Mord.“3 Diese Meldung Berichtete über folgende Rechtsangelegenheit:

„ Ein Überwürfnis wegen einer Partie Whist hatte A in die große Wut versetzt, so daß A Anstalten machte, C mit einem Pistolet, welches er bei sich zu führen pflegte, zu erschießen. C, um sein Leben fürchtend, flüchtete sich daraufhin in das nahegelegene Haus seine auf die Straße geeilten Bruders, der alsbald von dem herbeigestürzten A in einen Wortwechsel verwickelt und zu Kundgabe von des Verfolgten Versteck genötigt wurde, wo der selbe dann von A auch angetroffen und sogleich .....[read full text]

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2. die Begründung eines höchsten Gesetzes für Moral

3. die Bestimmung der dem Begriff und dem Gesetz entsprechenden moralischen Subjektivität

4. wie sich die Bestimmung des Menschen, sein erlangen nach Glück, zur Vernunftbestimmung, der Moral verhält.11

Kants Darlegung seiner Moralphilosophie begründet er in seinen zwei Kritiken: Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten mit der Herleitung und Begründung des obersten Prinzips der Moralität, der des Kategorischen Imperativs und Der Kritik der praktischen Vernunft, in welcher Kant die Voraussetzung und dessen Konsequenzen des KI12 zum System entwickelt und den Anspruch der höchsten Stufe der Objektivität erhebt.13 So gibt Kant, mit seiner kritischen Philosophie und der Lehre des Kategorischen Imperativs, Aufschluss über das bedingungslose ethische und rechtliche Verbot der Lüge, selbst dann, wenn ein Mörder mit erklärender Mordabsicht nach dem Aufenthaltsort des Opfers fragt.14 Denn eine Handlung hat für Kant nur dann einen Moralischen Wert, wenn sie aus Achtung vor dem Sittengesetz geschieht.

Das Sittengesetzt besteht aus zwei Elementen, einer gegebenen Maxime und der auf Allgemeinheit orientierten Formbestimmung von Gesetzen überhaupt. So lautet der KI: „Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“15, oder „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“16Das Sittengesetz prüft also das subjektive Prinzip des Wollens und alle Maximen, die nicht als allgemeines Gesetz gelten können, sind unmoralisch und müssen abgelehnt werden.

Der einzelne Mensch wird zur Menschheit insgesamt, was der einzelne Mensch tut, muss im Sinne der gesamten Menschheit sein.17 So sagt Kant auch in der Grundlegung der Metaphysik der Sitten, dass der Mensch mit der Lüge als moralisches Wesen sich selbst verletzt und somit auch die gesamte Menschheit. Denn der Mensch ist die Menschheit, wie Kant sagt.18 Jedoch ist es schwierig, herauszufinden, wann eine Maxime zu Anwendung kommen soll oder nicht.

Und es kommt immer wieder zur öffentlichen Debatte ob das kantische Sittengesetz, der KI die einzige Quelle der sittlichen Willensbestimmung sein kann, oder gibt es Aporien, in denen der KI zu sittlichen Irrtümern führt und es Pflicht wird zu lügen?19 Der französische Philosoph Benjamin Constant hat versucht eine Lösung, um das Problem des absoluten Lügenverbots, zu entwickeln.

4. Benjamin Constants Möglichkeit a.....

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Dieses Verfahren muss solange durchgeführt werden bis beim Durchlaufen dieser Verbindungen von Maximen das Mittel zur Anwendung gefunden wird, dass die Maxime anwendbar macht.24

Die destruktive Vehemenz von starrem Festhalten an moralischen Grundsätzen zeigt Constant am Beispiel der Maxime von Wahrhaftigkeit. Für ihn legt das Beispiel vom Angehenden Mörder, welcher Auskunft über das Versteck seines Opfers verlangt und diese auch durch die Maxime der Wahrhaftigkeit erhält, dass das die abstrakte isolierte angewendete Maxime der Wahrhaftigkeit ein soziales Zusammenleben in einer Gesellschaft zur Utopie macht.

Das gesellschaftliche Eintreten für einander würde durch ein starres Festhalten und die Wertordnung an diesen moralischen Prinzipien der Wahrhaftigkeit, welches unter allen Bedingungen Vorrang hätte, für Constant zerstört werden. Nun versucht Constant durch seine Methode ein Zwischenprinzip zu finden um die Maxime der Wahrhaftigkeit anwendbar zu machen, indem er den Begriff der Pflicht analysiert und einen begrifflichen wechselseitigen Zusammenhangt zu dem des Rechts herstellt.25

„Ich führe als Beispiel das oben erwähnte Moralprinzip an, das es uns zur Pflicht macht, die Wahrheit zu sagen. Dieses Prinzip ist, für sich genommen, unanwendbar. Es würde die Gesellschaft zerstören. Verwirft man es aber, geht die Gesellschaft nicht minder zugrunde, denn alle Grundlagen der Moral würden damit hinfällig werden. Man muß also das Mittel, es anzuwenden, suchen und zu diesem Zweck, wie wir bereits sagten, das Prinzip definieren.

Die Wahrheit zu sagen, ist eine Pflicht. Was ist eine Pflicht? Die Idee der Pflicht ist von der Rechts nicht zu trennen. Eine Pflicht ist das, was in dem einen Wesen den Rechten des anderen Genüge tut. Wo e keine Rechte gibt, gibt es auch keine Pflichten. Die Wahrheit zu sagen, ist eine Pflicht also nur denjenigen gegenüber, die ein Recht auf Wahrheit haben. Nun aber hat kein Mensch ein Recht auf die Wahrheit, die einem andern schadet.“26

So hat Constant eine Lösung für das Dilemma gefunden; der Mörder hat kein Recht auf dir Wahrhaftigkeit und der Bruder des Opfers ist an die Maxime der Wahrhaftigkeit nicht mehr gebunden.

Den Beweis, dass das gesellschaftliche Eintreten für einander durch ein starres Festhalten und die Wertordnung an moralischen Prinzipien der Wahrhaftigkeit, welches unter allen Bedingungen Vorrang hätte, zerstört werden würde, hielt Kant für eine Desavouierung.

„Alle rechtlich-praktische Grundsätze müssen strenge Wahrheit enthalten, und die hier sogenannten mittleren können nur die nähere Bestimmung ihrer Anwendung auf vorkommende Fälle ( nach Regeln der Politik), aber niemals Ausnahmen von jenen enthalten: weil diese die Allgemeinheit vernichten, deretwegen allein sie den Namen der Grundsätze führen.“27

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Es wird die Pflicht gegenüber der Moral als eine „allgemeine Selbst-Verpflichtung“ definiert.29 Kant bietet somit eine Begründungs- und Kriterienfunktion für die rechtliche und ethische notwendigen Gesetzte. Daraus folgt unter anderem auch das bedingungslose ethische und rechtliche Verbot der Lüge, selbst wenn es aus Menschenliebe sei.30Die Wahrhaftigkeitspflicht ist eine ethische, unbedingte Tugendpflicht gegen sich selbst aber auch eine Pflicht gegenüber der Menschheit überhaupt.

„Die größte Verletzung der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, blos als moralisches Wesen betrachtet (die Menschheit in seiner Person), ist das Widerspiel der Wahrhaftigkeit: die Lüge.“31 Immanuel Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre. Von der Lüge

Die Idee der Menschheit als Rechtsgemeinschaft zu begegnen macht somit die Wahrhaftigkeitspflicht zu einem Rechtsgebot. Mit Hilfe der reinen praktischen Vernunft überprüft Kant die rechtsförmige Erlaubnis der Lüge am Beispiel vom angehenden Mörder, dieses Beispiel ergibt dass durch eine rechtsförmige Erlaubnis zu lügen die Rechtsgeltung aller möglichen Verträge prinzipiell vernichtet würde.

Ein Beispiel hierfür nennt Kant auch in Anmerkung der Kritik der Praktischen Vernunft im 4. Lehrsatz:

„Welche Form in der Maxime sich zur allgemeinen Gesetzgebung schicke, welche nicht, das kann der gemeinste Verstand ohne Unterweisung unterscheiden. Ich habe z.B. es mir zur Maxime gemacht, mein Vermögen durch alle sichere Mittel zu vergrößern. Jetzt ist ein Depositum in meinen Händen, dessen Eigentümer verstorben ist und keine Handschrift darüber zurückgelassen hat.

Natürlicherweise ist dies der Fall meiner Maxime. Jetzt will ich nur wissen, ob jene Maxime auch als allgemeines praktisches Gesetz gelten könne. Ich wende jene also auf gegenwärtigen Fall an, und frage, ob sie wohl die Form eines Gesetzes annehmen, mithin ich wohl durch meine Maxime zugleich ein solches Gesetz geben könnte: daß jedermann ein Depositum ableugnen dürfe, dessen Niederlegung ihm niemand beweisen kann.

Ich werde sofort gewahr, daß ein solches Prinzip, als Gesetz, sich selbst vernichten würde, weil es machen würde, daß es gar kein Depositum gäbe. Ein praktisches Gesetz, was ich dafür erkenne, muß sich zur allgemeinen Gesetzgebung qualifizieren; dies ist ein identischer Satz und also für sich klar. Sage ich nun, mein Wille steht unter einem praktischen Gesetze, so kann ich nicht meine Neigung (z.B. im gegenwärtigen Falle meine Habsucht) als den zu einem allgemeinen praktischen Gesetze schicklichen Bestimmungsgrund desselben anführen; denn diese, weit gefehlt, daß sie zu einer allgemeinen Gesetzgebung tauglich sein sollte, so muß sie vielmehr in der Form eines allgemeinen Gesetzes sich selbst aufreiben“32

Im 4. Lehrsatz seiner Kritik gibt er deutlich vor was das moralische Gesetz ist und somit auch dessen Begründung, dass eine subjektive Maxime eines Vernünftigen Wesens nur dann zum moralischen Gesetz wird, wenn nicht ihre „Materie“ sondern ihre Form als „Bestimmungsgrund des Willens“ tätig ist. Was bedeuten soll, dass eine Handlungsmaxime „ sich zur allgemeinen Gesetzgebung schickt“, wenn sie die Form der Allgemeinheit annehmen kann und prinzipiell zum Wohl aller Menschen als Mensch gerecht wird, so dass die Maxime alle Menschen in der angegebenen Situation verspflichten kann.33 Das heißt auch, dass die Lüge, selbst aus Menschenliebe, die Form der Allgemeinheit vernichtet, weil die Lüge nie als Gesetzt und zu.....

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Literaturliste

  • Baruzzi, Arno: Philosophie der Lüge, Freiburg 1992.

  • Brandt, Reinhard: Immanuel Kant- Was bleibt?,Sinzheim 2010.

  • Ebbinghaus, Julius: Kant´s Ableitung des Verbots der Lüge aus dem Rechte der Menschheit, in: Geismann, Georg/ Oberer, Hariolf: Kant und das Recht der Lüge, Würzburg 1986, S.75-84.

  • Geismann, Georg/ Oberer, Hariolf: Kant und das Recht der Lüge, Würzburg 1986.

  • Höffe, Otfried: Immanuel Kant, München 72007.

  • Höffe, Otfried: Immanuel Kant. Kritik der praktischen Vernunft, Bd. 26 : Klassiker Auslegen, Berlin 2002.

  • Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788.

  • Immanuel Kant: Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen, in: Geismann, Georg/ Oberer, Hariolf: Kant und das Recht der Lüge, Würzburg 1986, S. 35-39.

  • Kettner, Matthias: Kant als Gesinnungsethiker, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 5 (1992), S. 526-542.

  • Mosayebi, Reza: Das Minimum der reinen praktischen Vernunft. Vom kategorischen Imperativ zum allgemeinen Rechtsprinzip bei Kant, Bd. 173: Kantstudien- Ergänzungshefte, Berlin/ Boston 2013.

  • Ott, Konrad: Moralbegründungen. Zur .....

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