Schön, dass du wieder da bist Antwort

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Schön, dass du wieder da bist Antwort


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„Denn es ist nicht Wirkung der Wärme, sollt ich glauben, kalt zu machen, sondern das bewirkt ihr Gegenteill" „Jal" „Und nicht die Wirkung der Trockenheit ist es, zu feuchten, sondern die ihres Gegenteils ?" Vollkommen so!“ „Dann ist es auch nicht die des Guten, zu schaden, sondern die seines Gegenteils!" ,,So scheint es!" „Der Gerechte ist aber doch gut?“ „Ja, gewißi“ „Also ist es nicht die Wirkung des Gerechten zu schaden, Polemarchos, weder einem Freund noch einem andern sonst, sondern die seines Gegenteils, des Ungerechten!" „In jeder Hinsicht, glaub' ich, hast du recht, Sokrates !" Wenn also einer sagt, gerecht sei: einem jeden zu erstatten, was man ihm schulde, ... und er denkt sich darunter, der Gerechte sei Feinden Schaden schuldig, Freunden Nutzen, so war nicht weise, wer das sagte; denn er hatte nicht recht damit: wir sahen ja, daß es nicht gerecht ist, überhaupt einem zu schaden.“ „Zugegeben!" sagte er, und ich: ,,Werden wir also, ich und du zusammen, dagegen ankämpfen, wenn einer sagt, Simonides oder Bias oder Pittakos habe das behauptet oder ein anderer Weiser und hochgepriesener Mann?“

Ich bin schon bereit zur Teilnahme an diesem Kampf!“ Aber weißt du auch,“ sagte ich, „von wem nach meiner Ansicht dieses Wort stammt, es sei gerecht, den Freunden zu nützen, den Feinden zu schaden?" „Nun, von wem pu „Ich möchte glauben, es sei von Periandros oder von Perdikkas oder Xerxes oder Ismenias aus Theben oder von einem andern Reichen, der sich für hochgewaltig hälti“ ,,Sehr wahr geredeti"


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zu ernten; denn er vermeinte, eine großartige Antwort be+ reit zu haben. Doch tat er erst noch, als stritte er darüber, daß ich der Antwortende sein müßte.

Schließlich gab er aber nach und sagte dann: „Darin besteht also des Sokrates Weisheit: er selber will nicht belehren, sondern geht nur bei den andern herum und

lernt, ohne dafür Dank zu sagen!“ : „Daß ich,“ war meine Antwort, „von den andern lerne, damit sagst du die Wahrheit, Thrasymachos; doch wenn du 2 sagst, ich wisse nicht zu danken, das lügst du. Denn ich danke, so gut ich nur kann, wenn auch nur mit Anerkennung; Geld hab' ich eben nicht. Und wie bereit ich dazu bin, sowie ich meine, daß einer gut geredet habe, sollst du sofort in der Tat erfahren, wenn du geantwortet hast. Denn daß du gut reden wirst, nehme ich an." „So höre denn! — Ich sage nämlich: die Gerechtigkeit ist : weiter nichts als der Vorteil des Stärkeren! Doch wo bleibt " dein Lob? Ah, nun willst du nicht loben ?"

„Erst will ich doch auch verstehen, was du meinst; jetzt weiß ich es ja noch nicht. Denn des Stärkeren Vorteil, i sagst du, sei Gerechtigkeit; und was willst du, Thrasymachos, damit eigentlich sagen? Du meinst es doch nicht etwa so: wenn Polydamas, der Pankratiast11, stärker ist als wir, und wenn ihm Ochsenfleisch für seinen Körper Vorteil bringt, so : muß diese Nahrung auch für uns, die wir ihm an Kraft unterlegen sind, gerade so vorteilhaft sein? Denn das wäre ge

recht : „Abscheulich bist du doch, Sokrates! So mißdeutest du nur, : um meinem Satz übel mitzuspielen!“ „Keineswegs, mein Bester! Drücke nur deutlicher aus, wie du es meinst!“ „Dann also: du weißt doch, daß die Staaten teils von Tyrannen, teils von der Demokratie, teils von der Aristokratie beherrscht werden ? „Wie sollt ich nicht zu


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glaube, wir sagen doch nur dem Wortlaut nach so: der Arzt, der ,Rechner, der Schreiber hat sich geirrt. Aber insofern ein jeder von diesen der ist, für den wir ihn ausgeben, kann keiner jemals irren. So irrt sich, genau betrachtet, - denn auch du bist ein Wortfuchser – kein einziger Meister, der sein Geschäft betreibt; denn geht sein Wissen aus, so irrt er eben als irrendes Wesen, worin er nicht Meister ist. So irrt kein Meister, kein Gelehrter, kein Herrscher als solcher, wenn man auch schlechthin so sagt, der Arzt oder der Herrscher hätten sich geirrt. Drum nimm das als meine Antwort an: ganz genau betrachtet kann der Herrscher, insofern er tatsächlich Herrscher ist, nicht irren, da er als solcher nicht irrt, kann er nur das Beste für seine Person anordnen; ausführen muß es der Untertan; und wie ich von Anfang an sagte: gerecht ist, — tun, was des Stärkeren Vorteil ist.“ „Sei's drum, Thrasymachos! ... Also du meinst, ich sei ein hinterlistiger Aufpasser ?" „Durch und durch!“ „Und meinst, ich wollte beim Gespräche Fallen legen und habe dir meine Fragen aus reiner Bosheit vorgelegt?“ „Recht gut weiß ich's! Aber doch soll es dir nichts mehr nützen. Denn weder kann mir deine Bosheit entgehen, noch sollst du mich offen mit Gründen zwingen!“ „Ich würd es auch gar nicht erst versuchen, du Glücklicher! Aber damit uns etwas, wie das eben, nicht wieder vorkomme, so bestimme deutlich, wen du unter dem ,Herrscher und dem Stärkeren' verstehst: wen man im landläufigen Sinne dafür bezeichnet, oder einen, von dem du vorhin in genau genommenem Sinne' sprachst, zu dessen Vorteil — er ist ja der Stärkere! — der Schwächere handeln muß, wenn er gerecht sein soll?" „Den, der im genau genommenen Sinne Herrscher ist! Gegen diesen Satz spiele du nur den Boshaften und Aufpasser, wenn du kannst; gar keine Rücksicht bitt ich mir von dir aus. Doch wirst du schwerlich Erfolg damit haben" „Ja, glaubst du denn, ich sei so rasend, den Löwen scheren' 19 zu wollen und einem Thrasymachos aufzupassen ?" „Versucht hast du es allerdings vorhin! Und bist doch auch hierin unbedeutend genug!" „Genug von dieser Sorte! Lieber sage mir: der Arzt in genau genommenem Sinne, von dem du eben sprachst, ist der ein Geschäftsmann oder ein Krankenpfleger? — Daß du mir jetzt aber nur von dem Arzt im eigentlichsten Sinne redest!" „Ein Krankenpfleger!“ „Und weiter, der Steuermann? ... Ist der richtige Steuermann der Befehlshaber der Seeleute oder ein einfacher Seemann?" „Ein Befehlshaber!" „Man darf also nicht den Nebengedanken dabei hegen, daß er auch zur See fährt; deshalb braucht man ihn nicht Seemann zu heißen; er heißt ja auch nicht, weil er fährt, Steuermann, sondern nach seiner Kunst, und weil er der Befehlshaber der Seeleute ist!" „Ganz recht!" „Gibt es nun nicht für einen jeden von diesen Leuten etwas, das ihnen Vorteil bringt?" „Natürlich" „Ist denn nicht auch die Kunst von Natur dazu bestimmt, zu suchen und zu beschaffen, was eines jeden Vorteil ist ? „Eben dazu!" ,,Gibt es aber nicht auch für die einzelne Kunst wieder etwas, das ihr Vorteil bringt, oder genügt es, daß sie in sich möglichst vollendet sei?“ „Wie meinst du diese Frage ?" „So: du könntest mich etwa fragen, ob es dein Körper genüge, eben Körper zu sein, oder ob er noch etwas bedürfe, und meine Antwort wäre dann: ,Natürlich hat er noch anderes nötig! Denn darum konnte ja auch die Kunst der Ärzte nur erfunden werden, weil der Körper wenig taugte, weil es ihm nicht genügte, Körper an und für sich zu sein. Daß sie ihm verschaffe, was ihm vorteilhaft ist, dazu wurde die Heilkunst geschaffen.' Meinst du, ich habe recht mit meinen Worten oder nicht?“


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dient, und so ist es in staatlichen wie in bürgerlichen Ämtern! Meinst du denn, die Herrscher in den Staaten, die wahrhaften Herrscher, übten aus freien Stücken ihr Herrscheramt aus?"

Bei Zeus! Daran zweifle ich doch nicht im geringsten!" I „Aber wie, Thrasymachos? denkst du nicht an gewisse Ämter,

die kein Mensch freiwillig übernehmen will? Alle verlangen Bezahlung dafür, da nur für die Untergebenen aus diesen gebietenden Ämtern ein Nutzen erwachsen könne! Jetzt sage mir nur noch soviel: glauben wir nicht, daß jede í einzelne Kunst sich dadurch von anderen unterscheide, daß

sie über ganz verschiedene Kräfte verfügt? Aber antworte mir, du Glücklicher, ja nicht gegen deine Überzeugung;

sonst kommen wir zu keinem Ziele!“ a „Aber gewiß! Darin liegt ihr Unterschied." - „Nicht wahr, auch bietet uns jede Kunst ihren eigenartigen

Nutzen, und nicht etwa einen, wie ihn alle bieten! So wie

die Heilkunst Gesundheit, die Steuerkunst Sicherheit bei der - Schiffahrt bietet und so fort, eine jede ihren eigenen ?"

,,Ganz gewiß!" * „Und die Erwerbskunst den Erwerb ? Das ist ja wohl

ihr Zweck? – Oder gilt dir die Heilkunst als dasselbe wie

die Steuerkunst? Oder falls du bei der Unterscheidung genau .. vorgehen willst, nach deiner Absicht, sage: wenn jemand,

der sich als Steuermann betätigt, gesund wird, weil ihm die Seefahrt wohl bekommt, bezeichnest du deshalb seine Kunst als Heilkunst ?" „Durchaus nicht!" „Und wohl ebensowenig die Erwerbskunst, auch wenn einer, der durch sie erwirbt, gesund wird ?" „Sie ebensowenig!“ „Doch umgekehrt, die Heilkunst nennst du Erwerbskunst, wenn ein Arzt durch sie erwirbt?“ „Nein!“ „Nicht wahr, wir waren uns einig über die Eigenart des Nutzens jeglicher Kunst?“


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Aus diesen Gründen müssen alle, die zur Herrschaft bereit sind, Belohnung in Geld oder Ehre erhalten, oder aber, falls sie nicht bereit sind, Bestrafung !"

TIE verstehst du das, Sokrates ? « fragte hier Glaukon.

„Das von den beiden Lohnarten verstehe ich wohl; doch was du mit der Strafe meinst, und auch deine Art, wie du sie mit der Belohnung in einem Atem nennst, das hab'

ich nicht begriffen!" # „So kennst du eben die Belohnung der Besten nicht, der zu

liebe die ansehnlichsten Männer sich zur Übernahme der Herrschaft'entschließen! Aber solltest du nicht wissen, daß Ehr- und Geldsucht als schändlich gelten und auch schåndlich sind ?" Gewiß!" „Ebendarum wollen die Guten weder um Geld noch um Ehre ein Herrscheramt übernehmen. Denn sie möchten sich nicht Mietlinge nennen hören, die sich offenkundig für ihr Herrschertum bezahlen lassen, noch auch Diebe, wenn sie heimlich, pochend auf ihre Amtsgewalt, sich ihren Lohn selber holten!

Auch nicht um der Ehre willen; sie sind ja nicht ehrsüchtig. e Folglich muß man für sie einen Zwang und ein Strafmittel

wissen, wenn sie sich zur Herrschaft entschließen sollen. Und aus diesem Grunde scheint es von jeher schimpflich genannt worden zu sein, wenn man sich aus freien Stücken zur Herrschaft drängt und nicht die Nötigung dazu abwartet. Doch der Strafen größte ist die: sich von einem Schlechteren beherrscht zu wissen, wenn man selbst nicht herrschen will. Aus Furcht davor scheinen mir die Guten, wenn sie regieren, die Herrschaft zu übernehmen, und deshalb entschlie

Ben sie sich zu diesem Schritte, nicht im Wahne, sie erlangten nun ein großes Gut oder es ginge ihnen dabei besonders wohl, neinl sie erdulden das bittere Müssen nur, weil es keinen

Besseren und Gleichgesinnten gibt, dem sie sich anvertrauen 1 könnten.

33 Denn offenbar: wenn es einen Staat von lauter guten Bürgern gäbe, so entstünde in ihm derselbe Wettkampf um das


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,,Während der Schlechte und Bildungslose alle übertreffen will, wer seinesgleichen und auch wer ganz anderer Art ist?“ ,,So hat es den Anschein!" „Nicht wahr, Thrasymachos: uns gilt der Ungerechte als der, der sich vor seinesgleichen und nichtseinesgleichen in Vorteil setzt? Oder sagtest du nicht so ?" „Freilich!" Während sich der Gerechte vor seinesgleichen nicht in Vorteil setzen will, nur vor dem ihm Unähnlichen ?"

„So gleicht denn der Gerechte dem Wissenden und Guten; der Ungerechte dem Schlechten und Unwissenden!“ „Darauf kommt es wohl hinaus!" „Aber wir waren uns doch auch einig, daß ein jeder dem gleiche, mit dem er gleiche Eigenschaften habe ?" „Das waren wir" „Also hat sich für uns der Gerechte als gut und wissend, der Ungerechte als ungebildet und schlecht herausgestellt!“

HRASYMACHOS war nun mit allem dem einverstanden;

nicht so leicht freilich, wie es jetzt beim Erzählen scheint, sondern mit Widerstreben und Müh', er schwitzte erstaunlich dabei, zumal es gerade Sommer war. Damals sah ich auch zum ersten Male, noch nie vorher, wie Thrasymachos errötete. Nachdem wir also endlich einig darüber waren, daß die Gerechtigkeit Tugend sei und Wissen, Ungerechtigkeit Schlechtigkeit und Unwissenheit, fuhr ich fort: „Nun denn, so mag uns das als Satz gelten! Jedoch, sagten wir nicht auch, die Ungerechtigkeit sei etwas --Starkes? Oder erinnerst du dich nicht mehr, Thrasymachos ?" ,,Doch, gewiß! Aber mir können nicht einmal deine Worte von vorhin zusagen, und noch so manches hätt ich auf dem Herzen. Öffnete ich aber nur den Mund, gleich würdest du

ich bin überzeugt! sagen, ich hielte eine Volksrede. Drum laß mich entweder vorbringen, was ich will, oder aber wenn du fragen willst, so frage nur! Ich werde dir dann wie alten Weibern, die Märchen erzählen, nur mein: schön, schön! zurufen und ja und nein nicken!" „Nein! Ja nicht gegen deine Überzeugung!" „Daß es eben dir zusagt; du lässest mich ja doch nicht reden! Und was willst du noch weiter?" „Nichts, bei Zeus! Tu, was du nicht lassen kannst; ich werde fragen!“ „Beginne denn!“


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„Meinetwegen!" „Doch wahrlich! Unglücklichsein bringt keinen Gewinn, aber Glücklichsein!" Warum auch nicht?“ „So ist denn, du glücklicher Thrasymachos, die Ungerecktigkeit niemals gewinnreicher denn die Gerechtigkeit" „Das müßte dir eigentlich, Sokrates, an den Bendideen 13 ais Festmahl aufgetischt werden!“ „Ja, und zwar von dir, Thrasymachos, wo du jetzt so santmütig zu mir wurdest und nicht mehr grollst! – Jetzt hab ich allerdings keine gute Bewirtung erfahren; durch meint nicht durch deine Schuld! Ja, wie ein Feinschmecker komme ich mir vor, der von jeder herumgereichten Speise hastig ein wenig wegnimmt und davon kostet, noch eh' er die vorige eigentlich versucht hat! So auch ich: noch hatte ic' die Lösung unserer ersten Frage nicht ermittelt,

nach der Wesen der Gerechtigkeit, als ich auch schon von ihr abließ, um mich auf die nächste zu stürzen: ist Gerechtigke Schlechtigkeit und Unwissenheit oder Wissen und Vortref lichkeit? Und kaum fiel später das Wort: die Ungerechtig

. keit bringe mehr Gewinn denn die Gerechtigkeit, da konnt' ic mich nicht enthalten, auch jener Frage untreu zu werden un mich zu dieser zu wenden. Und als Erfolg des Gespräche : ist mir nichts erwachsen als das, daß ich

nichts weil Denn wenn ich nicht weiß, was die Gerechtigkeit ist, weri ich auch kaum erfahren, ob sie eine Tugend ist, ob nich. auch das nicht: ob, wer sie besitzt, unglücklich oder glück lich ist!“ ..


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bohrt, wenn ich Thrasymachos und die Tausende von anderen höre; aber eine Verteidigung der Gerechtigkeit, daß sie besser sei als die Ungerechtigkeit, hab' ich noch nie nach meinem Wunsche gehört. Und mein Wunsch ist: sie um ihrer selbst willen verherrlicht zu hören; das vernähme ich am liebsten durch deinen Mund! Darum will ich loslegen und eine Rede zum Lob des ungerechten Lebens halten, um dir zu zeigen, wie ich von dir gerne die Ungerechtigkeit getadelt, die Gerechtigkeit gepriesen hörte. --- Doch sieh zu, ob du mit diesem Vorschlag einverstanden sein kannst!" „Ganz und gar! Denn was könnt es herzerfreuenderés geben für den Klugen, als davon oft zu reden, oft zu hören?" „Sehr schön gesagt! Und nun vernimm gleich einiges über das Thema, das ich an die Spitze des Programms stellte: Über Wesen und Herkunft der Gerechtigkeit. Es heißt ja allgemein, Unrecht tun sei von Natur ein Gut, Unrecht leiden ein Übel, und dabei überträfen die Nachteile des letzteren reichlich die Vorteile des ersteren. Wenn nun - so heißt es - die Menschen genügend Unrecht zugefügt * und erlitten und von beidem den Genuß gehabt haben, so

scheint es denen, die dem einen nicht entrinnen, zum andern nicht gelangen können, vorteilhaft zu sein, miteinander einen Vertrag zu schließen, nach dem man kein Unrecht mehr zufügen dürfe, noch auch zu erleiden habe. Und das wäre nun der Zeitpunkt, wo man Gesetze gibt und Verträge schließt

und dieses Gesetzesgebot ,Gesetzlichkeit und Gerechtigkeit * benamst.

Das sei dann die Geburt der Gerechtigkeit und ihr Wesen; Þein Mittelding zwischen dem höchsten Gut, das den unrecht

Handelnden straflos ausgehen läßt, und dem schlimmsten Übel, das den Geschädigten zur Rache ohnmächtig macht! Da werde denn die Gerechtigkeit als Mittel zwischen beiden gerne gesehen, nicht als ein Gut, nein, man schätzt sie aus Schwachheit im Unrechttun. Denn wer die Macht zum Unrechttun

49 hat und ein rechter Mann ist, wird sich doch keinem anderen verpflichten gegen Unrechttun und Unrechtleiden; von Sinnen müßt er ja sein. Hier hättest du also, Sokrates, die Natur der Gerechtigkeit, und so ist ihr Wesen, so auch ihr Ursprung nach der landläufigen Ansicht. Aber auch wer gerecht ist, ist es nur gezwungen, aus Ohnmacht zum Unrechttun! Das könnten wir am leichtesten an folgender Überlegung erkennen: geben wir jedem, dem Gerechten und Ungerechten, völlige Freiheit zu tun, was er nur will, und wir werden ihre Schritte begleiten und zusehen, wohin einen jeden sein Begehren führe. Da könnten wir auf frischer Spur den Gerechten ertappen, wie er denselben Weg wie der Ungerechte ginge, in gleicher Gier nach Macht; denn sie als ein Gut zu erjagen, dazu ist jede Kreatur von Natur geschaffen, und nur durch das Gesetz wird sie gewaltsam zur Anerkennung der Gerechtigkeit gebracht. Eine völlige Freiheit, an die ich soeben dachte, hätten jene beiden wohl so am ausgiebigsten, wenn sie über eine Macht verfügten, wie sie etwa Gyges', des Lyders, Vorfahr1 besessen haben soll, der sich gerade bei dem damaligen Herrscher von Lydien als Hirt im Dienste befand, als ein schreckliches Gewitter und Erdbeben entstand. Die Erde vor ihm barst. und wo er eben weidete, gähnt ihm ein Schlund entgegen.


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„Sagt denn das Sprichwort nicht: „Ein Bruder helfe dem andern?' Drum komme du ihm nur zu Hilfe, wenn er eine Lücke ließ! — Und doch, schon was er vorgebracht hat, mag genügen, um mich auf den Boden zu ringen und ohnmächtig zu machen, der Gerechtigkeit beizuspringen!" Aber Adeimantos versetzte: „Nichts bedeutet das, gar nichts! Doch erst høre noch mich an; denn wir müssen doch auch das Gegenstück zu seinen Gründen durchgehen, die Einwände der Lobredner der Gerechtigkeit und der Tadler der Ungerechtigkeit; dann wird noch deutlicher beleuchtet werden, was Glaukon meiner Ansicht nach sagen will. Väter ermahnen wohl ihre Söhne, und alle, die sich um andere zu kümmern haben, sagen, man müsse gerecht sein; und doch empfehlen sie damit weniger die Gerechtigkeit an und für sich, als das gute Ansehen, das aus ihr erwächst, damit dem, der gerecht zu sein scheint, aus seinem Rufe Amt und Würde und vornehme Heirat zufalle und all das, was Glaukon aufgezählt hat, wozu der Ungerechte gelangt - nur dank seinem äußerlichen guten Ansehen! Und in noch weiteren Grenzen reden sie von den Folgen des Rufes: die Achtung der Götter führen sie ins Gefecht und können dabei überreiche Gaben aufzählen, die den Frommen die Seligen verleihen, wie es ja auch der biedere Hesiodos und selbst Homeros bestätigt. Sagt doch jener, die Götter lieben die Eichen für die Gerechten wachsen:

Voll von Eicheln die Krone, und Bienen schwärmen im Stamme;

Zottige Schafe dazu, kaum tragend die Menge der Wolle; und noch von vielem anderem Guten redet er im Anschlusse daran. Ähnlich auch Homeros, der rühmt:

... wie ein trefflicher Herrscher, den Göttern ähnlich, Schutz der Gerechtigkeit leiht; ihm zeugt die schwärzliche Erde Weizen und Gerste in Menge, von Früchten die Bäume brechen,

Fleißig werfen die Schafe, und Fische gewähren die Fluten“. Und gar Musaios und sein Sohn lassen den Gerechten noch kindlichere Güter als diese von den Göttern geschenkt werden:


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So und vielleicht auch noch weiter, Sokrates, würde sich Thrasymachos und wohl manch anderer über Gerechtigkeit

und Ungerechtigkeit äußern und beide Begriffe ganz auf den : Kopf stellen, recht plump, wie ich glaube.

Aber ich, ich habe nur es ist ja nicht nötig, dir das

zu verbergen! -- aus Begierde, von dir das Gegenteil zu : hören, unsere Rede nach Kräften so weit hinausgezogen.

Also zeige du uns nicht nur, daß die Gerechtigkeit besser ist denn die Ungerechtigkeit, sondern wie die Wirkung beider im Menschen sein muß, daß sie an und für sich schon teils ein Übel, teils ein Gut sind. Die allgemeine Meinung laß, wie schon Glaukon wünschte, nur ganz beiseite. Denn hier wie dort darfst du nur an den falschen, nicht an den wahren Ruf des Gerechten und Ungerechten beim Volke denken;

sonst werden wir sagen müssen, du lobest nicht die Geí rechtigkeit an sich, sondern ihren Schein, und tadelst nicht

die Ungerechtigkeit, sondern -- ihren Schein, du wollest dazu ermuntern, im Verborgenen Unrecht zu tun und sähest mit Thrasymachos in der Gerechtigkeit ein ,Gut für den anderen', den Vorteil des Stärkeren, in der Ungerechtigkeit den eigenen Vorteil und Nutzen, den Nachteil des Schwächeren! Da du denn zugegeben hast, daß die Gerechtigkeit zu jenen größten Gütern gehöre, deren Besitz auch ihrer Folgen wegen sich lohne, noch weit mehr aber um ihrer selbst willen

wie Gesicht, Gehör, Verstand, Gesundheit und alle andern Güter, die durch ihre eigene Natur, nicht durch den Schein bedingt sind –, so lobe du auch das an der Gerechtigkeit, wodurch sie an und für sich dem Menschen nützt, und sage, wodurch die Ungerechtigkeit ihm schade. Doch das Lob ihres Lohnes und ihres Ansehens überlasse andern! Denn von ihnen in dieser Weise die Gerechtigkeit loben, die Ungerechtigkeit tadeln zu hören, wie sie die öffentliche Meinung über sie und ihren Lohn verherrlichten und schmähten, wäre mir noch erträglich, doch von dir könnľ ich es


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Das zweite ist sicherlich die Wohnungs-, das dritte die Kleidungsfrage, und was ähnliche Fragen mehr sind ?« So ist es!" Doch weiter! Wie wird der Staat der Befriedigung so ES

Großer Bedürfnisse gewachsen sein? Etwa nicht so, daß der 22

:ine Landmann, der andere Zimmermann, der nächste wieder Neber wird? – Auch den Schuster können wir ihnen beiügen und manchen andern, dem die Sorge um das leibliche Vohl zukommt, ... nicht?“ Ganz gewiß!“ Also bestände der notdürftigste Staat aus einigen vier oder ünf Männern?" So scheint es!“

Aber nun weiter! Muß jeder einzelne von ihnen seine girbeitskraft allen gemeinsam zur Verfügung stellen? Also hea laß etwa der Landmann allein Nahrung für vier mit einem ierfachen Aufwand von Zeit und Mühe beschaffen und sie mit

len andern teilen müßte? lieder braucht er sich darum nicht zu kümmern und soll er s bennur für sich den vierten Teil des genannten Nahrungsvorrats m vierten Teile seiner Zeit beschaffen und die andern drei "eitteile darauf verwenden, sein Haus zu bauen, sich Mantel ind Schuhwerk herzustellen, ohne sich die Mühe zu machen,

uch den andern davon mitzuteilen? Soll er mit seiner Arbeit wa hur für seine Sache sorgen?" 1 Ind Adeimantos sagte:

Ja, Sokrates, das erstere ist wohl leichter als das letztere."

Und wäre, bei Zeus, auch gar nicht so töricht! Denn über inea Veinen Worten kam mir in den Sinn, daß erstens der einzelne I des Mensch dem andern von Natur nicht völlig gleich, sondern

erschieden von ihm ist, der eine eignet sich zu dieser, der

ndere zu jener Arbeit. — Oder meinst du nicht?“ Bed GewiB 1" und Doch weiter! Würde der einzelne Schöneres zustande bringen,

venn er sich mit vielen Künsten oder mit nur einer befaßte?“

65 „Natürlich, wenn nur mit einer einzelnen!" „Aber, glaub' ich, auch das dürfte klar sein: wenn man den richtigen Augenblick zu einer Arbeit versäumt, so ist sie wertlos ? ,,Offenbarl" „Denn eine Arbeit kann nicht erst warten, bis es dem Arbeiter gefällig ist, sondern er muß dem Werk abwarten und zwar nicht wie einer Nebensachel“ „Notwendig!" „Und in der Folge fällt alles reichlicher und schöner aus und glückt rascher, wenn ein einzelner etwas seiner Anlage entsprechend im richtigen Augenblick ausführt, ohne sich mit andern Arbeiten abzugeben!“ „Auf alle Fälle, ja!“ „So wären aber, Adeimantos, doch mehr als nur vier Bürger zur Erfüllung der genannten Bedürfnisse nötig? Denn ein Landmann wird sich offenbar nicht eigenhändig seinen Pflug herstellen, wenn er wirklich taugen soll, so wenig wie Hacke und die andern zur Landwirtschaft nötigen Werkzeuge. Und ähnlich ist es mit dem Zimmermann; auch er hat viel nötig; ebenso der Weber und Schuster!" „Richtig!" „Doch wenn nun Schneider und andere Handwerker Bürger unseres Stätchens werden, wird es schon volkreicher werden!“ „Ja, dann gewißl" „Aber freilich, was ein richtiger, großer Staat heißen will, ist es noch nicht, nicht einmal, wenn wir die anderen noch mit Viehhirten und Pferdehütern vermehrten, damit sie den Landleuten beim Pflügen Ochsen lieferten, ebenso den Zimmerleuten zum Transport Gespanne, den Webern und Schustern Felle und Wolle!" „Doch auch nicht gar klein wäre der Staat, der über alles das verfügte!" „Aber den Staat in einer Gegend zu gründen, wo er keine Einfuhr nötig hat, das wäre doch fast unmöglich?"


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leicht ist sie im gegenseitigen Bedürfnis dieser Leute selbst zu suchen?" „Nun, vielleicht hast du nicht unrecht. Man muß es eben untersuchen und nicht müde werden dabei. Vor allem laß uns zusehen, auf welche Weise die Menschen leben, die sich So, wie wir beschrieben, eingerichtet haben! Nicht wahr, Nah

rung und Wein werden sie herstellen, Kleider und Schuhe 1: fertigen, Häuser bauen, sommers werden sie meistenteils s nackt und barfuß arbeiten, winters aber warm gekleidet und

mit gutem Schuhwerk? Und nähren werden sie sich mit

Gerstengraupe und Weizenmehl, die sie kochen, und das sie Trösten, mit ordentlichen Kuchen und Brotlaiben, die sie auf

Rohrhorden oder auf saubere Blätter legen, sie selbst strekiš ken sich auf ihr Lager von Taxus und Myrthen, lassen sich's

wohl sein mit ihren Kindern, trinken Wein dazu, bekränzen e sich und singen Loblieder auf die Götter, liegen in süßer

Lust beieinander, zeugen aber nicht mehr Nachkommen, als The ihrem Vermögen entsprechen; aus weiser Furcht vor Armut a

und Krieg?"

Da erwiderte Glaukon: si „Aber deine Männer schmausen ja allem Anschein nach ohne

Zukost" Die „Wahrhaftig! das vergaß ich ganz, daß sie auch die haben

müssen! Natürlich werden sie auch Salz und Oliven und Käse, auch Wurzel- und Krautgemüse, eben Dinge, wie sie das Feld für die Küche liefern kann, kochen! Felderbsen und Bohnen wollen wir ihnen vorsetzen, und Myrthen und Eicheln sollen sie sich am Feuer rösten,- dazu dann einen mäßigen Schluck zu trinken! - So verbringen sie ihr Leben in Frieden, stets gesund – wie ja zu erwarten! — werden alt und überliefern ein ähnliches Leben ihren Nachkommen!“ Doch Glaukon sprach: „Aber, Sokrates,

angenommen, du hättest einen Staat von - Schweinen einzurichten, was würdest du ihnen anderes zum Fressen vorwerfen als diese Dinge?"


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„Freilich, genau so!“ „Also, Freund, brauchen wir einen noch größeren Staat, der nicht um weniges, nein, um ein ganzes Heer größer sein muß, das ausziehen und zum Schutze unserer ganzen Habe und alles dessen, was wir vorhin aufzählten, mit den Feinden Schlachten ausfechten kann!" „Aber höre: sind die Bürger denn nicht Mannes genug ?" „Nein, falls wir, du und wir alle, richtigerweise über etwas uns einig waren, als wir den Staat entstehen ließen; wir hatten uns nämlich darüber geeinigt, wenn du noch weißt, daß ein einzelner unmöglich vielen Künsten nachkommen könne."... „Richtig!" „Und nun? Meinst du nicht, der Kampf, der zum Kriege gehört, sei auch Gegenstand einer Kunst?“ ,,Sicher!" „Muß man denn nun etwa um die Kunst der Walker mehr besorgt sein als um die Kriegskunst?“ „Keinesfalls!" „Aber wir wollten doch den Walker davon abhalten, zugleich auch mit Landbau oder Weberei oder Häuserbau sich zu versuchen, damit der Erfolg der Walkerei gut ausfiele? Und auch von den andern teilten wir jedem einzelnen ebenso nur eine Aufgabe zu, die, für die er sich seiner Anlage nach am besten eignete, und der er sich ohne um die andern sich zu kümmern sein ganzes Leben lang widmen sollte, so daß er nie den rechten Augenblick verpasse, seine Kunst richtig auszuüben! Haben aber die Aufgaben der Kriegsführung nicht auch die allerhöchste Bedeutung, wenn sie richtig erfüllt werden? Oder sind sie so leicht, daß auch jeder beliebige Bauer oder ein Walker, oder wer sonst ein Handwerk betreibt, zugleich Krieger werden könnte? Und doch kann sogar keiner ein guter Wettspieler oder Würfler werden, der sich mit dieser Kunst nicht von Jugend an abgibt, der sie nur so nebenbei betreibt!


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Uranos vollführt, und wieder, wie Kronos sich an ihm gerächt habe. Und wahrlich, die Taten des Kronos und die Leiden, die er durch seinen Sohn erduldete, sollten nach meiner Ansicht, nicht einmal wenn sie auf Wahrheit beruhten, so leichtfertig an törichte und unreife Menschen weitererzählt, vielmehr verschwiegen werden. Und wenn man sie erzählen müßte, sollten sie nur ganz wenige als ein Geheimnis hören dürfen; und diese erst, wenn sie ein großes und schwer zu beschaffendes Opfer, nicht etwa bloß ein Ferkel 18 dargebracht hätten, damit es möglichst wenigen gelänge, sie zu hören.“ „Freilich, das sind auch recht gefährliche Geschichten!“... „Die in unserm Staate, Adeimantos, nicht erzählt werden dürfen, ebensowenig wie man einem jungen Manne so, daß er es hören könnte, sagen darf, daß er mit dem größten Frevet gar nichts Verwunderliches beginge, selbst nicht, wenn er seinen Vater, der ihm Unrecht zufügte, auf alle Weise züchtigte, vielmehr beginge er damit gar nichts anderes, als was auch die ersten und größten Götter." „Nein, bei Zeus! auch ich hielte eine solche Rede für hochst unpassend.“ „Und überhaupt auch davon darf nichts verlauten, daß Götter mit Göttern Krieg führten und ihnen nachstellten und

einander bekämpften, - es ist ja auch gar nicht wahr! wenn wir wirklich wünschen, daß unsere künftigen Staats

wächter es für die größte Schande halten, sich untereinander leichthin zu verfeinden. Weit entfernt also, daß man ihnen Gigantenschlachten schildern und ausmalen dürfte oder die vielen und mancherlei

anderen Feindschaften zwischen Göttern, Heroen und ihren 1. Verwandten und Angehörigen. Nein, wenn wir sie überzeugen wollen, daß noch nie ein

Bürger mit dem andern sich verfeindet habe, und daß das nicht fromm wäre, so müssen Greise und Greisinnen und

überhaupt ältere Leute weit eher vor den Kindern von vornherein auch Reden solchen Inhalts führen, und die Dichter muß


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kleine Kinder nicht einschüchtern mit solch üblen Reden: manche Götter gingen des Nachts umher, vielen und allen

möglichen Fremden gleichend17; denn damit lästern sie nur * die Götter und machen ihre Kinder mit Gewalt zu Feig

lingen!“ „Nein, das sollen sie nicht?“

wenn die Götter sich selbst nicht verwandeln können, hätten sie vielleicht nicht doch die Macht, in verschiedenen Trugbildern zu erscheinen, indem sie Betrug und Zauberkünste anwenden?" „Vielleicht!“ „Doch – kann uns denn ein Gott mit Wort oder Tat betrügen, uns ein Trugbild vorgaukeln wollen ?"

„Ich weiß es nicht.“ ... E „Wie, du solltest nicht wissen, daß die wahre' Lüge (wenn

man so sagen könnte!) allen Göttern und Menschen verhabt ist?" „Wie meinst du das ?" „So: niemand will mit seinem eigensten Wesen und über

sein eigenstes Wesen lügen, sondern, wenn vor irgend etwas, in so scheut er sich davor, die Lüge hier zu beherbergen!“

„Auch jetzt verstehe ich es noch nicht.“... it „Du bildest dir eben ein, ich sage etwas ganz Tiefsinniges!

Und doch will ich nur sagen, daß allen am wenigsten das gefiele, wenn ein Mensch mit Überzeugung gegen die Wahr

heit löge und sich belügen ließe und unwissend wäre und in seiner Seele die Lüge wie ein Besitztum bergel Das wäre doch an einem solchen Menschen besonders zu verab

scheuen ? ,,Ganz besonders !" $ „Also eben das: die Unwissenheit, die in der Seele des Lüg

ners' ruht, dürfte ein wahrhafter' Betrug genannt werden; denn der Inhalt der Worte ist gewissermaßen nur die Nachahmung eines seelischen Erlebnisses, ein späteres Nachbild; jedoch kein reiner Betrug 18. Oder nicht so ?"


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„So werden wir Homeros und die andern Dichter wiederum ersuchen, nicht zu dichten, daß Achilleus, einer Göttin Sohn,

bald auf die Seiten sich legte und bald auf den Rücken, Bald auf das Antlitz hin, dann plötzlich empor sich hebend,

Schweifte am Ufer des Meeres, verworrenen Geistes', ... oder daß er sich erhob und

... rubige Asche mit beiden Händen ergriff, sein

Haupt überstreuend, ... noch auch, daß er in anderer Weise weinte und jammerte; alles das und ähnliches hat ja Homeros dichterisch ver- wertet! Auch darf er von Priamos, der den Göttern so nahe kommt, nicht erzählen, wie er winselnd flehte und

umher im Staube sich wälzte, Jeglichen Mann beim Namen mit jammernder Stimme benennend. Weit eher wollen wir die Dichter bitten, doch ja nicht die Götter zu besingen, wie sie wehklagen und ausrufen:

Wehe mir armer, mir unglückseliger Heldenmutter! Und wenn sie schon von ihnen im Gedichte reden wollen, so mögen sie sich ja nicht unterfangen, den größten aller Götter so unwahr nachzuäffen, daß sie ihn rufen lassen: Wehe dochl einen Geliebten umhergejagt um die Mauer

Seh ich dort mit den Augen; es schmerzt mich bitter im Herzen; oder auch:

Wehe mirwann das Geschick Sarpedon, meinen Geliebten,

Unter Patroklos' Hand, des Menoitiaden mir bändigt! ter Denn, lieber Adeimantos, wenn unsere jungen Leute das

ernsthaft anhören, ohne darüber zu lachen als über unwürdige Erzählungen, so wird sich auch kaum einer, zudem er nur ein gewöhnlicher Sterblicher ist, des gleichen für unwürdig halten; nicht wird er an seine Brust schlagen, wenn ihn ein- mal das Gelüste ankommt, auch so zu reden und zu handeln. Im Gegenteill Ohne Scham, ohne Energie wird er über ge- ringfügige Leiden Klagegesänge und Jammerlaute in Menge hören lassen." Sehr wahr geredet!"


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Arzt oder ein Übender seinem Ringmeister über den Zustand seines Körpers eine Lüge sagt, oder wenn ein Matrose dem Steuermann, dem er über das Schiff und die Bemannung berichten soll, unwahre Angaben macht von seinem eigenen Zustand und dem seiner Kameraden!" „Sehr wahr!“ „Wenn also der Herrscher einen beim Lügen ertappt, irgendeinen von denen, die da

ein Handwerk betreiben, Seher und heilende Arzte und bauverständige Meister, So wird er ihn züchtigen, weil er in den Staat ein Element einführt, das ihn wie ein Fahrzeug umstürzen und zerstören kann!“ „Wenigstens, wenn zum Worte die Tat sich gesellt'gja „Doch ferner! Bedürfen denn unsere jungen Bürger nicht

auch der Besonnenheit?“ E ,Wie anders ?" : „Darin liegt doch wohl die größte Bedeutung der Besonnen

heit für die große Menge: untertan soll sie den Herrschern sein, Herr über sich selbst im Genusse von Wein und Weib,

bei den Freuden des Mahles ? 4 „Ich glaube auch !" 1

,,So können wir Worte schôn heißen, wie sie Diomedes bei Homeros sagt:

Trauter, verhalte dich ruhig und folg' meinem Worte! ; und auch die folgenden Verse:

Stille schritten dahin die mut'gen Achaier, Schweigend, sie fürchteten ihre Gebieter!... und ebenso alles, was dem ähnlich ist pu „Schön!" „Doch weiter, wie steht es damit: Trunkener, der du vom Hunde die Augen, vom Hirsche das

Herz hast! Und wie mit dem Folgenden? Ist das auch schon? Und all die übermütigen Ausdrücke, die sich, nach der


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„Vielleicht! Vielleicht aber auch noch mehr als das! Weiß ich es doch selber noch nicht; nein, wohin die Untersuchung

uns wie ein Wind treibt, dahin muß man gehen!“ et

„Auch damit hast du recht!“ „Betrachte also, Adeimantos, das: müssen unsere Wächter zur Nachahmung geschickt sein oder nicht? Oder schließt sich auch das dem früheren Satz an, nach dem ein einzelner

nur einer Beschäftigung sich widmen darf, aber nicht vielen, 1 und daß er bei dem Versuche, vielerlei anzugreifen, alles 3. verfehlte, ohne auch nur in einem Fache hervorragend zu

werden ?" „Wer möchte daran zweifeln ?" „Und sollte nicht auch dann der gleiche Satz gelten, wenn es sich um die Nachahmung handelt: daß also ein und derselbe Mensch nicht ebensogut vieles nachahmen kann wie etwas einzelnes ?" „Nein, das kann er nicht!" „Kaum wird man also Nennenswertes in einem Beruf erreichen und zugleich vieles nachahmen oder ein guter Nach

ahmer sein können! Können doch nicht einmal zwei Arten - der Nachahmung, die sich aufs engste zu berühren scheinen,

von den gleichen Männern gut ausgeübt werden; man denke nur an die Dichter von Komödien und Tragödien 19! Oder nanntest du diese Dichtarten nicht eben noch Nachahmungen ?" „Gewiß! Und auch damit hast du recht, daß dieselben Männer nicht zu beidem befähigt sind!“ „Und sicherlich sind auch Rhapsoden und Schauspieler nicht die gleichen ?" „Richtig!" „Aber nicht einmal die Schauspieler für Komödie und Tragödie sind dieselben? Obwohl all das ins Gebiet der Nachahmung gehört! Oder nicht?" ,Freilich!" „Und mir will scheinen, Adeimantos, die Natur des Menschen sei in noch viel kleinere Teilchen zerstückelt, so daß


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änderungsfähigkeit auf? Und wer bei seinem Vortrage die nötige Harmonie und den richtigen Rhythmus nicht vergißt, der wird - ist er nur ein guter Redner! — beinahe immer in unveränderter Weise und in derselben Harmonie vortragen - der Spielraum für Abwechslung ist ja gering! und ebenso auch stets im gleichen Rhythmus?" ,,Sicherlich hast du darin recht!" „Doch nun weiter zur zweiten Gattung! Bedarf sie nicht im Gegensatze zur ersten aller Harmonien, aller Rhythmen,

wenn auch sie ihrem besonderen Wesen entsprechend zum : Vortrage gelangen soll? ... Eben weil sie so viele, abwechs- lungsreiche Formen aufzuweisen hat?"

„Ja, gewiß ist dem so!“ „Können denn nun alle Dichter und Vortragskünstler entweder die eine Gattung dieser Ausdrucksweisen verwenden oder die andere oder auch eine dritte, die durch eine Mischung beider zustande kommt?"

,,,Gewiß, schlechterdings!“ : „Doch wie werden wir uns dazu verhalten? Werden wir in

unserem Staat allen dreien den Eingang gestatten oder nur einer der beiden ungemischten Arten? Oder aber der aus beiden gemischten?" ,,Wenn meine Ansicht maßgebend wäre, so ließen wir nur eine der ungemischten zu: die das Ziemliche nachahmt!“ „Aber, Adeimantos, Genuß schafft auch die gemischte Art; doch für Kinder und Erzieher und Volk wäre jene die angenehmste, die das Gegenteil deiner Wahl bildet!“ „Die angenehmste freilich!“ „Aber vielleicht sagst du, diese Art passe nicht in unseren Staat herein, da es bei uns ja auch keine doppelten und vielgeteilten Menschen gebe; denn bei uns habe jeder nur ein Geschäft." „Freilich, dazu wäre sie ganz unpassend.“ „Und in unserm Staate werden wir in einem Schuster nur den Schuster sehen können und nicht außerdem etwa einen


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für den Staat; und die Hirten auf dem Lande haben die einfache Hirtenpfeife!“ „Wenigstens will es unsere Untersuchung so!“ „So führen wir auch keine besondere Neuerung ein, mein Lieber, wenn wir Apollon und seine Instrumente dem Marsyas 24 und seinen Flöten vorziehen!“ ,,Bei Zeus, nein!“ „Da haben wir ja, beim Hund! ganz unvermerkt den Staat, dem wir noch vorhin den Vorwurf der üppigkeit machten, wieder gründlich gesäubert!“ ,,Und das war sehr vernünftig!" „Wohlan denn, machen wir die Reinigung vollkommen! Nächst den Harmonien haben wir die Rhythmen zu untersuchen, wobei wir es aber nicht auf abwechslungsreiche und mannigfache Bewegungen abgesehen haben dürfen; nein, wir müssen darauf achten, welches die Rhythmen sind, die sich für ein geordnetes und mannhaftes Leben ziemen. Und dann müssen wir Takt und Melodie zwingen, diesem Texte sich unterzuordnen; denn auf keinen Fall darf der Text durch die Rücksicht auf Takt und Melodie Einbuße erleiden! Und wie vorhin die Harmonien, so mußt du auch jetzt bestimmen, was für Rhythmen es sein sollen“ „Ja, bei Zeus! das kann ich auch nicht angeben. Freilich, daß es drei Grundformen gibt, aus denen die Taktarten sich zusammensetzen 25 — gerade so, wie es bei den Tonarten vier Grundformen sind, aus denen alle Harmonien entstehen das könnte ich aus eigener Wahrnehmung behaupten. Dagegen, welche das Leben – und dabei fragt es sich erst noch,

, welches Leben! - nachahmen, weiß ich nicht anzugeben.“ „Nun, das können wir schließlich einmal mit Damon 26 beraten, welcher Rhythmus für knechtischen oder übermütigen Sinn, für Raserei und schlechtes Wesen anderer Art sich eignet, und welche Rhythmen dann dem Gegenteil von alledem zuzuweisen sind. Ich glaube ihn gehört zu haben, allerdings undeutlich, wie er von einem zusammengesetzten Enoplios 27,


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wir sie zu verstehen, da wir merkten, daß wir nur so tüch

tige Leser sein könnten.“ 1 „Richtig!" i „Und nicht wahr, auch Abbilder von Buchstaben, die sich

uns etwa im Wasser oder im Spiegel zeigten, können wir

nicht eher deuten, als bis wir die Buchstaben selbst veri stehen; nein, das gehört doch zur gleichen Kunst und ins

gleiche Übungsgebiet?" „Auf alle Fälle, gewiß!“ „So werden wir demnach, wie gesagt - bei den Göttern! auch nicht eher musisch gebildet sein - wir so wenig wie unsere Wächter, die wir erziehen zu müssen glauben – als bis wir die Urbilder der Besonnenheit, Mannhaftigkeit, Freiheit, Hochherzigkeit und alles dessen, was damit verwandt ist, und anderseits auch die ihres Gegenteils, wo es nur vorkommen mag, erkennen und sie in ihrem Aufenthalte ausfindig machen, sie selbst und ihre Abbilder, bis wir sie weder im Kleinen noch im Großen gering achten, sondern verstehen, daß beide ein und demselben Gebiete von Kunst und Übung angehören ?“ „Unbedingt!" „Und nicht wahr, wenn es sich trifft, daß bei einem Menschen eine schöne Seele und zu ihr passend und harmonisierend eine schöne Gestalt sich vereinigten, so daß beide die gleiche Prägung trügen, so wäre das der schönste Anblick für einen, der ihn erschauen dürfte ?" „Keinen schöneren gäb' es!“ „Aber das Schönste ist das Liebenswerteste ?" „Wie anders auch ?" „Und Menschen, die nach dieser Richtung hin möglichst vollkommen sind, liebt der musisch Gebildete? Doch solche, bei denen sich beides widerspricht, liebt er nicht?" „Nein, wenigstens nicht, wenn ihnen in der Seele etwas fehlt! Aber hat nur der Körper Fehler, so könnt er sich überwinden und dennoch zu lieben versuchen!“

113 ,,Oh, ich verstehe schon: du hast oder hattest schon solche Liebschaften! Dann muß ich dir freilich beistimmen! - Aber das sage mir noch: kann es einen Berührungspunkt zwischen überschwenglicher Lust und Besonnenheit geben ?" „Wie wär es möglich? Raubt doch jene so sehr wie Trauer die Besinnung!" „Aber vielleicht zwischen ihr und einer andern Tugend?“ ,,Auch nicht!“ „Doch wie? Berührt sich jene wohl mit Übermut und Zügellosigkeit ? „Damit am meisten!“ „Sage doch, kannst du eine stärkere und erschütterndere Lust nennen als den Liebesgenuß?" ,,Gewiß nicht, und auch keine, die wahnsinniger machtel „Aber das Wesen der richtigen Liebe verlangt doch, daß man nur einen harmonischen und schönen Menschen be sonnen und musisch liebe?" „Sicherlich!“ „So dürfte nichts, was an Wahnsinn oder Zügellosigkeit grenzy


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„Dann empfiehlst du, lieber Freund, auch syrakusanische * Küche und die reiche Abwechslung des sizilischen Nach

tisches 28 nicht? So wäre wenigstens zu erwarten, wenn du mit dem Bisherigen einverstanden bist!“ „Gewiß empfehl' ich sie nicht!“ „Und es findet dann auch deinen Tadel, wenn Männer, die körperlich hervorragend werden wollen, sich mit ,korinthischen Dirnen 29 befreunden?“ „Aber sicherlich!" „Und auch, wenn sie attischem Backwerk, soweit es Leckerei ist, nicht abgeneigt sind ?" „Unbedingt!" „Ja, wenn wir also einen Vergleich anstellten zwischen dieser

genannten Speise- und Lebensweise und der erwähnten * Liederkomposition und jenen Gesängen, in denen alle Ton

arten, alle Rhythmen zur Geltung kommen, wäre dieser Vergleich zutreffend ?" „Wie anders auch ?" „Ja! Denn hat dort die Mannigfaltigkeit nicht Zügellosigkeit erzeugt, hier Krankheit, während die Einfachheit in der Musik : die Seelen besonnen, in der Gymnastik die Körper gesund

machte ?" ,,In aller Wahrheit“ „Und wenn nun Zügellosigkeit und Krankheiten in der Stadt sich mehren, ist dann nicht allenthalben Gerichtssälen und Krankenhäusern Tür und Tor geöffnet, prunkt vielleicht nicht der Beruf der Richter und Ärzte in voller Entfaltung, zumal wenn ihm sogar viele Freie eifrig ihre Teilnahme schenken ?" „Wie könnt es auch anders kommen?" „Könntest du aber je einen besseren Beweis für die schlechte und unwürdige Erziehung in einem Staate finden, als wenn das Bedürfnis nach bedeutenden Ärzten und Richtern sich fühlbar macht nicht nur unter der ungebildeten Menge und im Arbeiterstand, nein! auch unter jenen, die sich etwas darauf zugute tun, eine freie Erziehung genossen zu haben?


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Į „Wohll"

„Anders aber, mein Lieber, der Richter! Er herrscht über die Seele mit seiner Seele, einer Seelė, die weder von Jugend an unter schlechten Seelen erzogen sein und mit ihnen verkehren, noch alle Verbrechen aus eigener Erfahrung kennen gelernt haben darf, also daß sie aus sich selbst scharf die Verbrechen anderer beurteilen könnte; etwa wie der Arzt körperliche Krank

heiten. Vielmehr muß sie unschuldig und unbefleckt schon s von Jugend an allem schlechten Wesen gegenübergestanden

sein, wenn sie, selbst schön und gut, gesunden Blickes das Gerechte beurteilen soll. Darum auch zeigen sich tüchtige junge Leute so einfältig und lassen sich unschwer von den Ungerechten täuschen; fehlen doch ihren Seelen die Vorbilder, die ihnen zeigen könnten, wie es in den Schlechten aussieht!“

,,Wahr schilderst du sie!" € „Danach zu schließen kann nicht ein Junger, nein, nur ein

Greis einen guten Richter abgeben, der spät erst erfahren hat, swas Ungerechtigkeit ist! Und dann hat er sich diese Kennt

nis nicht in seiner eigenen Seele erworben, sondern er hat · sich bemüht, die Ungerechtigkeit in fremden Seelen, als

fremde Eigenschaft, lange Zeit zu beobachten, um das Wesen dieses Übels zu erkennen; sein Studium, nicht das Erlebnis an sich war seine Hilfe.“ „Allem Anschein nach ist solch ein Richter ein edler Mensch ?" „Und dazu ein guter! Das wolltest du ja wissen. Denn wer eine gute Seele in sich trägt, ist selbst gut. Doch jener andere, der Gewandte und Argwohnische, der schon viel Unrecht begangen hat, der Erzschlingel und angebliche Kluge, zeigt eine Gewandtheit im Umgange mit seinesgleichen: er ist wohl auf seiner Hut, weil er sich ihr Wesen an seinem eignen Innern abnehmen kann. Kommt er aber einmal mit guten und ehrwürdigen Männern zusammen, dann erweckt er einen einfältigen Eindruck, weil er zur Unzeit mißtrauisch ist und von unverdorbenem Wesen nichts versteht; dessen Abbild trägt er ja nicht in sich! Doch da er öfters mit Schlechten


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nicht jede Liebe zum Wissen, die sich etwa in ihr fand, jetzt, wo sie nichts zum Lernen oder Forschen, noch auch etwas aus dem Gebiete des Denkens oder der Musik zu kosten bekam, schwach und taub und blind werden? Nichts in ihr wurde ja geweckt und genährt, und ihre Wahrnehmungen

blieben ungeläutert!“ i „Gerade sol"

„Also wird ein solcher, glaub' ich, ein Feind des Denkens und der Muse; aus Vernunftsgründen wird er sich nichts mehr

machen, nur rohe Gewalt und Wildheit macht er überall geli tend wie ein wildes Tier; unwissend und täppisch, ohne

Rhythmus, ohne Anmut verbringt er sein Dasein.“ „So muß es wohl sein" „Dafür, möchť ich sagen, hat ein Gott den Menschen beide

Künste, Musik und Gymnastik, gegeben: zum Streben nach ] Mut und Philosophie; nicht für Seele und Leib, außer etwa

nebenbei, nein, nur für jene ersteren, damit sie sich unter der richtigen An- und Abspannung ihrer Kräfte in gegenseitiger Harmonie verbinden.“ „Ja, so scheint es!“ „Wer demnach Musik und Gymnastik aufs schönste vermengt und sie im besten Maße der Seele zuführt, der ist nach unserer Ansicht dervollendete, harmonisch gebildetste Musiker, weit mehr als jener, der die Saiten richtig stimmt." „Höchstwahrscheinlich, Sokrates!“ ,,So bedürfen wohl auch wir in unserem Staate, Glaukon, immer eines solchen Vorstehers, wenn die Verfassung erhalten bleiben soll?" „Und zwar werden wir seiner in höchstem Maße bedürfen?"

D AS wären Grundzüge der Bildung und Erziehung. Denn

Reigentänze und Jagden und Hetzen und gymnastische Kämpfe und Pferderennen einer solchen Jugend wozu das alles erst einzeln besprechen? Es ist ja ziemlich klar, daß sie mit dem vorhin Besprochenen harmonieren müssen, und es kann jetzt keine Mühe mehr machen, ohne weiteres ihr Wesen zu bestimmen!" „Ja, es ist wohl ganz leicht!“ „Gut dennl welche Frage bleibt uns dann noch offen? – Vielleicht die, wer unter den Bürgern Regent und wer Untertan sein soll?" „Eben diesel“ „Daß die Alten die Regenten sein müssen, denen die Jungen zu gehorchen haben, ist doch wohl unzweifelhaft?“ „Gewiß!“ „Und zwar, daß es die Besten unter ihnen seien ?“ „Auch das!" „Sage: sind nicht die eifrigsten Landwirte die besten ?" „Freilich!“ „Und nun, da wir die besten Wächter kennen müssen, sind es nicht die, die am eifrigsten den Staat bewachen ?" „Freilich!" „Müssen sie zu diesem Zwecke nicht verständig sein und fähige Leute, die auch besorgt sind um den Staat?“ „So ist es!" ,,Ganz besonders ist man doch aber um etwas Geliebtes besorgt?" „Ohne Zweifel!" „Und unsere ganze Liebe schenken wir wohl dem vor allem, von dem wir glauben, sein Nutzen sei auch unser Nutzen und sein Wohlergehen sei auch unser Wohlergehen, und umgekehrt?" „Nicht anders!" „So muß man unter allen Wächtern solche Männer aussondern, die erwiesenermaßen ihr ganzes Leben lang mit aller Lust dem nachkommen, was ihnen einen Vorteil des Staates bedeutet, die sich aber auf alle Weise davor sträuben, zu seinem Nachteile zu handeln ?" „Ja, das sind die richtigen Leute!" „Dann, glaube ich, muß man ihnen fortwährend durch alle


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!! Dem Untergange ist der Staat geweiht, den Eisen oder Erz te bewachen ...

Kennst du ein Mittel, das in ihnen den Glauben an diesen

Mythos wirken könnte ?" . „Nicht im erwachsenen Geschlecht; doch vielleicht in den

Söhnen und ihren und noch späteren Nachkommen!“ „Nun, schon das wäre Gewinn: sie sorgten dann besser für

Staat und Mitmenschen!“ Serie „Ja, ich verstehe schon so ungefähr, was du damit sagen I willst!“

„Gut, auch das wird sich erfüllen, wie der Himmlischen Willen es lenkt! Doch wir wollen nun unsere Erdensöhne

bewaffnen und vorrücken lassen, und ihre Regenten sollen € sie führen! Sie sollen Umschau halten nach dem besten

Lagerort im Staate, wo sie die Einwohner — falls einer den Gesetzen nicht gehorchte! – und den äußeren Feind, falls

er dem Wolfe gleich in die Herde fiele, am leichtesten im Zaum the halten könnten. Sie sollen Lager nehmen, opfern, wem

Opfer gebühren, und sich eine Haltestätte bereiten ... Oder anders?" " „Nein, eben so!"

„Und zwar eine, die winters und sommers genügende Dek9 kung bietet ?

„Natürlich! Du denkst wohl an Behausungen ?" „Gewiß, aber an Soldaten-, keine Kaufmannshäuser!“ „Welchen Unterschied machst du denn zwischen beiden ?" „Ich will es dir zu erklären versuchen: Nicht wahr? Das Allerschrecklichste und Schändlichste, was Hirten begegnen kann, ist: eigene Hunde zu solchen Herdenwächtern dressiert zu haben, die ihrer Wildheit, dem Hunger oder sonst einem bösen Triebe weichend, versuchen, die Schafe zu mißhandeln? die nicht Hunden, sondern Wolfen gleichen ? „Nicht anders" „So muß man mit allen Mitteln zu verhüten suchen, daß sich