Erziehe dein kind wie ein hund rtl

Berlin - Neulich versprach eine RTL-Sendung Eltern Linderung ihrer Erziehungsprobleme mit dem treuesten Begleiter des Menschen: „Train Your Baby Like a Dog – Die Hund-Kind-Methode“. Der zweite Teil des Titels übersetzt den ersten nur unzureichend, eigentlich müsste es ja heißen: „Erzieh dein Kind wie einen Hund“.

Da meine Kinder dem erziehungstauglichen Alter längst entwachsen sind, nahm ich zunächst an, nicht zur Zielgruppe zu gehören, doch die empörten Berichte in zahlreichen Medien machten mich neugierig. Immerhin kann ich ja weiter am Hund herumerziehen. Lotta ist zwar auch schon erwachsen, aber noch nicht so selbstständig und schlau wie meine Töchter.

In der Sendung sichtbar, die Mediathek macht’s möglich, ist sofort das Muster der früheren „Super Nanny“. Das war eine Pädagogin, die in den Jahren 2004 bis 2011 mit viel Geduld und Sendungsbewusstsein in Familien ging und vor laufender Kamera versuchte, Regeln einzuführen. Am neuen RTL-Erziehungsversuch äußerte die damalige Akteurin Kritik. Wenn ich mich recht erinnere, war auch sie umstritten.

Die Hundetrainerin vor der Kamera hat allerdings einen großen Vorteil gegenüber der Menschen-Pädagogin, weil sie Beispiele zeigen kann. Mit zwei Hilfsmitteln – einem Klicker und einer neuen Decke – ging sie in die Familien und zeigte per Video, wie toll diese Dinge bereits bei ihren Hunden wirkten.

Also: Der Hund buddelt nach Mäusen, anstatt brav auf dem Weg zu laufen: Die Trainerin klackert mit ihrem Klicker, er schaut sie kurz an, sie ruft, er kommt. Und erhält eine Belohnung. Das Kind hüpft krakeelend auf dem Bett herum, die Hundetrainerin klickst kurz, ruft, das Mädchen springt auf die Mutter zu und bekommt eine Himbeere. Und so wie der Hund, der die Transportbox fürchtet, mit einer neuen Leckerli-bestückten Decke an sie gewöhnt wird, akzeptiert auch das kleine Mädchen ihren Schlafplatz nach der Hund-Decke-Methode.

Wer sich empört, wenn Hunde und Kinder ähnlich behandelt werden, weiß nicht, wie viel Liebe Hundehalter für ihre Tiere aufbringen können. Und in puncto Erziehung habe ich hier auch etwas gelernt. Ein dreijähriges Kind ist einfachen Zeichen gegenüber aufgeschlossener als ausführlich vorgetragenen Argumenten. Meine Hündin legt wenig Wert auf Begründungen, wenn sie etwas tun oder lassen soll. Zwar lässt sich so mancher Befehl mit einem „Bitte“ verstärken, auch schätzt sie die Wendung „möchtest du“ sehr. Da legt sie immer den Kopf schief. Doch prägnante akustische Signale, die über Worte hinausgehen, findet Lotta besonders toll: das Rascheln einer Tüte, das Sirren der Brotschneidemaschine, das Klimpern des Wohnungsschlüssels.

Das Sendungsmotto umdrehend, praktiziere ich jetzt die Kind-Hund-Methode, also „Erzieh den Hund wie das Kind aus dem Fernsehen“. Ich habe mir einen Klicker angeschafft, den ich klackern lasse, wenn Lotta auf ein Wort angemessen reagiert. Zwar mag sie auch Him- und Blaubeeren, bloß sind die etwas unpraktisch für unterwegs. Ich verwende klassische Hundeleckerli. Dummerweise verheddern sich in meinen Manteltaschen zuweilen Klicker, Wohnungsschlüssel, Kotbeutel und Leckerlidöschen miteinander. Im Fernsehen wurde alternativ zur süßen Belohnung eine Umarmung empfohlen. Hilft bei Hunden nicht.

Panorama Kritik an RTL-Sendung

Veröffentlicht am 31.12.2020

Erziehe dein kind wie ein hund rtl
Erziehe dein kind wie ein hund rtl

Die Kindererziehung stellt viele Eltern auf eine harte Probe. Doch die Ratschläge einiger Erziehungsexperten sind umstritten

Wen sein renitentes Kind überfordert, für den weiß eine Hundetrainerin Rat: Belohnen und Strafen wie bei Bello. Ein Psychiater warnt RTL, die geplante Sendung mit ihr auszustrahlen. Der Sender sagt, alles sei fachlich geprüft, man wolle nur Eltern helfen.

Es klingt eigentlich ganz harmlos, was der TV-Sender RTL über seine neue Familien-Doku „Train your baby like a dog“ (Erziehe dein Kind wie einen Hund) vorab verbreitet: Da gehe es um „positive Verstärkung“ bei der Hilfe zur Kindererziehung, um „tiergestützte Methoden“ und die Suche nach einem Weg aus der „Negativ-Spirale“. Eine Hundetrainerin besucht zwei Familien, die mit ihren Sprösslingen nicht klarkommen, und bringt ihnen ein paar Tricks aus der Hundeerziehung mit.

In einem Podcast wird der Sender deutlicher: Da heißt es, dass eine Tiertrainerin versuchen werde, die „Methodik der konsequenten Erziehung, die sie bei Hunden anwendet, auf den Umgang mit Kindern zu übertragen“.

Was der Sender da beschreibt, sorgt schon vor der Ausstrahlung der ersten Folge für handfesten Ärger. Im Netz findet sich bereits eine Petition, die sich gegen die Sendung ausspricht, die erst am 3. Januar ausgestrahlt werden soll.

Der renommierte Hamburger Kinderpsychiater Michael Schulte-Markwort und der Strafrechtler Gerhard Strate warnen den RTL-Geschäftsführer Jörg Graf eindringlich, die Sendung auszustrahlen. Graf wiederum meint, RTL wollte sich des Themas Erziehung annehmen und habe „bewusst eine provokante These aufgestellt“.

Die beiden Kritiker sehen das ganz anders. „Der Titel dieser Sendung, die wie ein Imperativ daherkommt, widerspricht dem Menschenbild unserer Verfassung“, schreiben Schulte-Markwort und Strate in einem Brief vom 27. Dezember an Graf. Das Kind sei ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit. „Über Ihre diesem Menschenbild widersprechende ,provozierende These’ kann es deshalb keine Diskussion geben“, so die Autoren.

Eine Sendung mit einem solchen Titel, argumentieren die beiden, „verstößt gegen die Menschenwürde und ist ein unzulässiges Angebot“ im Sinne des Staatsvertrags zum Jugendmedienschutz. Sollte RTL darauf bestehen, die Sendung auszustrahlen, die die „Übertragung von Methoden des Hundetrainings auf die Erziehung von Kindern propagiert“, kündigen die Autoren die Einschaltung der Landesmedienanstalt Niedersachsens an. Die Behörde ist für RTL zuständig und kann Aufsichtsmaßnahmen treffen. Dazu gehören Bußgelder, Sperrungen, Widerrufe oder Untersagungen.

„Natürlich“, sagten die beiden Autoren gegenüber WELT, „die Sendung kennen wir nicht, solange sie noch nicht ausgestrahlt ist. Der Titel ist die Entgleisung. Er ist reißerisch und soll hängen bleiben. Diese Intention widerspricht den Vorgaben des Staatsvertrags.“

Der Sender wiederum beteuert auf eine WELT-Anfrage, alles gehe mit rechten Dingen zu. „Die Vorbereitung und die Begleitung der gesamten Produktion erfolgte durch eine medienpädagogische Fachkraft“, teilt ein Sprecher mit. Sie habe im Vorfeld der Dreharbeiten beide Familien besucht und jeweils ein Gutachten erstellt, in dem sie die bevorstehenden Dreharbeiten aus medienpädagogischer Sicht als unbedenklich eingestuft habe.

„Die fertig geschnittene Folge wurde zuerst der medienpädagogischen Fachkraft und danach dem Bezirksjugendamt Köln vorgelegt“, so der Sprecher. Außerdem habe RTL-Geschäftsführer Graf angeboten, dass Schulte-Markwort seine Kritik in einer Sendung offen äußern dürfe.

Am Mittwoch stellte RTL eine Vorschau auf die Internetseite des Senders. Dort tritt die Hundetrainerin Aurea Verebes aus Backnang auf und soll die Probleme eines Berliner Elternpaares lösen, das mit seiner renitenten vierjährigen Tochter nicht klarkommt.

Das Rezept der Tiertrainerin stammt direkt aus der Hundeerziehung: Macht das Kind, was man ihm sagt, hört es ein Klickgeräusch aus einem sogenannten Clicker und erhält eine Belohnung – quasi ein „Leckerli“. Tiere setzen das Klickgeräusch mit der Belohnung gleich und werden so abgerichtet. Doch kann das auch bei Kleinkindern funktionieren, und selbst wenn ja – sollte es das?

Bereits im vergangenen Jahr setzte sich die österreichische Zeitung „Der Standard“ kritisch mit dem Format auseinander, das 2019 zuerst in England gesendet wurde. RTL hat die Lizenz für Deutschland erworben. Die Wiener Familientherapeutin Sandra Teml-Jetter, Autorin mehrerer Fachbücher, sieht das kritisch: „Das Kind kann nur zwischen den Optionen Bestrafung oder Belohnung wählen – und dem, was es will, wird kein Raum gegeben“, sagte sie dem „Standard“.

Teml-Jetter betonte, dass Eltern Orientierung geben müssen – genau wie Hundebesitzer ihren Tieren. Der wesentliche Unterschied sei jedoch, dass Eltern eben keine Kinderbesitzer seien. „Durch Erziehungsmethoden dieser Art entsteht eine traumatische Bindung, die nichts mit Liebe zu tun hat“, sagte Teml-Jetter der Zeitung.

Schulte-Markwort findet noch drastischere Worte. „Wenn ich es richtig einschätze, dann propagiert das ‚Experiment’ Kindeswohl gefährdende Erziehungsmaßnahmen“, schreibt er an Graf. „Ich bitte Sie dringend, sich damit noch einmal mehr auseinanderzusetzen.“