Wo hängt das mädchen mit dem perlenohrring

Den Haag. Das goldene Zeitalter steht inmitten seiner Blüte, als im Jahr 1644 in Den Haag ein neuer Prunkbau fertig wird. Johann Moritz Fürst von Nassau-Siegen, 1604 in Dillenburg im Lahn-Dill-Kreis geboren und 1679 in Hau am Niederrhein verstorben, bekommt einen neuen Wohnsitz. Am Binnenhof, nahe dem niederländischen Parlament gelegen, ist das seit 1633 im Bau befindliche repräsentative Stadtpaleis bereit zum Einzug des „Brasilianers“.

Großneffe von Wilhelm, Gründer der unabhängigen Niederlande

So wird der Gouverneur der niederländischen Kolonie wegen seiner strategischen Erfolge in Niederländisch-Brasilien (1636–1644) genannt. Johann Moritz (niederländisch Maurits) ist ein Sohn des Grafen Johann VII. von Nassau-Dillenburg. Dessen Onkel Wilhelm von Nassau-Dillenburg (Spitzname: „Wilhelm der Schweiger“) gilt als Vater der unabhängigen Niederlande und Begründer des Hauses Oranien. Moritz von Nassau selbst macht sich später als Gouverneur von Wesel und Utrecht verdient und dient zudem dem brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm ab 1649 als Statthalter im Herzogtum Kleve. Auch als Bauherr erlangt er immer mehr Bedeutung – und als Kunstfreund.

So sieht das Mauritshuis, 1644 als Stadtpalast für Fürst Johann Moritz am Binnenhof in Den Haag erbaut, von außen aus. 

Früh beginnt Moritz Gemälde zu sammeln, darunter viele naturhistorische und ethnographische Werke. So etwas kennt man bisher in Europa nicht. Maler wie Frans Post (1612–1680) und Albert Eckhout (1610–1665; Theatrum rerum naturalium Brasiliae) erobern die Gunst des Fürsten. So kommt auch das von Moritz von Nassau geförderte zwölfbändige Werk Historia Naturalis Brasiliae in die Niederlande.

Fast zwei Jahrhundert später wird der hochherrschaftliche Adelspalast dann endgültig einer neuen Bestimmung zugeführt: Nämlich als Museum von internationalem Ruf, in dem jährlich fast eine halbe Million Besucher unter anderem Jan Vermeers berühmtes Gemälde „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ sehen wollen.

Doch zunächst zur Architektur des Hauses: Jacob van Campen und seinem Assistenten Pieter Post, die renommiertesten niederländischen Architekten ihrer Zeit, entwerfen den Bau. Es ist eines der bedeutendsten Beispiele für den niederländisch-klassizistischen Stil mit Einflüssen der italienischen Renaissance und wird später zum Rijksmonument erklärt. Bis heute haben die Innenräume mehrere Umbauten hinter sich, der erste erfolgt bereits nach 1704, als ein Brand die ursprünglichen Innenräume des Fürsten vernichtet. 1820 kauft der niederländische Staat das Mauritshuis als Sitz für die Königliche Gemäldegalerie, zwei Jahre später wird das Museum eröffnet.

Zum 200-jährigen Jubiläum trumpft das Haus mit einer Vielzahl sehenswerter Ausstellungen auf (siehe auch die Infobox!), doch es ist vor allem auch ein Blick in die Historie, die den besonderen Wert des ehemaligen Fürstensitz begründet.

Erste öffentliche Kunstsammlung der Niederlande

Johann Moritz’ naturhistorische Werke sind ja nur der Anfang einer bedeutenden Sammlung, seinen Ursprung hat der Museumsbestand in den Privatanschaffungen von Wilhelm V. (1748-1806), Prinz von Oranien-Nassau. Der Kunstfreund öffnet seine Privatgalerie am Buitenhof ab 1774 auch fürs Publikum – es ist die erste öffentliche Kunstsammlung der Niederlande. Zu den seinerzeit ausgestellten Werken gehörten unter anderem „Der Stier“ von Paulus Potter und „Die junge Mutter“ von Gerard Dou. 1816 schenkt der Sohn Wilhelms V., König Wilhelm I., die Sammlung dem niederländischen Staat. Sie bildet schließlich die Basis für die Königliche Gemäldegalerie im 1822 eröffneten Mauritshuis.

Neben Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“ eines der berühmtesten Gemälde im Mauritshuis: Rembrandts „Anatomiestunde des Dr. Nicolaes Tulp“ von 1632. 

Mittlerweile gehört noch ein weiteres Gebäude zum Museum, das über das Foyer mit dem Hauptgebäude verbunden ist. Das Haus, in dem Wilhelm V. 1774 ursprünglich seine Sammlung unterbringt, ist heute wieder Teil des Museums. In der Galerie Prinz Wilhelm V. sind noch weitere 150 Werke zu sehen und vom Mauritshuis aus fußläufig innerhalb von fünf Minuten zu erreichen. Die Sammlung nord- und südniederländischer Meisterwerke aus dem Goldenen Zeitalter ist weltweit einzigartig und ein Publikumsmagnet. 2019 besuchten rund 480.000 Besucher das Museum.

Zu den berühmtesten Werken im Mauritshuis zählen neben Jan Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“ „Die Anatomiestunde des Dr. Tulp“ von Rembrandt ebenso wie Malereien von Jan Steen und Frans Hals.

Die aktuelle Sammlung des Mauritshuis besteht aus rund 800 Werken, von denen derzeit ungefähr 200 ausgestellt werden. Das Museum kann mittlerweile auch virtuell und durch die hochauflösenden Aufnahmen bis ins Detail erkundet werden.

Blumen zum Jubiläum

Das Jubiläumsjahr ist mit der Ausstellung „Blumen“ am 10. Februar gestartet. Malereien von namhaften Künstlern wie Jan Brueghel, Ambrosius Bosschaert oder Rachel Ruysch sind nur der Auftakt zu einer fulminanten Werkschau im früheren Fürstenpalast.Weitere Informationen unter www.mauritshuis.nl (auch in Deutsch).

„Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ (auch „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“) ist eines der bekanntesten Werke des niederländischen Malers Jan Vermeer (1632-1675). Das etwa 1665 in Öl auf Leinwand geschaffene Gemälde zeigt eine junge Frau, die einen Turban mit herabfallender Schärpe und einen sehr großen Perlenohrring trägt. Das Werk gehört zur dauerhaften Schausammlung des Museums Mauritshuis in Den Haag.

Während seine frühen Werke zumeist in den Bereich der Historienbilder fallen, stellten Vermeer wie auch seine Zeitgenossen in erster Linie Szenen des Alltags, sogenannte Genreszenen, dar. Vermeer zeigte dabei häufig Frauen bei alltäglichen Beschäftigungen. Bemerkenswerte Beispiele dafür sind etwa das Bild „Briefleserin am offenen Fenster“ (ca. 1657) oder „Die Musikstunde“ (ca. 1665). Vermeer war ein überaus aufmerksamer, besonnener Maler – nur 37 Werke von ihm sind uns heute bekannt. Das ist sehr wenig im Vergleich zu seinen Zeitgenossen, die oft Hunderte Gemälde fertigstellten.

Details des Gemäldes

Vermeer signierte seine Gemälde nur gelegentlich, und auch eine genaue Datierung seiner Werke gab der Forschung einiges zu tun. Unzählige Fälschungen erschwerten die Arbeit. Im Laufe der Jahrhunderte wurden Vermeer auch immer wieder Werke zugeschrieben, die sich dank moderner Forschungsmethoden später als Bilder anderer Maler herausstellten.

„Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ trägt zwar seine Signatur „IVMeer“, ist allerdings undatiert. Historiker nehmen an, dass Vermeer das Bild mit den Maßen 44,5 × 39 cm um das Jahr 1665 gemalt hat, während einer Periode, in der er mehrere Gemälde mit Perlenmotiv schuf.

Das Werk zeigt eine junge Frau vor einem dunklen, flachen Hintergrund, was die Aufmerksamkeit des Betrachters ausschließlich auf sie lenkt. Sie trägt einen blauen Turban mit herabfallender, hellgoldener Schärpe, den titelgebenden Perlenohrring und eine beige oder senffarbene Jacke mit sichtbarem weißem Kragen darunter. Das Porträt endet kurz unter der Schulterpartie und zeigt sie eingefroren in einem Zwischenmoment, in der Bewegung zwischen Zu- und Abwenden. Im Gegensatz zu vielen anderen Sujets von Vermeer ist sie nicht mit etwas Alltäglichem beschäftigt. Der Maler fing einen flüchtigen Moment ein: Das Mädchen dreht ihren Kopf über die Schulter und begegnet dem Blick des Betrachters mit großen Augen und geöffneten Lippen, als wolle sie gerade etwas sagen.

Mona Lisa des Nordens

Ihr rätselhafter Gesichtsausdruck, verbunden mit dem Mysterium um ihre Identität, führte zu Vergleichen mit der mehrdeutigen Thematik von Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ (ca. 1503–19). Vermeers Gemälde wird deswegen auch oft als die „Mona Lisa des Nordens“ bezeichnet. Im Gegensatz zu Leonardos Werk ist „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ jedoch kein klassisches Porträt, sondern eine Tronie: Dieser niederländische Ausdruck für Kopf, Gesicht oder Gesichtsausdruck bezeichnet eine eigene Bildgattung der gegenständlichen Malerei, eine porträtähnliche Charakterstudie, bei der oft anonyme Personen dargestellt werden. Es mag zwar eine junge Frau für Vermeer Modell gesessen haben, aber das Gemälde ist nicht dazu gedacht, sie oder eine bestimmte Person auf dieselbe Weise darzustellen, wie das Werk von Leonardo da Vinci eine reale Person zeigt (vermutlich Lisa Gherardini, die Frau eines Florentiner Kaufmanns). Vermeers Sujet verkörpert vielmehr einen Typ einer jungen Frau in fremdländischer Kleidung, es ist eine Studie des Gesichtsausdrucks und Kostüms.

Die Arbeit zeigt sowohl die technischen Fertigkeiten Vermeers als auch sein Interesse an der Darstellung von Licht. Die weiche Modellierung des Gesichts des Mädchens bezeugt, wie vollendet er Licht anstelle von Linien zur Formgebung eingesetzt hat, während die Reflexion auf ihren Lippen und am Ohrring die Wirkung von Licht auf verschiedenen Oberflächen darstellt.

Bekannt durch Literatur und Film

Während Vermeer heute hochangesehen und bewundert wird, war er zu Lebzeiten und in den darauffolgenden Jahrzehnten außerhalb seiner Geburtsstadt Delft kaum bekannt. Historiker schreiben die Neubewertung seines Werks im 19. Jahrhundert und den daraus resultierenden hervorragenden Ruf des Malers dem französischen Kunstkritiker Étienne-Joseph-Théophile-Thoré (unter dem Pseudonym William Bürger) zu. Dennoch wurde „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ erst Ende des 20. Jahrhunderts zu einem der berühmtesten Gemälde Vermeers, zum einen durch die große Vermeer Werkausstellung 1995 in der National Gallery of Art in Washington, D.C., zum anderen durch die Veröffentlichung des Bestsellerromans „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ von Tracy Chevalier, der 2000 in der deutschen Übersetzung erschien. Im Buch ist das Sujet des Gemäldes ein Hausmädchen namens Griet, das in Vermeers Haus arbeitet und zu seiner Farbmischerin wird. Die Romanverfilmung von 2003 mit Scarlett Johansson als fiktiver Griet und Colin Firth als Vermeer wurde für mehrere Oscars nominiert, was zur weiteren Bekanntheit des Sujets von Vermeer führte.

Vermeers Gemälde wurde erstmals 1881 in Den Haag versteigert und ging aus der Hinterlassenschaft des Privatsammlers 1902 in den Besitz des Museums Mauritshuis über. Während Renovierungsarbeiten am Gebäude des Museums im Jahr 2012 reiste das Gemälde auf Wanderausstellungen nach Japan, Italien und in die USA. Es zog überall Massen an und untermauerte einmal mehr seinen Rang als Publikumsliebling. Als das Gemälde dann 2014 in die Niederlande zurückkehrte, kündigte das Museum Mauritshuis an, dass das Bild fortan nicht mehr ausgeliehen würde, und versicherte den Besuchern, dass „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ in seinem Heimatmuseum dauerhaft zu sehen sein wird.

Titelbild: Johannes Vermeer, Das Mädchen mit dem Perlenohrring. Alle Bilder: Wikicommons.

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