Wie lange kann man im künstlichen koma liegen

Florian S. ist ein Covid-Genesener. Nein, er ist ein Überlebender. Das klingt dramatisch. Es war dramatisch. Florian S. (Name geändert) ist jung, 36 Jahre alt, ohne relevante Vorerkrankungen. Er erkrankt Mitte März an Covid-19, in einer frühen Phase der Pandemie in Deutschland. Die Krankheit nimmt bei ihm einen sehr schweren Verlauf. Fünf Wochen wird er im Klinikum rechts der Isar behandelt, drei Wochen lang muss er ins Koma versetzt und künstlich beatmet werden. Die Ärzt*innen und Pfleger*innen auf unserer Intensivstation kämpften um sein Leben.

Florian, wann hatten Sie den Verdacht, sich mit SARS-CoV-2 angesteckt zu haben?

Das war Mitte März, kurz vor dem Lockdown. Ich habe Husten bekommen und mich krank gemeldet. Ich arbeite als Krankenpfleger in einem anderen Krankenhaus und wollte niemanden gefährden. Das Gesundheitsamt hat bei mir daheim einen Abstrich genommen, auf das Ergebnis warte ich heute noch. Das waren wirklich chaotische Zeiten. Vier oder fünf Tage später kamen Fieber und eine leichte Atemnot dazu. Da hat mein Partner zum ersten Mal den Rettungsdienst gerufen.

Wie lange kann man im künstlichen koma liegen

Florian S. (re.) und Dr. Markus Heim, Oberarzt der Intensivstation IS1 am Klinikum rechts der Isar

Der Verdacht auf Covid-19 war ja noch nicht bestätigt. Meine Sauerstoffsättigung war noch gut, bei 95 oder 96 Prozent. Zwei Tage später ging es mir rapide schlechter. Ich habe sehr schlecht Luft bekommen. Da haben wir nachmittags wieder den Rettungsdienst gerufen. Der Sanitäter hatte wahnsinnig Angst, sich anzustecken, das weiß ich noch. Er ließ mich alleine im Lift nach unten fahren. Im Rettungswagen habe ich dann Sauerstoff bekommen.

Sie wurden ins Klinikum rechts der Isar gebracht. Wie ging es weiter?

Ich kam in einen Isolierraum, ein Pfleger ist mir nicht mehr von der Seite gewichen. Ich hatte nur noch eine sehr geringe Sauerstoffsättigung bei Raumluft. Die Ärzte haben ein CT von meiner Lunge gemacht, es war komplett weiß im Querschnitt. Die für Covid-19 typische Milchglastrübung.

Wie ging es Ihnen psychisch?

Ich weiß noch, wie ich flach im CT lag, nach Luft gerungen habe und gedacht habe: ‚I mag ned sterben.’ Ein Arzt hat mich gefragt, ob ich eine Patientenverfügung habe. Ich habe eine. Die Frage war trotzdem ein Schock.

Am Abend wurde ich eingeliefert, am nächsten Morgen wurde ich auf die Intensivstation verlegt. Ich habe meiner Mama morgens um 6 Uhr eine SMS geschrieben, dass ich jetzt intubiert werden muss. Sie hat gar nicht verstanden, was das heißt.

Sie wurden intubiert, weil sie ins Koma versetzt und künstlich beatmet wurden. Drei Wochen lang in Ihrem Fall. Haben Sie Erinnerungen an diese Zeit?

Ich hatte furchtbare Träume von Flucht, von Gefangen sein und Gefesselt sein und nicht wegkommen. Ich konnte nicht sprechen, konnte mich nicht wehren. Ich habe auch geträumt, dass die Beatmungsmaschine falsch bedient wird und mich das umbringt.

Die Ärzt*innen und Pfleger*innen haben um Ihr Leben gekämpft.

Meine Organwerte waren schlecht. Ich habe einen Luftröhrenschnitt bekommen, weil ich verhältnismäßig lange künstlich beatmet werden musste und das schonender ist.

Nach etwa drei Wochen haben Sie die Ärzte aus dem künstlichen Koma geholt?

Das war am 18. April, einen Tag nach meinem 37. Geburtstag. Ich bin aufgewacht und wollte sofort heim. Aber ich konnte am Anfang ja nicht mal sprechen, geschweige denn laufen. Alle Pfleger*innen auf der Intensivstation haben mich wirklich super betreut. Ich lag dann noch ungefähr eine Woche auf der Intensivstation und eine Woche auf Normalstation. Dann habe ich mich selbst auf eigene Verantwortung entlassen und leider eine beidseitige Lungenembolie bekommen. Es ist zum Glück gut ausgegangen.

Wie geht es Ihnen heute, ein halbes Jahr später?

Überwiegend gut. Ich bin noch kurzatmig, aber meine Lunge ist im CT völlig unauffällig. Die Chancen, dass meine Lunge wieder ganz gesund wird, stehen nicht schlecht. Auch das Herz und die anderen Organe haben keinen bleibenden Schaden davon getragen. Aktuell habe ich mit einer Polyneuropathie in den Beinen zu kämpfen, das sind Nervenempfindungsstörungen. Die Ärzte sagen, das könne vom langen Koma kommen.
Und ich habe immer noch Albträume. Die Träume aus dem Koma verfolgen mich.

Eine Posttraumatische Belastungsstörung?

Ja. Ich mache gerade eine Trauma-Therapie.
 

Sind Sie noch krankgeschrieben?

Ich war nach dem Krankenhaus auf stationärer Reha und dann lange krankgeschrieben. Derzeit mache ich eine Wiedereingliederung in die Arbeit. Ich bin aber noch nicht voll belastbar.

Hätten Sie jemals gedacht, dass es Sie so schwer erwischt?

Niemals! Ich habe noch darüber gelacht am Anfang. Wie so viele dachte ich, mir kann nichts passieren, ich bin ja noch jung. Ich möchte das nicht noch einmal erleben.

Leben Sie jetzt anders als vor Ihrer Corona-Infektion?

Ich lebe so, wie ich es möchte. Ich habe gesehen, wie schnell es gehen kann. Jugend ist kein 100-prozentiger Schutz. Ich gönne mir Sachen und Erlebnisse, die mir Freude machen. Ich lebe intensiver.

Beteiligte Fachbereiche und Kliniken: 

Mit Atemnot und Husten wurde Christian Görke am 21. März in die Helios Klinik Helmstedt eingeliefert. Anhand der Symptome und eines PCR-Tests konnten die behandelnden Ärzt:innen schnell eine COVID-19-Infektion diagnostizieren. „Der Krankheitsverlauf von Herrn Görke war sehr kompliziert. Zunächst stand eine schwere Covid-19-Lungenentzündung mit akutem Atemversagen im Vordergrund. Hohes Fieber und septische Zustände bei bakterieller Superinfektion verkomplizierten den Verlauf. Darüber hinaus zeigten sich Lähmungen aller Gliedmaßen. Hierbei erfolgte eine spezielle neurologische Diagnostik und Therapie“, beschreibt MU Dr. Ph. Dr. /Univ.Prag Jozef Rakicky, Chefarzt für Neurologie, die Situation. 

Zwei Monate Intensivstation

Insgesamt 61 Tage wurde der Corona-Patient auf der Intensivstation invasiv, also über einen Schlauch, der in die Luftröhre eingelegt wird, beatmet. Im Verlauf wurde statt diesem Schlauch über einen Luftröhrenschnitt eine sogenannte Trachealkanüle eingesetzt. In einer stabilen Phase konnte Christian Görke aus dem künstlichen Koma geholt und gleichzeitig das Weaning eingeleitet werden. Weaning nennt man die Entwöhnungstherapie für langzeitbeatmete Patienten vom Beatmungsgerät, sodass sie wieder selbstständig atmen können. 

Wie lange kann man im künstlichen koma liegen

Ist ein Patient längere Zeit beatmet, kommt es häufig zu einer Art muskulären Schwäche, die auch die Atemmuskulatur betrifft. Hier kann sich das Weaning schwieriger und langwieriger gestalten. Eine eigenständige Atmung ohne maschinelle Unterstützung ist dann nicht möglich und die Atemmuskulatur muss erst wieder schrittweise aufgebaut und trainiert werden. Das sogenannte prolongierte Weaning kann sich auch über Wochen manchmal Monate hinziehen.

Tobias Leis, Chefarzt für Pneumologie und Beatmungsmedizin

Während des Entwöhnungsprozesses werden regelmäßig physiotherapeutische, ergotherapeutische, atemtherapeutische und logopädische Maßnahmen eingesetzt. „Eine erfolgreiche Entwöhnung von der maschinellen Beatmung kann nur im Team funktionieren. Hier arbeiten Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte Hand in Hand. Bei uns erfolgt täglich eine multidisziplinäre Visite bei diesen oft schwerkranken Patienten“, so Tobias Leis. Unter den intensiven therapeutischen Maßnahmen konnten im Weaningprozess Fortschritte erzielt und die Atemmuskulatur trainiert werden. Herr Görke wurde von der maschinellen Beatmung schrittweise entwöhnt.

Wie lange kann man im künstlichen koma liegen

Seit dem 22. Mai kann Herr Görke wieder komplett selbstständig atmen. Die Trachealkanüle konnte entfernt werden. Mit einem Hilfsgestell gab es bereits die ersten Stehversuche. Wir sind zuversichtlich, dass er in der Frührehabilitation schnell Fortschritte machen wird.

MU Dr. Ph. Dr. /Univ.Prag Jozef Rakicky

Diesen Mittwoch wurde der 60-Jährige von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Weaningstation in die Helios Klinik Leezen zur Reha entlassen. „Ich bin einfach nur froh überlebt zu haben und jetzt auf dem Weg der Besserung zu sein. Das habe ich dem gesamten Team hier zu verdanken“, erzählt Christian Görke. „Wir wünschen ihm von ganzem Herzen alles Gute. Wir haben lange um Herrn Görke gebangt und sind überglücklich, dass er es geschafft hat“, so eine Pflegefachkraft der Weaningstation abschließend.