Welche strahlungsart ist am gefährlichsten

Fukushima hat uns einmal mehr vor Augen geführt, wie schnell wir Menschen in Zeiten von Kernkraftnutzung durch radioaktive Strahlung verseucht werden können. Was aber genau ist radioaktive Strahlung und was passiert, wenn sie mit dem menschlichen Körper in Berührung gelangt?

Es gibt viele verschieden Arten von Strahlung. Die Strahlung, die am menschlichen Körper Strahlenschäden verursacht, ist die sogenannte ionisierende Strahlung. Doch was sind ionisierende Strahlen? Unter diesem Begriff wird jegliche Strahlung zusammengefasst, die im Gewebe Elektronen aus Molekülen herauslösen kann. Dazu gehört Teilchenstrahlung und hochenergetische Elektromagnetische Strahlung. Schallwellen gehören nicht zur ionisierenden Strahlung, so ist zum Beispiel die Ultraschall Untersuchung - zum Glück! - nicht ionisierend. Genauso wenig das Suppe-Aufwärmen in der Mikrowelle - das ist zwar elektromagnetische Strahlung, aber diese ist nicht stark genug, um Elektronen loszulösen.

Ionisierende Strahlungen

Ionisierende Strahlungen können beim Zerfall des Atomkerns auch von radioaktiven Stoffen ausgehen. Umgangssprachlich spricht man dann von radioaktiver Strahlung. Dabei entsteht α-, β- oder γ-Strahlung. Beim α- und β-Zerfall werden vereinfacht gesagt elektrisch geladene Teilchen freigesetzt, es handelt sich also um Teilchenstrahlung. Teilchen wirken direkt beim Durchtritt durch Gewebe auf andere Moleküle. So entstehen Ionen oder freie Radikale, die wild darauf sind, weiter zu reagieren. Die α-Strahlung schafft es nur wenige Millimeter weit - ein Blatt Papier, oder unsere Haut reichen schon aus, um sie so weit zu absorbieren, dass sie keinen Schaden mehr anrichtet. Gefährlich wird es, wenn Teilchen, die α-Strahlung aussenden, eingeatmet werden. So zum Beispiel radioaktiver Staub, der sich in der Lunge ablagert und dort Tumore auslösen kann.

Die β-Strahlung dringt etwas tiefer in den Körper ein. Auf ihr Konto gehen Hautverbrennungen und Linsentrübungen im Auge. Gefährlicher ist es, wenn β-Strahler in den Körper gelangen. Gut dokumentiert ist etwa der Schilddrüsenkrebs als Folge von radioaktivem Jod in der Schilddrüse.

Bei der γ-Strahlung handelt es sich nicht um Teilchenstrahlung, sondern um hochenergetische elektromagnetische Strahlung. Physikalisch gesehen sind das Wellen mit hoher Frequenz. Die γ-Strahlung entsteht, indem Moleküle des radioaktiven Stoffs sogenannte Quanten aussenden. Mit diesen 'Energiebällen' können die Moleküle überschüssige Energie loswerden. Gammastrahlung hat weniger Wechselwirkungen im Gewebe als Teilchenstrahlung und dringt deshalb auch tiefer ein. Sie wirkt über drei verschiedene Effekte: Erstens mittels Photoeffekt, bei dem Energie auf ein fest gebundenes Elektron übertragen wird und es so herauslöst - eine Ionisierung wie auch bei der Teilchenstrahlung. Zweitens mittels Compton- Effekt, bei dem ein Gammaquant auf ein locker gebundenes Elektron trifft, Energie abgibt und gestreut wird. Drittens mittels Paarbildungseffekt. Dabei entsteht aus einem Gammaquant beim Aufprall ein Elektron und ein Positron - ein Teilchen und sein Antiteilchen.

Röntgenstrahlung und Positronen-Emissions-Tomographie

Bei der Röntgenstrahlung handelt es sich ebenfalls um ionisierende elektromagnetische Strahlung. In der Literatur werden die Begriffe Röntgenstrahlung und Gammastrahlung häufig synonym verwendet. Das ist unscharf, denn sie entstehen an unterschiedlichen Orten im Atom. Die Gammastrahlung ist deshalb energiereicher und auch schädlicher. Jedoch sind die Grenzen fließend.

Bei der Positronen- Emissions- Tomographie entsteht Gammastrahlung, wenn ein Teilchen auf sein Antiteilchen trifft - der umgekehrte Fall wie beim Paarbildungseffekt also.

Wie wird radioaktiver Zerfall gemessen?

Hier interessieren uns vor allem zwei Größen. Die erste ist die Strahlendosis. Sie gibt an, wie viel Energie ein Gewebe in einer bestimmten Zeit aufnimmt. Die Maßeinheit ist Gray, das bedeutet Joule pro Kilogramm. Die zweite interessante Größe ist die sogenannte Äquivalentdosis. Sie ist ein Maß für die biologische Wirkung einer bestimmten Strahlendosis, die als Strahlungswichtungsfaktor in die Strahlendosis mit eingeht. Die Einheit ist ein Sievert, was ebenfalls Joule pro Kilogramm bedeutet, hier jedoch die Wirkung der Strahlung in einer Materie bewertet.

Biologische Wirkung von Strahlen

Enzyme und andere Proteine können direkt durch Strahlung geschädigt werden. Auch die DNA kann durch Strangbrüche direkt beeinflusst werden. Der Hauptschaden entsteht jedoch durch freie Radikale, die unter Strahlung entstehen. Harmloses Wasser kann so zu sehr aktiven Hydroxylradikalen werden, die wie Dominosteine weiter reagieren und wiederum Zellen oder DNA schädigen. Entscheidend für die Empfindlichkeit von Gewebe ist die Lebensdauer der Funktionszellen und die Größe der Stammzellfraktion. Die hohe Zellaustauschrate von Haut, Schleimhäuten und Haaren erklärt, warum man hier besonders schnell Veränderungen sieht. Die Zelle stirbt nach Ablauf ihrer Lebensdauer, und es kann keine neue Zelle aus den geschädigten Stammzellen nachgeliefert werden. Es kommt zum Niedergang des Gewebes. Der Körper verfügt zwar über ausgefeilte Reparaturmechanismen, diese können Schäden aber nicht unbegrenzt kompensieren.

Ab wie viel Sievert ist die Strahlendosis tödlich?

Die folgende Zuordnung von Symptomen und der biologischen Wirkung von Strahlung beruht auf Beobachtungen nach Hiroshima und Tschernobyl. Unter 0,2 Sievert sieht man keine unmittelbare Reaktion; es werden ein erhöhtes Krebsrisiko und DNA Veränderungen angenommen. Über das Ausmaß der langfristigen Schädlichkeit geringer Dosen gehen die Meinungen auseinander. Addieren sich die Strahlendosen auf, denen wir ausgesetzt sind? Uns umgibt schließlich ständig natürliche Strahlung, plus Strahlung die in Tschernobyl oder Fukushima frei gesetzt wurde, plus Strahlung aus medizinischen Untersuchungen. Diese Frage ist nicht abschließend geklärt.

Bei kurzfristiger Bestrahlung bis 1 Sievert kommt es zum sogenannten Strahlenkater mit Kopfschmerzen und Übelkeit. Das ist die mildeste Form der Strahlenkrankheit. Die Schwere der Strahlenkrankheit hängt proportional ab von der Dauer und Intensität der Strahlung sowie von der Größe der bestrahlten Areale. Ab 1 Sievert kommt es zu Verbrennungen und Schwächung des Immunsystems, Übelkeit und Haarausfall. Bei 4 Sievert stirbt die Hälfte der betroffenen Personen, 7 Sievert sind in jedem Fall tödlich für den menschlichen Organismus. Je höher ab diesem Grenzwert die Strahlendosis ist, desto schneller tritt der Tod ein. Bei 7-10 Sievert sterben alle Betroffenen innerhalb von zwei Wochen. Ist die Dosis höher, tritt der Tod entsprechend früher ein. Diese schwerste Form der Strahlenkrankheit beginnt mit Übelkeit und Schwäche, als Reaktion der Chemorezeptoren im Gehirn. Es folgt eine mehrtägige Erholung, "Walking ghost" - Phase genannt. Am Ende kommt es zu massivem Zelluntergang im Magen- Darm- Trakt. Innere Blutungen und Störungen des Elektrolythaushalts führen zu Koma und Kreislaufversagen und letztendlich zum Tod.

Behandlung von Strahlenschäden

Falls der Patient kontaminiert ist, beginnt die Behandlung mit einer Dekontamination, indem die radioaktive Verunreinigung entfernt wird. Wenn es sich bei dem Patienten um das Opfer eines Reaktorunfalls oder einer Nuklearexplosion handelt, ist die Gabe von Jod- Tabletten indiziert. Ziel ist es, die Schilddrüse mit stabilem Jod zu sättigen, damit sich möglichst wenig von dem freigesetzten radioaktiven Jod einlagert. Die beiden Jod- Formen unterscheiden sich in der Anzahl der Neutronen im Kern. Es handelt sich also um unterschiedliche Isotope des Elements Jod.

Danach wird versucht, die hämatologischen Schäden, also die Schäden im Blut zu beheben. Mittel der Wahl ist die Blut- und Stammzelltransfusion. Über die Gabe von Vitaminen kann die Heilung beschleunigt werden. Außerdem wird durch Infusionen der Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt wieder ausgeglichen. Zudem werden die Hautschäden behandelt. Durch die Zerstörung der Darmschleimhaut können Darmbakterien ins Blut gelangen. Der Körper reagiert darauf mit einer heftigen Abwehrreaktion. Die Immunabwehr ist jedoch geschwächt, da die Zellen im Knochenmark angegriffen sind und nicht mehr genug weiße Blutkörperchen bilden. So können sich die Bakterien ungestört ausbreiten. Es folgt eine Sepsis, also eine Blutvergiftung, im schlimmsten Fall gefolgt von multiplem Organversagen. Diese Spirale ist eine gefürchtete Komplikation und führt meist zum Tod. Behandelt wird die Sepsis bislang mit Breitbandantibiotika.

Eine Forschergruppe aus Boston veröffentlichte 2011 Ergebnisse zu einer medikamentösen Behandlung der Strahlenkrankheit. Im Tierversuch wurde bestrahlten Mäusen das körpereigene Bactericidal-Permeability-Increasing-Protein (BPI) zusammen mit einem Breitbandantibiotikum gespritzt. BPI wird gemeinsam mit den weißen Blutplättchen im Knochenmark gebildet und wirkt wie ein Antibiotikum. Es hilft, Bakterien zu töten und hat außerdem die erstaunliche Fähigkeit, die Entzündungsreaktion zu stoppen. Beide Ansätze sind nicht neu. Was neu ist, ist ihre Kombination bei der Behandlung der Strahlenkrankheit. Die Strahlendosis wurde so hoch gewählt, sodass sie für Mäuse tödlich ist. Mit der Kombinationstherapie überlebten dreiviertel der Tiere. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese hoffnungsvoll stimmenden Ergebnisse auch in weiteren Experimenten bestätigen.

Umgang mit Radioaktivität

Oberste Priorität hat die Prävention. Im Umgang mit Radioaktivität sind deshalb strenge Sicherheitsmaßnahmen zu beachten. Die Strahlenbelastung durch medizinische Untersuchungen und Behandlungen sind so gering wie möglich zu halten. Wobei nicht abschließend geklärt ist, wie der Körper auf niedrig dosierte Strahlung mit zeitlichem Abstand reagiert. Bei Strahlenunfällen gilt: Bringe eine Schutzschicht zwischen dich und die Strahlungsquelle! Renn! Es gibt deswegen seit 2009 ein neues Symbol für Radioaktivität, das diese Regeln unmissverständlich ausdrücken soll.

Weiterführende Literatur

Der Thieme Verlag hat zum Thema Nuklearmedizin ein Buch herausgebracht, das im Thieme Webshop erhältlich ist:

Nuklearmedizin, 2007, Thorsten Kuwert et al.