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Diese Liedtextanalyse von Jannika Herm (Q1) entstand als freiwilliger Beitrag im Rahmen des Leistungskurses Politikwissenschaft Q1. In den PW-Kursen des ersten Oberstufensemester wird das Themenfeld „Demokratie gestern, heute, morgen in Theorie und Praxis“ unterrichtet. Der Song „Hurra die Welt geht unter“ erschien auf dem 2015 auf dem gleichnamigen Album. Die Analyse stützt sich auf die einführenden Kapitel des Buches „ANARCHIE! Idee – Geschichte – Perspektiven“ von Horst Stowasser. Niemand muss sich sorgen um Geld machen, niemand lebt mehr auf der Straße und niemand muss sich an irgendwelche Regeln halten. Von so einer Welt träumt doch jeder – doch was genau hat es mit dieser scheinbar perfekten Welt auf sich? Mit genau diesem Thema beschäftigt der Song „Hurra, diese Welt geht unter“ von K.I.Z aus dem Jahr 2015. In dem Lied singen die vier Berliner über die Utopie einer post-apokalyptischen Welt, in der es keine Gefängnisse mehr gibt und die modernen Gesellschaftsordnungen nicht mehr gelten und schneiden damit einige anarchistische Elemente an, die sich in Stowassers Buch „Anarchie!“ aus dem Jahr 2007 wiederfinden lassen.
Schnell wird klar, dass das Lied in der fernen Zukunft in einer post-apokalyptischen Welt spielt, wobei das vorherige System zertrümmert wurde und die Menschen nun in absoluter Freiheit leben. Auf eine unironische Art und Weise wird dabei beschrieben, wie alltägliche Probleme wie Armut, Ausbeutung oder Diskriminierung aufgrund von Nationalität keine Rolle mehr spielen. Doch diese Aspekte werde ich nun einmal etwas genauer ausführen: In der ersten Strophe wird die neue Situation erst einmal genauer beschrieben, damit der Zuhörer ein möglichst genaues Bild von der aktuellen Lage erhält. Meistens werden hier positive neue Sachen mit dem Niedergang alter Sachen in Verbindung gebracht wie zum Beispiel an Textstellen wie „Beim Barbecue in den Ruinen der Deutschen Bank“ oder „Vogelnester in einer löchrigen Leuchtreklame“ . Auch wenn diese Gegenüberstellungen zuerst lediglich den Schein einer perfekten Welt hervorrufen, üben diese gleichermaßen scharfe Kritik an den momentanen Systemen und Strukturen aus. Durch die Aussage „Wir wärmen uns auf an einer brennenden Deutschlandfahne“ distanzieren sich die Protagonisten stark von dem deutschen Staat, auch da das Verbrennen der eigenen Flagge in Deutschland verboten ist. Die deutsche Bank soll an dieser Stelle somit wahrscheinlich stellvertretend für den Kapitalismus stehen, welcher, laut Text, nur noch als Ruine existiert. Die Deutsche Bank wird hier nicht zufällig als Beispiel genannt, denn gerade sie steht aufgrund von Verwicklungen in Nahrungsmittelspekulationen, der Beteiligung an Wirtschaftskrisen und dem Verdacht auf grobe Bilanzfälschung in letzter Zeit immer wieder unter starker Kritik. Somit wird hier, genau wie in Stowassers Ausführung, der totale Zusammenbruch des aktuellen Systems thematisiert. In seinem Buch schreibt Stowasser, dass die Abschaffung des Staates ein zentraler Bestandteil anarchistischen Denkens sei. Außerdem lassen sich in der Strophe immer wieder kritisierende Äußerungen in Bezug auf die christliche Religion feststellen. Durch das Tragen von „Feigenblättern“, was gemäß tradierter regligiöser Vorstellung als Sünde galt, wird diese hier stark provoziert. Durch die Veränderung des Zitates aus der Bibel, „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ zu „Bitte Herr vergib ihnen nicht, denn sie wissen was sie tun“ wird der Sinn völlig umgedreht, wodurch die Bibel und somit das Christentum teilweise ins Lächerliche gezogen werden. Die Interpreten möchte sich somit von religiösen Vorschriften und festgelegten Menschenbildern entfernen, da diese in einer neuen und teilweise auch anarchistischen Welt kein Platz haben. Auch dieser Aspekt lässt sich im Buch wiederfinden. Jedoch steht dort, dass eine Abschaffung der Religionen nur dann notwendig ist, wenn sie die Freiheit des Menschen einschränkt. Der Refrain grenzt sich dagegen etwas von den Strophen ab, da sich dieser, im Gegensatz zu den Strophen, in einem Atomschutzbunker abspielt. Durch die wiederholte Textzeile „Hurra, diese Welt geht unter“ wird jedoch offensichtlich, dass die aktuelle Situation keineswegs als negativ verstanden wird, da der Untergang der alten Welt notwendig für die Entstehung einer besseren Welt ist: „Auf den Trümmern das Paradies“. Die zweite Strophe stellt ähnliche Gegenüberstellungen an, bezieht sich hier jedoch auf konkretere Themen, wie zum Beispiel auf den Großkonzern Nestlé: „Seit wir Nestlé von den Feldern jagten“. Der Konzern war in den vergangenen Jahren in viele Dramen verwickelt, sodass ihnen sogar die Herstellung gentechnisch manipulierter Nahrungsmittel nachgewiesen werden konnte. Dass dieser im Song nun nicht mehr existiert, zeigt starke Ausmaße, so „schmecken Äpfel so wie Äpfel und Tomaten nach Tomaten“ . Des Weiteren wird in der Strophe ebenfalls die Legalisierung von Cannabis angesprochen. Da durch den Weltuntergang alle gängigen Gesetze und Normen nicht mehr existieren, ist es den Menschen erlaubt, ohne jegliche Konsequenzen, Cannabis auf ihrem eigenen Grundstück anzubauen. Auch hier kommen wieder einige anarchistische Merkmale zum Vorschein, die sich überwiegend mit der Freiheit des Individuums beschäftigen. Zum Schluss wird noch einmal die Gleichheit aller Menschen betont. Geld spiele hier keine Rolle mehr und sogar die „Haustüren müssen keine Schlösser mehr haben“. Es gibt also kein zu schützendes Eigentum mehr und auch die „Mein-Dein-Frage“ erübrigt sich dadurch teilweise und gerade dieses Phänomen lässt sich in einigen Ausführungen Stowassers wiederfinden. Dort wird geschrieben, dass es sich bei Privateigentum, lediglich um eine Form der Unterdrückung und Ausbeutung handele. Im Anschluss folgt noch ein kurzer Appell, der darauf beruht, dass man sein Leben so genießen soll wie es ist und das Beste draus zu machen, anstatt auf ein Leben danach zu hoffen: „Dieses Leben ist so schön, wer braucht ein Leben danach?“ Abschließend wir in der letzten Strophe noch einmal stark das Privatleben des einzelnen aufgegriffen, womit diese Strophe die wahrscheinlich stärkste Kritik aufbringt. So spielt es keine Rolle mehr wie viel man arbeitet und dass so mehr Zeit für die Familie und anderweitige Aktivitäten vorhanden ist: „Schatz, ich geh‘ zur Arbeit, bin gleich wieder da. Wir stehen auf, wann wir wollen, fahren weg, wenn wir wollen“. Auch die Kirche wird ein weiteres Mal aufgegriffen und zusammen mit der Pornoindustrie für ihr einfältiges Menschenbild verurteilt. Sowohl die Pornoindustrie wie die Kirche zeichnen meist ein klares Bild von einem „üblichen“ Sexualverhalten und setzen die Menschen somit in gewisser Weise unter Druck, sich dieser Vorstellung zu fügen. In der neuen Welt hingegen, gibt es keine Gesellschaft, die dies durch Werte und Normen vorschreibt, sodass jede Individualität respektiert und akzeptiert wird. Durch das Feuer, in dem die „Pässe schmolzen“, wird noch einmal ein ähnlicher Gedankengang hervorgerufen, wie bei den brennenden Flaggen. Pässen, Nationen und die mit ihnen verbundenen Wirkungen spielen keine Rolle mehr. Die Herkunft des einzelnen ist unwichtig und jeder kann dort sein, wo er gerne sein möchte. Genauso lässt sich auch eine anarchistische Welt laut Stowasser beschreiben. Die Welt solle so vernetzt werden, dass Versklavung aufgelöst werde und jeder ein Leben ohne Mangel und in Würde führen könne. Zum Ende des Liedes wird noch einmal die neue, in der Utopie aufwachsende, Generation beschrieben. Diese scheint die Muster der alten Welt nicht nachvollziehen zu können: „Wieso soll ich dir was wegnehmen, wenn wir alles teilen?“ Dies lässt sich am Beispiel von Monopoly erkennen. Monopoly ist ein Spiel, in dem es darum geht, die anderen Mitspieler durch kapitalistisches Verhalten in den Ruin zu treiben. Da die neue Welt jedoch auf einem antikapitalistischen Denken beruht, ist dieses Spiel nicht mehr nachvollziehbar. Somit soll vermittelt werden, dass unser System dem baldigen Zusammenbruch geweiht ist: „Sie dachten echt ihre Scheiße hält ewig“. Abschließend lässt sich sagen, dass die Welt, die durch die Interpreten gezeichnet wird, stark den anarchistischen Vorstellungen, die auch in dem Buch „Anarchie!“ von Horst Stowasser angesprochen werden, ähnelt. Der Wohl auffälligste Punkt ist hierbei wohl die Abschaffung des aktuellen Systems und den mit ihm verbundenen Strukturen und Denkweisen. Auch wenn sich die Umsetzung in manchen Teilen unterscheidet, lässt sich im Groben eine Übereinstimmung feststellen. So liegt beiden Systemen viel an der Freiheit des Einzelnen. Ein Unterschied ist jedoch, dass sich das Lied viel stärker auf bestimmte Beispiele bezieht. So wird hier konkret die Legalisierung von Cannabis angesprochen, der Untergang von Nestlé und weiteren Institutionen. Trotzdem denke ich, dass sowohl das Buch als auch das Lied der anarchistischen Vorstellung einer perfekten Welt entsprechen und versuchen, dieser in der heutigen Welt Gehör zu verschaffen.
Dieser Beitrag wurde am 01.10.2015 auf bento.de veröffentlicht.
Das Hitpotenzial des Songs aus dem gleichnamigen K.I.Z.-Album ergibt sich wohl einerseits aus dem bockstarken Chorus und andererseits aus den blitzgescheiten Lyrics, deren Kernbotschaften so klar formuliert sind, wie man es sonst nur von Antifa-Bannern kennt. Gab es überhaupt schon mal einen deutschsprachigen Chorus, der so straight, so lyrisch und gleichzeitig so sagenhaft stark performt daherkam? Kein Wunder, dass sich das Publikum bei Live-Darbietungen Sorgen um den Sänger macht:
Ich hatte ja ein wenig Angst dass sich Henning May während dem Auftritt noch in Hulk verwandelt #arschbombe
Wahrscheinlich bin ich nicht der einzige Hörer aus der Deutschrap-Ecke, dem der Name Henning May so gar nichts sagte und der vor dem Release des Videos davon ausging, der Typ müsse ein mindestens 50-jähriger Kettenraucher mit Hang zum Schnaps und ausufernden Partynächten sein. Weit gefehlt. Mitte 20 und die Statur eines Leistungsträgers in einer Bezirksliga-Tischtennismannschaft, der sich von liebevoll belegten Lyonerwurst-Stullen, Müsliriegeln und Apfelmost ernährt. Umso beeindruckender kommt sein Stimmvolumen und die Klangfarbe daher.
In den Brüsten der Interpreten schlagen nicht nur biologisch betrachtet mindestens zwei Herzen: Die Welt, deren Untergang besungen wird, ist diese widerwärtige Welt von Gentomaten, Geldgier und von religiösem Fanatismus: eine Welt, die sich eigentlich nur im Rausch ertragen lässt. Selbstverständlich tummeln sich aber alle Beteiligten auch extrem gerne lebenslustig in den Sphären, in denen Spaß und Rausch vorherrschen. Der 2015er Festivalsommer wäre ohne sie wohl nicht derselbe gewesen.
K.I.Z. wurde diesen Festivalsommer die Ehre zuteil, unangekündigt nach Ende des offiziellen Programms auf der Main Stage des Splash!-Festivals den Schlussstrich zu ziehen. Die Kostüme waren wohl eine Leihgabe aus dem staatlichen Uniformarchiv von Nordkorea; und auch die Mitgröhlrefrains à la "Hurensohn" dürften auf diejenigen, die sich erst seit dem Überraschungshit zur Fanbase gesellt haben, befremdlich gewirkt haben:
Genauso dürften K.I.Z.-Fans, die mit dem Gedanken spielen, in die Welt von AnnenMayKantereit umzusteigen, irritiert von der Schwere und der emotionalen Tiefe der Lyrics sein, die Henning May da herausbrüllt/krächzt/singt/säuselt. Versteht mich nicht falsch: Das ist phasenweise alles total unbeschwert genießbar – aber ab und an ballert dann doch komplett ironiebefreite Melancholie durch:
Im Gesamtwerk von K.I.Z. wimmelt es von souverän vorgetragenen Standpunkten, die den gewünschten Status quo des bundesdeutschen Establishment infrage stellen. "Welt"-Redakteur Felix Zwinzscher verurteilte etwa den Track "Boom Boom Boom" wegen gewaltverherrlichender Textpassagen und warf dem dazugehörigen Video "Ku-Klux-Klan-Ästhetik" vor.
Genau diese beinahe unkenntlich gemachte, brutal unscharfe Trennlinie zwischen Ironischem und Unironischem ist ein durchgängiges Merkmal aller Äußerungen aus dem Hause K.I.Z. Weder in Interviews mit den Künstlern noch in irgendeiner Zeile, geschweige denn in Pressetexten werden die Hörer darüber aufgeklärt, wo der Spaß aufhört und wo der Ernst beginnt – was die Musik für Zartbesaitete quasi ungenießbar macht und für Orientierungssuchende ein unglaublich breites Interpretationsspektrum birgt.
Wir sind Taka-Tuka Ultras, scheißen auf Disneyland. Ich trag die Nike Shox mit eingenähter Kinderhand. In der Schule hatte ich eine 1 im Tiere quälen. Nach meinem Uppercut kannst du dein Arsch ohne Spiegel sehen.
Die Zeilen stehen sinnbildlich für den bunten Blumenstrauß an Themen zwischen Spaß und Ernst. Messerscharfe Gesellschaftskritik gemischt mit spätpubertären Statusspielen und Drohgebärden. Zeile für Zeile kann jeder Hörer aufs Neue entscheiden. Empören oder Genießen. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass sogar ich trotz meiner Teil-Sozialisierung durch das sprachlich und inhaltlich doch sehr verrohte Frühwerk von Kool Savas mit dem Video zu "Ein Affe und ein Pferd" zunächst nicht so richtig klar kam. Spaß (oder Ernst?) hatten für mich spätestens an der Stelle ein Loch, an der im Video eine Wassermelone von einem Springerstiefel am Kantstein zertreten wird – mit Maxims Kopf in Gehweg-Knabber-Stellung direkt daneben. Den NSFW-Hinweis spar’ ich mir, die erwähnte Szene gibt’s bei Sekunde 80 bis 84:
Klappe zu, Affe tot: Fest steht, K.I.Z. haben sich für "Hurra die Welt geht unter" im Vergleich zu ihrem üblichen Sprachregister rhetorisch arg am Riemen gerissen. Auch das dürfte Anteil daran haben, dass der Song von den Musikredakteuren der Mainstreamradios wohlwollend in die Rotation aufgenommen wurde. Wer in der Diskografie von Tarek, Maxim, Nico und DJ Craft nach hurraeskem Liedmaterial Ausschau hält, wird es auch finden – allerdings inmitten ablenkender Ironie und genretypischer Battle-Rhetorik.
Die drei Jungs mit den Nachnamen Annen, May und (Überraschung!) Kantereit haben auf der Straße angefangen und sind damit wohl deutlich mehr "real" und "street" als viele der Genre-Wettbewerber der Jungs von KIZ. Das erste Album wurde sogar komplett unabhängig und teils draußen, auf der Straße, aufgenommen. Straßenmusik also. Kennt ihr noch? Der allgegenwärtige musikalische Soundtrack der Einkaufsstraßen bevor die großen Modekaufhausketten damit begannen, ihren Kaufmotivations-Pop auch raus auf die Straße zu plärren. Das Publikum kann sich seine Straßenmusikanten nicht aussuchen: Mal singt Genie, mal Wahnsinn, mal dudeln peruanische Panflöter mit Synthi-Begleitspur und scheinbar traditionellen Stammesgewändern aus Winnetou-Filmen. Die Straßenmusiker haben’s aber auch nicht leicht. Sie müssen mit dem Publikum leben, das wohlwollend stehen bleibt – wenn überhaupt jemand stehen bleibt. Durch diese Schule musst du als Musiker erst mal psychisch unbeschadet durch – und das ist nicht einfach. Im Rahmen eines schon 2013 aufgenommenen Flash-Mob-Auftritts in einem mit jungen Studentinnen und Studenten gefüllten Vorlesungssaal sieht man die Bandbreite der Gegenliebe für die unfreiwillige Beschallung sehr eindeutig auf den Gesichtern der Anwesenden:
Von Rührung und Begeisterung bis zu völligem Unverständnis ist alles dabei. Und das obwohl im Vorlesungssaal wohl prozentual mehr Zuhörer zur Zielgruppe der Jungs gehören dürften als im Strom der Passanten in städtischen Innenstädten auf der Straße. Man stelle sich vor, die Kannibalen in Zivil wären höchstpersönlich in den Reihen des Vorlesungssaals anwesend gewesen. Wäre die Performance ihr Ding gewesen? Wäre "Hurra die Welt geht unter" vielleicht schon 2013 – oder ebenfalls möglich: nie – entstanden? Hätten sich AnnenMayKantereit statt Kraftklub das Berlin-Verbot von K.I.Z. eingefangen?
Beim Eintauchen ins noch junge und umfangarme Gesamtwerk von AMK wird jedenfalls schnell klar, dass sich auch Henning May üblicherweise anders ausdrückt, als auf "Hurra die Welt geht unter". Wo bei K.I.Z. Ironie und Punchlines die Sicht auf die nackte Kernbotschaft verdecken (beziehungsweise die Sinnsuche in den Songs erst interessant machen), bedienen sich AnnenMayKantereit anderer Stilmittel. Blues-typisch erzählen die Instrumente zum Beispiel bei "Oft Gefragt“ ihre eigene Version der gesungenen Geschichte, wenn Henning Mays Gesang für eine Weile aussetzt. Darüber hinaus wird dankenswerterweise auf ein schlagermäßiges Herausplärren der Grundbedeutung des Songs im Chorus verzichtet. "Mama, ich hab’ dich echt voll lieb, ehrlich jetzt!" würde dem Song auch einfach nicht so richtig gut zu Gesicht stehen.
Gefühlsbetonter Blues-Gesang trifft auf provokantes Gespitte. In "Hurra" funktioniert das. Und erstaunlicherweise funkt es auch bei den Fans: Viele K.I.Z.-Fans haben sich über die üblichen Kanäle schon Informationen darüber eingeholt, was dieser Henning eigentlich so macht, wenn er nicht gerade mit der Stimme eines isländischen Hufschmieds den Weltuntergang besingt. Ein paar der Suchenden hat’s bei YouTube in die Kommentar-Sektion zur Ballade "Oft Gefragt" verschlagen. Und siehe da, die Rührung, Begeisterung und der Respekt vor der doch so andersartigen Musik überwiegen und der Mantel der Coolness fällt schneller als den meisten lieb sein dürfte:
Mit etwas Geduld können Umsteiger aus beiden Camps in der Klangwelt der anderen Partei glücklich werden. Der Schlüssel liegt in der Dekodierung der jeweils anderen Herangehensweise an die besungenen Stoffe. AMK-Hörer müssen sich darauf einlassen, die für sie persönlich sinnstiftenden Aussagen der K.I.Z.-Verse aus einem je nach Song mehr oder weniger dichten Gewirr von Schimpftiraden, Gewaltverherrlichung und Ironie herauszuzwirbeln. Andersrum werden Rap-Fans aus dem K.I.Z.-Lager bei AMK mit offenen Armen empfangen. Manchen wäre sicher die distanzierte Faust oder ein High Five lieber. Aber AMK Songs lassen ihre Hörer nicht wählen, ob sie das berührt oder nicht. Du hast als Hörer nur eine Entscheidung zu treffen: Lässt du es zu, oder ziehst du die hochgekrempelten Ärmel deines Longsleeve-Shirts schnell nach unten über die Gänsehaut auf deinen Unterarmen und hechtest zurück hinter die Grenzen deines Lieblingsgenre.
"Hurra die Welt geht unter" ist ein herrlich klingender Konsens, der die Musik beider Bands einem breiteren Publikum zugänglich macht, ohne dass irgendjemand dabei seine Seele dem Pop verkaufen muss. So, ich ruf’ jetzt meine Mama an. |