Was haben die menschen in der steinzeit gegessen

26.09.2016 | 11:36 Uhr Kerrin Zielke

Hirschsteak und Rübenpüree, Rührei an Sauerampfer, Süßkartoffelsalat mit Avocado und Lachs: Solche Mahlzeiten könnten auf dem Speiseplan von Anhängern einer Steinzeit-Ernährung stehen. Zu den Grundsätzen einer solchen Paläo-Diät gehört es, dass allein das in der Küche verarbeitet werden soll, was unsere Vorfahren in der Altsteinzeit, dem Paläolithikum, hätten jagen und sammeln können.

Eine solche Kost umfasst viel Fleisch und Gemüse, dazu Eier, Obst, Nüsse und Samen. Nach dieser Auffassung habe sich die Ernährung der prähistorischen Jäger und Sammler für den Menschen in vielen Jahrtausenden bewährt.

Verfechter einer solchen Ernährungsweise lehnen hingegen Getreide ab – also auch Brot und Müsli –, Milch – also auch Joghurt und Käse –, außerdem Zucker und Hülsenfrüchte: Nahrungsmittel, die sich seit der Jungsteinzeit und dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht verbreitet haben.

„Die Rezepte kombinieren das für heutige Geschmäcker Beste aus verschiedenen Zeiten und Regionen, doch das hat mit einer realistischen Rekonstruktion der prähistorischen Bedingungen nicht viel gemein – eine einzige Ernährungsweise gab es in der Altsteinzeit nicht“, sagt Alisa Scheibner. Die Archäologin hat an der Freien Universität Berlin in der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe „LiVES“ zum Thema prähistorische Ernährung des Homo sapiens in Vorderasien und Europa promoviert.

Dafür hat sie bestehende Untersuchungen und Quellen aufgearbeitet und analysiert, um den Datenstand für einzelne Regionen und Zeiträume darzustellen. Geografisch reicht die Untersuchung von Skandinavien im Norden bis zur östlichen Mittelmeerküste im Süden, von Großbritannien im Westen bis zum Schwarzmeergebiet im Osten. Der untersuchte Zeitraum umfasst 40 000 Jahre und schließt mit dem Ende der Bronzezeit, etwa um 800 vor unserer Zeitrechnung.

Was auf dem Speiseplan stand, ist wissenschaftlich nachweisbar

Wie kann etwas so Vergängliches wie die Nahrung nach vielen Tausend Jahren untersucht werden? Archäologen bedienen sich zum einen traditioneller Methoden, zum anderen neuerer naturwissenschaftlicher Verfahren. Zu den traditionellen Methoden zählen die Disziplinen der sogenannten Archäobiologie, mit denen Wissenschaftler von der Flora und Fauna auf die Ernährung schließen.

„Nur was in der Natur verfügbar war, konnte auch vom Menschen verzehrt werden. Das Nahrungsangebot in der vergletscherten Landschaft Europas unterschied sich jedoch von dem Angebot im Gebiet des sogenannten Fruchtbaren Halbmond in Vorderasien“, sagt Alisa Scheibner. „Auch können ethnografische Vergleiche Hinweise auf Ernährungsweisen geben.“

Verstärkt kommen in der Archäologie in den vergangenen Jahren auch naturwissenschaftliche Methoden zum Einsatz, etwa Isotopenanalysen an Zähnen und Knochen. Durch den Nachweis der Anteile der stabilen Isotope von Kohlenstoff und Stickstoff können Wissenschaftler erkennen, ob die Ernährung mehr pflanzliche oder tierische Kost enthielt und ob dabei Fisch und andere Meerestiere wie Robben oder Muscheln verzehrt wurden.

Auch ist es möglich nachzuweisen, ob sogenannte C3-Pflanzen, die in den mittleren und hohen Breiten vorkommen, etwa Roggen oder Weizen, auf dem Speiseplan standen, oder C4-Pflanzen, die in wärmeren Regionen wachsen, etwa Hirse oder Amarant. „C3“ und „C4“ bezieht sich auf die Anzahl der Kohlenstoffatome, die beim ersten Zwischenprodukt der Photosynthese vorhanden sind.

Eine weitere naturwissenschaftliche Methode ist die Fettrückstandsanalyse an Keramikresten. „Wenn zum Beispiel Fisch oder Fleisch in Gefäßen zubereitet wurde, so zog das Fett in die Keramik ein und ist durch chemische Methoden noch heute nachweisbar“, erklärt die Archäologin.

Die Eiszeit bot mehr Fleisch als Pflanzen

„Die Menschen in Vorderasien haben nachweislich bereits vor mehr als 20 000 Jahren Wildgetreide und Hülsenfrüchte gesammelt und verzehrt, die später zu den domestizierten heutigen Grundnahrungspflanzen in Europa wurden“, sagt Alisa Scheibner. Das Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds, das sich in Form einer Mondsichel über die Gebiete der heutigen Staaten Jordanien, Israel, Libanon, Syrien, Türkei, Irak und Iran erstreckt, gilt unter Wissenschaftlern als erste Region, in der Menschen um etwa 10 000 v. Chr. das Nomadenleben aufgaben und begannen, Felder zu bestellen und Nutzvieh zu halten.

In Mitteleuropa hingegen war durch das kältere Klima während der Eiszeit ein anderes Spektrum an Nahrungsmitteln gegeben – die eiszeitliche Megafauna bot mehr Fleisch als Pflanzen zur Ernährung: Der Erfolg bei der Mammutjagd war entscheidend für einen vollen Magen.

„Verschiedene Untersuchungen, zum Beispiel am Zahnstein oder an Mahlsteinen haben ergeben, dass entgegen früherer wissenschaftlicher Annahmen der europäische Mensch der Eiszeit nicht allein Fleisch aß, sondern auch kohlenhydratreiche Pflanzen“, sagt Scheibner. „Um welche Arten es sich dabei genau handelte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, möglicherweise aber um die Wurzeln von Wasserpflanzen wie Rohrkolben.“

Mit dem Ende der Eiszeit, etwa 10 000 vor unserer Zeitrechnung, sei mit der Wiederbewaldung Europas auch mehr pflanzliche Kost hinzugekommen, etwa Eicheln und Haselnüsse. „Außerdem saß man an den nun eisfreien Ostseeküsten und aß so viele Muscheln, dass die Schalen noch heute als meterhohe Haufen zu finden sind“, sagt die Archäologin.

Menschen, die sesshaft wurden, hatten häufiger Karies

Vom Fruchtbaren Halbmond aus breiteten sich die Neuerungen in der Lebens- und Wirtschaftsweise, die als „Neolithische Revolution“ bezeichnet werden, über mehrere Jahrtausende hinweg bis nach Mitteleuropas aus – so gelangten neben den domestizierten Haustierarten Rind, Schaf, Ziege und Schwein auch Getreide und Hülsenfrüchte nach Europa. Der Anteil an pflanzlicher Nahrung stieg durch den Getreideanbau.

„Wildtiere, auch Meeresfische und Robben, wurden aber weiterhin verzehrt. Früher nahm man an, dass gerade aquatische Ressourcen nicht mehr genutzt wurden – neuere Forschungen widerlegen das“, sagt Alisa Scheibner.

Einige gesundheitliche Aspekte hätten sich mit der Sesshaftigkeit verschlechtert, sagt die Wissenschaftlerin. So sei der Anstieg von Karies wohl auf den höheren Anteil an Kohlehydraten aus Getreide und an Fruchtzucker aus Obst zurückzuführen. Auch seien an Knochen und Zähnen sogenannte unspezifische Krankheitsmarker nachweisbar, die unter anderem auf Infekte in der Kindheit oder Nahrungsmangel hinwiesen. Das könne mit dem engeren Zusammenleben und schlechter Hygiene zusammenhängen, möglicherweise auch mit einer kürzeren Stillzeit der Kinder.

Dennoch könne man nicht sagen, eine altsteinzeitliche Ernährung sei „besser“, meint Alisa Scheibner. Insgesamt sei die Bevölkerungsdichte in dieser Zeit gering gewesen, und man wisse wenig über die Kindersterblichkeit oder die Häufigkeit von Jagdunfällen.

„Eine schwunghaft wachsende Weltbevölkerung wurde erst durch die neolithische Lebensweise möglich“, sagt die Archäologin. „Der Überlebenserfolg der Gattung Mensch gründet darin, dass er sich sowohl hauptsächlich von Fleisch und Fisch ernähren kann als auch rein pflanzlich.“

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Was haben die menschen in der steinzeit gegessen

Immer nur Gemüse? Kartoffelähnliche Knollen gehören auch schon seit 170 000 Jahren auf den Speiseplan des Menschen.

(Foto: Panthermedia/imago)

  • Forscher finden in einer Steinzeithöhle 170 000 Jahre alte Reste von kartoffelähnlichen Knollen.
  • Die stärkehaltigen Wurzelstöcke widersprechen der These, Steinzeitmenschen hätte sich kohlenhydratarm ernährt.
  • Offenbar wurden die Knollen für gemeinsame Mahlzeiten im Feuer gegart.

Zu den jüngeren der vielen Märchen aus der Ernährungsforschung gehört die Legende, dass Kohlenhydrate grundlegend schlecht für den menschlichen Körper seien. Und klar, es leuchtet ja auch ein: Zucker versteckt sich heutzutage in den unwahrscheinlichsten Lebensmitteln, Weizen gilt sowieso als das neue Gift, und selbst Kartoffeln haben in jüngsten Ratgebern angeblich wissenschaftlich eins auf die Rübe bekommen, und zwar als Dickmacher. Dazu kommt, dass das physiologische Vorbild des heutigen Menschen, der Steinzeitmensch, ja noch gar kein Mehl, keinen Zucker, nicht mal stärkereiche Knollen wie die Kartoffel kannte. Der menschliche Körper weiß also schon von der Biologie her nichts mit Kohlenhydraten anzufangen - außer, Diabetes zu bekommen.

Doch wie eine aktuelle Studie im Wissenschaftsjournal Science jetzt zeigt, ist gerade das Steinzeitargument der kohlenhydratarmen, oft Paläodiät genannten Ernährungsweise wohl ein ziemlicher Schmarrn. Ein internationales Forscherteam hat in einer Berghöhle an der Grenze zwischen Südafrika und Swasiland jetzt nämlich zahlreiche 170 000 Jahre alte Überreste von im Feuer gerösteten, stärkehaltigen Wurzelstöcken gefunden. Wie ein Vergleich der stark verkohlten Artefakte mit heutigen heimischen Pflanzen unter dem Elektronenmikroskop deutlich zeigte, gehören die im botanischen Fachjargon "Rhizome" genannten Knollen zur Pflanzengattung Hypoxis, und sie enthalten mehr Kohlenhydrate und Energie als heutige Kartoffelsorten. Außerdem schmecken die Wurzelstöcke der in den Höhlen entdeckten Art Hypoxia angustifolia besser als die noch heute verbreitete, leicht bittere "Afrikanische Kartoffel" - bei der es sich ebenfalls um eine Hypoxia-Art handelt.

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Pfunde verlieren mit mediterranen Gerichten oder Paleo? Was wir von Naturvölkern lernen können - und warum Speisepläne wie die Steinzeit-Diät kein optimales Abnehmen ermöglichen.   Von Kathrin Burger

Dass die Hypoxia-Knollen nicht zufällig oder durch Tiere in die Höhle gelangt sind, folgert das Team um die Evolutionsbiologin Lyn Wadley von der University of Witwatersrand im südafrikanischen Johannesburg aus der Zahl und der Vollständigkeit der Wurzelstöcke. Hinzu kommt, dass fast alle Rhizome in den Feuerstellen entdeckt wurden - und nicht irgendwo sonst in der Höhle. Die Forscher fanden außerdem Werkzeuge, die vermutlich genutzt wurden, um die Wurzeln auszugraben. Diese Stöcke sind mit 40 000 Jahren allerdings deutlich jünger als die knolligen Überreste aus den Feuerstellen.

Dennoch sind Wadley und Kollegen überzeugt, eine fundamentale Entdeckung über die Lebensweise früher Steinzeitmenschen gemacht zu haben. "Weil die Rhizome in die Höhlen gebracht und nicht gleich am Fundort zubereitet wurden, liegt es nahe, dass die Nahrung zu Hause gemeinschaftlich geteilt wurde", sagt Wadley. Die Forscherin ist sich zudem sicher, dass in den Höhlen nicht nur einmal, sondern regelmäßig gekocht wurde, auch wenn die Belege dafür noch spärlich sind. Und schließlich waren die Wurzeln ein gutes Vorratslebensmittel - wie Kartoffeln oder andere Knollengemüse lassen sie sich gut eine Weile aufbewahren. Was die Ernährung betrifft, so aßen die Steinzeitmenschen jedenfalls nicht nur Fleisch allein und ein paar Beeren, sondern frönten einer frühen Form des Gröstls.

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Für Freunde der Paläoküche mag das nun ein Rückschlag sein, denn irgendeine Ernährung muss doch die richtige sein. Vielleicht ist es aber doch bloß so, dass der Mensch sich auf sehr vielfältige Weise ernähren kann, solange von allem ein bisschen dabei ist, von nichts zu viel gegessen wird - und solange man sein Essen selbst kocht. Denn immerhin das kann man offenbar auch von den Vorfahren lernen: Gemeinsam kochen und essen gehört zum Menschsein dazu.