Was passiert in Europa Wenn der Golfstrom versiegt?

Was passiert in Europa Wenn der Golfstrom versiegt?

Zahlreiche Tierarten nutzen den Golfstrom als Transportmittel auf ihren Wanderungen von der Karibik in nördliche Gebiete. Aber der mächtige Strom führt nicht nur Meerestiere mit sich - das warme Wasser versorgt große Teile Europas auch mit gigantischen Mengen an Wärmeenergie. Ohne den Golfstrom sähe das Klima bei uns ganz anders aus: karge, eisbedeckte Landschaften statt saftiger Wiesen, belaubter Wälder und florierender Landwirtschaft.

Was passiert in Europa Wenn der Golfstrom versiegt?

Die Hudson Bay in Kanada ist monatelang vereist. Ein Glück für Europa, dass es den Golfstrom gibt.

Immer wieder werden Befürchtungen laut, dass der Golfstrom durch die Folgen der Klimaerwärmung zum Stillstand kommen könnte. Das warme Wasser des Golfstroms ist nämlich dafür verantwortlich, dass es in Nordeuropa ungewöhnlich warm ist. Ohne den Golfstrom wären die Elbmündung und die Nordsee monatelang vereist, ähnlich wie beispielsweise die Hudson Bay in Kanada, die auf demselben Breitengrad liegt.

Was passiert in Europa Wenn der Golfstrom versiegt?

Benjamin Franklin skizzierte zum ersten Mal die Meeresströmungen des Golfstroms

Der Golfstrom ist eingebunden in ein komplexes System von Meeresströmungen. Er beginnt im Atlantik westlich des afrikanischen Kontinents. Er fließt zum Golf von Mexiko und tankt dort viel Wärme auf. Dann vereinigt er sich mit dem Florida- und dem Bahamasstrom und gemeinsam bilden sie den eigentlichen Golfstrom, benannt nach dem Golf von Mexiko.

Entlang der Küste Nordamerikas fließt er nach Norden. Bei North Carolina, am Cape Hatteras, biegt er nach Nordosten ab. Jetzt ist er statt 100 bis 200 Kilometer nur noch 50 Kilometer breit und transportiert mit einer Fließgeschwindigkeit von rund zwei Metern pro Sekunde bis zu 100 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde in Richtung Europa.

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Grafik: globaler ozeanischer Strömungskreislauf

Vor Europa spaltet sich der Golfstrom wieder in drei Stromsysteme auf: Ein Teil fließt nach Süden in die Sargassosee östlich Floridas, ein anderer nach Osten in den Kanarenstrom und der dritte fließt weiter nach Nordwesteuropa als Nordatlantischer Strom.

"Der Strom war so stark, dass die Schiffe oft Mühe hatten, sich ihm entgegenzusetzen."

Das schrieb der Spanier Ponce de Leon schon 1513 über den Golfstrom.

Auf dem Weg Richtung Arktis kühlt sich das Wasser des Nordatlantikstroms immer mehr ab. Auch ist es durch die Verdunstung salzreicher geworden. Beides – die Kälte und der hohe Salzgehalt - machen das Wasser dichter und damit schwerer. Es sinkt in die Tiefsee hinab.

Zwischen Spitzbergen und Grönland bildet sich der größte Wasserfall der Erde. In 15 Kilometer breiten Säulen, sogenannten Chimneys, fallen 17 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde bis zu 4.000 Meter hinunter. Das ist 15-mal so viel Wasser, wie alle Flüsse der Welt führen.

Durch den abrupten Wasserabfall entsteht eine Sogwirkung, die den Golfstrom überhaupt erst in Richtung Europa zieht. Dies ist die wichtigste Funktion des Nordatlantischen Stroms: Es ist das "globale Förderband", das die Tiefseeströmungen in Bewegung hält.

Seit einigen Jahren haben Wissenschaftler diese globale Wasserpumpe verstärkt im Blick. Denn sollten die Polarkappen tatsächlich abschmelzen, könnte sich der Salzgehalt des Meeres vor Grönland so weit verringern, dass der Nordatlantische Strom nicht mehr schwer genug ist. Und dann würde er nicht mehr im gewohnten Umfang absinken und der Golfstrom könnte im schlimmsten Fall zum Erliegen kommen. Mit dem milden Klima in Nordeuropa wäre es dann vorbei. Doch bislang gehen Klimaexperten davon aus, dass die Klimaerwärmung diesen Effekt wohl ausgleichen wird. Temperaturschwankungen der Strömungen sind ebenfalls normal - das haben jahrelange Messungen der Ozeanographen vom IFM-Geomar im West- und Ostatlantik bewiesen.

Ihre Beobachtungsdaten und Modellsimulationen aus den Jahren 1900 bis 2008 haben aber auch nachgewiesen, dass sich der Golfstrom im vergangenen Jahrhundert um etwa 1,2 Grad Celsius erwärmt hat, der Atlantik um 0,4 Grad. Dies kann auch Konsequenzen für die Aufnahme von Kohlendioxid im Ozean haben, die bei höheren Temperaturen geringer ausfällt. Eine andere Erkenntnis über den Golfstrom veröffentlichte ein internationales Wissenschaftlerteam im April 2018: Die Forscher hatten Computersimulationen mit Messdaten der Temperatur der Meeresoberfläche verglichen. Als Ergebnis stellten sie fest, dass sich die Strömung im Atlantik seit den 1950er-Jahren um 15 Prozent verlangsamt hat. Anfang 2021 veröffentlichten die Wissenschaftler eine weitere Studie mit dem Fazit: Der Golfstrom war in mehr als tausend Jahren nie so schwach wie in den vergangenen Jahrzehnten.

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Eine gewaltige Schmelzwasserflut legte in der letzten Eiszeit den wärmenden Nordatlantikstrom still und ließ die Nordhalbkugel wieder vereisen. Entscheidend für den Klimawechsel vor 12.900 Jahren war jedoch nicht nur, wie viel Schmelzwasser aus der Arktis in den Atlantik strömte, sondern auch, wo dies geschah. Das haben US-amerikanische Forscher bei der Simulation dieser Ereignisse festgestellt. Sie zeigt, dass das Schmelzwasser nicht, wie bisher angenommen, auf Höhe des Sankt-Lorenz-Stroms in den Atlantik floss, sondern 4.000 Kilometer weiter nordwestlich über den Mackenzie-Fluss ins arktische Meer. "Die Ursache der damaligen Abkühlung genau zu kennen, ist wichtig, um zu verstehen, wie sich unser Klima in der Zukunft ändern könnte", sagt Alan Condron von der US-amerikanischen University of Massachusetts in Amherst. Denn auch heute ströme durch die Klimaerwärmung wieder vermehrt Schmelzwasser aus Grönland und der Arktis ins Meer.

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Das globales Förderband, im Fachjargon thermohaline Zirkulation genannt, veranschaulicht: die Tiefenströmung ist blau, die Oberflächenströmung rot markiert. Diese Kombination von Meeresströmungen verbindet vier Ozeane miteinander.

(Nasa)

Reißt der Golfstrom ab, wenn sich die Erde weiter erwärmt – oder doch nicht? Diese Frage beschäftigt Meeres- wie Klimaforscher bereits seit den 1980er-Jahren. In früheren Modellrechnungen erwies sich die „Atlantic Meridional Overturning Circulation“ (kurz: AMOC), wie das Strömungssystem fachsprachlich heißt, als recht stabil, selbst wenn sich die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) gegenüber der vorindustriellen Zeit verdoppelt. Dann sollte sich der Strom um höchstens 20 Prozent abschwächen.

Jetzt aber zeigen gleich zwei Studien, dass die gigantische Strömung nach einer CO2-Verdoppelung, die mit einer starken Erderwärmung einhergeht, durchaus abreißen könnte.

Im Klimasystem der Erde ist der Golfstrom eine bestimmende Größe. Er bewegt mehr als hundertmal so viel Wasser wie alle Flüsse der Welt enthalten. Sein Ursprung liegt nördlich der Bahamas, wo sich der Florida- und der Antillenstrom vereinen. Unterwegs erwärmt sich sein Wasser auf bis zu 30 Grad Celsius. Zunächst fließt er entlang der US-Küste nach Norden. Auf der Höhe von Cape Hatteras (US-Staat North Carolina) biegt er dann nach Nordosten ab, wobei er – nunmehr Nordatlantikstrom genannt – das warme Oberflächenwasser bis in die hohen Breiten transportiert.

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Wird das Leben in Europa langfristig klirrend kalt? Einer neuen Studie zufolge könnte dies passieren, wenn die Erderwärmung nicht gestoppt wird.

(dpa)

Ohne Golfstrom drohen sibirische Winter

Dabei beschert er Nord- und Nordwesteuropa ein mildes Klima, ohne ihn wäre es dort durchschnittlich fünf bis zehn Grad kälter. Statt grüner Wiesen, Wälder und Landwirtschaft gäbe es karge, eisbedeckte Landschaften, die Winter wären so hart und kalt wie in Sibirien. Ähnlich wie etwa die Hudson Bay in Kanada wären auch die Elbemündung, die auf demselben Breitengrad liegt, und die Nordsee monatelang vereist.

Auf dem Weg zur Arktis verdunstet Wasser aus dem Nordatlantikstrom, wodurch die Salzkonzentration des im Meer verbleibenden Wassers steigt. Zugleich kühlt sich der Strom immer mehr ab. Durch beide Faktoren – Kälte und hoher Salzgehalt – wird das Wasser dichter und damit schwerer. Deshalb sinkt es in die Tiefsee hinab und fließt als kalte Tiefenströmung zurück nach Südwesten bis zum Südatlantik. Damit zählt es zum „globalen Förderband“ von Meeresströmungen, die vier der fünf Ozeane miteinander verbinden. Forscher sprechen von der „globalen thermohalinen Zirkulation“.

Tiefenströmungen als "globales Förderband"

Das Absinken erfolgt vor allem im Labrador- und Grönlandsee. Zwischen Spitzbergen und Grönland entsteht dabei der größte Wasserfall der Welt. In bis zu 15 Kilometer breiten Säulen stürzen 17 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde in bis zu 4000 Meter Tiefe. Das ist 15mal so viel Wasser, wie alle Flüsse der Welt führen. Durch das abrupte Absinken entsteht ein Sog, der den Golfstrom erst in Richtung Europa zieht.

Um diese Tiefenwasserpumpe geht es. Neben dem heranströmenden salzreichen Wasser beeinflusst auch Süßwasser, das durch Niederschläge, Flüsse und Eisschmelze in den Nordatlantik strömt, ihre Funktion. Erlahmt das Golfstromsystem, fehlt der Salznachschub, so dass sich an der Oberfläche zunehmend mit Süßwasser verdünntes Meerwasser sammelt. Das ist leichter als salzigeres Wasser und sinkt daher nicht so leicht zum Meeresgrund.

Tiefenwasserpumpe gerät ins Stottern

Die Autoren um den Scripps-Ozeanographen Wei Liu korrigierten den Süßwassereintrag in den Ozean in einem der Klimamodelle, um dort die beobachtete Salzkonzentration besser wiederzugeben. „Entscheidend ist, ob die Umwälzströmung insgesamt Süßwasser in das Atlantikbecken hineintransportiert, oder ob sie es exportiert“, erklärt dazu der Klimatologe Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) in seinem Blog „Klimalounge“. Er hatte schon 1996 eine Arbeit zu dem Thema publiziert.

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Die Strömung des Golfstroms ist im Laufe des 20. Jahrhunderts stark abgeschwächt. Forscher vermuten dahinter den Klimawandel.

(Colourbox)

Abkühlung im Atlantik weist auf erlahmendes Golfstromsystem hin

Beobachtungsdaten niederländischer Forscher ließen in der Folge erkennen, dass die Strömung tatsächlich Süßwasser davon trägt. Reißt sie ab, bleibt es im Nordatlantik zurück, und die Tiefenwasserpumpe wird lahm gelegt. Ein systematischer Fehler in den früheren Modellen führte aber dazu, dass der Absinkmechanismus stabil erschien. Dabei hatten die Forscher im subpolaren Atlantik bereits einen Abkühlungstrend festgestellt, der auf ein erlahmendes Golfstromsystem hinweist. „Wir zeigen jetzt, dass die Möglichkeit eines Zusammenbruchs der AMOC bei fortschreitender globaler Erwärmung gewaltig unterschätzt wird“, bekräftigt Studienhauptautor Liu.

Auswirkungen werden bereits in 100 Jahren zu spüren sein

In seiner Arbeit korrigierte er mit seinen Kollegen nicht nur den Fehler, so dass der Salzgehalt im Modell besser mit dem des echten Ozeans übereinstimmt, sondern berechnete auch, wie sich der Golfstrom verhält, wenn sich die CO2-Menge in der Luft verdoppelt. Das Ergebnis: Ohne Korrektur erweist sich die Zirkulation als sehr stabil gegenüber der massiven Störung durch das Süßwasser. Mit der Korrektur dagegen bricht sie im Lauf von rund 300 Jahren zusammen.

Schon nach 100 Jahren hat sie ein Drittel ihrer Kraft verloren. Infolgedessen würde der Nordatlantik deutlich kühler. An Land sänken die Wintertemperaturen in Grönland, Island, Skandinavien und Großbritannien um bis zu sieben Grad Celsius, etwas weniger stark wären auch Deutschland und Frankreich betroffen (minus 1 bis 2 Grad). Der Temperaturabfall würde nicht nur die Fischerei beeinträchtigen, sondern könnte auch den Regengürtel über dem tropischen Atlantik nach Süden verschieben, was das regionale Klima in Mittel- und Südamerika beeinflusst. Entlang der US-Ostküsten stiege der Meeresspiegel, es gäbe mehr Hurrikane, und in den Meeresgebieten um Grönland, Island und Norwegen wüchse die Eisdecke signifikant.

Kritik an Studie wird laut

„Diese Studie ist sicher nicht das letzte Wort in dieser wichtigen Frage“, glaubt jedoch der PIK-Forscher Rahmstorf. „Im Vergleich mit den Messdaten scheint die Korrektur etwas zu stark zu sein – die korrigierte Modellversion könnte daher deutlich zu instabil sein.“ Zudem wurde das Experiment nur mit einem einzigen Klimamodell durchgeführt, für sichere Aussagen müssen indes mehrere Modelle übereinstimmende Resultate erbringen. Zudem berücksichtigten Liu und seine Kollegen das Schmelzwasser nicht, das vom schwindenden Kontinentaleis auf Grönland ins Meer fließt. Dieser Zustrom könnte die AMOC zusätzlich schwächen. Diesen Zusammenhang untersuchte dafür eine Forschergruppe um den Paläoklimatologen Pepijn Bakker vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen. In ihrer Studie berechnete sie, wie sich die Gletscherschmelze im Zusammenspiel mit der Erderwärmung auf das Golfstromsystem auswirkt.

Studienergebnis: Kollaps ließe sich vermeiden

Bei ungebremsten CO2-Emissionen, so das Resultat, schwächt es sich durch den Einfluss des Grönland-Schmelzwasser bis zum Ende des Jahrhunderts um 37 Prozent ab, bis 2300 sogar um 74 Prozent. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 44 Prozent bricht die AMOC bis dahin sogar ganz zusammen. „Dieses Ergebnis legt nahe, dass  sich der Kollaps durch eine Minderung der CO2-Emissionen vermeiden lässt“, schlussfolgern die Studienautoren. Gelingt dies nicht, würde es in unseren Breiten für unsere Kinder und Enkel deutlich kälter. Wahrscheinlicher aber wird nur der Anstieg der Erdtemperatur, den die vom Menschen ausgestoßenen Treibhausgase verursachen, ein wenig gebremst.