Was ist erst seit 1989 in island wieder legal

Illustration: Federico Delfrati

Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, lieber Leser – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol. 

Als wir unseren Urlaub auf Island planten, galt eine unserer ersten Google-Suchen den örtlichen Bierpreisen. Wir fanden unzählige Blogbeiträge mit Tipps, wie man sich am besten in Island betrinkt, ohne sich zu verschulden. Rund acht Euro kostet ein Bier an einer Bar in Reykjavik. Was soll’s, dachten wir, Island ist halt teuer.

Erst als wir vor Ort Proviant für unseren Roadtrip um die Insel besorgten, erkannten wir die tatsächlichen Ausmaße unseres Problems: In isländischen Supermärkten gibt es keinen Alkohol – nur Light Beer mit rund zwei Prozent, das zählt nicht. Wer richtiges Bier, Wein oder Schnaps will, muss in einen Vínbúðin: einen staatlich lizenzierten Spirituosenladen. 50 Stück gibt es davon angeblich auf der Insel. Ich sage angeblich, weil wir auf unserer dreiwöchigen Reise durch Island nur dreimal einen zu Gesicht bekommen haben – und einer davon hatte geschlossen. Öffnungszeiten von 16 bis 18 Uhr sind weder urlauber- noch einwohnerfreundlich. Die Deutschen würden wegen sowas auf die Straße gehen, um sich ihre Bierfreiheit zu erkämpfen. Warum passiert das in Island nicht?

Man könnte jetzt sagen, dass man auch ohne Alkohol Urlaub machen kann und dass das vielleicht auch mal ganz gut tut. Man kann es sich auch romantisch reden, wenn man bei Regen und Windstärke 8 irgendwo im isländischen Hochland im Zelt festsitzt. Aber spätestens am zweiten Tag wäre ein gutes Glas Wein dabei sehr hilfreich. Und wenn es abends mal nicht zu kalt oder zu nass ist, um noch ein bisschen vor dem Zelt zusammen zu sitzen, würde eine Runde Bier diesen Moment um einiges gemütlicher machen. Ein bisschen wärmen würde es vielleicht auch.

Die Beziehung der Isländer zum Bier war lange kompliziert. Es galt als gefährlich und unpatriotisch

Wir begannen darüber zu sinnieren, ob Alkohol in Ländern wie Island viel zu teuer oder bei uns einfach viel zu günstig und selbstverständlich ist. Ich stellte mir vor, wie es wäre, auf einer Insel zu leben, auf der es das halbe Jahr über die meiste Zeit dunkel ist und wo auf dem Land – also überall außer in Reykjavik – auch im Sommer nichts los ist. Was wir Sommerurlauber als entschleunigendes Naturparadies sahen, stellte ich mir auf Dauer ganz schön deprimierend vor. Je mehr ich darüber nachdachte, desto besser konnte ich nachvollziehen, was ich auf einem Reise-Blog gelesen hatte: nämlich, dass Alkohol in Island 1915 komplett verboten wurde. Rund 60 Prozent der isländischen Männer (Frauen durften noch nicht wählen) hatten damals für die Prohibition gestimmt. Das zeugt von viel Selbstreflexion, dachte ich.

Richtig lang hielt sich das Alkoholverbot aber nicht. Ein paar Jahre später durfte wieder Wein importiert werden und in den Dreißigern ging auch Hochprozentiges wieder legal über die Theke. Nur die Beziehung der Isländer zum Bier blieb noch lange kompliziert. Da es viel billiger war als Wein oder Schnaps, fürchtete die Regierung, dass die Bevölkerung vor allem an den dunklen Wintertagen zu oft zum Bier greifen würde. Bier galt nicht nur als gefährlich sondern auch als unpatriotisch, da die Dänen gerne viel davon tranken – und von denen wünschten sich die Isländer sehnlichst die Unabhängigkeit. Bier mit mehr als 2,25 Prozent blieb also verboten. Bis 1989. In dem Jahr, in dem in Deutschland die Mauer fiel, feierten die Isländer ihr erstes vollwertiges, legales Bier seit 74 Jahren. In den Supermärkten hat sich die 2,25-Prozent-Grenze aber bis heute gehalten.

Jedes dieser Verbote haben die Isländer aber schon immer irgendwie umgangen – durch Schmuggel oder Selbstgebranntes und -gebrautes. Brennivín, ein 40-prozentiger Kartoffelschnaps mit Kümmelaroma, den man eher nicht wegen seines Geschmacks trinkt, war früher vor allem deshalb beliebt, weil man damit dem laschen Bier etwas mehr Wumms verleihen konnte. Nach ein paar Gläsern von diesem Gemisch sieht man im einsamen isländischen Winter vermutlich auch Elfen, die einen unterhalten. Zur Abschreckung ließ die isländische Regierung schwarze Totenköpfe auf die Schnapsflaschen kleben. Brennivín wird deshalb heute noch "Schwarzer Tod" genannt und ist das inoffizielle Nationalgetränk Islands.

Jetzt wusste ich zwar mehr über die Isländer und den Alkohol, aber unser Problem war damit nicht gelöst. Gut zwei Wochen blieben wir tapfer. Unser Reisebudget war ohnehin längst aufgebraucht. Irgendwann wurde die Sehnsucht nach dem Urlaubsrausch aber übermächtig und wir machten uns auf die Suche. So heilig den Deutschen ihr Bier ist, so heilig wurde für uns der seltene Vínbúðin. Und da war er plötzlich: Ganz unscheinbar standen die Regale voller Flaschen und Dosen da und waren für uns doch eine mindestens so große Attraktion wie der mächtige Wasserfall Dettifoss oder die springenden Buckelwale in Húsavík. Nachdem wir wie Kinder in der Spielzeugabteilung umher gestreift waren, einigten wir uns auf zwei Paletten Dosenbier. Das sollte reichen für die verbleibenden drei Tage.

In unseren Rausch mischte sich ein Gefühl von Triumph und tiefer Verbundenheit: Gemeinsam hatten wir es geschafft

Der heilige Vínbúðin meinte es gut mit uns an diesem Tag. Wir transportierten unseren Schatz aus Bier und Aluminium sicher über eine angeblich befahrbare Schotterpiste und landeten auf einem verwunschenen, einsamen Zeltplatz, Höhle inklusive. Zwischen den tiefschwarzen Höhlenwänden und ein paar Teelichtern tranken wir unseren kompletten Biervorrat leer. Wir zelebrierten jeden Schluck und der warm anschwellende Rausch mischte sich mit einem Gefühl von Triumph und tiefer Verbundenheit: Gemeinsam hatten wir es geschafft. So mussten sich die Isländer während der Prohibition gefühlt haben, wenn sie nach langer Zeit eine Flasche Brennivín ergattert hatten.

Unser nächstes Urlaubsziel ist Slowenien. Wir werden die Bierpreise dort sehr zu schätzen wissen, aber auch das, was Island uns beigebracht hat: Man muss sich vielleicht nicht gleich eine Prohibition auferlegen, aber als allzu selbstverständlich sollte man es auch nicht hinnehmen, dass Alkohol in anderen Ländern so günstig und auch noch ständig verfügbar ist. Dann bleibt der Urlaubsrausch etwas Besonderes.

 

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Was passiert, wenn ein Land über 70 Jahre lang ohne Bier auskommen muss? Zuerst wird wüst gepanscht, dann entsteht Widerstand – und anschließend besteht jede Menge Aufholbedarf. So geschehen in Island, wo seit einigen Jahren zahlreiche neue und kreative Brauereien entstehen. Ich habe mich auf eine Recherche-Reise begeben.

Prohibition in Island

Zunächst ein kurzer Rückblick auf die (aus der Sicht eines Bier-Trinkers) traurige Vergangenheit des Inselstaates: Motiviert durch die Unabhängigkeit vom Bier-affinen Dänemark trat 1915 ein Gesetz in Kraft, das den Beginn der Prohibition in Island markiert. Die Verbote für Wein und Spirituosen wurden in den folgenden Jahrzehnten schnell gelockert, Bier blieb zunächst einmal bis 1933 verboten. Zu diesem Zeitpunkt war der Bier-Durst wohl groß genug für einen Kompromiss: Bier wurde grundsätzlich wieder erlaubt, allerdings nur bis zu einem Alkoholgehalt von 2,25%. Wenig überraschend, dass das den Durst der Isländer nur bedingt befriedigen konnte – das Ergebnis: Schmuggelware aus dem Ausland, erste geheime Garagen-Sude und die grandiose Idee, das schwache Bier mit hartem Schnaps zu mischen. Wobei bei letzterem wohl die Wirkung vor dem Genuss gestanden haben dürfte.

In den 1970er Jahren wurden Urlaube außerhalb Islands zunehmend beliebter und normaler und steigerten das Bedürfnis der Isländer, auch nach der Rückkehr in die Heimat legal „richtiges“ Bier zu trinken. Der Widerstand führte allerdings zunächst einmal zu einer nicht ganz einleuchtenden Situation: Der Verkauf von Bier war im ganzen Land weiterhin illegal, der Duty-Free-Bereich des Flughafens bildete aber eine Ausnahme. Und so konnten einreisende Touristen, aber auch Isländer hier bis zu acht Liter Bier kaufen und importieren – verrückterweise nicht nur internationale Biere, sondern auch isländische Produkte die es nirgends außer am Flughafen (legal) zu kaufen gab. Ende der 1980er Jahre hatte das Althing, das isländische Parlament, dann schließlich ein Einsehen: Seit 1989 ist Bier in Island legal erhältlich.

Hotspot Flughafen

So ganz wie in Deutschland gewohnt läuft der Bier-Kauf in Island aber auch 2018 nicht, wie ich bei meiner Reise gelernt habe. Nach wie vor ist das Bier-Regal im Duty-Free-Shop die Anlaufstelle Nr. 1 nach der Landung in Reykjavik – inzwischen aber in erster Linie aus Preisgründen. Im Supermarkt sucht man Bier allerdings auch heute noch vergeblich ­­– der Verkauf alkoholischer Getränke läuft ausschließlich über die staatliche Kette Vínbúðin.

Die Bier-Szene holt auf

Teurer, aber auch gemütlicher trinkt es sich aber sowieso in den vielen Kneipen und Pubs Reykjaviks (und anderswo natürlich). Und was in Deutschland eher geizig und ungemütlich ist, scheint in Island sehr viel normaler zu sein: Man passt sein Ausgeh- und Trinkverhalten an die wechselnden Happy-Hours der Kneipen an. Dabei stolpert man dann möglicherweise – wie ich diesen Sommer – in die Skúli Craft Bar und kommt unverhofft in den Genuss einer großen Auswahl an isländischen Craft-Bieren (den zur Kneipe gehörenden Food Truck nicht zu vergessen!).

Was ist erst seit 1989 in island wieder legal

In den letzten Jahrzehnten hat die isländische Bier-Szene nämlich ordentlich aufgeholt: Seit 2006 mit der Brauerei Kaldi die erste Mikrobrauerei des Landes ihre Türen geöffnet hat, ist die Bier-Landschaft in Island zum Leben erwacht. Inzwischen gibt es in dem 350.000 Einwohner starken Land eine beachtliche Mischung aus „großen“ Brauereien mit klassischen (und sehr gut trinkbaren) Bieren und aus sehr kreativen Kleinstbrauereien. Dabei entstehen (wie auch auf anderen Bier-Märkten) gelegentlich auch etwas skurrile Kreationen. Wer auf Säure im Bier steht, der sollte beispielsweise mal das Skyrgosi probieren – wie der Name vermuten lässt tatsächlich eine Kombination aus Bier und dem Joghurt-ähnlichen Skyr. Viel isländischer wird es nicht.

Um sich durch die gesamte isländische Bier-Landschaft zu trinken braucht es mehr Zeit (und Geld) als ich diesen Sommer hatte. Trotzdem hat es gereicht um ein paar (teils absolut unaussprechliche) Highlights zu entdecken. Wer tiefer einsteigen möchte in die Schätze isländischer Brauereien, dem kann ich unter anderem diese Auflistung empfehlen – und natürlich einen Besuch der Kneipen Reykjaviks.