Was ist am Ende des Lebens wichtig

Was ist am Ende des Lebens wichtig

Stell dir vor, du hättest nur noch einen Tag zu leben.

Wie würde es dir jetzt gehen? Was würdest du denken? Was empfinden?  

Was ich an meinem letzten Tag machen würde, habe ich hier beschrieben.

Wir alle müssen sterben. Aber für gewöhnlich stellen wir uns unser Ableben als etwas vor, dass einem anderen Ich zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort passiert (beispielsweise wenn man 80 Jahre alt ist, seinen Enkeln beim Spielen zukuckt und bereit ist zu gehen).

Was ist am Ende des Lebens wichtig
Dass der Tod uns jederzeit und an jedem Ort ereilen kann wissen wir zwar theoretisch, und bekommen es auch täglich in den Nachrichten gezeigt, aber wirklich begreifen tuen wir es nicht.

Bis es eines Tages passiert. Plötzlich und unerwartet: Ein Autounfall, ein Herzinfarkt, ein Erdbeben. Und mit einem Mal ist alles vorbei!

Wenn es soweit ist – egal wie kurz oder lange es angedauert hat – möchten wir alle dasselbe: möglichst zufrieden aus diesem Leben zu scheiden. Ohne Bedauern und ohne Reue. Und zurückblicken auf ein Leben, in dem wir uns Träume gelebt haben.

Doch so sterben die wenigsten von uns. Die Mehrheit der Menschen hadert kurz vor ihrem Tod mit den immer gleichen Dingen. Das hat die australische Krankenschwester Bronnie Ware festgestellt, die viele Jahre in der Sterbebegleitung tätig war.

Lernen aus den Fehlern Anderer

Die Erfahrungen und Erkenntnisse, die sie aus diesen Begegnungen gewonnen hat, schildert sie in dem Buch: „The Top Five Regrets of the Dying“*. Darin geht es um die Fülle an Emotionen, die Sterbende in den letzten Tagen und Stunden ihres Lebens empfinden.

Vor allem aber berichtet sie von dem Bedauern der Sterbenden, ihr Leben nicht anders gelebt zu haben, Entscheidungen nicht anders getroffen und ihre Träume nicht wirklich gelebt zu haben.

So unterschiedlich unsere Leben auch verlaufen. Im Angesicht des Todes scheinen wir alle dasselbe zu bereuen.

Die fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuen, lauten nach Bronnie Ware wie folgt:

  1. Oftmals richten wir unser Leben nach den Erwartungen anderer aus; entscheiden uns für ein Jura-Studium, weil die Eltern sich schon immer einen Anwalt in der Familie gewünscht haben oder gründen eine Familie, weil es irgendwie dazugehört.

    Nicht selten verlieren wir dabei unsere eigenen Wünsche komplett aus den Augen. Und ehe wir uns versehen, leben wir das Leben, dass andere sich für uns vorstellen oder die Gesellschaft von uns erwartet.

    Ein Leben aber, das womöglich nichts mehr mit dem Leben gemein hat, dass wir gerne geführt hätten.

  2. Dieses Bedauern wurde von allen Männern geäußert, die Bronnie Ware im Laufe ihrer Zeit als Krankenschwester gepflegt hat.

    Doch unabhängig davon, ob sie für mehr Status, die Karriere oder mehr Geld gearbeitet haben, am Ende ihres Lebens wünschten sich diese Männer, sie hätten weniger auf die Arbeit fokussiert und mehr auf das Leben.

  3. Viele Menschen unterdrücken ihre Gefühle, um den allgemeinen Frieden zu bewahren. Andere sagen aus Angst vor Zurückweisung nicht, was sie empfinden.

    Im Angesicht des Todes werden diese Sorgen und Ängste irrelevant. Was zurück bleibt, ist die Reue, einem geliebten Menschen nicht schon früher gesagt zu haben, was man für ihn empfindet.

  4. Was ist am Ende des Lebens wichtig
    Wenn wir klein sind, sind Freude das größte für uns. Schule wäre undenkbar ohne die beste Freundin und die Ausbildung womöglich unerträglich, hätten wir nicht unsere Kumpels.

    Wir können mit ihnen reden, lachen, Spaß haben und ihnen alles anvertrauen. Freunde sind wichtig. Das wird niemand leugnen.

    Doch spätestens mit Ende des Studiums sind Freundschaften rarer gesät. Die Lebenswege trennen sich, man zieht in eine andere Stadt, manche gründen Familien, andere machen Karriere. Den meisten fehlt schlichtweg die Zeit.

    Zunächst können Arbeit und Familie dieses Loch noch füllen, doch im Alter nimmt die Einsamkeit wieder Oberhand. Und wenn der Tod naht, vermisst jeder seine Freunde.

  5. Viele Menschen begreifen erst im Angesicht des Todes, dass sie die Freiheit hatten, ihr Leben nach ihren Wünschen zu gestalten.

    In Gewohnheit und Alltagstrott denken sie, das Leben müsste so sein und Glück sei nur flüchtig. Dabei hat jeder von uns jederzeit die Möglichkeit, sein Leben zu ändern.

    Leider erkennen die meisten von uns diese Wahrheit erst, wenn es bereits zu spät ist. Nur manche haben das Glück dem Tod noch mal von der Schippe zu springen. Und wer eine solche zweite Chance geschenkt bekommt, der nutzt sie für gewöhnlich auch.

Nahtoderlebnisse als Wendepunkte in ein neues Leben

Was ist am Ende des Lebens wichtig
Menschen, die einen schweren Unfall hatten, eine schlimme Krankheit oder eine Naturkatastrophe überlebt haben, zeigen oft tiefgreifende Veränderungen in ihren Einstellungen und Verhaltensweisen.

Es gibt Berichte von ehemaligen Bankern, die nach Nahtoderlebnissen ihr Vermögen verschenkt haben und fortan Filmfestivals in Thailand ausrichteten oder von Börsenmaklern, die Aushängeschilder für den Umweltschutz wurden.

Ihnen allen ist gemein, dass sie ihre zweite Chance ergriffen haben und ihre bisherigen Ziele und Prioritäten verändert haben.

So zeigen mehrere Studien, dass Menschen nach tiefgreifenden Nahtodeserlebnissen weniger materialistisch sind und stärker in Übereinstimmung mit ihren persönlichen Werten leben. Dem Leben insgesamt, der Natur und auch alltäglichen Momenten bringen sie dafür mehr Wertschätzung entgegen.

Sie sorgen sich weniger um soziale Ablehnung oder die Meinung anderer, sind risikobereiter und leben stärker in der Gegenwart.

Diese Menschen haben durch die Konfrontation mit dem Tod begriffen, worauf es im Leben ankommt und erkannt, wie sie ihr Leben verbringen wollen.

Und sie hatten die Gelegenheit, es noch einmal zu versuchen…

Lebe deine Träume

Die meisten von uns werden diese Gelegenheit nicht bekommen. Wir haben nur dieses eine Leben!

Und wenn wir am Ende von diesem nicht voller Reue sein wollen, dann müssen wir es jetzt schon so leben, wie wir es uns wünschen.

Die wichtigste Erkenntnis dafür lautet, dass unser Leben in unseren Händen liegt. Niemand muss dauerhaft unzufrieden, gelangweilt, ausgebrannt, einsam oder einfach nur traurig sein. Du kannst dein Leben ändern. Zu jeder Zeit, an jedem Ort.

Du hast die Freiheit zu wählen, wie du leben möchtest.

Das hat auch Bronnie Ware erkannt. Als Reaktion auf ihre Erfahrungen in der Sterbebegleitung hat sie entschieden nur noch das zu machen, was sie wirklich will. „Ich weiß ja, was ich sonst auf meinem Sterbebett bereue“, sagt sie.

Und du? Lebst du schon deine Träume?

Deine Katharina

"Lernen Sie jetzt so zu leben, dass Sie auf dem Sterbebett sagen können: Ich habe alles richtig gemacht" – versprechen sie mit ihrem Buch. Wie soll das gehen?

Doris Tropper: Es gibt viele Möglichkeiten, von den Sterbenden zu lernen. Zum Beispiel spielt das Thema "Zeit" eine große Rolle. Schwerkranke oder Sterbende beklagen häufig, ihre Zeit sei zu schnell zerronnen. Sie meinen, wir, die mitten im Leben stehen, hätten noch so viel Zeit, verschiedene Dinge in Ordnung zu bringen. Wir haben diese Zeit, aber wir nehmen sie uns nicht, weil wir stattdessen Dinge tun, von denen wir glauben, dass sie wichtig seien. Man sollte daher viel bewusster mit der eigenen Lebenszeit umgehen. Am Sterbebett verschieben sich ohnedies die Prioritäten: die permanente Erreichbarkeit über Handy und Laptop zählen dort nicht mehr. Dinge, von denen wir glauben, sie unbedingt kaufen zu müssen, spielen  keine Rolle und sind nicht mehr erstrebenswert. Daran sollten wir im Einkaufsrummel der Vorweihnachtszeit öfters denken.

Gibt es Ihrer Meinung nach eine Art "To-do-Liste" der Dinge, die man im Leben erledigt haben sollte?

Tropper: Nein, die gibt es nicht. Jedes Leben verläuft individuell, so dass es kein Patentrezept geben kann. Die Kunst besteht darin, für sich selbst herauszufinden, was einem gut tut, was man braucht und was im eigenen Leben notwendig ist.

Dennoch gibt es drei Punkte, die ich immer wieder von Sterbenden höre: Leben, lieben, lachen. "Leben" steht für ein stärkeres Bewusstsein, dass morgen alles anders oder sogar vorbei sein kann - durch die Diagnose einer Krankheit, durch einen Unfall. Deshalb sollte man sich regelmäßig fragen: "Wie geht es mir heute? Wie erlebe ich diesen Tag?" Aber auch: "Was belastet mich?"

Was das Lieben anbelangt, ist es wichtig, sich seine eigene Beziehungskultur vor Augen zu halten. Sowohl die Fragen "Wer liebt mich? Wer ist für mich selbstverständlich da?", als auch "Wer hat mich verletzt? Wo gibt es Narben, die noch nicht verheilt sind? Wer hat mich verlassen?" sollten wir uns regelmäßig stellen. In der Regel überwiegt das Positive und man spürt, dass man wichtig ist für die Menschen, die uns nahe stehen.

Und Lachen – vor allem auch über sich selber – sollte man können. Man sollte versuchen, Dinge, die man nicht ändern kann, einmal von einer anderen, heiteren Seite her zu betrachten. Dann verlieren sie vielleicht an Schwere und sind letztendlich nicht mehr so belastend. Auch wenn es nicht immer die Gelegenheit zum herzhaften Lachen gibt.  

"Manchmal müssen Lebensträume eine Illusion bleiben"

Es gibt Geschichten – Romane oder Filme wie "Das Beste kommt zum Schluss" – in denen Menschen, wenn sie erfahren, dass sie sterben werden, noch einmal losziehen und ganz verrückte Dinge tun. Dinge, die sie immer schon einmal tun wollten. Ist diese Vorstellung realistisch?

Tropper: Nein, in den dreißig Jahren, in denen ich auf Sterbebegleitungen zurückblicken kann, habe ich das noch nie erlebt. Kein Todkranker hatte die Chance dazu, weil die noch verbleibende Zeit zu knapp oder weil einfach keine Kraft mehr in ihnen war. Wenn das Beste erst zum Schluss kommen soll, dann müssten zwischen der Diagnose und dem Tod noch viele Monate voller Vitalität und Lebenskraft liegen, was mir nicht realistisch erscheint. Ich sehe in solchen Geschichten eher eine große Gefahr: Man lebt sein Leben vor sich hin und denkt: "Mir bleibt ja noch genügend Zeit, ich verschiebe meine Wünsche und Träume auf morgen!" So einfach lassen sich jedoch Lebensträume angesichts des nahenden Todes nicht mehr erfüllen und bleiben dann eine Illusion.

Und was hindert uns daran, wichtige Dinge rechtzeitig zu erledigen oder zu klären?

Tropper: Ich glaube, wir machen uns nicht immer klar, was wirklich wichtig ist. Und häufig sind wir auch nicht mutig genug. Denn manche Schritte sind mit Veränderungen, Abschied und Verlust verbunden und können deshalb auch große Unsicherheit oder sogar Schmerzen mit sich bringen – egal, in welchem Bereich. Das sind Dinge, denen wir gerne ausweichen. Wenn Sterbenden bewusst wird, dass bestimmte Chancen wirklich vertan sind, kann das sehr quälend sein. Deshalb sollten wir lernen, "abschiedlich" zu leben, das heißt, dass man die wesentlichen Dinge seines Lebens geordnet zurück lässt, auch wenn einem mitten im Leben etwas zustößt.

Haben Sie denn auch erlebt, dass Sterbende gesagt haben: "Ich habe alles richtig gemacht, ich kann guter Dinge gehen"?

Tropper: Wortwörtlich habe ich diesen Satz nie gehört, nein. Aber in den letzten Minuten, wenn ein Leben zu Ende geht, wirken viele Menschen sehr gelöst. Es ist faszinierend zu erleben, welche Entspannung der letzte Atemzug bringen kann. Gesichter, die von Krankheit und Schmerz gezeichnet waren, schauen häufig nach dem Sterbeprozess viel jünger, glatter aus. Bei manchen stellt sich dieser Zustand der Gelassenheit und des Gelöstseins schon Wochen vor dem Tod ein. Da hatte ich durchaus das Gefühl, dass sie guter Dinge gehen können und mit ihrem Leben versöhnt waren. Aber wenn, vor allem bei alten Menschen, Verwirrtheit dazu kommt, oder dunkle Schatten der Vergangenheit über dem Leben liegen, dann lässt sich manchmal ein Kampf bis zum Ende hin beobachten.

"Ich bin achtsamer geworden"

Haben Sie auch persönlich etwas mitgenommen aus dem Umgang mit den Sterbenden?

Tropper: Jedes Mal, wenn eine Sterbebegleitung zu Ende gegangen ist, war ich häufig sehr motiviert und habe gedacht: "Dieses oder jenes machst Du jetzt anders!" Man vergisst es nur leider wieder viel zu schnell. Aber ich bin auf jeden Fall wachsamer geworden. Ich achte heute sehr genau darauf, wie es mir geht: Wenn ich spüre, meine Energie lässt nach, dann gönne ich mir Auszeiten und setze auf Langsamkeit. Ich achte aber nicht nur auf meine eigenen Grenzen der Belastbarkeit, sondern verlange von meiner Umwelt nicht mehr so viel wie früher. Meine Wahrnehmung hat sich verändert, ich bin viel sensibler geworden und ich halte immer wieder bewusst inne und Ausschau nach den kleinen Dingen und Freuden. Ich sammle exotische Pflanzen und wenn ich in meinem Garten sehe, dass etwas blüht oder wächst, dann kann ich mich darüber freuen wie ein Kind.