Was andere von mir denken, geht mich nichts an

16.07.2018, 13:30 Uhr

Wer cool und stark ist und sich selbst liebt, zieht sein Ding durch – egal, was andere darüber denken. So jedenfalls eine weit verbreitete Auffassung. Unsere Autorin ist dann allerdings nicht cool. Ihr ist nämlich wichtig, was andere über sie denken.  

Mach dein Ding, egal, was die anderen sagen!

Zugegeben: Diese "No-F***s-given"-Einstellung klingt echt super. Immer nur das tun, was ich will. Was ich allein für richtig halte. Und keinen Gedanken daran verschwenden, was andere davon halten. Wirklich ganz toll. Zumal es dann auch noch – zum Beispiel bei Instagram und YouTube – oft Applaus dafür gibt (wobei das die Gefeierten natürlich nicht interessiert ...). 

Aber für mich ist das einfach nichts. Sorry! 🤷‍♀️

Kann gut sein, dass ich das Ganze einfach nicht verstehe. Zum Beispiel frage ich mich immer, warum die Leute ihre No-F***s-given-Einstellung bei Instagram und Co. propagieren, wenn sie anderer Menschen Meinung nicht interessiert. Und warum sie teilweise Fotos retuschieren, ihren Rücken so verbiegen, dass ihr Hintern besonders toll aussieht, oder kritische Kommentare löschen.

Außerdem: Inwiefern soll es bitte ein Zeichen von Selbstliebe sein, auf das Feedback von anderen zu pfeifen? Das wird nämlich oft behauptet, aber ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich halte mich sogar für einen lebenden Gegenbeweis: Ich liebe mich nämlich selbst, interessiere mich aber trotzdem dafür, was andere über mich denken. Und dafür habe ich auch meine Gründe.

1. Andere sehen, was ich nicht sehe

Seit ich denken kann, sehe ich mich jeden einzelnen Tag aus ein und derselben Perspektive. Klar, je nach Stimmung finde ich mich mal ganz toll und mal völlig daneben. Doch grundsätzlich bin ich so an mich gewöhnt, dass ich einfach alles an mir selbstverständlich und normal finde. Ohne das Feedback von anderen wüsste ich ehrlich gesagt gar nicht, dass manche meiner Eigenschaften Stärken sind, die einige Leute sogar an mir schätzen. Und ich würde es auch nicht merken, wenn ich mich negativ verändere (zum Beispiel leichter reizbar werde, extrem abnehme oder so), weil es mir in meinem täglichen Mit-mir-Leben nicht auffiele. Also: Die Perspektive von anderen bereichert mich und meine Sichtweise auf mich selbst. Durch andere Leute erfahre ich Dinge über mich, die ich allein nie erkennen würde.     

2. Ich bin von anderen abhängig  

Verrate mir doch mal bitte jemand, welcher Arbeitgeber mich beschäftigen möchte, wenn ich nicht auf Kritik reagiere und lieber erst komme, nachdem ich ausgeschlafen habe, statt pünktlich um neun.

Schon meine wichtigste Lektion aus der Schulzeit lautet: Immer brav mitmachen und tun, was andere von mir wollen, und ich habe meine Ruhe. Erstens wäre ich nämlich in meiner Schicksals-Klassengemeinschaft Außenseiterin gewesen, wenn ich auf die anderen geschissen hätte. Das in Kombination mit der Pubertät hätte mich kaputt gemacht – denn als Teenie habe ich mich längst nicht so geliebt, wie ich es heute tue.

Zweitens hätte ich vermutlich keinen Abschluss. Denn außer Ökologie und Latein fand ich alles strunz-langweilig. Was habe ich also gemacht? Nett gelächelt, mich ruhig verhalten und die Antworten hingeschrieben, die der Lehrer lesen wollte (dafür hatte ich nämlich ein Händchen). Zack, Abitur.

Zum Glück kann ich jetzt als Erwachsene mein soziales und berufliches Umfeld selbst aussuchen und muss mich daher nicht mehr so sehr anpassen, um anderer Leute Erwartungen zu erfüllen. Aber ich bin zum Beispiel durch meine Schulzeit dazu erzogen, mich zumindest ein Stück weit danach auszurichten, was andere über mich denken. Wieso soll ich mir das jetzt auf Krampf abtrainieren, wenn's doch in der Praxis gut funktioniert? Für ein Leben in Ruhe und Frieden gehe ich gerne darauf ein, was andere über mich denken

3. Ich kann durch andere meine eigene Überzeugung besser erkennen

Letztens wollte ich mir eine Tasche kaufen und konnte mich zwischen zweien nicht entscheiden. Also habe ich meine Freundin gefragt, welche ich nehmen soll. Das Witzige: Als sie die blau-rote sagte, wusste ich plötzlich, dass es die orangefarbene sein muss. Auf einmal meldete sich nämlich mein Gefühl und ich konnte mich entscheiden. 

So ist es auch, wenn andere mir ihre Meinung zu mir oder meinem Standpunkt sagen. Gerade negative Kritik macht mir oft deutlich, wie überzeugt ich wirklich von meiner eigenen Haltung bin. Zu wissen, was andere über mich denken, hilft mir dabei, mir meiner Sache sicherer zu werden. 

4. Mein Leben ist schöner, wenn andere mich mögen

Ich werde gerne angelächelt und freundlich behandelt. Ich bin nunmal einfach gestrickt, das macht mir gute Laune. Also bin ich freundlich zu anderen, damit sie über mich denken "Die ist aber nett" und mir einen schönen Tag wünschen, wenn ich mein Schoko-Croissant bezahle.

Außerdem brauche ich einfach Bezugspersonen in meinem Leben. Freunde und Familie, die für mich da sind und mit denen ich Zeit verbringen und etwas unternehmen kann. Wer würde sich bitte dazu bereit erklären, wenn sie über mich denkt "Boah, die Frau ist so ätzend, die blöde Kuh!"? 

5. Ich gewinne durch anderer Leute Meinung mehr, als ich verliere 

Es ist ja so: Wenn ich nicht gerade mein rosa Kaninchen-Kostüm trage, denken von 100 Menschen, die mich am Tag sehen, 97 überhaupt nichts über mich. Schließlich bin ich kein laufender Instagram-Post mit Kommentarfeld, in den alle Welt ihren Senf hinein schmieren zu müssen meint. Zum Glück! 

Zumindest offen für das zu sein, was die drei übrigen Menschen über mich denken, ist dann wiederum praktisch keine Belastung für mich. Und wenn ich es weiß, kann ich schließlich immer noch entscheiden, was ich damit anfange. Außerdem: Es hat ja für mich nicht jede Meinung das gleiche Gewicht. Je näher mir ein Mensch steht, umso wichtiger ist mir, was er über mich denkt

Was meine Gründe über mich verraten

Wahrscheinlich ist es bei Leuten, die berühmt sind oder täglich Fotos von sich bei Instagram posten, anders. Aber für mich ist, was andere über mich denken, nichts, vor dem ich mich schützen muss. Im Gegenteil: Mir hilft es, das zu wissen, sowohl praktisch für mein Leben als auch für mein Selbstbild.

Allerdings zeigt genau das zugegebenermaßen auch, dass ich weder unabhängig noch absolut selbstbewusst bin. Das kümmert mich aber im Gegensatz zu anderer Leute Meinung überaus wenig. Ich wurde nunmal nicht als fertiger Mensch geboren. Und wahrscheinlich werde ich nicht einmal als fertiger Mensch sterben. Selbst für dieses Ereignis in meinem Leben liegt mir nämlich jetzt schon etwas daran, dass dann zumindest eine Person über mich denkt: "Ich vermisse sie".

Videotipp

Du willst, dass dich andere Leute nett finden? Im Video erfährst du, welche Gewohnheiten dich sofort sympathischer machen.