Der Begriff «Autismus» kommt aus dem Griechischen und bedeutet «sehr auf sich bezogen sein». Manche Menschen sind Einzelgänger, die sich oft nur für ein Spezialgebiet interessieren, sich nur mit Mühe in andere Menschen einfühlen und mit ihnen adäquat kommunizieren können und Kontakte eher vermeiden. Show Sind diese autistischen Merkmale so ausgeprägt, dass sie die Entwicklung eines Kindes behindern, spricht man von «Autismus» als einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung. Für diese Diagnose müssen Störungen in 3 Bereichen vorhanden sein:
Menschen mit einer autistischen Störung nehmen ihre Umwelt «anders» wahr. Oft orientieren sie sich an Details und haben Mühe eine Situation ganzheitlich zu erfassen. Sie suchen selten den Blickkontakt und können die Stimmung ihres Gegenübers aus dessen Gesicht kaum erkennen. Über- oder Unterempfindlichkeiten auf Licht, Geruch, Geräusche oder Berührungen sind häufig. Sie zeigen sich z.B. als Faszination für Licht oder glänzende Oberflächen, als Angstreaktionen bei speziellen Geräuschen, als Vorliebe für kräftige Körperkontakte oder als auffälliges Beriechen von Oberflächen oder Ertasten von Gegenständen. Diese Probleme werden oft als Wahrnehmungsstörungen bezeichnet. Alle diese Schwierigkeiten führen dazu, dass Kinder oder Erwachsene mit Autismus grosse Probleme haben ihre Umwelt als sinnvolles Ganzes zu verstehen. Ihre Lernmöglichkeiten sind dadurch beeinträchtigt. Betroffenen fällt es schwer, sich in ihre Mitmenschen einzufühlen und adäquate Beziehungen zu ihnen aufzubauen. In den meisten Fällen treten die Symptome bereits in den ersten drei Lebensjahren auf. Autistische Störungen können von geistiger Behinderung begleitet sein. Die Ursachen des Autismus sind bis heute nicht vollständig geklärt. Bei der Entstehung spielen mit Sicherheit mehrere Faktoren eine Rolle. Genetische Einflüsse und wahrscheinlich biologische Abläufe vor, während und nach der Geburt können die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen und die autistische Störung auslösen. Autismus entsteht bestimmt nicht durch Erziehungsfehler oder familiäre Konflikte. Die Symptome der autistischen Störung sind sehr unterschiedlich und verändern sich in ihrer Ausprägung im Laufe der kindlichen Entwicklung. Durch die richtige Förderung können beeinträchtigte Fähigkeiten verbessert und autistische Verhaltensweisen vermindert werden. Autismus umfasst unterschiedliche Formen. Um diese genauer zu bezeichnen werden unterschiedliche Begriffe verwendet:
Oftmals können die einzelnen Formen aber nicht scharf voneinander abgegrenzt werden. Es sind viele Mischformen und fliessende Übergänge zu beobachten, welche sich in folgenden Punkten unterscheiden:
Daher spricht man vom Autismus-Spektrum, das verdeutlichen soll, dass es sich beim Autismus um ein Kontinuum vom Symptomen und Schweregraden handelt. Im Unterschied zu den anderen Formen des Autismus sind beim Asperger Syndrom in den ersten Lebensjahren keine nennenswerten Einschränkungen der sprachlichen und kognitiven Entwicklung festzustellen. Auffälligkeiten im sozialen und kommunikativen Verhalten zeigen sich in einem geringeren Ausmass, weshalb diese Form des Autismus in der Regel etwas später diagnostiziert wird.
Klassifikation nach ICD-10
F84.5
Asperger-Syndrom
ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Das nach dem Kinderarzt Hans Asperger benannte Asperger-Syndrom (AS) ist eine Variante des Autismus. Es wird zu den Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung[1] gezählt. Merkmale sind Besonderheiten und Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie Unterschiede bei der Wahrnehmung und Reizverarbeitung (dazu gehören insbesondere sensorische Über- und Unterempfindlichkeiten und Schwierigkeiten bei der Reizfilterung) sowie häufig außergewöhnliche Interessen und Begabungen.[2][3][4] Beeinträchtigt ist vor allem die Fähigkeit, analoge Kommunikationsformen (Gestik, Mimik, Blickkontakt) bei anderen Personen zu erkennen, diese auszuwerten (zu mentalisieren) oder selbst auszusenden. Das Kontakt- und Kommunikationsverhalten von Personen mit Asperger-Autismus kann dadurch merkwürdig und ungeschickt erscheinen. Da ihre Intelligenz in den meisten Fällen normal ausgeprägt ist, werden sie von ihrer Umwelt leicht als wunderlich wahrgenommen. Gelegentlich fällt das Asperger-Syndrom mit einer Hoch- oder Inselbegabung zusammen.[5] Im Unterschied zu anderen Autismusformen ist im Regelfall die Sprachentwicklung nicht betroffen, und es liegt keine Intelligenzminderung vor.[6][7] Das Asperger-Syndrom kann sogar mit Stärken verbunden sein, etwa in den Bereichen der objektiven, nicht emotionalen Wahrnehmung, der Selbstbeobachtung, der Aufmerksamkeit und der Gedächtnisleistung. Ob es als Krankheit oder als eine Normvariante der menschlichen Informationsverarbeitung eingestuft werden sollte, wird von Wissenschaftlern und Ärzten sowie von Asperger-Autisten und ihren Angehörigen uneinheitlich beantwortet. Grundbedingung für die Diagnose eines Asperger-Syndroms ist jedoch, dass es zu Beeinträchtigungen in mehreren Lebensbereichen kommt (siehe Kriterium C im DSM). Medizinisch besitzt es somit Krankheitswert und wird daher momentan als Entwicklungsstörung eingestuft. Uneinig ist sich die Forschergemeinschaft auch darüber, ob man im Asperger-Syndrom ein qualitativ eigenständiges Störungsbild oder eine abgeschwächte Variante des frühkindlichen Autismus sehen sollte.[8] Im DSM-5 und der ICD-11 (gültig ab 2022) wird nicht mehr zwischen Autismus-Subtypen unterschieden und damit auch der Begriff Asperger-Syndrom aufgegeben. Künftig werden alle Erscheinungsformen des Autismus im Spektrum autistischer Erkrankungen (Autismus-Spektrum-Störungen, ASS) zusammengefasst. Grund hierfür ist die zunehmende Erkenntnis in der Wissenschaft, dass eine klare Abgrenzung von Subtypen (noch) nicht möglich ist – und man stattdessen von einem fließenden Übergang zwischen milden und stärkeren Autismusformen ausgehen sollte.[9][10] Das Asperger-Syndrom ist in der Psychiatrie ab Mitte der 1920er Jahre diskutiert worden. Die älteste Darstellung stammt von der russischen Kinderpsychiaterin Grunja Sucharewa, die dafür 1926 den Ausdruck „schizoide Psychopathie“ verwendete. Der österreichische Kinderarzt Hans Asperger bezeichnete es in seiner 1943 eingereichten Habilitationsschrift als „autistische Psychopathie“.[11] Aspergers Schrift erschien damals fast gleichzeitig mit Leo Kanners grundlegendem Aufsatz über den frühkindlichen Autismus (1943). Man nimmt an, dass beide Autoren zunächst keine Kenntnis über die Arbeit des jeweils anderen Autors hatten.[12] Kanners in den USA veröffentlichte Arbeit fand sofort internationale Beachtung; der Aufsatz des Österreichers Asperger wurde damals – mitten im Zweiten Weltkrieg – außerhalb der deutschsprachigen wissenschaftlichen Gemeinschaft kaum bekannt. Auch ein 1962 von zwei niederländischen Autoren veröffentlichter Aufsatz, in dem eine Unterscheidung zwischen der „autistischen Psychopathie“ Aspergers und dem Kanner-Autismus versucht wurde, fand zunächst wenig Resonanz.[13] Von der internationalen Forschungsgemeinschaft wurde das Asperger-Syndrom erst nach 1981 beachtet, als die britische Psychiaterin Lorna Wing Aspergers Arbeit fortsetzte und die Abweichung, die bis dahin als Psychopathie galt, als Teilbereich des Autismusspektrums nach Hans Asperger benannte.[14] In den späten 1980er Jahren wurden dann von verschiedenen Seiten Diagnosekriterien formuliert,[15][16][17] die sich zum Teil erheblich voneinander unterschieden.[18] Im Jahre 1992 wurde das Asperger-Syndrom in das medizinische Klassifikationssystem ICD der Weltgesundheitsorganisation aufgenommen. Im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM), dem Klassifikationssystem der American Psychiatric Association, war es von 1994 bis 2013 enthalten.[19][20] Im englischsprachigen Raum wurde beim frühkindlichen Autismus oft zwischen verschiedenen Formen unterschieden. Eine davon war der sogenannte hochfunktionale Autismus (HFA).[21] Die Autoren einer Studie des Yale Child Study Center schlugen 1995 vor, zwischen hochfunktionalem Autismus und Asperger-Syndrom zu unterscheiden.[22] Diese Unterscheidung wurde 2013 in einer Übersichtsarbeit von Autoren an der Universität Freiburg bekräftigt. Es sei wichtig, zwischen hoch- und niedrig-funktionellem Asperger-Syndrom einerseits sowie zwischen hoch- und niedrig-funktionellem frühkindlichem Autismus andererseits zu unterscheiden.[23] Zuvor hatte Lorna Wing 1991 vorgeschlagen, Autismus als übergangslose Gesamtheit (Kontinuum) unterschiedlich schwerer Störungen zu beschreiben, in dem HFA und Asperger-Syndrom milde Ausprägungsformen bilden. Mitunter sprechen Autoren heute daher von Autismus-Spektrum-Störungen (ASS).[24][25] Da das Autismus-Spektrum beim Asperger-Syndrom nicht endet, sondern sich weit in die Normalität hinein erstreckt – zum Beispiel bis in die „ganz normale“ Schüchternheit oder Eigenbrötelei – wurde für Erscheinungsbilder mit schwach ausgeprägten autistischen Persönlichkeitsmerkmalen und Verhaltensweisen der Begriff Broader Autism Phenotype (BAP) geprägt.[26] Dem entspricht im Deutschen am ehesten die Bezeichnung „autistische Züge“.[6] Die Häufigkeit (Prävalenz) des Asperger-Syndroms im Kindesalter variiert je nach den zugrundegelegten Diagnosekriterien. In einer Untersuchung von 2007 bei 4422 achtjährigen Kindern in Finnland[27] waren die Anteile 0,25 % (nach DSM-IV), 0,29 % (nach ICD-10), 0,27 % (nach den Gillberg-Kriterien)[16] und 0,16 % nach den Szatmari-Kriterien.[17] Das Verhältnis der betroffenen Jungen und Mädchen in der finnischen Studie betrug 0,8:1 nach DSM-IV und 2:1 nach den Gillberg-Kriterien.[27] Bezüglich des gesamten Autismus-Spektrums zeigte eine Übersicht von 2015, dass die Zahlen zur Geschlechterverteilung wegen methodischer Schwierigkeiten stark variierten. Das Verhältnis männlich-weiblich betrage jedoch mindestens 2:1 bis 3:1, was auf einen biologischen Faktor in dieser Frage hindeute.[28] Repräsentative Untersuchungen zur Häufigkeit des Asperger-Syndroms im Erwachsenenalter liegen (Stand: 2009) noch nicht vor.[5] Die autistischen Merkmale neigen jedoch dazu, bis ins Erwachsenenalter fortzubestehen.[29] Während das DSM IV noch das Asperger-Syndrom als getrennte Kategorie enthielt, wurde es im aktuellen DSM-5 (2013) als Einzelstörung entfernt. Sie ist nun im Spektrum autistischer Störungen (autism spectrum disorders) zusammengefasst; ähnlich wie die desintegrative Störung des Kindesalters (childhood disintegrative disorder) und andere tiefgreifende Entwicklungsstörungen (pervasive developmental disorder, not otherwise specified).[30] Die Begründung hierfür lautete, die Forscher gingen neuerdings davon aus, dass es sich weniger um unterschiedliche Erkrankungen handele als um eine übergangslose Gesamtheit (Kontinuum) von sehr milden bis schweren Verlaufsformen einer Entwicklungsstörung, die bereits in der frühen Kindheit beginne. Bei den Symptomen wird unterschieden zwischen Defiziten in zwei Kategorien: Gestört ist erstens die soziale Interaktion und Kommunikation (zum Beispiel Blickkontakte, Fähigkeit zur Konversation oder Aufbau von Beziehungen sind schwach ausgeprägt). Zweitens sind repetitive Verhaltensweisen und fixierte Interessen und Verhaltensweisen Merkmale autistischer Störungen.[31] Im DSM-IV der American Psychiatric Association von 2000 waren folgende Diagnosekriterien (A–F) für das Asperger-Syndrom enthalten:[32]
Nach ICDDie ICD-10 ist das aktuelle Diagnosesystem der Weltgesundheitsorganisation und wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz bevorzugt zur Krankheitsklassifikation angewendet. Dort werden folgende Kriterien genannt:[7] Generelle Kriterien für Entwicklungsstörungen (F80–F89)
Kriterien nach F84.5 – Asperger-Syndrom
In der seit 1. Januar 2015 gültigen deutschen Fassung ICD 10-GM 2015 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme 10. Revision German Modification Version 2015)[33] wurde seit der Herausgabe des DSM-5 noch keine Veränderung bezüglich der Kategorisierung autistischer Störungen vorgenommen, das Asperger-Syndrom ist weiterhin unter der Klassifizierung F84.5[7] zu finden. In der ICD-11 ist das Asperger-Syndrom wie im DSM-5 keine eigenständige Diagnose mehr, sondern geht in den Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) auf (Stand: März 2022).[34]
Gillberg-KriterienVor dem Erscheinen der beiden heute gängigen Klassifikationssysteme DSM und ICD veröffentlichten einige Autoren eigene Diagnosekriterien. Es gab 2008 die Auffassung, dass die DSM- und ICD-Kriterien „aufgrund der [in ihnen enthaltenen] Forderung nach unauffälliger frühkindlicher Entwicklung bzw. des Fehlens kommunikativer oder motorischer Besonderheiten angezweifelt“ wurden und daher vielfach „kaum durchgängig Anwendung“ fanden.[35] Der schwedische Professor der Kinder- und Jugendpsychiatrie Christopher Gillberg veröffentlichte zusammen mit seiner Ehefrau Carina Gillberg 1989 die unten folgenden diagnostischen Kriterien. Der britische Psychologe Tony Attwood äußerte 1998, dass es „Ansichtssache“ sei, welche Kriterien man anwende. Er selbst bevorzuge die der Gillbergs.[36] soziale Beeinträchtigung (mindestens zwei der folgenden Merkmale):
Während die ersten Anzeichen für sonstige Formen von Autismus bereits in den ersten Lebensmonaten auftreten, wird das Asperger-Syndrom in der Regel erst nach dem dritten Lebensjahr sichtbar.[5] Allgemeine Kennzeichen sind: eine qualitative Beeinträchtigung der sozialen Kommunikation und Interaktion, mangelndes Einfühlungsvermögen, sensorische, motorische und sprachliche Eigenarten sowie ausgeprägte Sonderinteressen.[19] MotorikHäufig treten beim Asperger-Syndrom motorische Besonderheiten auf, die bei sonstigem Autismus normalerweise fehlen. Dazu zählen ungelenke Bewegungen, Ungeschicklichkeit sowie grob- und feinmotorische Koordinationsstörungen.[19] Manche Kinder mit Asperger zeigen, wenn sie erregt oder ängstlich sind, seltsame Bewegungsabläufe (Manierismen), die auch bei sonstigem Autismus vorkommen, zum Beispiel ein flatterndes Auf- und Abschlagen der Arme, Hände oder Finger.[37] Außerdem kann ein stelziger oder hüpfender Gang auftreten.[38] SozialverhaltenEbenso wie andere autistische Kinder nehmen Kinder mit Asperger-Syndrom eher wenig und nur flüchtig Blickkontakt auf. Im Alltag sind ein mangelndes Einfühlungsvermögen und Unverständnis für zwischenmenschliche Gefühle auffällig. Kinder mit Asperger-Syndrom sind oft sozial isoliert und ecken aufgrund ihrer Besonderheiten leicht an.[19] Im Klassenverband werden sie häufig gehänselt, ausgegrenzt und gemobbt.[39] Im englischen Sprachraum bezeichnen viele Menschen mit Asperger ihr Anderssein scherzhaft als „Wrong Planet Syndrome“ (deutsch: Falscher-Planet-Syndrom) und drücken damit ihr Gefühl aus, irrtümlich auf einem fremden Planeten gestrandet zu sein, dessen Regeln und Bewohner sie nicht verstehen.[40] Menschen mit Asperger-Syndrom werden, auch wenn sie zu anderen Kontakt aufnehmen wollen, auf Grund ihres häufig abgewendeten Blicks und ihrer verschlossenen Körpersprache oft als gezwungen, gefühlslos, ängstlich, schüchtern, ausweichend, abweisend oder desinteressiert wahrgenommen, wodurch eine Kontaktaufnahme häufig scheitert.[41] Hans Asperger beobachtete, dass die betroffenen Kinder darüber hinaus auch zur „autistischen Selbstbeschau“ neigen. In Situationen, in denen andere Kinder selbstvergessen „dahinleben“, stehen Asperger-Kinder sich selbst und ihren körperlichen Funktionen oft (kritisch) beobachtend gegenüber.[11]:S. 115 Mangelndes Selbstvertrauen taucht häufig in Erfahrungsberichten und in der Ratgeberliteratur auf. Gezielte wissenschaftliche Untersuchungen hierzu liegen bislang (Stand: August 2015) noch nicht vor. Das Thema wird jedoch manchmal am Rande behandelt.[42] Auf jeden Fall hat es große Bedeutung im Bereich Beruf und Beschäftigung.[43] SpracheIm Bereich der sprachlichen Entwicklung zeigen sich beim Asperger-Syndrom deutlich andere Auffälligkeiten als beim sonstigen frühkindlichen Autismus. Charakteristisch für Letzteren ist eine generelle Sprachentwicklungsverzögerung. Damit verbunden sind Symptome wie zum Beispiel unpassendes Nachsprechen (Echolalie) oder Vertauschung der Pronomina. Selbst beim hochfunktionalen Autismus sind die Artikulation, der verbale Ausdruck, die auditive Wahrnehmung, der Wortschatz und das verbale Gedächtnis gestört.[19] Beim Asperger-Syndrom fehlen derartige Symptome. Die betroffenen Kinder entwickeln eine grammatisch und stilistisch hochstehende Sprache.[19] Die Beobachtungen zum Sprachbeginn gehen auseinander. Während zum Beispiel Remschmidt feststellt, dass Asperger-Kinder früh zu sprechen beginnen,[44] berichtet Attwood, dass fast die Hälfte dieser Kinder erst spät sprechen lernt, diesen Rückstand bis zum Alter von fünf Jahren aber aufholt.[45] Wie bereits Hans Asperger beobachtete, fallen betroffene Kinder regelmäßig auf durch eine ihrem Alter nicht entsprechende, erwachsene, pedantische Ausdrucksweise und eine unübliche Betonung (Prosodie). Im englischen Sprachraum wird das Asperger-Syndrom darum auch als „Little Professor Syndrome“ (deutsch: Kleiner-Professor-Syndrom) bezeichnet.[46] Die Tonlage ist oft monoton und unterstützt zum Beispiel nicht den Unterschied zwischen ernst und humorvoll gemeinten Äußerungen. Oft sind Sprechgeschwindigkeit und die Lautstärke unangepasst oder ungewöhnlich. Auch unflüssiges, ruckartiges Sprechen kommt vor.[47] Viele Kinder und Erwachsene mit Asperger-Syndrom neigen dazu, unablässig und langatmig zu reden, meist über ihr Lieblingsthema, und missachten dabei oft vollständig, ob der Zuhörer an diesem Thema interessiert ist und das Gespräch mitträgt.[47] Einige Autoren halten dieses monologische, egozentrische Reden, in dem sich deutlich die Unempfindlichkeit von Asperger-Menschen für soziale Feinheiten offenbart, für einen der auffälligsten Züge des Syndroms.[48] Weitere Charakteristika sind eine sehr detailorientierte Erzählweise mit Schwierigkeiten, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden, abrupte und für den Zuhörer nicht nachvollziehbare Themenwechsel, das Wörtlichnehmen von bildhaften Redewendungen und das Antworten auf rhetorische Fragen.[5] Typisch ist auch die Verwendung von bildlichen Ausdrücken (Metaphern) und Wortschöpfungen, die nur ihnen selbst geläufig sind, oder das Festhaften an Formulierungen, die wie auswendig gelernt oder wie aus einem Buch vorgetragen klingen, sowie das Nichterfassen von Feinheiten (Nuancen) – zum Beispiel Ironie, Necken – und ungenaues Zuhören.[49][50] Manche Asperger-Autisten führen Selbstgespräche, um ihre Gedanken zu ordnen, etwa um ein bereits geführtes Gespräch vollends zu verstehen oder um ein anstehendes Gespräch zu proben.[45] SpezialinteressenVon außen betrachtet scheinen Personen mit Asperger-Syndrom kaum an ihren Mitmenschen interessiert zu sein. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Belegen dafür, dass Betroffene ein großes Interesse an sozialen Kontakten entwickeln, jedoch nicht wissen, wie sie dies umsetzen können. Schwierigkeiten, die Körpersprache und Mimik anderer zu erkennen, spielen dabei eine Rolle und werden oft als mangelnde Einfühlung verstanden. Während Menschen evolutionsbiologisch als Spezialisten für sozialen Kontakt bezeichnet werden, entwickeln Asperger-Autisten diese Spezialkompetenz nicht oder in unzureichendem Maße. Typischerweise haben sie jedoch andere Spezialinteressen, die in der Sache oder in ihrer Intensität ungewöhnlich erscheinen.[5] Diese Interessen liegen oft in technischen oder naturwissenschaftlichen Gebieten wie Informatik,[51] Mathematik, Physik, Biologie oder Astronomie. Andere Betroffene beschäftigen sich leidenschaftlich mit Musik oder dem Auswendiglernen verschiedenartiger Fakten. Manche sind leidenschaftliche Sammler, oft ungewöhnlicher Objekte.[52] Personen innerhalb des Autismusspektrums weisen gelegentlich eine Hoch- oder Inselbegabung auf. Die Schätzungen über die Häufigkeit gehen wegen großer methodischer Schwierigkeiten bei der Erfassung sehr weit auseinander. Man geht inzwischen davon aus, dass wegen der besonderen Informationsflüsse im Gehirn autistische Merkmale und die Tendenz zu Spezialbegabungen miteinander verknüpft sein können.[53] EmotionenHans Asperger empfand die Emotionen seiner Probanden nicht als unterentwickelt, sondern eher als von andersartiger Qualität.[11]:S. 128 Die autistische Wissenschaftlerin und Erfinderin Temple Grandin äußerte sich so zu ihren Gefühlen: „Meine Emotionen sind einfacher als die der meisten anderen Menschen. Ich weiß nicht, was eine vielschichtige Emotion in einer zwischenmenschlichen Beziehung ist. Ich verstehe nur einfache Emotionen wie Wut, Furcht, Glück und Traurigkeit.“[54] IntelligenzIm Unterschied zu manchen anderen Formen von Autismus ist die Intelligenz bei Personen mit Asperger-Syndrom oft normal ausgeprägt.[19] Bei Asperger-Kindern wird gelegentlich auch vorzeitiges Lesen (Hyperlexie) beobachtet.[55] Häufig zeigen Kinder mit Asperger-Syndrom ein unausgeglichenes Intelligenzprofil. Sie zeigen oft Stärken in den verbalen Aufgabenteilen.[56] Asperger-Syndrom und GenieBereits Hans Asperger schrieb: „Es scheint, dass für Erfolg in der Wissenschaft oder in der Kunst ein Schuss Autismus erforderlich ist.“[57] Die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Asperger-Syndrom und herausragenden Leistungen beschäftigte auch den irischen Kinderpsychiater Michael Fitzgerald. Er veröffentlichte seit 1999 eine Reihe von Aufsätzen und Büchern, in denen er die Lebensläufe berühmter Persönlichkeiten auf Anzeichen des Asperger-Syndroms hin prüfte. Fitzgerald ist davon überzeugt, dass viele Merkmale des Asperger-Syndroms Kreativität begünstigen und dass die Fähigkeit, sich intensiv auf einen Gegenstand zu konzentrieren und für eine schöpferische Arbeit endlose Mühsal auf sich zu nehmen, für dieses Syndrom charakteristisch sei.[58] Christopher Gillberg[59] und Oliver Sacks[60] haben ähnliche postume Diagnoseversuche unternommen. Um manche Persönlichkeiten – etwa Isaac Newton und Albert Einstein – sind regelrechte Kontroversen entstanden.[61] Wieder andere Forscher stehen solchen Diagnoseversuchen grundsätzlich skeptisch gegenüber, zum Beispiel Fred Volkmar vom Yale Child Study Center, der (2001 oder früher) äußerte: „Es gibt leider eine Art Hausindustrie, aufzudecken, dass jeder Asperger hat.“[62] Konzentrations- und LernproblemeManche Kinder mit Asperger-Syndrom fallen dadurch auf, dass sie ihre Aufmerksamkeit nur schlecht willentlich steuern können (exekutive Funktionen) und bei Aktivitäten, die sie nicht selbst gewählt haben – zum Beispiel in der Schule –, in hohem Grade unkonzentriert sind, woraus sich selbst bei hoher Intelligenz erhebliche Lernschwierigkeiten ergeben können.[11]
– Hans Asperger: Die „Autistischen Psychopathen“ im Kindesalter. S. 119 Wenn solche Konzentrationsschwierigkeiten bestehen, ist das Asperger-Syndrom sogar mit AD(H)S zu verwechseln (siehe Abgrenzung).[63] Als Lernhindernis erweist sich auch die für das Asperger-Syndrom typische Beeinträchtigung der zentralen Kohärenz: der Fähigkeit, zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden. Ritualisierte HandlungenMenschen mit Asperger sind oft darauf fixiert, ihre äußere Umgebung und Tagesabläufe möglichst gleichbleibend zu gestalten. Plötzliche Veränderungen können sie überfordern oder sehr nervös machen.[5][39] Dies liegt daran, dass Veränderungen einen höheren Grad an Aufmerksamkeit erfordern, was bei der angenommenen Schwäche von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung, Informationen auszublenden, zu einer erhöhten Belastung führt. Erwachsene mit Asperger-Syndrom leben oft zurückgezogen und haben wenige direkte Sozialkontakte. An deren Stelle treten heutzutage häufig Kontakte über das Internet. Obwohl es einigen Menschen mit Asperger gelingt, eine stabile Partnerschaft aufzubauen und eine Familie zu gründen[64], ist es für andere aufgrund einer mangelnden Sozialkompetenz bereits schwierig, überhaupt Kontakt zu möglichen Partnern aufzubauen. Bei Asperger- und hochfunktionalen Autisten stellen die Schwierigkeiten bei der intuitiven Auffassung nonverbaler Signale, der Übernahme der Perspektive anderer sowie der sozialen Interaktion und Kommunikation versteckte Schranken dar, welche, trotz normaler intellektueller und sprachlicher Fähigkeiten der Betroffenen, die Partnersuche beeinträchtigen.[65] Dieses Problem kann sich bereits während der Adoleszenz zeigen, da die Entwicklung der sozialen Kompetenzen der Betroffenen nicht mit den sich nun erhöhenden diesbezüglichen Anforderungen mithalten kann.[65] Betroffene Frauen leben häufiger in einer Beziehung als betroffene Männer.[66] Oft werden die Anforderungen einer Partnerschaft auch als anstrengend empfunden. Für die berufliche Entwicklung von Menschen mit Asperger ist die Frage entscheidend, ob es gelingt, ihre Spezialinteressen beruflich umzusetzen.[5] Einige erwachsene Menschen mit Asperger-Syndrom bauen bewusst oder unbewusst Bekanntschaften zu Menschen auf, mit deren charakterlichen Eigenschaften sie leicht umgehen können. Sie bauen sich ein soziales Netzwerk mit Menschen auf, die meist ebenfalls eher introvertiert sind, sich vorwiegend auf einer sachlichen Ebene verständigen und oft ebenfalls Spezialinteressen haben, die aber nicht unbedingt selbst autistisch sind (Modebegriffe: Geeks und Nerds). Erwachsene Menschen mit Asperger-Syndrom und einem gut laufenden sozialen Umfeld sind sich ihrer autistischen Züge häufig nicht bewusst. Sie können u. U. überfordert sein, wenn sie unfreiwillig etwas mit Menschen zu tun haben, deren Persönlichkeit sich zu sehr von der eigenen unterscheidet.[67] Diagnose im ErwachsenenalterEine Studie der Autismus-Forschungs-Kooperation (AFK) mit 271 erwachsenen Probanden mit Autismus ergab, dass deren durchschnittliches Alter zum Zeitpunkt der Diagnosestellung 35 Jahre gewesen war und dass 87 % der Probanden ihre Diagnose erst nach dem 18. Lebensjahr erhalten hatten. Besonders Asperger-Autismus würde häufig erst sehr spät diagnostiziert, weil die Probleme der normal intelligenten Autisten weniger „offenkundig“ seien.[68] Bei der Diagnose im Erwachsenenalter spielen oft weniger der Schweregrad als vielmehr die Lebensumstände eine Rolle. Bei guter privater und beruflicher Integration ist unter Umständen keine Diagnose oder zusätzliche Therapie nötig. Lebenskrisen, hervorgerufen etwa durch Arbeitslosigkeit oder Scheidung, können dazu führen, dass eine Andersartigkeit im sozialen Umgang deutlicher sichtbar wird und zu einer Diagnose führt. Dies berichten viele erst im Erwachsenenalter diagnostizierte Autisten. Beruf
– Hans Asperger: Die „Autistischen Psychopathen“ im Kindesalter. S. 133 Der Geophysiker Peter Schmidt beschreibt, wie sich das Asperger-Syndrom im modernen akademischen Berufsleben auswirkt. Danach wird der Autor aufgrund seines Asperger-Syndroms eher als Problemfall (der Widerstand hervorruft) und wegen seiner Stärken als Kapazität (Leistungsträger) wahrgenommen. Menschen mit Asperger-Syndrom, die anscheinend von Kindheit an für einen bestimmten Beruf vorherbestimmt (prädestiniert) zu sein scheinen, stoßen in der modernen Arbeitswelt, in der es immer mehr auf Mobilität, Flexibilität, Teamfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit ankommt, auf große Schwierigkeiten. Inwieweit es ihnen gelingt, eine ihren Eigenarten entsprechende Nische zu finden, hängt sowohl von den Menschen, mit denen der Autist zusammenarbeiten muss, besonders den Vorgesetzten, als auch von den bereitgestellten Arbeitsbedingungen ab.[69][70] Für Betroffene ist es daher sinnvoll, bereits vor Beginn ihrer Berufstätigkeit genaue Kenntnis über die Anforderungen am Arbeitsplatz sowie das Umfeld und die Räumlichkeiten zu erhalten, damit sie sich rechtzeitig auf die bevorstehenden Umgestaltungen vorbereiten können.[71] Laut einem Bericht der Deutschen Welle von 2013 haben nur 15 Prozent der Asperger-Betroffenen eine normale Arbeit.[72] KriminalstatistikMitunter kommt die Frage auf, ob Autismus-Betroffene eine erhöhte Neigung zu kriminellen Handlungen besitzen. Das lässt sich gegenwärtig noch nicht sicher beantworten, da nicht genügend epidemiologische Studien dazu vorliegen. Dennoch vermuten die meisten Autoren, dass autistische Menschen eine niedrigere Kriminalrate hätten als nichtautistische Menschen. Sie seien eher Opfer als Täter. Zudem würden sie dazu neigen, Gesetze rigide anzuwenden, und hätten Probleme mit Ausnahmen von Regeln und Gesetzesüberschreitungen. Andererseits zeigen Einzelfallschilderungen, dass Menschen mit Asperger durchaus mit dem Gesetz in Konflikt kommen.[73] PrognoseNach Hans Asperger hängt eine günstige Prognose vom intellektuellen Begabungsgrad ab. Weniger begabte Menschen kämen oft nur in einen untergeordneten Außenseiterberuf hinein und trieben sich im ungünstigsten Fall als „komische Originale auf den Straßen herum“.[11] Bei „intellektuell intakten“ und überdurchschnittlich begabten Autisten komme es:
– Hans Asperger: Die „Autistischen Psychopathen“ im Kindesalter. S. 133 Hochfunktionaler Autismus und Asperger-Syndrom müssen von folgenden anderen psychischen Erkrankungen abgegrenzt werden (Differentialdiagnose): Schizoide Persönlichkeitsstörung (SPS) Die Abgrenzung von der schizoiden Persönlichkeitsstörung kann kompliziert sein, da einige autistische Menschen (bis zu 26 %) gleichzeitig die Kriterien für die schizoide PS erfüllen. Sowohl bei Asperger-Syndrom als auch SPS kann die soziale Kommunikation (Mimik, Gestik, Augenkontakt etc.) auffällig sein. Unterschiedlich ist jedoch, dass schizoide Menschen oft eher reserviert, zurückgezogen und verschlossen (oder sogar geheimnistuerisch) auftreten und tendenziell ungerne von sich erzählen. Im Gegensatz dazu sind viele Menschen mit leichtem Autismus häufig sehr offen, ehrlich, direkt und gelegentlich ungewollt aufdringlich. Die Betroffenen haben oft nur wenig Angst davor, anderen einen Einblick in ihr Innenleben zu geben. Dies kann man gut an der sehr offenen und persönlichen Selbstdarstellung in den vielen Autobiographien von Autisten und bei Interviews in der Öffentlichkeit erkennen. Sie wünschen sich gerade im Erwachsenenalter oft Freunde und Bekannte. Wegen ihrer Schwierigkeiten, vielschichtige Gefühle beim Gegenüber wahrzunehmen oder angemessen darauf zu reagieren, sind sie jedoch oft nur begrenzt zu Freundschaften in der Lage.[52][29] Schizotypische Persönlichkeitsstörung (STP) Auch die Abgrenzung von der schizotypischen PS ist nicht einfach, weil auch hier in bis zu 40 % der Fälle Überlappungen auftreten können (d. h. AS und zusätzlich schizotype Merkmale). Bei den Autismus-Spektrum-Störungen stehen jedoch Symptome wie eingeschränkte Erlebnis- und Ausdrucksfähigkeit, paranoide Vorstellungen und Argwohn nicht im Zentrum. Schizotypische Persönlichkeiten erkennen soziale Hinweise (Gestik, Mimik etc.) zwar meist, interpretieren sie aber dann in eher misstrauischer Weise über (Hyper-Mentalizing). Personen mit Asperger-Syndrom haben eher Probleme damit, soziale Zeichen überhaupt wahrzunehmen und zu lesen (Hypo-Mentalizing).[74][29] Im Unterschied zu Menschen mit Autismus verfügen schizotypische Personen über eine Theory of Mind (ToM). Die Imprinted Brain Theory von Bernard Crespi (wonach Autismus und Psychosen gegensätzliche Extreme sein sollen) sieht die schizotype PS und Asperger-Syndrom analog als jeweils abgeschwächte Form an.[75] Schizophrenie Klassische schizophrene Symptome (wie Wahn, Halluzinationen und Denkstörungen) sind beim Asperger-Syndrom nicht zu beobachten. In etwa fünf Prozent der Fälle findet jedoch ein Übergang vom Asperger-Syndrom in eine schizophrene Erkrankung statt.[76] Menschen mit Asperger-Syndrom flüchten sich gelegentlich in ihre Fantasie oder in ihre Spezialinteressen, das hat aber nichts mit Schizophrenie zu tun, denn sie sind durchaus in der Lage, wieder in die Alltagsrealität zurückzukehren.[52] Paranoia Menschen mit Asperger-Syndrom sind in ihrem Verständnis zwischenmenschlichen Geschehens beeinträchtigt und neigen vermutlich aus diesem Grunde stärker als andere zu paranoiden Weltdeutungsmustern.[77] Ihre paranoiden Tendenzen sind jedoch schwächer als bei Personen mit Wahnvorstellungen und von diesen abgrenzbar.[78] Urbach-Wiethe-Syndrom Autistische Verhaltensweisen können auch beim Urbach-Wiethe-Syndrom auftreten. Die dort auftretenden Haut- und Schleimhautveränderungen und genetische Untersuchungen ermöglichen aber meist eine Abgrenzung vom Autismus. Atypischer Autismus Die Diagnose atypischer Autismus (F84.1) wird gestellt, wenn die Kriterien weder für frühkindlichen Autismus noch für das Asperger-Syndrom passen, aber dennoch Charakteristika oder Probleme vorliegen, die dem Autismus-Spektrum zuzuordnen sind.[79]Für die Differentialdiagnose im Erwachsenenalter werden in einem Überblick von 2013 zusätzlich folgende andere Abweichungen erläutert, die vom Asperger-Syndrom zu unterscheiden seien: Soziale Angststörung (Soziale Phobie), Zwangsstörung, Zwanghafte Persönlichkeitsstörung und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS).[29] Mögliche BegleiterscheinungenManchmal tritt das Asperger-Syndrom aber auch gemeinsam mit anderen psychischen Störungen auf (Komorbidität):
Die Ursachen des Asperger-Syndroms (und des gesamten Autismusspektrums) liegen nach aktuellem Forschungsstand in entwicklungsbiologischen Abweichungen bei Entstehung und Wachstum des Gehirns. Verändert sind dabei sowohl Anatomie als auch Funktion, und insbesondere die Ausbildung bestimmter Nervenverbindungen (Konnektom).[83] Gegenstand der Forschung sind die möglichen Ursachen dieser Abweichungen, die in erster Linie – aber nicht nur – die Embryonalentwicklung betreffen. Neben besonderen vererbten genetischen Bedingungen kommen im Prinzip alle Faktoren in Frage, die die Arbeit der Gene in kritischen Zeitfenstern beeinflussen (Teratologie).[84] GenetikDie genetischen Ursachen des Gesamtbereichs des Autismusspektrums haben sich als äußerst vielfältig und hochkomplex erwiesen.[85] In einer Übersicht von 2011 wurden bereits 103 Gene und 44 Genorte (Genloci) als Kandidaten für eine Beteiligung identifiziert, und es wurde vermutet, dass die Zahlen weiter stark steigen würden.[86] Auch in einer Übersicht von 2020 wurde die Auffassung vertreten, dass es noch keine hinreichende Nachweise von Genen gebe, die für das Autismusspektrum spezifisch seien.[87] Die immensen Kombinationsmöglichkeiten vieler genetischer Abweichungen werden allgemein als Ursache für die große Vielfalt und Breite des Autismusspektrums vermutet, einschließlich des Asperger-Syndroms.[88] Deletion (1), Duplication (2) und Inversion (3) von bestimmten Abschnitten eines Chromosoms. Seit etwa 2010 hat sich zunehmend herausgestellt, dass neben den länger bekannten erblichen Veränderungen gerade beim Autismusspektrum submikroskopische Veränderungen in Chromosomen eine Schlüsselrolle spielen, nämlich die Kopienzahlvariationen.[89][90][91] In erster Linie handelt es sich dabei um Genduplikation oder Gendeletion. Sie entstehen bei der Bildung von Eizellen der Mutter oder von Samenzellen des Vaters (Meiose). Das heißt, sie entstehen neu (de novo). Wenn ein Kind eine solche Abweichung von einem Elternteil erhält, kann es sie jedoch weiter vererben, und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 %. Dadurch ist es möglich, dass eine Abweichung, die zum Autismusspektrum beiträgt, nur einmalig bei einem Kind auftritt und nicht weiter vererbt wird, oder aber auch mehrere Familienmitglieder in verschiedenen Generationen betrifft. In letzterem Fall kann zudem die Durchschlagskraft (Penetranz und Expressivität) einer solchen genetischen Abweichung von Person zu Person höchst unterschiedlich sein (0–100 %). Moderne Analysemethoden (DNA-Chip-Technologie) erlauben heute die Feststellung von solchen zur Krankheit beitragenden Abweichungen (Analyse des Karyotyps), wobei die Einbeziehung von Familienmitgliedern oft hilfreich oder sogar notwendig ist. NeuroimagingDurch bildgebende Verfahren konnten (auf Gruppenebene, jedoch noch nicht im Einzelfall) immer wieder strukturelle und funktionelle Abweichungen im Gehirn festgestellt werden.[92] Bildliche Darstellungen einzelner Gehirne lassen bislang wegen der natürlichen Variationsbreite noch keine Aussagen zu, aber bei statistisch ermittelten Gruppendaten sind die Abweichungen bezüglich einer Vergleichsgruppe deutlich. Sie betreffen weite Teile des Gehirns und stimmen überein mit den typischen Abweichungen im Verhalten. Allgemein zeigt sich aber bei Kindern mit Autismus eine vergrößerte Amygdala sowie ein schneller wachsendes Gehirn, 65 % mehr Neuronen im frontalen Cortex, jedoch ein kleineres Corpus callosum, ebenso eine geringere Synapseneliminierung.[93][94][95] KonnektivitätAuffällig oft wiederholtes Stapeln oder Aufreihen als möglicher Ausdruck von Überspezialisierung 2004 entdeckte eine Forschergruppe um Marcel Just und Nancy Minshew an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh (USA) die Erscheinung der veränderten Konnektivität (großräumiger Informationsfluss, englisch connectivity) im Gehirn bei den Gruppendaten von 17 Probanden aus dem Asperger-Bereich des Autismusspektrums. Funktionelle Gehirnscans (fMRI) zeigten im Vergleich zur Kontrollgruppe sowohl Bereiche erhöhter als auch Bereiche verminderter Aktivität sowie eine verminderte Synchronisation der Aktivitätsmuster verschiedener Gehirnbereiche. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse entwickelten die Autoren erstmals die Theorie der Unterkonnektivität (underconnectivity) für die Erklärung des Autismusspektrums.[96] Die Ergebnisse wurden relativ schnell in weiteren Studien bestätigt, ausgebaut und präzisiert, und das Konzept der Unterkonnektivität wurde entsprechend fortentwickelt.[97][98] Bezüglich anderer Theorien wurde es nicht als Gegenmodell, sondern als übergreifendes Generalmodell präsentiert. In den folgenden Jahren nahm die Anzahl der Studien zur Konnektivität innerhalb des Autismusspektrums explosionsartig zu. Dabei wurde neben eher globaler Unterkonnektivität häufig auch eher lokale Überkonnektivität gefunden. Letztere wird allerdings – gestützt auf Kenntnisse der frühkindlichen Gehirnentwicklung bei Autismus – eher als Überspezialisierung und nicht als Steigerung der Effektivität verstanden. Um beide Erscheinungen zu berücksichtigen, wird das Konzept nun atypische Konnektivität genannt. Es zeichnet sich ab (Stand: Juli 2015), dass es sich als Konsensmodell in der Forschung etabliert.[99][100] Dies gilt auch, wenn der Asperger-Bereich des Autismusspektrums für sich betrachtet wird.[101] Die beim Autismusspektrum vorliegende atypische Konnektivität wird verstanden als Ursache des hier beobachteten besonderen Verhaltens, wie etwa bei der Erfassung von Zusammenhängen zwischen Dingen, Personen, Gefühlen und Situationen. Nicht jede Diagnose des Asperger-Syndroms führt zur Einstufung als Krankheit, die beachtet oder gar behandelt werden sollte.[5] Auch gibt es derzeit (Stand 2017) keine kausal wirksame Therapie. Möglich ist eine symptomatische Therapie, die sich auf verhaltenstherapeutische Ansätze (zum Beispiel TEACCH, ABA) und die Einübung sozialer Fertigkeiten stützt. Mit den Behandlungsgrundsätzen für Menschen mit Asperger haben sich insbesondere Klin und Volkmar beschäftigt.[102] Zur Behandlung bei Erwachsenen liegt eine umfassende Übersicht von 2013 durch die Freiburger Autismus-Studiengruppe vor.[103] Auch eine Anpassung der äußeren Umgebung an die Schwierigkeiten der Patienten kann sinnvoll sein.[80] Wenn Symptome wie ausgeprägte Hyperaktivität und Unruhe, aggressives Verhalten, Schlafstörungen oder depressive Verstimmungen hinzukommen, werden auch Medikamente eingesetzt.[19] In einer systematischen Übersichtsarbeit aus dem Jahre 2012 wurden 32 Studien analysiert, die die Effektivität von Behandlungen von Jugendlichen und von jungen Erwachsenen mit Autismus-Spektrum-Störungen untersuchten. Das Ergebnis war, dass keine der 32 Studien als gut qualifiziert werden könne und nur fünf davon noch als akzeptabel anzusehen seien.[104] Attwood hält Zurückgezogenheit (also beispielsweise ein Kind allein spielen lassen) für „eines der effektivsten emotionalen Stärkungsmittel für einen Asperger-Autisten“.[105] Als Therapie für affektive Störungen als Begleiterscheinung schlägt er die kognitive Verhaltenstherapie vor.[106] In der neurowissenschaftlichen und medizinischen Forschung wird das Asperger-Syndrom als eine Abweichung in der Informationsverarbeitung des Gehirns beschrieben. Einen anderen Ansatz verfolgt zum Beispiel der britische Psychologe Tony Attwood, der das Syndrom nicht als Abweichung, sondern als eine Normvariante der Informationsverarbeitung begreift. Attwood gesteht ein, dass Asperger-Autisten in einem sozialen Umfeld, dessen Verhaltensregeln sie nur schlecht folgen können, strukturell benachteiligt sind, betont jedoch, dass diese Normvariante des Gehirns eine volle Daseinsberechtigung habe.[107][52] Von Attwood stammt auch der Ausdruck „neurologisch typisch“ (neurotypisch, NT) als Bezeichnung für Menschen, die nicht autistisch sind. Während „NT“s emotional gesteuert seien und durch Intuition lernen würden, seien Asperger-Autisten logisch gesteuert und würden durch Instruktion lernen. Hilfreicher als eine Diagnose und die Aufzeigung der Mängel eines Asperger-Autisten sei es, dessen Stärken und Talente zu identifizieren. Als Alternative zu klinisch klingenden Bezeichnungen, wie „Asperger-Patient“ oder „Asperger-Autist“, hat die US-amerikanische Pädagogin Liane Holliday Willey 1999 den Ausdruck „Aspie“ geprägt, eine (Selbst-)Bezeichnung, die vor allem die Fähigkeiten und Stärken von Menschen mit Asperger betonen soll.[108] Manche Menschen mit Asperger sind heute organisiert und fordern – unter anderem auf Veranstaltungen wie dem Autistic Pride Day – die Entpathologisierung und die gesellschaftliche Anerkennung der autistischen Persönlichkeit. Der Kampfbegriff der Autismusrechtsbewegung – „Neurodiversität“ (neurodiversity) – bringt die Idee zum Ausdruck, dass eine untypische neurologische Entwicklung ein normaler menschlicher Unterschied sei, der ebenso Akzeptanz verdiene wie jede andere – physiologische oder sonstige – Variante des Menschseins. Zu den Einrichtungen, an denen Forschungsschwerpunkte für das Asperger-Syndrom bestehen, zählen das Center for Cognitive Brain Imaging an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh/USA (Marcel Just, Nancy Minshew)[109], das Yale Child Study Center der Yale University School of Medicine (Fred Volkmar),[110] das Gillberg Neuropsychiatry Centre der Universität Göteborg (Christopher Gillberg, Carina Gillberg)[111] und das Universitäre Zentrum Autismus Spektrum (UZAS) in Freiburg.[112] Aktuelle Ergebnisse der internationalen Autismusforschung werden auf der seit 2007 jährlich stattfindenden Wissenschaftlichen Tagung Autismus-Spektrum (WTAS) vorgestellt. Diese Tagung ist mit Gründung der Wissenschaftlichen Gesellschaft Autismus-Spektrum (WGAS)[113] 2008 auch deren wesentliches Organ. Da das sogenannte Asperger-Syndrom als Variante des Autismus aufgefasst wird, gelten auch die entsprechenden Angaben zu Behinderung bzw. Schwerbehinderung analog. Siehe auch: „Autismus und Behinderung“ im Artikel Autismus
Siehe auch: Kategorie:Autismus im Film
Commons: Asperger-Syndrom – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien Wiktionary: Asperger-Syndrom – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
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