In Tschetschenien weiß jeder, daß das Wahlergebnis mit der Wahl nichts zu tun hat, sondern von vornherein festgelegt wurde. Recht freuen wollte sich auch der frisch gewählte tschetschenische Präsident Alu Alchanow nicht. Recht freuen wollte sich Alu Alchanow nicht. „Ich empfinde keine Euphorie", sagte der frisch gewählte tschetschenische Präsident. Rund 74 Prozent der Wähler, so verkündete die Wahlkommission in Grosnyj, hätten für den 47 Jahre alten Polizeigeneral gestimmt - ein deutliches Ergebnis, aber eben doch in angemessen pietätvollem Abstand zum Resultat des getöteten Vorgängers Achmed Kadyrow, des neuen Nationalheiligen von des Kremls Gnaden. Der hatte vor elf Monaten 81 Prozent der Stimmen erhalten. Auch die Wahlbeteiligung - sie wurde am Montag mit 85 Prozent angegeben - blieb in wenn auch nur geringem Abstand von der Wahl Kadyrows, an der sich angeblich 86 Prozent der Wahlberechtigten beteiligt hatten. In Moskau lobte man das große Vertrauen, das die tschetschenische Bevölkerung in den Kandidaten des Kremls gesetzt habe, und Alchanow versprach nach seiner Wahl, den Kurs des großen Kadyrow fortzusetzen und zudem alles, was man einem Volk nach zehn Jahren Krieg versprechen muß: Frieden, Sicherheit, Arbeit. Man ist froh um jeden, der wählt In Tschetschenien weiß freilich jeder, daß das Wahlergebnis mit der Wahl nichts zu tun hat, sondern von vornherein festgelegt wurde. Wichtig ist, nach einem angeblichen Stalin-Zitat, ja nicht, wer wählt, sondern wer zählt. Wie die Wahl ablief, berichtet am Montag etwa Mussa Muradow, der in Grosnyj lebende Korrespondent der Zeitung "Kommersant". Im ersten Wahllokal, das er besuchte, in einem Dorf nahe der Hauptstadt, herrschte kaum Betrieb, bis ein Mitarbeiter von Alchanows Wahlkampfstab Wähler in einem Bus heranschaffte. "Sonst kommen die Leute nicht. Man muß doch etwas tun", sagte er. Der Korrespondent bat darum, auch wählen zu dürfen, obwohl er in Grosnyj wohne und für dieses Wahllokal keine Wahlberechtigung habe. Kein Problem, man ist froh um jeden, der wählt. Auch im nächsten Ort im nächsten Wahllokal, wo es ebenfalls leer gewesen sei, durfte er wählen. Insgesamt wählte Muradow im Lauf von einigen Stunden viermal. Nur einmal lehnte die Leiterin eines Wahllokals ab, ihn ohne Berechtigung wählen zu lassen, und forderte ihn auf, in seinem Wahllokal in Grosnyj seine Stimme abzugeben. Dort, wo er im Wählerverzeichnis aufgeführt sein müßte, fand man ihn indes nicht. Aber wählen durfte er auch dort. Angeblich keine Unregelmäßigkeiten bei der Wahl Zahlreiche Beobachter berichteten von leeren Wahllokalen in Tschetschenien, von Wahlleitern, die eigens ihre Verwandten für die Journalisten in die Wahllokale brachten, von Beobachtern, die bei der Auszählung nicht dabeisein durften, und von ausgetauschten Urnen. In Grosnyj war bis zum Nachmittag sogar offiziell nicht einmal jeder zweite zur Wahl gegangen. Wie man in einem Wahllokal in Grosnyj die vergangene Wahl im Oktober im eigenen Sinne organisierte, berichtet ein damaliges Mitglied einer Wahlkommission der Zeitung "Wremja Nowostjej". In dem Wahllokal in einer Poliklinik hätten 2.500 Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben können, aber nur 146 hätten gewählt. Doch in einem Nebenraum hätten Leute gesessen, die die gewünschte Anzahl von Wahlbögen ausgefüllt hätten. "Dann haben wir einfach die Wahlbeobachter zum Mittagessen in einen anderen Raum geführt, die Urne ausgetauscht, die 146 echten Stimmen zu den gefälschten gegeben, und am Abend wurde das Wahlprotokoll erstellt. Von den Beobachtern gab es keine Beanstandungen", erzählte der Mann. Seit er dies erlebt habe, gehe er nicht mehr zur Wahl. Auch am Montag äußerten die Wahlbeobachter aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, daß es am Sonntag keine Unregelmäßigkeiten gegeben habe. Kein Dialog mit den Separatisten Der Wahlsieger Alchanow versicherte am Montag, daß es keine Friedensgespräche mit dem einstigen Präsidenten Aslan Maschadow geben werde, der seit dem Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs die Rebellen in den Bergen führt. Eine Woche zuvor hatte Alchanow solche Gespräche in Interviews noch für möglich erklärt. Doch ein Dialog mit den Separatisten widerspricht der Linie von Präsident Putin. Alchanow versprach, nichts grundlegend zu ändern, die Regierung nicht umzubilden. Der Karrierepolizist wurde in Kasachstan geboren, wohin Stalin 1944 die Tschetschenen unter grausamen Bedingungen bis auf den letzten Mann deportierte. In der Chruschtschow-Zeit, als die Tschetschenen 1957 in ihre Heimat zurückkehren konnten, ging die Familie Alchanows nach Urus-Matan, wo man den neuen Präsidenten auch schon vor seiner Kandidatur kannte. Ansonsten war der schüchtern und unsicher wirkende Mann, den Kadyrow im April 2003 zum Innenminister in Tschetschenien ernannt hatte, in seiner Heimat wenig bekannt. Der Generalmajor stand stets in Diensten des sowjetischen, dann russischen Innenministeriums, stellte sich gegen den ersten Präsidenten Dschochar Dudajew, der die Unabhängigkeit der Republik verkündete, wechselte nie die Seiten. Keine eigene Hausmacht Alchanow wird nach Meinung fast aller unabhängigen Beobachter ein schwächerer Präsident werden als sein Vorgänger, da er keine Hausmacht in Tschetschenien hat. Er wird vor allem vom Kadyrow-Clan in Tschetschenien abhängig sein. Deren starker Mann ist der 28 Jahre alte Ramsan Kadyrow, der die "Kadyrowzy", die stärkste Truppe in der Kaukasusrepublik mit angeblich 5.000 Mann, führt. Da ein tschetschenischer Präsident 30 Jahre alt sein muß, konnte er an der Wahl nicht teilnehmen. In Tschetschenien erzählt man sich, Ramsan Kadyrow wolle Alchanow in zwei Jahren im Präsidentenamt beerben. Am Montag lobte Ramsan Kadyrow den neuen Präsidenten über den grünen Klee, stellte ihn als den treuesten Mann an der Seite seines gestorbenen Vaters dar. Auf Wahlplakaten hatte sich der Kadyrow-Sohn indes Arm in Arm mit dem Kandidaten Wachi Wissajew gezeigt, einem Berater seines Vaters. Dies wurde als Hinweis auf Differenzen zwischen ihm und Alchanow gewertet. Das drohende Zerwürfnis zwischen den beiden Männern, auf die er sich in Tschetschenien stützt, soll Präsident Putin vergangene Woche bei einem Treffen in seiner Sommerresidenz in Sotschi verhindert haben. Ob Alchanow sich von Ramsan Kadyrow lösen kann, ist ungewiß. Er müßte dann seine "Alchanowzy" gründen. Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.08.2004, Nr. 202 / Seite 3
sowjetischer Politiker und Diktator
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