Wo lebt martha argerich heute

Stand: 17.06.2021 08:40 Uhr

Zum dritten Mal präsentiert die Weltklasse-Pianistin ihr Martha Argerich Festival in Hamburg. Vom 19. bis zum 30. Juni lädt Martha Argerich renommierte Musikerinnen und Musiker in die Laeiszhalle ein.

von Marcus Stäbler

"Jeux d'enfants", auf Deutsch "Kinderspiele": "So heißt eine Suite von George Bizet für Klavier zu vier Händen. Wenn Martha Argerich mit Daniel Barenboim zusammen am Flügel sitzt und das Stück spielt, blicken die beiden auf ihre eigenen Kindertage zurück. "Das ist mein ältester Freund! Wir haben uns in Argentinien getroffen, als wir sieben oder acht waren. Das ist unglaublich, ja?", freut sich Martha Argerich, die Anfang Juni ihren 80. Geburtstag feierte. Doch Argerich versprüht immer noch eine jugendliche Energie.

Festival startet mit Barenboim und Bartoli

Argerich und Barenboim eröffnen das Argerich-Festival am Samstag, gemeinsam mit der Mezzosopranistin Cecilia Bartoli und Werken von Bizet und Schubert bis Bellini. Das Programm am Samstag ist der Start zu einem Festival mit 15 Konzerten in der Hamburger Laeiszhalle, die meisten mit Martha Argerich selbst in Aktion. Sie tritt als Solistin mit ihren Gastgebern, den Symphonikern Hamburg, auf und als leidenschaftliche Kammermusikerin. Dafür hat Argerich vor allem Kolleginnen und Kollegen eingeladen, mit denen sie sich besonders verbunden fühlt, um eine freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen. "Das ist sehr wichtig, finde ich", erklärt die Residenz-Künstlerin der Hamburger Symphoniker.

Duoabend mit Maria Joao Pires

Natürlich ist der Cellist Mischa Maisky mit dabei, einer ihrer engsten Freunde. Die Pianistin Maria Joao Pires, die eigentlich schon 2018 ihren Abschied von der Bühne verkündet hatte, kommt für einen Duoabend mit Martha Argerich zurück. Und Gidon Kremer bringt sein Kammerorchester Kremerata Baltica nach Hamburg, für ein Programm mit Werken von Glorvigen und Piazolla.

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Neben all diesen Begegnungen mit langjährigen Weggefährten und jungen Interpretinnen wie der Pianistin Sophie Pacini, feiert Martha Argerich auch eine Premiere: Am kommenden Montag tritt sie zum ersten Mal gemeinsam mit der Geigerin Anne-Sophie Mutter auf. "Wir werden sehen, wie das wird. Ich freue mich. Ich kenne sie! Sie ist eine wunderbare Person. Ich habe sie schon getroffen, das letzte Mal in Salzburg. Sie ist gekommen, als ich ein Streaming mit Daniel Barenboim gemacht habe. Sie wohnt in München, das ist nicht weit. Sie ist sehr charmant", sagt Argerich über Mutter.

Tickets für Laeiszhalle und Streaming

Martha Argerich kommt spürbar gern nach Hamburg, zu ihrer mittlerweile dritten Residenz bei den Symphonikern in der Laeiszhalle. Und das liegt nicht nur an den Menschen, die sie umgeben. "Es freut mich hier zu sein und zu spielen, hier in diesem Saal und an diesem wunderbaren Flügel." Beim Festival gibt es jeweils Tickets für einen Besuch vor Ort im Saal zu kaufen, aber auch für ein Streaming, wenn man sich die Konzerte lieber zuhause als Video anschauen möchte. Das Musikleben geht wieder los - für Martha Argerich eine wichtige Botschaft: "We go on. Yes, we go on."

Ab dem 19. Juni lädt die Weltklasse-Pianistin in der Laeiszhalle zum Martha Argerich Festival mit prominenten Gästen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 17.06.2021 | 07:40 Uhr

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Klassik

Elbphilharmonie

Von Jürgen Kesting

Es steht ihr ins Gesicht geschrieben: Das Klavierspielen ist ihre Leidenschaft. Die Pianistin Martha Argerich am Piano. Bild: EPA

Sie ist eine der größten Pianistinnen unserer Zeit. Aufgrund ihres hohen Anspruchs an sich selbst, wünscht die Pianistin sich manchmal einen anderen Beruf. Nun wird Martha Argerich achtzig Jahre alt.

Das Schwierigste soll leicht klingen und mühelos, die Überwindung aller Widerstände zurückkehren in ein befreites Spiel. Insofern kann die Grazie des Jongleurs Rastelli eine „Schlüsselfigur zur musikalischen Interpretation“ (Theodor W. Adorno) sein. Wer würde für dieses besondere, magische „Mehr können als es können“ leidenschaftlicher bewundert werden als die argentinische Pianistin Martha Argerich? Aber der Beifall ist für sie zur Belastung geworden; er hat sie erkennen lassen, dass im Lob mehr Zudringlichkeit steckt als im Tadel. Sie hadert mit den Hymnen, die auf sie selbst dann angestimmt werden, wenn sie nach eigener Überzeugung schlecht gespielt hat. Doch nach Einschätzung ihrer Bewunderer kann sie, „die größte Pianistin“ der Welt, nicht schlecht spielen. Sie ist dem Druck ausgesetzt, Erwartungen gerecht zu werden, die sie selber geweckt hat: immer so spielen zu müssen, als wandle der liebe Gott als Pianistin auf Erden.

Wie in einem Abwehrreflex hat sie einmal gesagt: „Ich liebe es, Klavier zu spielen, aber ich mag es nicht so gern, Pianistin zu sein.“ Im Verlauf ihrer langen Laufbahn hat es denn auch, wie bei dem von ihr verehrten Vladimir Horowitz, lange Jahre gegeben, in denen die Virtuosa die Arena der großen Konzertsäle gemieden und weder Konzerte noch Solo-Recitals gespielt hat. Stattdessen hat sie sich mit Freunden, unter ihnen generös geförderte junge Musiker, bei ihrem Festival von Lugano der Kammermusik gewidmet. Ende der neunziger Jahre hat sie den Kampf gegen eine schwere Krebserkrankung gewonnen.

Die in Buenos Aires geborene Martha Argerich, Enkelin jüdischer Immigranten, brachte jene unbegreifliche Gabe mit zur Welt, die Bruno Walter mit dem Paradox „angeborene Technik“ bezeichnet hat. Ihr erster Lehrer war der italienisch-argentinische Pianist Vincenzo Scaramuzza, der sie lehrte, „mit den Fingern zu singen wie Belcanto-Soprane wie Maria Malibran oder Giulia Grisi“. Sie war acht Jahre alt, als sie in Buenos Aires mit Mozarts Konzert in d-Moll KV 466 debütierte. Aber bald schon sperrte sie sich gegen das Drängen des Lehrers und ihrer Eltern, das Klavier als Verlobten zu sehen. Mit vierzehn Jahren ging sie, unterstützt durch die Regierung des Diktators Juan Perón, zum Studium bei Friedrich Gulda in Wien, für sie die „größte Inspiration meiner Laufbahn“. 1960 gelang ihr eine der brillantesten Debüt-Platten überhaupt: Das Allerschwerste – die Staccati, die Akkordbrechungen und die glitzernden Passagen von Frédéric Chopins cis-Moll-Scherzo; die auf beide Hände verteilten Repetitionen auf einem Ton von Serge Prokofjews Toccata; das Oktaven-Gedonner der Sechsten Ungarischen Rhapsodie von Franz Liszt – meisterte sie so, dass man sie früher wohl der Zauberei bezichtigt hätte. Cheerleader des Beifalls war Vladimir Horowitz.

1961 floh sie aus dem Konzertleben ins italienische Montcalieri (Piemont), um bei Arturo Benedetti Michelangeli zu studieren. Gefragt, was er ihr in den nur vier Lektionen im Verlauf von achtzehn Monaten erteilte, erwiderte der geheimnisumwitterte Perfektionist: „Ich habe eine Menge für das Mädchen getan. Ich habe sie die Musik der Stille gelehrt.“

Danach hörte sie für eine Zeitlang auf zu spielen, trug sich mit dem Gedanken, als Sekretärin zu arbeiten und heiratete den Komponisten Robert Chen, von dem sie sich kurz vor der Geburt ihrer ersten Tochter trennte. (Zwei weitere Töchter stammen aus der Ehe mit dem Dirigenten Charles Dutoit und dem Pianisten Stephen Kovacevich). Zum Concours Reine Elisabeth, zu dem sie von ihrer Mutter angemeldet worden war, reiste sie 1964 nach Brüssel, trat aber nicht an.

Von berstender Energie und Schnelligkeit der Phantasie

Sie traf dort auf den Pianisten Stefan Askenase, der sie zu einem Neubeginn ermutigte. 1965 gewann sie den Chopin-Wettbewerb in Warschau. Die Rückreise führte sie nach London, wo sie für EMI Werke ihres Wettbewerbs-Repertoires aufnahm. Da sie sich wenige Wochen später an die Deutsche Grammophon band, wurde das die Aufnahme erst 34 Jahre später, und soeben zum zweiten Mal, veröffentlicht. Mehr als diese „Legendary 1965 Recording“ offenbart ihre Platte von 1967 charakteristische Elemente ihres Spiels: stürmisch und rhapsodisch, kämpferisch und pianistisch kühn, von berstender Energie und Schnelligkeit der Phantasie.

Ihr Repertoire umfasst (diskographisch) die Werke von 33 Komponisten. Wie verwunderlich, dass die Klaviersonaten von Haydn, Mozart, Schubert und Beethoven (mit wenigen Ausnahmen) ebenso fehlen wie die meisten Konzerte von Mozart, das vierte und das fünfte von Beethoven wie die beiden von Brahms. Liegt es womöglich daran, dass ihr, wie ein Pianist und Musikproduzent im Gespräch sagte, rhapsodisch schweifende Konzerte besser liegen als die mit einer strengen Architektur? Sie gehört, wie Horowitz, zu den Pianisten, deren Spiel sich in immer neuer Varianten als Prozess vollzieht, und nicht zu denen, die sich, wie Michelangeli oder Krystian Zimerman, mit ausgefeilten Artefakten präsentieren. Ihr als quecksilbrig beschriebenes Spiel kann sich folglich in Aufführungen besser entfalten als bei einer Studio-Produktion.

Zu den Schwerpunkten ihres Repertoires gehören Chopin und Schumann. „Wer Chopins Werke interpretiert“, heißt es in Hubert Stuppners „Mephisto Walzer“, brauche „gesegnete Hände, einen träumerischen Blick und ein poetisches Herz.“ Bei Martha Argerich sind es Eroberhände. Das hexenhaft schnelle Finale der zweiten Sonate, in dem beide Hände unisono einen gespenstischen Wind über die Gräber wehen lassen, oder die irrlichternden Passagen im Presto der h-Moll-Sonate treibt sie in einen waghalsigen Overdrive. Wie sie im Presto con fuoco, Nr. 16 der Préludes Op. 28, die Sechzehntel zu einem Glissando beschleunigt oder die Laufpassagen des finalen d-Moll-Prélude peitscht, ist als Durchbrechung der akustischen Schallmauer faszinierend, manchmal aber auch irritierend. Erstaunlich, dass sie die Etüden-Zyklen, den Kosmos von Chopin Klavierkunst, nicht gespielt hat, auch nicht die Vierergruppen der Balladen wie der Scherzi, nur einzelne Nocturnes und Mazurken; umso kostbarer die Aufnahme der drei Mazurken des Opus 59.

„Der Liszt-Künstler“ – noch ein Mal mit Stuppner – ist „zur Bewusstseinsspaltung zwischen Dämonie und Heiligkeit“ gezwungen. Dass Liszt-Pianisten „Höllenkünstler“ sind, bestätigt sie mit zwei prometheischen Herausforderungen: der h-Moll-Sonate und dem Es-Dur-Konzert unter Claudio Abbado. Der Dirigent ist, wie auch in Chopins e-Moll-Konzert, so behutsam-klug, der „Herrin“ zu folgen: ihr Zeit zu geben für mondlicht-beschienene lyrische Passagen und molto agitato mitzugehen bei den Etüden-Sequenzen und den dramatischen Linke-Hand-Trillern am Endes des Kopfsatzes. Bei vielgespielten Werken wie dem b-Moll-Konzert von Tschaikowsky oder dem d-Moll-Konzert von Rachmaninow gelingt es ihr, den diesen Werken ursprünglich innewohnenden Schauer erbeben lassen. Zu weiteren Kabinettstücken gehören ihre Einspielungen von Maurice Ravels gebrochen-heiterem Konzert und des dritten Konzerts von Sergej Prokofjew.

Das Lebenswerk von „La Martha“ ist dokumentiert durch zwei umfängliche Editionen: mit zwanzig CDs, die sie für EMI (heute Warner) gemacht hat, und vierzig CDs für die Deutsche Grammophon. An diesem Samstag wird sie achtzig Jahre alt.