Wo 3 flüsse sich kreuzen

Irland in den Jahren 1825/1826 – in einem kleinen Tal, fern von den immer moderner werdenden Städten, herrscht immer noch der Glaube an Mythen wie Feenwesen, Wechselbälger und mehr. Nora Leahy, gerade ...

Irland in den Jahren 1825/1826 – in einem kleinen Tal, fern von den immer moderner werdenden Städten, herrscht immer noch der Glaube an Mythen wie Feenwesen, Wechselbälger und mehr. Nora Leahy, gerade frisch verwitwet, lebt auf einem kleinen Bauernhof, allein mit ihrem vierjährigem Enkel Micheál. Doch Micheál ist kein gewöhnliches Kind, er läuft nicht, er spricht nicht, des Nachts schreit er und auch am Tage findet er kaum Ruhe. Um Hilfe auf dem Hof und mit ihrem Enkel zu bekommen stellt Nora die vierzehnjährige Mary ein. Doch der Zustand des Kindes ändert sich nicht, ein Arzt diagnostizierte bereits unheilbaren Kretinismus und auch der Dorfpfarrer verweigert seine Hilfe. In ihrer Verzweiflung wendet sich NOra an Nance, die heilkundige Kräuterfrau und diese bestätigt Nora das, was sie schon lange vermutete: Micheál ist ein Wechselbalg. Meine Meinung Das Cover wirkt schon ein wenig düster und unheimlich und passt sehr gut zu der Geschichte. Denn diese ist sehr düster gehalten und ich muss sagen, dass es der Autorin hier absolut gelingt, die Atmosphäre des kleinen, abgelegenen Dorfes einzufangen. Man hat das Gefühl, die Költe und Dunkelheit des irischen Winters am eigenen Leib nachzuemfpinden. Durch die viele Details wird das Leben dort sehr atmosphärisch und auch glaubwürdig dargestellt. Die Autorin schafft es hier eine Dichte zu schaffen, die beim Lesen Bilder von damals lebendig werden lassen. Auch sonst schreibt Hannah Kent sehr einnehmend, beinahe schon poetisch und der Zeit und der Umgebung des Dorfes, in der die Geschichte spielt, hervorragend angepasst. Es ist kein leichter ROman für zwischendurch, aber er verfehlt seine Wirkung keineswegs, denn bei manch einer der Beschreibungen hatte ich Gänsehaut. Das Tempo der Geschichte ist relativ konstant, eher ruhig, denn es geht vielmehr um diese gesamte Entwicklung rund um den Aberglaube und der Mythen, den die Charaktere, allen voran Nora durchlaufen. Es ist schon sehr erschreckend, wie sehr die Menschen früher glaubten, was man ihnen erzählte. Geschahen Unglücke wurden Schuldige gesucht, seien es mythische Wesen oder Reale, alle Schuld wurde bei anderen gesucht und der Aberglaube der Menschen war sehr extrem. All das gelingt es Hannah Kent glaubwürdig nachzuerzählen und ganz besonders interessant fand ich hier, dass die Autorin sich auf eine reale Begebenheit aus dieser Zeit beruft. Mit wechselnden Perspektiven erzählt ein personeller Erzähler in dritter Person die Geschichte. Wir verfolgen drei völlig unterschiedliche Frauen und deren Erlebnisse. Nora, die Witwe, Mary, die Magd und Nance, die Kräuterfrau. Alle drei Frauen sind sehr gut ausgearbeitet und man sieht sie direkt vor sich während des Lesens, aber auch sonst wird alles so intensiv geschildert, dass man einen Film vor dem inneren Auge verfolgt. Nora war eine mir alles andere als sympathische Person, sicher, sie muss in kürzester Zeit den Verlust der Tochter und des Ehemannes verarbeiten und sich um ein schwerbehindertes Kind kümmern, aber anstelle, dass sie selbst mehr eingreift, glaubt sie lieber, dass was man ihr erzählt und was man so im Tal über den kleinen Jungen munkelt. Mary schien mir hier ganz viel Herz zu haben, sie bekommt die nötige Tiefe und nimmt eine wichtige Rolle in der Geschichte ein. Dabei ist sie eine der wenigen, wie es mir schien, die hier zu Mitgefühl fähig war. Nance, die dritte der drei Frauen, aus deren Perspektive wir die Geschichte erleben, ist ebenfalls sehr glaubhaft dargestellt. Von ihr erfährt man auch mehr darüber, wie es dazu kam, dass sie die Gabe der Kräuterkunde und der Heilkunst bekam. Neben den drei Frauen gibt es noch einige weitere Charaktere, vor allem die Bewohner des Tals, die auf die Handlung Einfluss nehmen. Durch ihr Verhalten, ihren Aberglauben und auch teilweise durch ihren Tratsch nimmt die grausame Handlung gegenüber dem kleinen Micheál seinen Lauf. Gerade diese Momente der Geschichte ließen mich wirklich tiefes Mitleid mit dem Kleinen empfinden, denn es war wirklich grauenhaft, was er durchleben musste. Mein Fazit

Absolut atmosphärische Geschichte, sehr düster, sehr kalt und dadurch sehr real dargestellt. Manch ein Moment brachte mir Gänsehaut und Entsetzen, wenn man überlegt, wie sehr diese Menschen sich beeinflussen ließen. Die Entwicklung der Geschichte und der Charaktere konnte mich absolut fesseln und überzeugen. Kein leichter Roman, aber wirklich empfehlenswert!

Irland 1825: Die 14-jährige Mary soll der verwitweten Bäuerin Nóra mit deren behindertem Enkel zur Hand gehen. Der kleine Junge, so munkelt man im Dorf, sei ein Wechselbalg, ein Feenkind, und mache die Kühe krank. Mary gibt nichts auf das Gerede, doch als Nóra davon hört, reift in der verzweifelten Frau eine Idee: Sie will mit Hilfe der kräuterkundigen Heilerin Nance den Wechselbalg vertreiben, um wieder ein gesundes Kind zu haben. Fast verrückt vor Angst und Aberglauben ist sie bald bereit, zum Äußersten zu gehen.

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

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Hannah Kent, Wo drei Flüsse sich kreuzen, Droemer 2017, ISBN 978-3-426-19979-4

Nach ihrem überzeugenden Debüt „Das Seelenhaus“. Dessen Handlung sie im Island des Jahres 1828 ansiedelte, verlegt die australische Schriftstellerin Hannah Kent das Geschehen ihre neuen Romans „Wo drei Flüsse sich kreuzen“ erneut nach Europa, dieses Mal nach Irland. Wieder schildert das Leben von Menschen im ersten

Wo 3 flüsse sich kreuzen

Düstere Geschichte von Aberglaube und Kindesmord

Haben die Heilerin Nance und die Witwe Nóra den kleinen Micheál kaltblütig ermordet? Diese Frage muss im Jahr 1826 ein Gericht in Irland klären. Die 14-jährige Mary, Magd bei der Witwe Nóra, erzählt davon, wie Nance den Vierjährigen so lange im Fluss unter Wasser gedrückt hat, bis er ertrunken ist. Nance und Nóra beteuern jedoch, dass Micheál ein Wechselbalg gewesen sei und sie nichts anderes getan hätten, als das Kind seinem Volk zurück gebracht zu haben, um den richtigen Enkel der Witwe zurück zu bekommen. Denn Micheál war kein normales Kind mehr: Nachdem er sich die ersten Jahre gesund entwickelt hatte,  ist er inzwischen ein hilfloses Bündel, das ständig schreit, sich weder artikulieren noch sitzen oder gehen kann. Der Arzt, den Nóra und ihr verstorbener Mann zu Rate zogen, bezeichnete das Kind als unheilbaren Cretin.

Nóra leidet zunehmend unter der Situation, vermisst ihren Mann und fühlt sich in der sie umgebenden Dorfgemeinschaft ausgegrenzt. Der Verlust ihrer Tochter, die nur ein paar Monate vor ihrem Mann starb und die Überforderung durch den behinderten Enkel, den sein Vater bei der Großmutter abgegeben hatte, zollen ihren Tribut. Nance, der gegenüber sie sich bisher eher zurückhaltend gab, ist ihre letzte Hoffnung. Die Heilerin steht im Ruf, mit dem guten Volk in Verbindung zu stehen und ist für ihre Heilkünste bekannt. Kaum jemand ahnt, dass Nance manchmal auch um böse Zauber angefragt wird, bisher aber immer abgelehnt hat, was ihr die Missgunst und den Hass einiger Dorfbewohner einträgt. Das Tal macht gerade eine schwere Zeit durch: Dauerregen lässt die Ernte verkümmern, die Tiere geben kaum mehr Milch und Eier. Die einen Talbewohner sehen in Nance die Schuldige, sie soll das Tal mit einem bösen Fluch belegt haben. Andere machen den Störenfried in Nóras Enkel aus. Eine Totgeburt, eine Frau mit bösen Verbrennungen und Existenzängste schüren den Zorn der Bewohner, bis sie Nance zu Leibe rücken wollen.

Düster und intensiv

Hannah Kents Roman Wo drei Flüsse sich kreuzen ist ein düsterer Roman, der die dunklen Seiten einer Gesellschaft aufzeigt, die sich in der Schwebe zwischen dem alten Aberglauben und dem Christentum befindet. Sehr schön nimmt die Autorin die verschiedenen Hintergründe auf und legt dar, was der Handlung der einzelnen Charaktere zugrunde liegt. Es sind nicht große und überraschende Ereignisse, die diesen Roman prägen, es sind die Feinheiten einer Talgemeinschaft, die unter Existenzängsten leidet und darben muss. Der Dauerregen und die kargen Verhältnisse sind sehr gut aufgefangen und kommen in den beschrieben Szenen hervorragend zum Ausdruck. Der Leser fühlt sich in eine nass-dunkle Kate versetzt, kann das Torffeuer und den Dung der Tiere in den engen Hütten riechen. Damit beweist die Autorin auch ihre absolute Stärke: Mit ihren Worten eine so starke Atmosphäre zu schaffen, dass der Leser regelrecht in den Roman hinein gesogen wird.

Einem echten Fall nachempfunden

Die aus Australien stammende Autorin erweckt den Eindruck, als sei sie tief in der beschriebenen Gegend verwurzelt. Es ist trotz allen quälenden, dunklen Elementen eine intensive Liebe zu diesem Tal spürbar. Die Menschen, denen Hannah Kent Leben eingehaucht hat, sind echten Figuren nachempfunden. So gab es auch den Gerichtsfall um den getöteten Jungen. Mit einer intensiven Sprache, dem Geschick, die Lücken in der Historie mit Phantasie zu füllen und der Gabe, die Leser zu einem Teil des Geschehens zu machen, bietet Hannah Kent einen bemerkenswerten Roman mit viel Tiefgang und der Erkenntnis, dass es nicht immer Geschichten mit spektakulären Handlungen sein müssen, die so intensiv nachklingen.

Wir schauen auf einen Zeitpunkte unserer Weltgeschichte und nennen Euch passende historische Romane.

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