Wie nennt man eine beziehung ohne sexualität

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Es gibt ein verbreitetes Problem unter verheirateten Paaren, das gerne unter den Tisch fällt: Das Sexleben schläft ein, und bei nicht wenigen kommt das Liebesleben ganz zum Erliegen. Eine Beziehung ohne Sex kann zur Qual werden und ist häufig der Grund für Streit und endlose Auseinandersetzungen, muss aber nicht. Es gibt viele Paare, und zwar nicht nur solche über 70, die wählen bewusst einen anderen Weg: Ehe ohne Sex. Und sind glücklich damit. Abhängig vom Alter ist das nicht.

Sex und Liebe sind zweierlei

Bedeutet eine Ehe ohne Sex, dass man sich nicht mehr liebt? Gibt es eine Partnerschaft der Seelen? Kann er oder sie mein Seelenpartner sein? Sex und Liebe sind zweierlei. Das ist eine wichtige Erkenntnis. Ich sehe immer wieder Paare, die ohne seelischen Schaden zu erleiden ein zufriedenes Leben führen ohne Sex – und ihn auch nicht vermissen. Frage ich diese Paare, wie sie damit klarkommen, höre ich häufig: Früher haben wir die Sexualität sehr genossen, später ist sie irgendwie eingeschlafen, inzwischen vermissen wir sie nicht mehr. Dafür kuscheln wir abends im Bett und sind auch am Tag zärtlich miteinander. Im Umgang zeigen wir Respekt und Wertschätzung, mehr möchten wir beide nicht.

Als Sexualtherapeut habe ich die Vorstellungen meiner Klienten bezüglich Nähe und Sexualität so akzeptieren, wie es für beide stimmt. Schwieriger wird es, wenn sich herausstellt, dass die Lust auf Sex ungleich verteilt ist. Die Fachbücher sind voll von guten Ratschlägen und Tipps, wenn es mit der Lust hapert. Dabei sollte man berücksichtigen, dass es in jedem Lebenslauf sexuelle Pausen gibt. Das ist normal. Mit der gegenseitigen sexuellen Anziehung ist es wie mit der Schwerkraft: Sie sinkt. So kommt es, dass für Paare, die in langjährigen Beziehungen leben, das Schlafzimmer zum Lesezimmer und Fernsehraum wird.

Ein Problem wird erst durch das Problem zum Problem

Susanna, 38 Jahre alt, und Tim, 42, sind seit 8 Jahren zusammen und gelten als das perfekte Paar. Sie teilen denselben Humor, haben beide eine gute Ausbildung und Freude an ihrem Beruf, ergänzen sich in ihren Unterschieden und können sich nach einem Streit wieder auf wunderbare Weise versöhnen. Von aussen betrachtet eine optimale Konstellation für eine gut funktionierende Beziehung. Obwohl die beiden ein harmonisches Beziehungsleben führen und sich oft umarmen und kuscheln, haben sie seit bald zwei Jahren keinen Sex mehr.

Ist das abnorm? Kann eine Beziehung ohne Sex auf die Länge überhaupt funktionieren? Ein Problem ist nur ein Problem, wenn man ein Problem daraus macht. Eine amerikanische Paartherapeutin sagte über die Sex-lose Ehe leicht ironisch: Wenn Sie sicher sein wollen, längerfristig ein Leben ohne Sex zu führen, dann heiraten Sie. Weiter erklärt sie: 50 Prozent der Männer hätten nie geheiratet, wenn sie gewusst hätten, dass ihre Ehe in einer totalen Sexflaute enden würde.

Regelmässig einmal in der Woche Sex

Wieviel Sex ist in einer durchschnittlichen Ehe normal und was ist zu wenig? Die Umfragen kommen alle zu ähnlichen Resultaten. Paare, die regelmässig einmal in der Woche Sex haben, sagen von sich, sei seien mit ihrem Sexleben zufrieden. Paare, die dreimal Sex in der Woche haben, geben keinen höheren Glücksfaktor an. Hat ein Paar weniger als zehnmal Sex im Jahr, spricht man von einer Beziehung ohne Sex.

In den meisten Liebesbeziehungen ist der Appetit auf Sex nicht gleichmässig verteilt. Die Ursachen sind sehr unterschiedlich. Psychische Gründe liegen zum Beispiel dann vor, wenn ein Partner sexuellen Missbrauch oder auch Gewalt im Zusammenhang mit Sex erlebt hat. Aber auch Angststörungen, Depressionen oder Essstörungen, Stress oder Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper kommen in Frage. Ebenso ein früher erlebter Vertrauensbruch oder hohe Arbeitsbelastung im Haushalt mit den Kindern.

Körperliche Nähe feiern

Körperliche Gründe können Östrogen- oder Testosteronmangel, Suchtkrankheiten, neurologische Leiden oder Inkontinenz sein. Auch Nebenwirkungen von Antidepressiva, Schlafmitteln usw. können als Lusthemmer wirken und sind häufig Ursache für eine Beziehung ohne Sex.

Und was ist mit dem Alter? Dass Sex jenseits von 70 in der Regel abnimmt, ist nachvollziehbar, da die körperlichen Veränderungen auch die Sexualität beeinträchtigen können. Frauen über 70 geben oft an, dass sie Zärtlichkeit und Streicheleinheiten vermissen, weil sich ihre Männer schweigend zurückziehen. Wenn es mit der Erektion nicht mehr so klappt wie früher, neigen viele Männer dazu, gar keine Nähe mehr zuzulassen. Männer brauchen deshalb Ermutigung, die körperliche Nähe zu feiern, auch wenn sie nicht mehr die sexuellen Helden sind wie damals mit 25 Jahren.

Untreue ist manchmal auch Treue zu sich selbst

Wichtig ist miteinander zu reden. Sich anzuschweigen und zu denken, der andere sei ein Hellseher, endet in der Sackgasse. Doch was können Sie tun, wenn der Partner mauert und die Kommunikation über die ausbleibende Sexualität verweigert? Sie resignieren und ergeben sich leidend Ihrem Schicksal hin. Oder Sie nehmen die neue Wirklichkeit an, wie sie sich Ihnen gerade zeigt. Sie hören auf, um Sex und Zärtlichkeit zu betteln und sich selbst zu bemitleiden. Sie schulen sich in Selbstliebe und bedingungsloser Liebe ohne Erwartung.  Diese Form von Akzeptanz ist der schwierigste Weg und eine langdauernde Übung.

Vielleicht ziehen Sie Konsequenzen. Untreue ist manchmal auch Treue zu sich selbst. Sie geniessen Selbstbefriedigung und belassen es dabei. Oder Sie öffnen Ihre Beziehung. Eine andere Option ist eine Paartherapie. Manchmal können schon fünf Gespräche sehr viel Veränderung bewirken.

Henri Guttmann, Paar- und Sexualtherapeut mit Praxis in Winterthur

www.henri-guttmann.ch

Wie nennt man eine beziehung ohne sexualität

Man stelle sich ein schönes Paar vor: Sie, 39, lange dunkle Haare, studierte Wirtschaftsingenieurin, ist von seiner sie mitreißenden Energie begeistert, liebt seine fürsorgliche Art und ist sich seit acht Jahren sicher, dass er der Richtige für ein „für immer und ewig“ ist. Er, zwei Jahre älter, ebenfalls dunkelhaarig und Industriekaufmann, schätzt ihre Widerspenstigkeit, mit der sie ihn zunächst auf Abstand gehalten hatte, fühlt sich an ihrer Seite lebendig und glaubt ebenfalls, angekommen zu sein.

Ansgar und Rieke erfüllen das, was Schweizer Forscher im Rahmen einer Langzeitstudie einst als ideale, trennungsverhindernde Paar-Konstellation entdeckten (beide haben die gleiche Nationalität, beide sind nicht bereits geschieden, er ist mindestens fünf Jahre älter und sie ist gebildeter als er) in zwei Punkten nicht, weil er nicht nur weniger alt ist, sondern auch eine gescheiterte Ehe hinter sich hat. Dennoch: Sie teilen denselben Humor und dieselben Interessen, ergänzen sich in ihren Unterschieden gegenseitig und können sich nach einem Streit wunderbar wieder versöhnen.

Bei all der Harmonie haben sie, obwohl sie einander auch äußerlich anziehend finden, sich gern und oft küssen und miteinander kuscheln, keinen Sex. Ist das anormal? Funktioniert eine Beziehung ohne Sex? Diesen Fragen wollen wir auf den Grund gehen.

Gründe für eine Beziehung ohne Sexualleben

Übersicht

Psychische Gründe liegen zum Beispiel dann vor, wenn ein Partner aufgrund einer frühen Missbrauchserfahrung kein Bedürfnis nach oder sogar Angst und Ekel vor einem sexuellem Kontakt verspürt. In diesem Fall ist der Bereich der Sexualität aber bereits bei Beziehungsbeginn und eher selten erst nach längerer Beziehungszeit ein schwieriger Bereich des Zusammenseins. Seelische Ursachen für eine sexlose Beziehung sind folgende:

  • Ängste wie Versagens-, Verlust oder Zukunftsängste
  • psychische Störungen wie Angststörungen, Depressionen oder Essstörungen
  • Stress
  • Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper

Diese Gründe können besonders, aber sicher nicht nur auf dem Gebiet der Sexualität zu einem Rückzug vor dem Partner führen. Generelle Partnerprobleme, die aus den unterschiedlichsten Dingen wie Eifersucht, einem Vertrauensbruch oder ganz banal aus ungleicher Arbeitsbelastung im Haushalt und daraus resultierenden Differenzen erwachsen sein können, führen allerdings ebenfalls dazu, dass Mann und Frau sich im Bett voneinander abwenden.

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Zu den körperlichen Beschwerden, die dem Sex mit dem Partner im Wege stehen, gehören zum Beispiel Östrogen- oder Testosteronmangel sowie verschiedene Erkrankungen, die sich hemmend auf die Libido auswirken. Als solche Leiden sind

  • Drogenkrankheiten,
  • neurologische Erkrankungen,
  • Inkontinenz oder
  • Stoffwechselkrankheiten

sowie Krankheiten aus psychischen Gründen vorstellbar. Und auch Medikamente wie Antidepressiva, Neuroleptika, Beruhigungs- oder Schlafmittel, die man in der Folge von Erkrankungen einnimmt, haben oft lustbremsende Nebenwirkungen. Obendrein sind Erektionsstörungen, die beim Mann und Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs, die bei der Frau (auch als Begleiterscheinungen psychischer Probleme) auftreten können, häufige Ursachen einer Beziehung ohne Sex.

In unserer enttabuisierten Welt ist Sex beziehungsweise Sexualität beinah omnipräsent. Die Werbe- und die Musikbranche haben die Maxime „Sex sells“ nicht erst gestern für sich entdeckt und jede Bloggerin, jeder „Star“ aus den Untiefen sozialer Netzwerke und jedes Promi-Sternchen will es den Model- und Sangesikonen gleichtun und zeigt sich offenherzig und unzüchtig. Längst nimmt auch kaum einer mehr Anstoß daran, dass der Ärger im Büro mit einem lauten „Fuck!“ kommentiert wird und werden auch im Kreise weniger gut bekannter Bekannter sämtliche Ansichten über und Erfahrungen mit One-Night-Stands oder Intimrasur freimütig ausgetauscht.

Im krassen Gegensatz dazu stehen Umfrageergebnisse, wie das der Göttinger Universität von 2005, nach dem 17 Prozent der 13 000 befragten Liierten im Vormonat keinen und etwa 60 Prozent bloß einmal Sex gehabt hatten. „oversexed and underfucked“ hatte Autorin und Philosophin Ariadne von Schirach dieses Phänomen 2007 in ihrem Erstlingswerk „Der Tanz um die Lust“ ** genannt und so mancher Experte war und ist der Meinung, dass die Überflutung mit sexuellen Reizen zu Leistungsdruck, Versagensängsten und eben weniger Sex führe. Demnach trägt auch das permanente mediale Sex-Versprechen zu einer permanenten realen Sex-Abstinenz bei.

>>>Lesetipp:  Untreue ist nicht die Lösung

Dass der Sex bei Paaren mit zunehmendem Alter abnimmt und Mann und Frau in der zweiten Lebenshälfte weniger beziehungsweise ab einem Alter von über 70 Jahren nur noch selten oder gar nicht mehr miteinander schlafen, scheint eine normale, nachvollziehbare Entwicklung zu sein, zumal die altersbedingten Veränderungen des Körpers auch die Sexualität beeinträchtigen. In diesem Kontext sind es längst nicht nur der während und nach den „Wechseljahren“ sinkende Östrogenspiegel bei Frauen und der ab dem 40. Lebensjahr stetig abfallende Testosteronspiegel bei Männern, die das Lustempfinden vermindern und in einer Beziehung ohne Sex münden können.

Auch die dezimierte Elastizität der beim Sex essentiellen Körperteile kann bei der Frau zu Verletzungen beim Geschlechtsverkehr und beim Mann zu langsameren und schwächeren Erektionen führen. Zusätzlich belasten viele im Alter vermehrt auftretende Erkrankungen (wie Diabetes oder Arteriosklerose) das Sexualleben oder haben Operationen (wie Gebärmutterentfernungen oder Prostata- und Darmoperationen) sexuelle Probleme zur Folge. Gleichwohl werden Partner, denen Sex in allen Phasen ihrer Beziehung wichtig war, auch im Alter mehr Sex haben als Partner, die ihr Leben lang weniger Interesse daran hatten.

Wie nennt man eine beziehung ohne sexualität

Sex im Alter Ⓒ Photographee.eu / Fotolia.com


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Bei unserem Paar liegt keiner der genannten Gründe vor. Dennoch hat es weder Sex, noch das Verlangen, daran irgendetwas zu ändern. Warum? Die Antwort: Eine stabile Beziehung oder eine „reifere“ Form der Liebe!

Es ist keineswegs so, dass Rieke und Ansgar nie die körperliche Nähe des anderen gesucht haben. Am Beginn ihrer Beziehung haben sie sich wie jedes andere frisch verliebte Paar auf allen erdenklichen Gebieten erkundet. Mit den Jahren wurden die zeitlichen Abstände zwischen dem Sex allerdings immer größer und kam es lediglich dazu, wenn beide nicht wirklich Lust aufeinander, sondern eher den Gedanken hatten, dass es mal wieder an der Zeit wäre. Mittlerweile geben sie sich nicht mehr dem Gefühl hin, wenigstens ab und zu miteinander schlafen zu müssen, nur weil das in den Augen der Welt zu einer guten Beziehung dazugehört. Sie genießen eine Liebe, die kein Bett braucht, um sich zu äußern, sondern in allen Lebensbereichen stattfindet und sie sind froh darüber, dass sie den anderen – auch in seiner Einstellung zum Sex – vollkommen kennen.

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Wenn fehlender Sex in der Partnerschaft nicht aus absolutem Desinteresse resultiert, ist er wissenschaftlich gesehen alles andere als ein Alarmsignal. Die Seltenheit oder gänzliche Absenz von Intimkontakten spricht vielmehr dafür, dass die Partner keiner fortwährenden Beweise bedürfen, um sich ihrer Liebe und Zusammengehörigkeit zu vergewissern und sich auch ohne Sex in der Beziehung sicher und geborgen fühlen.

Auch bei Domian war die Beziehung oder das Leben ohne Sex schon Thema.

Darin, dass es in Ordnung ist, sich seine Zuneigung allein mit Worten und Zärtlichkeiten zu zeigen, sind sich längst nicht alle Beteiligten einer sexlosen Beziehung einig. Ganz gleich, ob psychische, körperliche, soziale oder altersbedingte Gründe für das „verkehrsfreie“ Nebeneinander verantwortlich sind: Sobald mindestens einer der Partner darunter leidet, dass sein Bedürfnis nach Sexualität nicht erwidert und erfüllt oder aber sein mangelndes Bedürfnis nach Sexualität nicht verstanden wird, bringt dies zwangsläufig auch Probleme mit sich.

Die Disharmonie in einem Bereich kann aus den anderen, bislang funktionierenden Bereichen einer Beziehung nicht dauerhaft ausgeklammert werden. Lässt sich kein Kompromiss im Sinne eines „ab und zu“ oder in Form von „ausgelagertem“ Sex finden, der bei Verheimlichung zu weiteren Problemen führen kann, hat die uneinvernehmliche Beziehung ohne Sex keine langfristige Chance. Nicht von ungefähr ist sexuelle Unzufriedenheit Studien zufolge einer der führenden Trennungsgründe. Wie lange man in einer Beziehung ohne Sexualität leben kann, ist von der Stärke der Bindung und von der Duldsamkeit des unzufriedenen Parts abhängig und lässt sich nicht generell festlegen.

Funktionieren kann eine sexlose Beziehung dann, wenn – wie bei unserem Paar – Einvernehmen über die Abwesenheit von sexuellen Kontakten herrscht und keiner der Beteiligten etwas vermisst, was er sich über kurz oder lang außerhalb der Partnerschaft sucht oder suchen muss. Ist in allen anderen Beziehungsbereichen alles in Ordnung, reichen Händchenhalten, Kuscheln, Küssen, liebevolle Berührungen sowie das dadurch ins Blut ausgeschüttete und im Gehirn freigesetzte Neurohormon Oxytocin aus, um für Liebe und Treue und somit für eine starke Bindung in der Partnerschaft zu sorgen. Es gibt also viele Wege zu dauerhaftem Glück und es gibt sie auch ganz ohne Sex.

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