Wie lange lebt man noch im hospiz

24.11.2021, 16:13 Uhr | Marie von der Tann, dpa

Versorgung eines Sterbenden: Wer keine engmaschige medizinische Betreuung, aber dennoch eine spezialisierte Pflege braucht, kann ein Hospiz in Erwägung ziehen. (Quelle: Felix Kästle/dpa)

Ihre letzte Zeit möchten die meisten Menschen zu Hause verbringen. Oft sterben sie aber im Krankenhaus. Das ginge anders – wenn die Hürde vor rechtzeitiger Palliativversorgung nicht so hoch wäre.

Der Tod, für viele ein unangenehmes Thema. Oberarzt Philipp von Trott weiß, dass auf einer Palliativstation nicht nur ärztliche Qualitäten gefragt sind: "Mehrmals habe ich erlebt, dass eine Ehefrau zu mir sagt: 'Ich weiß, ich werde sterben. Aber erzählen sie es bloß nicht meinem Mann.'"

Der Ehemann habe anschließend gesagt: "Ich weiß, sie wird sterben, aber sagen sie es bloß nicht meiner Frau – sie weiß davon nichts." Von Trott arrangiert dann ein offenes Gespräch mit den beiden. Die Erleichterung nach dem Austausch sei meist unbeschreiblich.

Wenn kein Inhalt erscheint, bitte hier klicken

Auf eine Palliativstation wie die im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin kommen Menschen mit einer nicht mehr heilbaren Krankheit. "Unser Job ist es, dafür zu sorgen, dass die Patienten so lange wie möglich eine bestmögliche Lebensqualität haben", so von Trott. Auf der Station verbringen die Patienten durchschnittlich neun Tage. Dort wird überlegt: Ist eine weitere Chemotherapie sinnvoll? Wie hilft man gegen Schmerzen? Was muss organisatorisch geklärt werden?

Um diese Belange kümmert sich ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Therapeuten, Pflegern, Sozialarbeitern und Freiwilligen. Dabei geht es nicht primär um die Krankheit, sondern um das Gesunde im Menschen, die Ressourcen. Sind die mobilisiert, geht es wieder nach Hause. Nicht selten für Jahre – wenn der Patient früh genug vorstellig wird.

Doch da genau liegt das Problem. "Palliativstation verbinden viele mit einer Endstation", so Philipp von Trott. "Wenn ich da einmal hingehe, verlasse ich die nie wieder." Das führt dazu, dass Patienten sich viel zu spät an Palliativstationen oder spezialisierte Ärzte wenden. So sterben mehr Leute im Krankenhaus, als es sein sollten.

Dabei ist die Palliativversorgung auch sehr gut zu Hause möglich. Mobile Teams kommen ans Krankenbett. Auch hier geht es um die Symptomkontrolle, Schmerztherapie und Betreuung der Angehörigen. Alexandra Scherg vom Universitätsklinikum Düsseldorf weiß: "Unser Job ist es auch, die Angehörigen zu betreuen. Ihnen zu sagen, dass sie ruhig auch mal rausgehen können."

Wer keine engmaschige medizinische Betreuung, aber dennoch eine spezialisierte Pflege braucht, kann auch gut in einem Hospiz aufgehoben sein. "Hospize nehmen Kranke, die eine begrenzte Lebenserwartung von wenigen Monaten haben", erklärt Scherg. Dort ist man nicht allein, es ist immer jemand da.

Hospize entlasten außerdem Angehörige. "Wenn ein Kind mit im Haushalt des Schwerkranken ist, stellen sich viele die Frage, ob es zumutbar ist, zu Hause zu sterben", so Scherg. Dann kann ein Hospiz eine sehr gute Lösung sein. Das kann auch der Fall sein, wenn sich der Gesundheitszustand rapide verschlechtert und zu Hause darauf schlecht eingegangen werden kann. Oder wenn es keine Angehörigen mehr gibt.

Letzte Wünsche werden wahr

"Sterben ist ein Prozess", beschreibt von Trott. Auch mit viel Erfahrung und dem Vorliegen der Diagnose ist es schwierig, eine konkrete Prognose für die Lebenserwartung abzugeben. Dennoch ist es wichtig, die Fragen der Patienten und Angehörigen möglichst offen zu beantworten und für Gespräche zur Verfügung zu stehen.

Manchmal spielen letzte Wünsche eine große Rolle. "Wir haben schon Pferde in den Klinikpark geholt", erzählt Scherg. In einigen Fällen rollt auch mal der Wünschewagen an: Speziell ausgerüstete Transporter des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) bringen Kranke dorthin, wo sie noch einmal sein möchten. Umgesetzt werden die Wünsche durch Spenden.

Wenn der letzte Tag gekommen ist

Irgendwann ist er dann aber gekommen, der letzte Tag: Wenn der Sterbende die letzten Atemzüge macht, geht es in der Palliativversorgung um den Sterbenden und seine Angehörigen gleichermaßen. Medikamentös wird er so leicht wie möglich gemacht. An Herzschlag und Atmung ist oft zu erkennen, dass der Sterbende seelischen Beistand wahrnimmt. Einfach nur daneben sitzen und Ruhe ausstrahlen, das wirkt. Angehörige sollten sich aber auch nicht überstrapazieren.


Der Umgang mit Leid ist unterschiedlich. Von Trott hat von stummer Trauer bis zu kollektivem Schreien im Familienkreis schon alles erlebt. Das alles sei menschlich, sagt er. Wichtig sei, dass Zeit für Abschied vorhanden sei und dem Verstorbenen eine letzte Ehre erwiesen werde. Im anthroposophisch geführten Havelhöhe bedeutet das das Einreiben des Leichnams mit Rosenöl, das Betten des Verstorbenen und das Öffnen des Fensters, damit die Seele aus dem Fenster fliegen kann.

Verwendete Quellen:

Wie lange lebt man noch im hospiz

Bild: rbbDo 16.08.2012 | 21:45 | Kontraste

Der Krebs kam schneller als erwartet und sie wollte nur eins, in Ruhe in einem Bremer Hospiz sterben. Doch dann starb sie nicht so schnell wie erwartet, dank der Pflege im Hospiz. Kein Einzelfall! Doch dass sich Ärzte, Hospizbetreiber und Krankenkassen nicht dagegen einsetzen, die unrettbar todkranke Frau aus dem Hospiz abzuschieben, scheint einmalig.

Wer todkrank ist und niemanden hat, der ihn pflegt, hat heutzutage einen Rechtsanspruch auf einen Hospizplatz, wo er umsorgt und betreut die letzten Tage oder Wochen seines Lebens verbringen darf – das denken viele und wir dachten das auch. Doch Axel Svehla entdeckte bei seinen Recherchen: wer nicht schnell genug stirbt, für den ist kein Platz im Hospiz. Diese krebskranke Angelika Kolder wurde aus dem Hospiz abgeschoben - sechs Monate dauerte ihr Leidensweg.
In diesem Film wird die Rede sein vom Tod und vom Sterben. Vor allem aber geht es um die Frage: Wo und unter welchen Umständen darf ein Mensch seine letzten Stunden verbringen? Bremen im Juni letzten Jahres. Hier wohnte die allein lebende Angelika Kolder. Sie ist 55 Jahre alt als sie erfährt, dass es für sie keine Rettung mehr gibt. Der Befund der Ärzte ist eindeutig. Sie leidet unter einem unheilbaren Gehirntumor. Eine Operation erscheint sinnlos. Ihre Zeit wird knapp, die letzten Dinge zu ordnen und festzuhalten, wo sie sterben möchte. In einem Hospiz soll es sein. Sie formuliert ihren Willen in einer Patientenverfügung. Ihre beste Freundin und Bevollmächtigte erinnert sich, wie wichtig Angelika Kolder ausgerechnet dieser Ort zum Sterben war.

Barbara Jakobi
„Sie hat halt keine direkten Verwandten, die sich um sie hätten kümmern können, Hospiz war für sie das Gefühl: da bin ich aufgehoben, da hab ich meine letzte Heimat, da werde ich mein letztes zu Hause haben und soweit war ihre Entscheidung: ich will im Hospiz sterben!“

Was sie nicht weiß - ihr letzter Wille wird nicht erfüllt werden. Statt im einzigen Bremer Hospiz ein letztes Mal Ruhe und umfassende Betreuung zu finden, wird sie nach knapp vier Monaten gezwungen, in ein Pflegeheim umzuziehen.

Barbara Jakobi
„Das war wirklich einer der wenigen Augenblicke, wo ich Frau Kolder geschockt erlebt habe. Sie hat immer nein, nein, nein gesagt, sie hat angefangen zu weinen, sie hat einfach auch entsetzt geguckt, also so wie man eben halt, wenn man nicht mehr sprechen kann, seinen Schock ausdrücken kann.“

Angelika Kolder muss das Hospiz verlassen, weil ihre Kasse ankündigt, nicht länger zu zahlen. Sie wird dazu gezwungen, weil Ärzte ihren Gesundheitszustand als stabil bezeichnen. Und weil das Hospiz sich nicht für sie einsetzt. Erzählen wir die Geschichte der Reihe nach: Frau Kolders Krankenkasse, die Bremer hkk, muss jeden Monat circa € 6.000 für die aufwändige Pflege an das Hospiz bezahlen. Und weil Angelika Kolder nach fast vier Monaten noch immer nicht gestorben ist, bekommt sie einen Brief. Darin heißt es:

„Unsere Kostenzusage gilt vorerst bis zum 21.10.2011.“
Ihrer Freundin wird klar: ohne Antrag auf Verlängerung wird nicht weiter gezahlt.

Barbara Jakobi


„Ich habe dann relativ umgehend mündlich von der Krankenkasse zu hören bekommen, JA, aber ihr zugegebenermaßen schlechte Zustand hätte sich in den letzten Wochen nicht noch weiter verschlechtert und deswegen müsste sie jetzt in ein Heim wechseln, weil die Krankenkasse nicht mehr die Kosten übernehmen würde.“ Weder die Betroffene noch ihre Vertreterin wurden jemals vor dem Bescheid der Kasse befragt. Sie kannten keine Gutachten und sogar ihr Widerspruch blieb unbeantwortet. KONTRASTE bat die Krankenkasse HKK um ein Interview, vergeblich. Stattdessen eine Stellungnahme. Ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Kasse habe die hkk veranlasst, eine weitere Kostenübernahme in Frage zu stellen:

„Sollte Frau Kolder unter der jetzigen Medikation innerhalb der nächsten 14 Tage ein stabiles neurologisches Krankheitsbild aufweisen, sind die medizinischen Voraussetzungen für vollstationäre Hospizversorgung nicht mehr erfüllt.“

Das ist absurd. Ziel eines jeden Hospizaufenthaltes ist es, dass sich der Sterbende stabilisiert und erholt, um sich auf sein Ende vorzubereiten. Intensive Pflege, das Absetzen kräftezehrender Chemotherapien, die Gabe schmerzstillender Mittel gehören dazu. Nun aber machen die Kasse und die behandelnden Ärzte Frau Kolder diese Stabilisierung indirekt zum Vorwurf, um sie gegen ihren Willen aus dem Hospiz zu drängen. Ein zynisches Ansinnen, das durch die Rahmenvereinbarung zwischen Kassen und Hospizbetreibern nicht gedeckt ist. So sieht es auch der Hospizverein Bremen.

Friedhelm Pielage
Hospizverein Bremen


„Die Rahmenvereinbarung schreibt nur vor, dass der Zustand der Patienten alle 4 Wochen zu überprüfen ist, die Rahmenvereinbarung schreibt nicht vor, dass das Ergebnis dieser Prüfung unbedingt eine Entlassung sein muss.“ Haben die Ärzte im Hospiz ihren Ermessensspielraum genutzt und sich für den Verbleib der Todgeweihten eingesetzt? Wir wissen es nicht, denn Interviews werden nicht gegeben. Die Möglichkeit allerdings, Frau Kolders Aufenthalt im Hospiz durch eine Stellungnahme der Ärzte bis zu deren Tod zu verlängern, ist gegeben.

Friedhelm Pielage
Hospizverein Bremen


„Es ist zum Beispiel nicht angegeben, ob die Lebenserwartung Tage, Wochen oder Monate und wie viele Monate sein sollen. Das ist ganz wesentlich, das bedeutet, dass durch diese Art der Formulierung haben die Ärzte natürlich einen gewissen Spielraum, weil eben diese verbleibende Restlebenszeit nicht vermessen werden kann.“ Das bedeute auch: Frau Kolder hätte in Ruhe im Hospiz sterben können, denn die Aufenthaltdauer der Bewohner ist nicht ausdrücklich begrenzt. Protestierte wenigstens Frau Kolders Hausärztin gegen ihre Verlegung? Sie tat es nicht – so die Krankenkasse. Äußern will sich auch die Ärztin nicht. Bleibt zuletzt die Rolle des Hospizes. Gab es wenigstens hier Widerspruch zu Gunsten Frau Kolders? Auch hier kein Interview. Stattdessen nur ein lapidarer Verweis auf die Rechtslage, Zitat:

„Die auf Bundesebene geschlossene Rahmenvereinbarung nach SGB V über Art und Umfang der stationären Hospizversorgung sieht das vor. Danach ist bei Stabilisierung des Krankheitsbildes eine Entlassung anzustreben."

Doch das setzt voraus, dass Frau Kolder hätte zu Hause gepflegt und versorgt werden können. Das war aber nicht der Fall.

Eugen Brysch
Patientenschutzorganisation


„Wenn ein Hospiz tatsächlich eine Entlassung in ein Pflegeheim anstrengt, dann ist das ad absurdum. Weil ein Pflegeheim kann in der Regel überhaupt nicht das organisieren, Seele so begleiten und auch den Menschen so begleiten, weil es überhaupt nicht die Mitabeiterzahl dafür hat wie ein Hospiz.“ Nach vier Monaten war Angelika Kolder gezwungen, das Hospiz wieder zu verlassen. Daran mitgewirkt haben: ihre Krankenkasse, die Ärzte und das Hospiz – und alle trauen sich nicht vor die Kamera. Frau Kolder fand danach ein Heim, dass zu ihrem Glück auf die Pflege Todkranker vorbereitet ist. Dass jemand allerdings ausgerechnet aus einem Hospiz gegen seinen Willen in ein Pflegeheim entlassen wird, konnten sie dort kaum glauben.

Uwe Herkt
Fachpfleger Stiftungsresidenz Luisental


„Das war schon für uns überraschend, ich hatte so was auch noch nie gehört vorher, aber gut aber wir wollten erst mal sehen, wie die Sache und läuft und OK wir müssen sehen, wie wir damit zurecht kommen.“
Im Dezember verschlechtert sich Frau Kolders Zustand dramatisch. Noch einmal wird sie zurück in ein Krankenhaus verlegt. Dort findet ihre Odyssee ein Ende – im Hospiz wäre ihr all das erspart geblieben. Beitrag von Axel Svehla