Wer war der letzte Trainer von Boris Becker?

Günther Bosch war Boris Beckers Tennis-Trainer der ersten Stunden. Schon früh erkannte er sein Potential und formte den späteren Wimbledon-Sieger maßgeblich mit. Welche Probleme mit Becker zu einer Auflösung des Verhältnisses führten, was heutige Tennis-Talente ausmacht und welche Attribute Alexander Zverev noch zu einer Mega-Karriere fehlen, erklärt er im SPORTBUZZER-Interview.

Der Aufstieg von Tennisikone Boris Becker Mitte der 80er-Jahre ist eng mit dem Namen Günther Bosch verbunden. Der heute 84-Jährige war der Trainer, der Becker zu seinen ersten ganz großen Erfolgen führte. Diese Geschichte wird im RTL-Film "Der Rebell – Von Leimen nach Wimbledon" (16. Dezember, 20.15 Uhr) nachgezeichnet, für den Bosch als Ratgeber Pate stand. Im SPORTBUZZER-Interview blickt Bosch auf die gemeinsame Zeit mit Becker zurück.

SPORTBUZZER: Herr Bosch, wie war das erste Zusammentreffen mit Becker?

Günther Bosch (84): Ich hatte Boris gesehen, da war er keine neun Jahre alt, und ich habe Dinge bei ihm entdeckt, die andere Jugendliche nicht hatten. Björn Borg und Guillermo Vilas waren sehr erfolgreich, aber sie spielten ein Tennis, das sehr langweilig war: Grundlinienspiel, ohne Angriff. Der Sport brauchte jemanden, der – verzeihen Sie das Wort – den Gegner vernichtet, der so spielt, dass der Gegner den Ball nicht zurückspielen kann. Boris hatte die Anlagen dazu.

Waren die Dinge eher spielerischer oder mentaler Natur?

Das Mentale war besonders bei ihm. Ich habe ihn mal getestet, bin aus der Halle und habe ihn beobachtet. Ich wollte sehen, ob er auch dann so konzentriert trainiert oder ob er wie alle anderen anfängt herumzublödeln, wenn der Trainer nicht da ist. Ihn konnte jedoch nichts stören. Das war auch später gut zu sehen: Ihn brachte nichts aus der Ruhe.

Wie kam es zum Bruch?

Wir waren so eng verbunden, da fing es an, dass ihn Sachen störten. Wenn er beim Abendessen mit der Freundin zusammensaß und ich auf die Uhr guckte, wusste er, was das bedeutete: Er sollte aufs Zimmer, sich ausruhen. Das hat ihn genervt. Wenn ich ihm sagte, "wir trainieren um 12 Uhr, weil du morgen auch um 12 Uhr spielst", hat er eigenmächtig entschieden: Ich trainiere um 17 Uhr. Als er 18 Jahre alt wurde, sagte er: "Ab jetzt entscheide ich alles." Für mich war das erst mal kein Pro­blem. Dann hat sich aber so viel angehäuft, dass ich fand, dass es nicht mehr weitergeht.

Wie ist heute Ihr Verhältnis?

Wir haben kein Verhältnis. Wir haben uns getrennt – seit dem Zeitpunkt haben wir uns nur noch bei Turnieren getroffen und ich habe viele Spiele fürs TV kommentiert.

Warum haben es alle deutschen Tennisspieler so schwer seit Becker?

Die Frage habe ich mir oft gestellt. Nach der Trennung wollte ich den nächsten Boris finden. Ich habe Schulen und Akademien gegründet, doch ich musste einsehen, dass es keinen zweiten Boris geben wird. Warum? Weil so viel dazugehört. Ein guter Aufschlag reicht nicht. Man muss tagtäglich gegen so viele Dinge kämpfen. 1985 und 86 habe ich kein einziges Spiel von ihm verpasst. Heute arbeiten die Trainer von Montag bis Freitag – dann haben sie Wochenende. So etwas gab es bei uns nicht. Alles wurde für den Tennissport geopfert. 1985 waren wir nur fünf Tage bei unseren Familien. Ich war kurz vor der Trennung von meiner Frau. Natürlich spielt ein Alexander Zverev annähernd so wie Boris gespielt hat. Doch Boris hatte eine spezielle Intelligenz für den Tennissport.

Was fehlt Zverev, um bei den Grand-Slam-Turnieren erfolgreich zu sein?

Zverevs Leistungen in der letzten Zeit sind hervorragend. Nur spielt er vor allem von der Grundlinie aus. Er müsste sich weiterentwickeln, mehr Variationen ins Spiel bringen, die überraschend sind und aus der Reihe fallen.

Wäre dann nicht Becker, der diese Variabilität mitbrachte, der ideale Trainer für Zverev?

Es ist nicht so einfach, einem Spieler etwas Neues für seine Spielweise beizubringen. Er muss davon überzeugt sein. Es reicht ein winziger Zweifel und der Ball ist verloren. Der notwendige Ehrgeiz, die Willensstärke sind jedoch schwer zu lernen.

Wie sehr bestimmt Tennis heute Ihr Leben?

Egal wann: Ich gucke mir jedes Spiel an. Und dann ziehe ich gern Vergleiche: Wenn der Boris von damals heute mit dem modernen Material spielen würde, wie würde er wohl mithalten? Ich glaube, er könnte sehr gut mithalten, vielleicht könnte er sogar gegen die Allerbesten gewinnen.

Am Donnerstag feiert "Der Rebell", ein Film über Tennis-Legende Boris Becker, TV-Premiere. Sein Ex-Trainer Günther Bosch erinnert sich im t-online-Interview an die damalige Zeit und die Umstände der Trennung.

Dass aus Boris Becker einmal der beste deutsche Tennisspieler der Geschichte werden würde, hat in dessen Kindesalter niemand geglaubt. Niemand, außer Günther Bosch. Bei Sichtungslehrgängen fiel Becker durch oder bestenfalls nicht auf. Doch Bosch sah trotz "Babyspeck und dicken, schwerfälligen Beinen", wie er selbst einmal erzählte, etwas Besonderes in ihm. Er förderte Becker von dessen neuntem Lebensjahr an und ermöglichte so die Tennis-Weltkarriere des ewigen "17-jährigen Leimeners". Deswegen gilt Bosch als der Entdecker von Becker, über den nun ein Film über die erfolgreichen Anfangsjahre im Profi-Tennis gedreht wurde, die in gleich zwei Wimbledon-Triumphen gipfelten.

Im t-online-Interview spricht Bosch über den Film und erinnert sich an die erfolgreiche gemeinsame Zeit, die abrupt und im Unfrieden endete. Er spricht darüber, wie sein damaliger Schützling Becker die Zuschauer mitriss und was er sich für Alexander Zverev wünscht.

t-online: Herr Bosch, am Donnerstag feiert der Film "Der Rebell – Von Leimen nach Wimbledon" Fernseh-Premiere. Es geht darum, wie Sie den besten deutschen Tennisspieler entdeckt und in die Weltspitze geführt haben. Haben Sie sich den Film schon angeschaut?

Günther Bosch: Ja natürlich, ich konnte schon einmal hineinschauen und ich war positiv überrascht. Er hat mir gut gefallen. Er entspricht der Wahrheit. Es ist ein Event-Film, da wird einiges Lustiges oder Trauriges noch eingebaut, aber insgesamt gesehen ist es ein Film, der der Wahrheit entspricht, so wie sich die Ereignisse im jungen Alter von Boris zugetragen haben. Es ist das erste Mal, dass ich so etwas miterlebe.

Waren Sie an der Entstehung des Films beteiligt?

Nein, das nicht. Aber ich habe mich mit Schauspieler Samuel Finzi (spielt im Film Becker-Trainer Günther Bosch, Anm. d. Red.) länger unterhalten. Er war sehr aufmerksam, hat meine Gesten genau beobachtet und die Art, wie ich mich zeige.

Sind Sie zufrieden mit der Art, wie er Sie spielt?

Ja! Das ist ihm gut gelungen, denn ich habe mich wirklich wiedererkannt im Film. Ich war in meiner aktiven Zeit auch so beweglich, wie er das gezeigt hat, sehr temperamentvoll. Er ist ein toller Schauspieler.

Wer war der letzte Trainer von Boris Becker?
Die Männer hinter den frühen Erfolgen von Boris Becker: Trainer Günther Bosch (l.) und Manager Ion Tiriac. (Quelle: Sven Simon/imago images)

Wenn Sie an die Zeit, die im Film behandelt wird, zurückdenken: Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Becker und auch mit Manager Ion Tiriac in Erinnerung?

Insgesamt kann man sagen, dass dieses Trio – Tiriac, Boris und ich – eine tolle Zeit erlebt hat. Es war die schönste Zeit als Trainer, auch, wenn ich vieles schlucken und anders gestalten musste, als das die Trainingslehre vorgibt. Aber es war eine tolle Zeit und die dürfen wir nicht vergessen. Wir waren das Trio Infernale (lacht).

Der Film trägt den Titel "Rebell". War Boris ein Rebell?

Er war ein sehr extrovertierter, ein sehr temperamentvoller Spieler. Man musste ihn überzeugen. Es gab im Training immer einen Wettkampf zwischen uns, wo ich mich anstrengen musste und vor allem bei Konditionsübungen gegen ihn antrat. So wurde der Siegeswille geschult.

"Der Rebell – Von Leimen nach Wimbledon" von Regisseur Hannu Salonen feiert am 16. Dezember 2021 TV-Premiere auf RTL. Er handelt davon, wie sich Tennis-Trainer Günther Bosch (gespielt von Samuel Finzi) in den frühen 80er-Jahren Boris Becker (Bruno Alexander) annimmt, der bei Lehrgängen für nicht gut genug befunden wurde, und ihn als Teenager zu zwei Wimbledonsiegen führt.

Nach zwei Wimbledonsiegen erfolgte im Januar 1987 die überraschende Trennung zwischen Ihnen und Becker. Haben Sie seinen Werdegang danach weiter intensiv verfolgt?

Ja, natürlich. Ich habe ja zehn Jahre bei Sat.1 und RTL Tennis kommentiert. Und so gesehen war ich ganz nah dran an ihm. Ich habe seine Spiele kommentiert, als wäre ich weiter sein Coach. Ich habe den Zuschauern erzählt, was er gut macht oder was er besser machen könnte. Da habe ich mich selbst ertappt und musste mich daran erinnern, dass ich nicht mehr coache, sondern am Mikrofon in der Kabine sitze (schmunzelt).

Ihre Trennung erfolgte im Streit. Sie haben die Frage schon öfter gehört: Gab es zu Boris inzwischen wieder Kontakt, vielleicht im Zuge des Films?

Genauso wie es bei der Trennung war, ist es auch heutzutage. Es gibt keinen Kontakt zu Boris, obwohl mich jeder Journalist anspornt, ich solle den ersten Schritt machen und es zu einer Versöhnung kommen lassen. Aber zu dieser Versöhnung kann es nicht kommen, denn es gab mehrere Dinge, die zu dieser Trennung geführt haben. Entscheidend war, dass er plötzlich selbst bestimmen wollte, welche Turniere er spielt. Das war nicht in meiner Vorstellung. Ich sagte: 'Du bist noch kein fertiger Spieler, du kannst noch viel dazulernen und dann wirst du sicher einer der besten oder sogar der beste Spieler auf der Computer-Rangliste.'

Erwarten Sie, dass er nach so vielen Jahren noch einmal auf Sie zukommt?

Nein, die Trennung ist schwer zu kitten. Wenn wir uns jetzt treffen oder versöhnen würden, wie würde er mich ansprechen? Günzi oder Herr Bosch? Jetzt sagt er nicht mehr Günzi. Wenn er nach dem Trainer der damaligen Zeit gefragt wird, sagt er "Bosch". So nennt er mich.

Wer war der letzte Trainer von Boris Becker?
Aufschlussreiches Gespräch: Günther Bosch im Video-Interview mit t-online. (Quelle: Florian Vonholdt)

Der Erste, der seit Becker-Zeiten wieder um Grand-Slam-Titel mitspielt, ist Alexander Zverev, der gerade erst die ATP-Finals gewann. Was halten Sie von ihm?

Zverev hat ein gutes Umfeld, sein Vater ist ein sehr guter Trainer. Ich habe ihn selbst noch erlebt, als er für die Sowjetunion spielte. Und das, was er spielte, hat er sehr gut weitervermittelt an seine zwei Söhne. Sein großer Sohn Mischa ist Profi und so konnte Sascha in einem sehr jungen Alter alles miterleben. Angefangen im Umkleideraum, auf dem Trainingsplatz und dann in den Matches. Dadurch hat er im Vergleich zu anderen Spielern schon alles erlebt und muss es nur positiv umsetzen. Das gelingt ihm in letzter Zeit und man kann sich echt freuen für die Ergebnisse, die er in diesem Jahr erzielt hat.

Trauen Sie ihm den Gewinn eines Grand Slams zu?

Das wird schwierig. Ich weiß nicht, ob Roger Federer oder auch Dominic Thiem wieder richtig Tennis spielen können. So gesehen wird es nicht einfacher als in diesem Jahr. Aber er hat die Fähigkeit dazu. Die Voraussetzung ist, dass ihm sein Aufschlag keine Schwierigkeiten bereitet. Denn ohne Aufschlag ist Zverev nicht Zverev. Er ist einer, der unglaublich aufschlägt und ein unglaubliches Selbstvertrauen für diesen Aufschlag hat.

Günther Bosch (84) setzte sich 1974 nach einem Tennisturnier in Saarbrücken aus seiner Heimat Rumänien ab. Der frühere Tennisprofi wurde vom Deutschen Tennis Bund als Bundestrainer für den Nachwuchsbereich angestellt. In dieser Funktion entdeckte er 1976 bei einem Sichtungsturnier den neunjährigen Boris Becker und wurde später sein persönlicher Trainer. Damit legte er den Grundstein für die Weltkarriere von Deutschlands erfolgreichstem Tennisspieler. Bosch führte Becker gemeinsam mit Manager Ion Tiriac zu zwei Wimbledonsiegen (1985 und 1986). Im Januar 1987 trennten sich die Wege abrupt wegen Meinungsverschiedenheiten. Nach seiner Zeit als Becker-Trainer arbeitete Bosch als TV-Kommentator und Buchautor. Er eröffnete 1999 eine eigene Tennis-Akademie nahe Berlin und war später für die Talentförderung beim LTTC Rot-Weiß Berlin zuständig. Er sagt: "Ich habe mich selbst jahrelang bemüht, einen zweiten Boris zu finden, aber es ist mir nicht gelungen." Bosch lebt heute in Berlin und verfolgt die Tennis-Szene weiter sehr genau.

Sehen Sie in der Mentalität Ähnlichkeiten mit Boris?

Man sollte keinen Vergleich zwischen beiden ziehen. Es könnte ja gut sein, dass Zverev viel mehr Grand-Slam-Turniere gewinnt als Boris. Er hat ja noch viele Jahre vor sich. Aber das, was Boris geleistet hat, sind ja nicht nur die Ergebnisse und die sechs Grand-Slam-Titel, die er gewonnen hat. Sondern es ist ja die Begeisterung, die er vermitteln konnte. Er war imstande, die Zuschauer so weit zu bringen, dass sie mit ihm zusammen geweint haben – sie auf der Tribüne, er auf dem Platz. Und dass sie sich auf der anderen Seite so gefreut haben für ihn und begeistert waren von seinem Erfolg. Das ist für Zverev schwierig so zu hinzubekommen. Mich würde schon freuen, wenn Zverev es schafft, dass wieder mehr Jugendliche Tennis spielen. Das wäre schon ein Erfolg.

Wie intensiv schauen Sie heute noch Tennis?

Sehr intensiv. Wenn ein Spiel um drei Uhr nachts in Australien gespielt wird, dann schaue ich mir das an. Natürlich suche ich mir die Spiele ein bisschen aus, denn ich möchte ja sehen, wie sich die jungen Spieler weiterentwickeln und was ihre Trainer so machen. Natürlich durfte ich zu meiner Zeit bei den Matches nicht coachen. Und habe doch gecoacht. Es kamen viele Strafen hinzu. Heutzutage wird ganz laut gecoacht, ein Coaching existiert heutzutage. Da interessiert mich auch, wie gecoacht wird, was dem Spieler gesagt wird und wie sich dieser weiterentwickelt, bis es ein Weltklassespieler ist, wie es bei Zverev der Fall ist.

Wer war der letzte Trainer von Boris Becker?
Boris Becker (r.) und Trainer Günther Bosch freuen sich beim Davis-Cup-Finale 1985 über den 2:2-Ausgleich. Am Ende verlor Deutschland mit 2:3 gegen Schweden. (Quelle: Sven Simon/imago images)

Wie sieht es mit dem eigenen Tennis aus? Lässt es die Gesundheit noch zu, dass Sie selbst noch auf dem Platz stehen?

Leider erlaubt mir das die Familie nicht (lacht). Denn es ist ja in meinem Alter doch ein wenig gefährlich. Ich könnte vielleicht aus dem Stand spielen, bewegen wird schwieriger. Tennis wird in erster Linie mit dem Kopf gespielt, aber in zweiter Linie eben mit den Beinen. So gesehen, würde ich es nicht ertragen, einen Stoppball nicht zu erlaufen (lacht). Daher sage ich lieber 'lass es' und ich versuche stattdessen vom Rande dem ein oder anderen Spieler noch zu erzählen, was er noch besser machen könnte.

Verwendete Quellen:

  • Persönliches Videogespräch mit Günther Bosch