Wo das glück wächst leseprobe

Leseprobe:

Schrumm, schrumm, schrumm, schrumm.

Ich höre schon die Geräusche aus der Werkstatt.

Mit einem Gummi binde ich meine Haare zu einem Zopf.

Kurz darauf stehe ich an der Schleif-Bank.

Ich schleife. Ich schleife Holz, mit Schleif-Papier.

Das Papier ist ganz rau.

Das Holz wird glatt.

Raues Papier macht Holz glatt.

Darüber wundere ich mich immer.

 Papier wird aus Holz gemacht.

Aus Holz wird Papier. Glattes Papier.

Das machen Menschen wieder rau.

Und dann reibe ich das raue Papier über das Holz.

 Damit das Holz glatt wird.

Das ist doch komisch, oder?

Wie ein Kreis. So rund. Holz, Papier, Holz, Papier.

So geht es immer weiter.

Auch meine Arbeit ist ein Kreis.

Ich laufe im Kreis. Immer und immer wieder.

Ich gehe los und komme nie an.

Mein Leben ist nicht rund.

Mein Leben hat Ecken und Kanten.

Es ist ein eckiges Leben.

Ich schleife Holz.

Das glatte Holz bekommen andere.

 Meine Kollegen bekommen das glatte Holz.

Sie sägen daraus Figuren. Figuren für Kinder.

Oder Wände für kleine Betten. Betten für Puppen.

Jeden Tag bekomme ich raues Holz.

 Das mache ich glatt. Mehr nicht.

Die Figuren sind niedlich.

Die Puppen-Betten sind schön.

Kinder freuen sich über die Figuren.

Und über die Betten auch.

In der Werkstatt ist es laut.

Ich mag es nicht, wenn es laut ist.

Das Holz, das mag ich. Das duftet so gut.

Die Sägespäne duften.

Holz war einmal ein Baum. Ich mag Bäume.

„Du machst das gut, Annalena“, sagt mein Chef zu mir. „Wie schön, dass du da bist.“

Ich weiß nicht. Manchmal wäre ich gerne woanders.

Meine Mutter findet es hier gut.

Aber sie arbeitet auch nicht hier.

Keine Ahnung, was mein Vater denkt.

Den kenne ich nicht.

„Du könntest sicher auch etwas anderes“, sagt meine beste Freundin.

Sie hat eine Ausbildung gemacht.

Eine richtige Ausbildung. In einer Drogerie.

Dort arbeitet sie jetzt.

Sie erzählt mir viel von den Cremes. Und Shampoos. Und Deos.

Sie schminkt sich gerne.

Mich schminkt sie auch manchmal.

Ich beneide sie.

Sie verdient Geld. Mehr als ich.

 „Du machst das wirklich gut“, sagt mein Chef.

Ich lächle ihn an. Ich weiß, dass ich gut bin.

Bruder Felix hat sein Glück im Garten gefunden. Seine Betrachtungen über das Wachsen, Blühen, Reifen – Werden und Vergehen des Lebens halten uns vor Augen, worum es im Leben wirklich geht und dass wir unser Glück im Einfachen, Ursprünglichen finden können. Seit 38 Jahren ist Bruder Felix Gärtner im Kloster Beuron im Donautal. Als junger Schüler kam er das erste Mal auf einem Ausflug hierher und dachte beim Anblick des Klostergartens direkt: „Dort will ich einmal arbeiten“. Im Winter steht er am Fenster und wartet darauf, dass der Frühling kommt und das Tal neu zu Blühen beginnt. Bruder Felix sät, hegt und erntet, jahraus, jahrein: Gemüse, Kräuter und Blumen. Er ist ein zupackender Mensch und legt doch eine große Feinfühligkeit an den Tag, wenn er sich um die jungen Pflänzchen müht, die im rauen Donautal ihre Wurzeln ins Erdreich strecken. Aus Artischocken macht Felix Creme, aus Ringelblüten Salbe. Von früh bis spät ist er auf den Beinen, gräbt den Acker um, sammelt Blütenblätter, setzt alkoholische Lösungen an. Der Destillierbrenner wird mit Holz beheizt, sorgsam gilt es Temperatur und Füllstand im Blick zu behalten. Zuletzt füllt Bruder Felix per Hand die Flaschen mit Obstbrand. Wer aus den reifen Früchten von Äpfeln, Quitten und Kirschen edle Brände machen möchte, braucht Zeit, Geduld und Liebe zur Sache. Felix hat sie. Und seine Betrachtungen über Wachsen, Blühen, Reifen - Werden und Vergehen des Lebens sind lesenswert. Da ist einer am Werke, der den Dingen auf den Grund geht.

Kleidung und Schuhe, Essen und Trinken und ein warmes Bett bekommt er im Kloster. Die Tageszeitengebete gliedern den Tag. Einmal im Jahr macht Bruder Felix eine Woche Urlaub in der kleinen Klause eines befreundeten Klosters im Rheingau. „Der Abt gibt mir dann 100,- Euro mit, damit ich mir etwas zu Essen und zu Trinken kaufen kann. Staunend stehe ich im Supermarkt vor den Regalen und weiß nicht, was ich nehmen soll. Aber ich merke dann: Das alles brauche ich eigentlich gar nicht. Ich bin glücklich mit dem, was ich habe.“

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Wo das glück wächst leseprobe
Foto: W. Bönisch
Inhalt: Marie und ihre Eltern ziehen kurz nach ihrem 6. Geburtstag von der Stadt aufs Land. Dort ist für sie alles fremd: die Nachbarskinder, das Haus, ja sogar die Bäume. Eines Tages besucht ein Junge plötzlich sie, er will zum Glücksbaum in den Garten, den seine Uroma vor langer Zeit gepflanzt hatte. Ab da wird für Marie alles anders.

Meinung:

Ein Umzug wirbelt die Welt eines Kindes erst einmal gründlich durcheinander. Alles ist fremd: die Wohnung, der Hof, die Nachbarskinder, der neue Spielplatz um die Ecke, vielleicht sogar der Kindergarten oder die Schule. Noch größer wird der Unterschied, wenn Kinder aufs Land oder umgekehrt in die Stadt ziehen. Ja, es prallen da Welten aufeinander.
Wo das glück wächst leseprobe
Foto: W. Bönisch
So ergeht es Marie in dem Bilderbuch "Wo das Glück wächst" von Cornelia Funke. Sie zieht sich in ihr Zimmer zurück. Aus ihrem Fenster schaut sie vorsichtig auf die neue Umwelt. Das Zimmer ist ihr Schutz. Dies ändert sich schlagartig, als plötzlich ein Junge - Fritz - auf einem Pferd angeritten kommt und den Baum im Hof besuchen will. Es sei ein Glücksbaum, denn seine Uroma hatte ihn gepflanzt und sie ist 102 Jahre alt geworden. Ab dem Zeitpunkt entdeckt Marie mit Fritz und seinem Hund Zorro ihr neues Zuhause. Cornelia Funke widmet sich in ihrem Bilderrbuch den Anfängen für Kinder in einer ungewohnten Umgebung. Die Buchidee ist an sich charmant und einnehmend. Nur leider gibt es hier und da ein paar Stellen die ungewohnt, manchmal sogar störrend oder unpassend sind. Ich war da sehr überrascht, weil Funke eigentlich eine erfahrene Kinderbuchautorin ist: So fragt die Mutter kaum nach dem Einzug, ob Marie denn glücklich sei. Natürlich ist die Anmerkung, Marie würde jetzt von Vögeln anstatt vom Autolärm geweckt, richtig. Jedoch wird dieser Umstand 3Jährigen recht egal sein. Als drittes Beispiel: Fritz taucht unvermittelt auf. Ohne große Erklärungen geht er geradewegs durchs Haus in den Hof von Maries neues Zuhause - ohne eine Entschuldigung oder die Bitte um Erlaunbnis. Ich empfand dieses Verhalten unhöflich, ja geradezu frech. Diese Passage störte mich sehr. Diese Klippen und Kanten hätte ich bei einer erfahrenen Kinderbuchautorin so nicht erwartet.
Wo das glück wächst leseprobe
Foto: W. Bönisch
Der Textanteil ist für die anvisierte Lesergruppe ab 3 Jahre recht kompakt und viel. Die Geschichte richtet sich eindeutig an ältere Kindergartenkinder. Regina Kehn illustrierte die Geschichte. Es ist eine Mischung aus realitätsnaher Darstellung mit abstraktem Bildaufbau, was sehr gewöhnungsbedürftig ist. S ist das Pferd gut alas Pferd zu erkennen. Die Bäume und Blumen sind schon fast botanische Zeichnungen. Jedoch irritiert dann ein Bildaufbau, wenn im Himmel Marie aus dem Fenster auf das Dorf schaut und dort die Hundehütte gleich groß wie das Haus ist. Einnehmend hingegen ist die warme Farbwahl: grün, braun, rot, gelb und orange dominieren. Öfters spielt Kehn mit der Perspektive: zoomt heran, nimmt die Vogelperspektive ein. Zugleich löst sie die Grenzen des klassischen Bildaufbaus auf und kombiniert sie neu. "Wo das Glück wächst" von Cornelia Funke hinterläßt einen zwiegespalten zurück. An sich ist die Buchidee sehr nett, nur so manche Textpassage und die doch manchmal eigenwillige Illustration überzeugen am Ende nicht ganz. Zudem würde ich das empfohlene Lesealter um zwei Jahre, also ab 5 Jahre, heraufsetzen.

Cornelia Funke: Wo das Glück wächst
Fischer Schatzinsel, Frankfurt am Main 2008
ISBN: 978-3596852253
Illustration: Regina Kehn
Ausstattung: 32 Seiten, Hardcover
Preis: 12,90 €
Vom Verlag empfohlenes Lesealter: ab 3 Jahre

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