Für viele HundehalterInnen ist es immer noch ein großes No-Go, von einem Hund angeknurrt zu werden. Hunde haben so ein Verhalten dem Menschen gegenüber nicht zu zeigen, ganz besonders nicht der eigene Hund, ganz klar! Notfalls muss dem Hund klar gemacht werden, wo der Hammer hängt. Oder? Hunde knurren ebenKnurren ist zunächst ein völlig normales Element des hündischen Sozialverhaltens. Es stellt eine Warnung dar und dient dazu, die Eskalation eines Konfliktes zu vermeiden, nicht (wie häufig angenommen wird) zu fördern. Grob übersetzt sagt ein Hund mit einem Knurren „ich fühle mich unwohl/bedrängt“ beziehungsweise „bis hierhin und nicht weiter“. Ein knurrender Hund zeigt an, dass er das aktuelle Verhalten des Gegenübers unterbrechen möchte, sodass alle wieder zu einem entspannten Grundzustand übergehen können. Die allermeisten Menschen finden es völlig normal, wenn Hunde untereinander Knurren zur Kommunikation einsetzen. Häufig wird es sogar als Erziehungsmaßnahme begrüßt, wie zum Beispiel wenn eine Hündin allzu aufdringlichen oder ungestümen Rüden mit einem Knurren anzeigt, dass sie in Ruhe gelassen werden möchte. Gleichzeitig wird ein Hund, der Menschen anknurrt, oft pauschal als aggressiv oder dominant bezeichnet. Besonders kritisch wird die Situation meistens dann betrachtet, wenn es der eigene Hund ist, der seine(n) Menschen anknurrt. Das Recht zu Knurren?Muss sich ein Hund alles gefallen lassen, nur weil er ein Hund ist?In der Vergangenheit wurde genau das sehr häufig von Hundetrainern kommuniziert. Nämlich, dass ein Hund auf keinen Fall einen Menschen anknurren darf. Dieses Verhalten müsse sofort durch körperliche Strafe oder verbale Maßregelung (was für viele Hunde einer Bestrafung völlig gleich kommt) unterbunden werden. Der Rudelchef sei schließlich nur der Mensch und ein Chef dürfe sich nicht anknurren lassen. Diese Einstellung hat sich weit verbreitet und hält sich bis heute. Tatsächlich ist eine Maßregelung häufig die erste, scheinbar intuitive Reaktion von Menschen gegenüber einem Hund, der sie anknurrt. Eigentlich seltsam, denn aus biologischer Sicht wäre es im Sinne des Selbstschutzes viel sinnvoller, Drohgebärden zu beachten und die Distanz zum drohenden Tier eher zu vergrößern als zu veringern. Als Menschen sind wir es gewohnt, in die sensible Individualdistanz unserer Hunde einzugreifen, ohne deutliche Gegenwehr von unserern Hunden zu erhalten. Die meisten unter Menschen aufgewachsenen Hunde erlernen von klein auf, dass Menschen ständig die Grenzen dessen überschreiten, was unter Hunden als höfliches Verhalten betrachtet wird. Die meisten Hunde legen diesbezüglich eine außerordentlich hohe Toleranz an den Tag – daraufhin wurden sie in ihrer Evolutionsgeschichte ja auch selektiert. Denken wir zum Beispiel an klassiche Begrüßungssituationen, in denen viele Hunde täglich beweisen, wie friedfertig sie sind, wenn sie sich sogar von wildfremden Personen über das Gesicht strubbeln lassen. Denken wir an Umarmungen, die viele Menschen gerne austeilen, die aber für die meisten Hunde eigentlich „zu eng“ sind. Die Liste an Beispielen ist lang. Gerade dadurch, dass viele Hunde äußerst friedfertig und tolerant gegenüber unseren Fehltritten sind, machen sie es uns leicht, unser Verhalten als normal zu betrachten und Hunde, die – aus Hundesicht häufig völlig zu Recht – nicht so tolerant agieren, als auffällig.Hinter den KulissenHunde knurren also, um ein ihnen unangenehmes, oder sie störendes bzw. verunsicherndes Verhalten eines Gegenübers zu unterbrechen. Dies ist die unmittelbare Funktion des Verhaltens. Welche Einflussfaktoren gibt es aber auf die Häufigkeit, mit der Hunde Drohverhalten anderen Hunden und/oder Menschen gegenüber einsetzen? Hier sollen die wichtigsten erwähnt werden:
Nachtrag: echte ProblemfälleHunde können selbstverständlich erlernen, dass sie Knurren und anderes, deutliches Drohverhalten effektiv einsetzen können, um sich unangenehme oder unerfreuliche Situationen vom Leib zu halten. Das bedeutet in sehr vielen Fällen unter anderem, dass der Hund in der Vergangenheit immer wieder erfahren hat, dass andere Signale nicht als Strategie für Konfliktlösungen taugen, sodass er deutlicher werden muss, um verstanden zu werden. Dadurch, dass ein Auftritt mit Knurren, Zähne fletschen oder sogar Abschnappen meistens wirklich abschreckend wirkt, hat der Hund für sich so endlich eine Variante gefunden, die funktioniert. Logischerweise wird er dabei bleiben und diese Strategie kann sich daraufhin festigen. Es gibt Hunde, die extrem schnell deutliches Drohverhalten zeigen, sei es dem Menschen, Hunden, oder anderen Reizen in der Umwelt gegenüber. Manchmal wird auch der nächste Schritt zum tatsächlichen Biss nicht mehr gescheut. Die normalerweise vorgeschaltete Kommunikation ist hier bereits verschwunden. Die Hunde reagieren sehr schnell auf kleinste Stressoren, die Intensitäten ihrer Reaktion scheinen für uns Menschen auch nicht mehr im Verhältnis zum auslösenden Moment zu stehen. Diese Fälle sind in der gesamten Hundepopulation jedoch absolute Einzelfälle!In der Therapie dieser Hunde kann es unter Umständen sinnvoll sein, dem Hund zu zeigen, dass das schon extrem gefestigte Verhalten – in dem Fall das starke und schnelle Drohen – als Reaktion auf jede kleinste unangenehme Situation keinen Sinn mehr macht. Erst dann, wenn die einzige etablierte Strategie dieser Hundes nicht mehr funktioniert, können sie sich wieder alternative Reaktionen überlegen und andere Kommunikationselemente wie Beschwichtigungsverhalten zeigen. Wird dieser Trainingsansatz genutzt, wird aber auch bei solchen Hunden keineswegs mit dem aktiven Hinzufügen von Strafe für das Drohverhalten gearbeitet! Es wird dem Hund lediglich die Möglichkeit genommen, mit Drohverhalten zum Ziel zu kommen (z.B. der Mensch bleibt passiv und entfernt sich nicht, wie es der Hund sonst kennt). Dies ist nur ein kleiner Teil des Trainings und der Einstieg in eine nachhaltige Verhaltensveränderung. Die Einschätzung, für welchen Hund eine solche Behandlung sinnvoll ist, und die Anleitung im Training sollte außerdem unbedingt und ausnahmslos nur von sehr erfahrenen, fachlich qualifizierten Personen vorgenommen werden. Eine Abklärung anderer Einflussfaktoren auf das Verhalten, wie gesundheitliche Probleme oder körperliche Beeinträchtigungen, muss auch hier jedem Training vorgeschaltet werden. Wie sieht der Hund wohl eine Situation? Selbst wenn wir nur menschlich denken können, ist der erste Schritt für mehr Verständnis meistens der, sich einfach mal die Welt aus Hundeperspektive vorzustellen. |