Trotz dieser rein auf den Holzertrag gerichteten Anbauweise erbrachte der Wald wertvolle Ökosystemdienstleistungen, ganz nebenbei und ohne extra Investitionen. Doch damit ist jetzt Schluss. Die Schäden sind so großflächig, dass Handlungsbedarf besteht – und Geld in die Hand genommen werden muss. Nur wessen Geld und wofür genau? Sollen kranke Bäume vollständig beräumt werden und großflächig vernichtete Waldstücke mit staatlicher Hilfe aufgeforstet werden? Womöglich mit nicht heimischen Baumarten, denen man zutraut, mehr Trockenstress zu vertragen? Show Oder soll man den Wald einfach sich selbst überlassen? Über mehrere Menschengenerationen hinweg der Natur Zeit geben, ein neues Ökosystem zu schaffen? Denn heimische Pionierbäume wie Pappeln oder Birken sind zwar schnellwachsende Pflanzen, aber ihr Holz ist weich und weniger wert. Bis sich auf natürlichem Weg auf einer kahlen Fläche ein gut durchmischter Baumbestand entwickelt, vergeht mehr als ein Menschenleben. Für Waldbesitzer wäre das ein wirtschaftliches Fiasko. Bisher haben sie ausschließlich am Holz verdient. Sind wir als Gesellschaft bereit, sie zu entschädigen oder uns an den Kosten des Umbaus zu beteiligen? Und wer stillt unseren Hunger nach dem Rohstoff Holz, der eher noch größer werden wird, wenn wir Plastik und Co ersetzen wollen? Die Interessenlage ist vielschichtig. Die vorgeschlagenen Lösungen werden kontrovers diskutiert. Forscher arbeiten an den verschiedensten Fragestellungen. Sehr vereinfacht, teilen sich die Lager in zwei Richtungen. Das Totholz aus den Wäldern beräumen, die Flächen mit Mischwald bepflanzen. Ob nur mit heimischen Arten oder Gästen beispielsweise aus Norditalien oder Griechenland, ist dann ein weiterer Diskurs. Auf jeden Fall schnell handeln, ist die Devise. Der Rohstoff Holz muss gesichert werden. Kritiker dieses Weges verweisen auf die enorme Menge Biomasse, die den Flächen entzogen wird. Die ungehinderte Sonneneinstrahlung würde kontraproduktiv wirken und die Böden weiter vermagern lassen. Auf die Kraft der Natur vertrauenEin anderes Szenario wird mit vielen guten Argumenten vorgeschlagen: Den Wald in Ruhe lassen. Sich selbst überlassen, ihm Zeit geben neu zu erstehen. Erfolgsmeldungen zu diesem Konzept gibt es einige: beispielsweise im Lübecker Stadtforst. Der Schlag Schattin im Lübecker Stadtforst wird als naturnaher Wirtschaftswald geführt. Im Grenzgebiet zur ehemaligen DDR gelegen, reich an Buchen und Eichen, nach dem Krieg abgeholzt und dann sich selbst überlassen, ist der Wald heute ein Vorbild der naturnahen Waldnutzung. Die Prinzipien: Was wächst, wächst. Die Leistungsanforderungen an den Wald dürfen die natürliche Leistungsfähigkeit nicht überschreiten. Der wirtschaftliche Einsatz erfolgt nach dem Prinzip des minimalen Eingriffs und dem Prinzip der Vorsicht. Einige große Städte in Deutschland haben in ihren Wäldern dieses Konzept übernommen. Die Antworten der PolitikSeit vielen Jahren erheben die Länder jährlich Daten über den Zustand ihrer Wälder, diese Ergebnisse werden im Waldzustandsbericht des Landwirtschaftsministeriums zusammengefasst und veröffentlicht. Die einzelnen Erhebungen der Bundesländer sind ebenfalls öffentlich. Im September 2019 lud Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner zu einem nationalen Waldgipfel nach Berlin. Angesichts der immensen Schäden versprach sie bereits zum Auftakt der Gespräche 470 Millionen Euro aus Bundesmitteln als Soforthilfe. Mit weiteren Mitteln der Länder stünden damit bis 2023 insgesamt 800 Millionen Euro bereit. Das Ministerium will geschädigte Flächen wieder bewalden, Eigentümer von kleinen Privatwäldern fördern, mehr Waldfachkräfte ausbilden und Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft klimafreundlich verwenden. Im Konjunkturpaket der Bundesregierung gegen die Folgen der Corona-Krise sind zusätzlich 700 Millionen Euro zur Unterstützung der Forstwirtschaft vorgesehen. Neben der nachhaltigen Bewirtschaftung soll auch das Bauen mit Holz gefördert werden. Den Waldbesitzern reicht das nicht. Zu groß sind die Verluste, zumal durch das viele Holz am Holzmarkt die Preise in den Keller gegangen sind. Sie erwarten mehr von Politik und Gesellschaft. Das Thema ist in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Schließlich sind die Schäden auch kaum zu übersehen. Nun geht es vor allem darum, einen Konsens zu finden, der tatsächlich nachhaltig ist. Daten und Fakten zum WaldIn Deutschland gibt es 11 Millionen Hektar Wald, das entspricht etwa 32 Prozent der Landfläche. Rund 90 Milliarden Bäume wachsen hier. Hessen und Rheinlad-Pfalz sind die waldreichsten Länder. 44 Prozent der Wälder sind in Privatbesitz, rund 30 Prozent gehören den Bundesländern. Der Rest verteilt sich auf Städte und Gemeinden (20 Prozent) und Bund (3,5 Prozent). 3,6 Prozent der Wälder werden treuhänderisch verwaltet. Sie stammen aus dem Volkseigentum der ehemaligen DDR, das noch nicht rückübertragen wurde. Während Deutschland vormals ein Land der Buchen und Eichen war, wurden mit den Wiederaufforstungen der letzten Jahrhunderte vor allem Nadelbäume – Fichten und Kiefern – angebaut. Sie stellen heute den größten Anteil bei den Baumarten (Fichte rund 28, Kiefer rund 23 Prozent). Buchen machen etwa 15 Prozent des Bestandes aus, Eichen knapp zehn. Die Douglasie, die kein heimischer Baum ist, wird seit ungefähr 100 Jahren erfolgreich angebaut. Sie kommt inzwischen auf knapp zwei Prozent. Knapp 100.000 Beschäftigte hat die Forstwirtschaft in Deutschland. Weitere 44.000 Menschen arbeiten in der Holzverarbeitung, 226.000 in der Möbel- und Packmittelindustrie. Zählt man die Beschäftigten in der Papierindustrie, dem Druck- und Verlagswesen sowie den Holzhandel hinzu, arbeiten rund 1,2 Millionen Menschen in 185.000 Betrieben im Holz- und Forstsektor. Damit beschäftigt der Wald mehr Menschen als die Automobilindustrie (etwa 800.000). Petra Franke
Anfang der 1980er-Jahre zeichneten viele Medien Horrorszenarien von kahlen Stadtparks und waldlosen Mittelgebirgen, auf denen nur noch vereinzelte Baumskelette mahnend ihre nackten Zweige in den Himmel recken würden. Zu lange hatten Industrie, Privathaushalte und Verkehr sorglos Schwefelwasserstoffe und andere Gifte in die Luft gepumpt. Vor allem die Emissionen von Braunkohlekraftwerken setzten dem Wald schwer zu. Dieses Verhalten sollte sich nun rächen. Binnen 20 Jahren würde es kaum noch einen gesunden Baum geben – wenn nicht sofort gehandelt würde, hieß es. Und es wurde gehandelt. Filteranlagen für die Industrie, Katalysatoren und bleifreies Benzin für die Autos. Der saure Regen war nicht mehr ganz so sauer. Die Katastrophe schien abgewendet, der Wald gerettet. Aber ist er das wirklich? Wie geht es dem Wald heute?
Wie geht es dem Wald heute?In der Diskussion ums Waldsterben stehen sich heute zwei sehr gegensätzliche Lager gegenüber. Die einen sagen, dass der Wald nie wirklich kurz vor dem Aus stand. Dass die Gesundheit der Bäume natürlichen Schwankungen unterliegt und dass kranke, angeschlagene Bäume nicht zwangsläufig sterben müssen, sondern sich durchaus auch wieder erholen können. Das andere Lager geht davon aus, dass das Waldsterben noch lange nicht vorbei ist. Dass die Wälder zwar nicht großflächig abgestorben sind, aber heute sogar mehr Bäume Anzeichen von Schädigungen aufweisen als noch vor 20 oder 30 Jahren. Seit den 1980er-Jahren wird diese Frage regelmäßig im Waldzustandsbericht der Bundesregierung thematisiert. Die Jahre 2018 und 2019 haben gezeigt, dass der Klimawandel endgültig und für alle sichtbar im deutschen Wald angekommen ist. Zu viele NährstoffeWurden dem Boden noch in den 1980er- und 1990er-Jahren durch den sauren Regen die Nährstoffe entzogen, so bereitet ihm inzwischen die Überdüngung Probleme. Stickstoffverbindungen aus Viehhaltung und industriellen Abgasen verbreiten sich über die Luft und gelangen mit dem Regen in den Waldboden. Die betroffenen Bäume wachsen schneller als normal. Leider zu schnell – die Gesundheit des Baumes leidet darunter und er wird anfälliger für Krankheiten und Schädlinge. Die Trockenheit setzt den Bäumen massiv zu | Bildquelle: WDR SchöningWaldfeind Nr. 1: TrockenheitDas größte Problem ist jedoch die anhaltende Dürre der vergangenen Jahre. Diese hat dazu geführt, dass Laubbäume verfrüht ihr Laub abwerfen, um die Verdunstung zu reduzieren. Bei der Fichte begünstigte sie die Massenvermehrung von Borkenkäfern. Die Harzproduktion, mit der sich gesunde Bäume gegen bohrende Schädlinge wie Borkenkäfer verteidigen, kommt aufgrund der fehlenden Feuchtigkeit zum Erliegen. Die Bäume sind den Borkenkäfern hilflos ausgeliefert, die in warmen, trockenen Sommern wiederum prächtig gedeihen und sich stellenweise massenhaft vermehren. Unter solchen Bedingungen pflanzt sich nämlich nicht nur eine Käfer-Generation fort, sondern zwei bis drei. Der Kronenzustand hat sich 2019 gegenüber dem Vorjahr bei allen Baumarten weiter verschlechtert und war noch nie so schlecht wie seit Beginn der Aufzeichnungen 1984. Etwa doppelt so viele Laub- und Nadelbäume starben 2019 ab wie in den Vorjahren. Insgesamt sind 180.000 Hektar Wald bereits irreparabel geschädigt oder tot. Forstwirte in der KlemmeMit diesen Herausforderungen haben die Förster schwer zu kämpfen. Ein Forstbetrieb ist nicht zuletzt ein Wirtschaftsunternehmen, das einen Profit erarbeiten muss. Außerdem müssen dabei stets Kompromisse zwischen den Anliegen von Jägern, Naturschützern, Erholungssuchenden, Holzindustrie und Waldbesitzern geschlossen werden. Die Holzindustrie braucht einen gesunden Wald | Bildquelle: WDR/Leonie KayesEine großflächige Borkenkäferplage kann einen Forstbetrieb in den Ruin treiben. Das Holz befallener Bäume kann zwar meist noch verwertet werden, bringt aber keine profitablen Preise. Auch für hochwertiges Holz sind die Preise gesunken, was es den Forstbetrieben erschwert, Gewinne zu erwirtschaften. Alternative Konzepte, mit denen Einnahmen etwa aus Tourismus gewonnen werden können, werden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Fazit: Der Zustand des Waldes ist bedenklich. Fichten- und Kiefer-Monokulturen haben keine Zukunft mehr. Sie kommen mit dem Klimawandel nicht klar. Nur ein artenreicher Mischwald wird mit den sich ändernden Temperatur- und Niederschlagsbedingungen eine Zukunft haben. Stand: 01.10.2020, 15:00 Uhr |