Warum wurde der Film im Westen nichts Neues in Deutschland verboten?

Vor 100 Jahren endete der 1. Weltkrieg. «Im Westen nichts Neues» ist bis heute der relevanteste Film über das Thema.

Mit Pickelhauben liegen die Soldaten im Schützengraben. Die Kamera fährt langsam über die Köpfe der jungen Kämpfer. Die schrill tönenden Geschosse zerreissen die Stille. Bomben fallen, Soldaten schiessen, Soldaten rennen mit Bajonetten auf einem lehmigen Schlachtfeld auf den Gegner zu.

Soldaten feuern aus dem Schützengraben mit Maschinengewehren. Soldaten fallen um wie Zinnmänner. Die Schlachtszene dauert 7 lange Minuten. Sie ist in die Filmgeschichte eingegangen und hat spätere Kriegs- und Antikriegsfilme beeinflusst. Ein Beispiel: «Saving Private Ryan» (1998) von Hollywood-Regisseur Steven Spielberg.

Junge Kriegsfreiwillige als Kanonenfutter

Die Schulklasse freut sich auf den Krieg, denn sie wissen nicht, was sie an der Front erwartet. Universal Pictures

«Im Westen nichts Neues» ist ein amerikanischer Anti-Kriegsfilm von 1930, der auf dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque basiert. Es geht um die grausamen Fronterlebnisse des jungen deutschen Kriegsfreiwilligen Paul Bäumer im 1. Weltkrieg.

Bäumers Geschichte beginnt in einer Schulklasse. Sein nationalistischer Professor Kantorek überzeugt den jungen Mann und seine Klassenkameraden sich freiwillig zu melden.

In einer fulminanten Rede glorifiziert der Lehrer das Sterben für das Vaterland. Der zermürbende Stellungskrieg trieb Bäumer den Patriotismus schnell aus.

«Bester Spielfilm, der je gedreht wurde»

Paul Bäumer (rechts) mit Frontkämpfer Stanislaus Katczinski. Universal Pictures

Der zweifache Oscargewinner erhielt in den USA und in England sehr viel gute Kritik. Gelobt wurde unter anderem, dass der Film geeignet wäre, um Feindbilder abzubauen.

Das Branchenblatt «Variety» schrieb: «Der Völkerbund sollte den Film auf der ganzen Welt in jeder Sprache zeigen, bis das Wort ‚Krieg’ aus dem Wörterbuch gestrichen ist.» Und auch die britische Tageszeitung «Telegraph» war begeistert: «Es ist der bei weitem beste Spielfilm, der je gedreht wurde.»

Im Deutschen Reich hingegen sah sich der Antikriegsfilm vor allem negativer Kritik ausgesetzt. Für die politische Rechte (insbesondere DNVP und NSDAP) war das Buch und dessen Verfilmung ein Angriff auf die Ehre des deutschen Soldaten, der sich ihrer Meinung nach für sein Vaterland geopfert hatte.

Sie propagierten die Legende, dass die Armee auf dem Schlachtfeld unbesiegt geblieben und demokratische Politiker für die deutsche Niederlage verantwortlich gewesen wären.

Dass amerikanische Schauspieler die deutschen Soldaten spielten, verstanden die Kritiker als weitere Provokation. Gegen den Film waren auch antisemitische Kreise, da Regisseur Lewis Mileston und Produzent Carl Laemmle Jr. Juden waren.

Zensur im Deutschen Reich

Joseph Goebbels organisierte Provokateure, die gegen den Film «Im Westen nichts Neues» demonstrierten. Keystone

Am 4. Dezember 1930 wurde «Im Westen nichts Neues» als Erstaufführung im Berliner Mozartsaal des Neuen Schauspielhauses gezeigt. Jedoch nicht in der Originalfassung. Jüdische Namen wurden aus dem Vorspann gestrichen und der Film wurde von 139 Minuten auf 85 gekürzt.

Joseph Goebbels, vor der Machtergreifung Reichspropagandaleiter der NSDAP, startete eine massive Kampagne gegen den Film. Er organisierte Massenaufläufe und handgreifliche Krawalle – vor und in den Kinos.

Nationalsozialisten zündeten in den Lichtspielhäusern kurz nach Beginn des Films Rauch- oder Stinkbomben. Teilweise liessen sie sogar Mäuse frei, um die Menschen aus dem Saal zu scheuchen.

Die Strategie der Nationalsozialisten war erfolgreich: nur eine Woche nach der Erstaufführung wurde der Antikriegsfilm verboten. Grund: «Gefährdung des deutschen Ansehens in der Welt und die Herabsetzung der deutschen Reichswehr.»

Auch in anderen Ländern wurde «Im Westen nichts Neues» zu Beginn des 2. Weltkrieges verboten und teilweise erst Jahrzehnte später wieder freigegeben.

Zeitlose Kriegstraumata

Kriege und Konflikte beherrschen noch immer die Welt. Keystone

88 Jahre ist es her, dass «Im Westen nichts Neues» zum ersten Mal gezeigt wurde. Der erste Weltkrieg ist seit 100 Jahren beendet. Was hat dieser Schwarz-Weiss-Film mit uns zu tun? Viel.

Anders als es sich Variety in seiner Filmkritik wünschte, findet man das Wort «Krieg» immer noch im Wörterbuch. Unter bewaffneten Konflikten leiden die Menschen auf der ganzen Welt: Afghanistan, Irak, Jemen, Ukraine, Philippen und Syrien.

«Im Westen nichts Neues» hat eine kriegskritische Aussage, die auf jeden Krieg übertragbar ist. Der Film zeigt, was mit Soldaten passiert, die täglich Menschen sterben sehen. Deshalb ist «Im Westen nichts Neues» in Zeiten andauernder und hoffnungsloser Konflikte immer noch relevant und brandaktuell. Leider.

Erich Maria Remarque im Jahr 1939. © AP

Von Jens Ebert · 07.12.2005

Am 4. Dezember 1930 hat Lewis Milestones Film "Im Westen nichts Neues" in Berlin seine viel beachtete Premiere. Eine Woche später verbietet ihn die Filmoberprüfstelle des Deutschen Reiches. Fortan wird er in vielen Ländern entweder gar nicht mehr, oder stark zensiert, beschnitten und verstümmelt gezeigt. Erst 1984 gelingt eine vollständige Rekonstruktion.

Es herrscht Volksfeststimmung an diesem sonnigen Tag anno 1914 in Deutschland. Soldaten paradieren zu den Klängen einer Marschkapelle durch die Stadt, die Menge am Straßenrand jubelt. Durch die offenen Fenster dringt der Lärm ins Klassenzimmer von Paul Bäumer und seinen Kameraden. Anstelle von Unterricht schwört der Lehrer die Schüler auf den Krieg ein. »Süß und ehrenvoll« sei es, »für das Vaterland zu sterben«. Alle springen auf und werfen begeistert ihr Schreibzeug in die Luft – die ganze Klasse meldet sich freiwillig.

Vier Jahre später streckt sich Paul in einer Gefechtspause an der Westfront nach einem Schmetterling, da trifft ihn die tödliche Kugel eines Scharfschützen. »Das war im Oktober 1918«, heißt es aus dem Off, »an einem Tag, der an der ganzen Front so ruhig und still war, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte: ›Im Westen nichts Neues‹.«

Im Sommer 1929 sicherte sich US-Produzent Carl Laemmle, geboren im oberschwäbischen Laupheim, die Filmrechte an Erich Maria Remarques berühmtem Antikriegsroman »Im Westen nichts Neues« für seine Universal Studios. Der Stoff war äußerst populär – aber auch hochumstritten. Nach der Weltpremiere in Los Angeles am 21. April 1930 gab es Oscars für den besten Film und die beste Regie (Lewis Milestone). Derweil wurden in Deutschland Rufe nach einem Verbot laut.

Nachdem Universal International Pictures einige Szenen für die deutsche Fassung gekürzt hatte, erhielt der Film eine mit Jugendverbot und weiteren Schnittauflagen verbundene Kinofreigabe. Am 4. Dezember 1930 folgte im Berliner Mozartsaal die Deutschlandpremiere vor reichlich Polit- und Kulturprominenz wie den Schriftstellern Alfred Döblin und Carl Zuckmayer oder dem »rasenden Reporter« Egon Erwin Kisch. Die Uraufführung verlief ohne Zwischenfälle und hinterließ »tiefe Erschütterung« bei den Zuschauern, wie die »Vossische Zeitung« schrieb.

Schon für den nächsten Tag orchestrierte Joseph Goebbels als Berliner NSDAP-Gauleiter einen Proteststurm. Am Mittwoch, 3. Dezember 1930, notierte er in seinem Tagebuch: »Am Freitag gehen wir in den Film ›Im Westen nichts Neues‹. Da soll den Eunuchen Mores beigebracht werden. Ich freue mich darauf.«

In Zivil mischten sich SA-Männer unter die Kinogäste, um die Vorstellung zu einem verabredeten Zeitpunkt zu unterbrechen. Die Störer warfen Stinkbomben, provozierten Schlägereien, ließen Mäuse los, zerschlugen die Fenster der Kassenhäuschen und überfielen eine Kassiererin mit den Worten: »Geld heraus, Juden heraus, Schluss mit diesem Judendreck!« Die antisemitischen Tiraden richteten sich außer gegen die jüdischen Filmproduzenten auch gegen Hanns Brodnitz, den ebenfalls jüdischen Leiter des Lichtspieltheaters im Mozartsaal.

Danach versammelten sich Tausende Anhänger der Nationalsozialisten und Schaulustige rund um den Mozartsaal am Nollendorfplatz, wo Goebbels vor der Menge eine Rede hielt. Wegen wiederholter Demonstrationen in den folgenden Tagen konnten die Vorführungen nur unter massivem Polizeischutz laufen. Zudem wandten sich die Innenministerien mehrerer Länder mit Verbotsanträgen an die Berliner Film-Oberprüfstelle.

Die Verhandlungen darüber wurden am 11. Dezember 1930 unter Vorsitz des Ministerialrats Ernst Seeger geführt, der im März 1933 zum Leiter der Abteilung Film in Goebbels' Propagandaministerium ernannt werden sollte. Die Prüfstelle widerrief die Zulassung »aus dem Verbotsgrund der Gefährdung des deutschen Ansehens«. Goebbels zelebrierte diesen »Filmsieg« anderntags im NS-Parteiblatt »Angriff«: »Zum ersten Male haben wir in Berlin die Tatsache zu verzeichnen, dass die Asphaltdemokratie in die Knie gezwungen wurde.«

Am Ende marschieren die Truppen

Acht Tage später feierte Gustav Ucickys »Das Flötenkonzert von Sanssouci« im Ufa-Palast am Zoo seine Premiere. Der Film repräsentierte in nahezu allem das Gegenteil dessen, wofür Milestones Werk angefeindet worden war. Rechtskonservative und Nationalsozialisten waren gegen die Remarque-Verfilmung Sturm gelaufen, weil sie die hässliche, würdelose Realität des Krieges schonungslos auf die Leinwand brachte. Nun formierten sich die linken und liberalen Kräfte der Republik zum Protest gegen Ucickys Film, weil er genau das nicht tat.

»Das Flötenkonzert von Sanssouci« verklärte den Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763), indem der Film ihn als unausweichlich und notwendig darstellte, ohne ihn zu zeigen. Es beginnt mit Bildern eines Maskenballs; im Hinterzimmer heckt der Reichsgraf Brühl mit Gesandten Österreichs, Russlands und Frankreichs ein Komplott gegen Preußen aus. Als der preußische Gesandte dies bemerkt, lässt er Friedrich II. brisante Verschwörungsdokumente zukommen.

Inspiriert von Adolph Menzels Gemälde »Das Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci« (1852), endet der Film mit einem Besuch der nichts ahnenden Gesandten der Feindesmächte im Schloss Sanssouci. Während des Flötenkonzerts werden die Pläne des Gegners dechiffriert und Friedrich aufs Notenpult gelegt. Nun kann der Preußenkönig seinen Feinden per Präventivschlag zuvorkommen.

»Taumel des Entzückens«

Am Ende marschieren die preußischen Truppen. Volle drei Minuten defilieren die Soldaten an Friedrich dem Großen vorbei und einem Krieg entgegen, der – daran ließen die knapp anderthalb Stunden zuvor keinen Zweifel – ein patriotischer und ein ehrenvoller sein würde.

Die historisch fragwürdige Darstellung erhielt besondere Brisanz, deutete man den Siebenjährigen Krieg als Chiffre für den Ersten Weltkrieg oder gar einen Krieg, der erst noch geführt werden musste. Und so stand dieser Prokriegsfilm in scharfem Kontrast zu »Im Westen nichts Neues«. Mehrfach musste die Uraufführung im Ufa-Palast unterbrochen werden, da Zuschauer mit Pfiffen und Zwischenrufen störten und von der Polizei aus dem Saal entfernt wurden. Oder sie wurden, wie Siegfried Kracauer in seiner Rezension für die »Frankfurter Zeitung« schrieb, vom nationalistisch gestimmten Publikum übertönt: »Das Gebrüll, das den zahmen Protest bald zudeckte, steigerte sich im weiteren Verlauf zu einem Taumel des Entzückens, wie ich ihn selten erlebt habe.«

Die einen waren begeistert, die anderen entsetzt. Noch unter dem Eindruck nationalsozialistischer Aufmärsche gegen »Im Westen nichts Neues« machten nun Sozialdemokraten und Kommunisten gegen »Das Flötenkonzert von Sanssouci« mobil. Im Kino flogen Stinkbomben und mit Tinte gefüllte Eier auf die Leinwände. Und vor dem Kino lieferten sich Demonstranten gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Berliner Polizei.

»Lex Remarque«

Trotz der anhaltenden Krawalle wurde der Film, versehen mit dem steuervergünstigenden Prädikat »volksbildend«, nicht verboten und stattdessen in halb erleuchteten Kinosälen gespielt, damit man etwaige Störer leichter ausmachen und entfernen konnte.

Die Proteste gegen »Das Flötenkonzert von Sanssouci« blieben also wirkungslos. Indes zeitigten die Kundgebungen und Aufrufe bekannter Persönlichkeiten wie Käthe Kollwitz oder Heinrich Mann für die Zulassung von »Im Westen nichts Neues« einen Erfolg: Am 31. März 1931 trat das auch als »Lex Remarque« bezeichnete neue Lichtspielgesetz in Kraft und ermöglichte es, eigentlich verbotene Filme einem eingeschränkten Personenkreis vorzuführen.

In einer stark gekürzten Fassung durfte »Im Westen nichts Neues« ab Juni 1931 in »geschlossenen Veranstaltungen« ausgewählter Organisationen gezeigt werden. Anfang September erreichte Universal sogar die allgemeine Wiederzulassung in Deutschland.

Es blieb ein fragiler Erfolg. Die Kinokriege um beide Filme hatten im Dezember 1930 nicht nur ein Schlaglicht auf eine zutiefst gespaltene Gesellschaft geworfen, sondern auch auf eine düstere Zukunft. Siegfried Kracauer ahnte das. Kurz nach der »Flötenkonzert«-Uraufführung schrieb er:

»Wie sehr muss das Volk eines Halts entbehren, dass es ihn in einem solchen Glanzkriegsstück zu entdecken glaubt! Denn die Begeisterung ist ja nicht nur künstlich gemacht, das echte Verlangen nach ihr sucht vielmehr einen Gegenstand, an den es sich zu klammern vermag. Ihn kann es begreiflicherweise im Remarque-Film nicht finden, der sich darauf beschränkt, das Grauen des Krieges zu veranschaulichen ... Die Massen sind irregeleitet und möchten doch richtig geführt werden. Wenn es nicht gelingt, ihrem Sehnen gute, menschenwürdige Ziele zu geben, werden ihre Explosionen fürchterlich sein.«

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