Ich will so bleiben wie ich bin du darfst

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Ich will so bleiben wie ich bin du darfst

Ich will so bleiben wie ich bin du darfst

… das merkwürdige Paradoxon besteht darin, dass ich mich ändere, wenn ich mich so akzeptiere, wie ich bin 

– Carl Rogers –  

Von dem Druck zur Selbstoptimierung, der Selbstannahme und dem Glauben 

Das Bild und der Slogan ist alt. Werbung für fettreduzierte Produkte unter dem Label „Du darfst“ aus (vermutlich) den 90ern. Werbung, die sich an Menschen richtet, die einerseits weiter alles konsumieren wollen, aber andererseits genau darauf achten, dass nichts die idealen, von den Medien eingehämmerten Körperproportionen gefährdet. 

„Ich will so bleiben wie ich bin.“ Kannst du diesen Satz aus voller Überzeugung aussprechen? Meine Vermutung ist, dass er vielen eher schwer fällt. Es gibt vermutlich genauso viele Leute, die sagen: „Ich wäre am liebsten ganz anders!“  

Zwischen diesen Extrempositionen gibt es dann wohl verschiedene Abstufungen. Hier mal ein paar Angebote: 

  • Im großen Ganzen bin ich zufrieden mit mir. Da gibt es wenig, was ich ändern will. 
  • Es gibt viele Seiten an mir, die mag ich. Aber es gibt genauso viel, was ich gerne los hätte. 
  • Meistens finde ich mich nicht so gut. Selten, dass ich mal zufrieden bin. 

Wahrscheinlich finden sich mehr oder weniger alle Menschen in diesem Spektrum zwischen selbstzufrieden und grundsätzlicher Selbstkritik wieder. Vielleicht gibt es gar eine Gaußsche Normalverteilungskurve mit einem Peak bei der mittleren Position. 

Zu den Rändern hin gibt es dann die Einen, die ein ganz starkes Selbstbewußtsein haben, die von sich überzeugt und ziemlich mit sich zufrieden sind. Und da gibt es die Anderen, die ihr bester Kritiker sind, und beständig und ehrgeizig daran arbeiten, sich zu verändern und weiter zu entwickeln. 

In einem gewissen Maß können beide Seiten eine gesunde Lebenshaltung sein. Jemand mit starkem Selbstbewusstsein ist vielleicht wie ein Stehaufmännchen, hat wenig Mühe mit sich. Kann sich gut annehmen. Theologisch: So Jemand kann sich als Gottes gutes Geschöpf verstehen. „Siehe, es war sehr gut.“ sagt Gott als er den Menschen erschaffen hat. Diesen Satz kann er oder sie gut auf sich beziehen, glauben und sich an den eigenen Gaben und Fähigkeiten freuen. Das ist sicher sehr gesund und positiv. 

Allerdings kann diese Seite auch übertrieben werden. Dann wird aus Selbstbewusstsein Selbstüberschätzung. Aus Selbstannahme Unbelehrbarkeit. Aus der Freude an den eigenen Eigenschaften wird eine Arroganz gegenüber Anderen. Dann wird es auch ungesund oder ungemütlich für die lieben Mitmenschen. 
Deshalb würde ich jemanden, der allzu vollmundig sagt „Ich will so bleiben wie ich bin!“, gerne mal fragen: „Wollen denn die Leute um Dich herum dasselbe? Wie geht es den Anderen mit Dir?  

Umgekehrt hat auch der selbstkritische Mensch seine Chancen und Risiken: Einerseits wird er sicher nicht zur Überheblichkeit neigen, sondern eher bescheiden seinen Weg gehen. Seine selbstkritische Ader kann ihn anspornen, in einem beständigen Verbesserungs- und Veränderungsprozess zu sein. Ehrgeiz, Lern- und Leistungsbereitschaft können ihn oder sie voranbringen. Auch Genauigkeit könnte eine Stärke von so einem Menschen sein. Wenn Christen so gepolt sind, wird es ihnen sicher leicht fallen zu verstehen, was „Sünder sein“ mein: jemandem, der Fehler macht und Lücken lässt. 

Aber: Neben der begrenzten Lebensfreude, die man hat, wenn man nur noch das halb leere Glas sehen kann, führt eine Überdosis Selbstkritik sicher nicht nur zum Perfektionismus, sondern leicht auch in die Selbstabwertung, Selbstverachtung und Selbstverneinung. Und das macht krank. So Jemandem sollte man dazu helfen, seine eigenen Stärken und Begabungen zu finden, anzusehen, auch mal mit 80% Qualität zufrieden zu sein und Erfolge zu feiern. 

Egal, wo Du Dich in diesem Spektrum einsortierst und wo Du Deine Gefahrenseite hast: Es geht wohl darum, beides zusammen zu bringen: Das Ja zu mir selbst und die Bereitschaft zur Arbeit an mir. Aber wie geht das? 

Einen Ansatz bietet der Psychotherapeut und Erfinder der klientenzentrierten Gesprächstherapie Carl Rogers. Er sagt einmal: „Es fällt mir leichter, mich als ausgesprochen unvollkommene Person zu akzeptieren, die auf keinen Fall so funktioniert, wie ich möchte. Dies muss für manche eine sehr merkwürdige Richtung sein, in die sie sich bewegen sollen. Es scheint mir einen Wert zu haben, denn das merkwürdige Paradoxon besteht darin, dass ich mich ändere, wenn ich mich so akzeptiere, wie ich bin.“ 

Rogers hat es als enorm hilfreich erlebt, Menschen einfühlsam zuzuhören und sie so sein zu lassen, sie so ernst zu nehmen, wie sie sind und wie sie sich und die Welt erleben. Sie also in ihrem So-sein zu akzeptieren und zu respektieren. Er hat dabei die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die sich angenommen und akzeptiert fühlen, sich in eine gute Richtung verändern, innerlich wachsen. Ich glaube, dass Rogers, der aus einer streng gläubigen amerikanischen Familie stammte und selbst Theologie studiert hat, hier, obwohl er sich beim Studium vom christlichen Glauben gelöst hat, etwas nachverarbeitet oder für therapeutische Zwecke anwendet, was mit dem Wesen Gottes zusammenhängt: Gott liebt zuerst. Gott lässt uns die sein, die wir sind, wertet uns nicht ab, ist nicht fokussiert auf unsere Schwächen und Schwierigkeiten, sondern nimmt uns an, wie wir sind. Und das schafft den Freiraum für Wachstum, Entwicklung, Heilwerden. Das ist die Veränderung, die Gott in unserem Leben bewirken will.  

Von so einer Art Veränderung ist viel die Rede in der Bibel: von einer Veränderung, die kein Ego-Trip ist und auch keinem von außen aufgezwungenen Selbstoptimierungszwang entspricht. Von einer Veränderung, die nicht darauf aus ist, dass ich irgendwie hipper oder erfolgreicher werde oder besser als die Anderen bin. Heilsam, wohltuend, beglückend – so ist diese Veränderung für mich. Aber auch für die Mitmenschen. Weil sie mich in die richtige Relation zu Gott und der Welt bringt. 

Das Paradox (oder den Zusammenhang?) von Akzeptanz und Veränderung kann man tatsächlich in der Bibel finden. Zum Beispiel in der alten Geschichte von Zachäus. Nachzulesen in Lukas 19,1-10.  

Es wird nicht berichtet, was Jesus und Zachäus miteinander besprochen haben. Aber vielleicht liegt es an der Akzeptanz und Wertschätzung, die Zachäus erfahren hat. Vielleicht hat er gerade deswegen die Kraft gefunden, seinem Leben eine entscheidende Wende zu verpassen. 

Zurück zum Anfang, zu den fettreduzierten Wurstsorten und Brotaufstrichen. Das Label heißt: „Du darfst.“ Nicht: „Du musst.“ 

Ich will das so interpretieren: Du darfst du selbst sein. Du darfst du selbst bleiben.  

Und – eine gute Nachricht für alle, die sich nach Veränderung sehnen: Du musst nicht so bleiben, wie du bist! Du darfst dich verändern. Du kannst auf Veränderung hoffen. Und musst dabei nicht nur auf deine eigene Kraft zur Veränderung setzen, sondern kannst damit rechnen, dass Gott an deiner Seite und mit dir auf dem Weg der heilsamen Veränderung ist.  

Der bekannte Berater und Mönch Anselm Grün greift öfters das Thema „Wunsch nach Veränderung“ und „Veränderungsdruck“ auf. Er sagt: „Heute ist das Thema Veränderung sehr wichtig. Die Menschen setzen sich selbst unter Druck, sich ständig zu verändern. Die Psychologie spricht vom erschöpften Selbst. Viele Menschen sind vor lauter Selbstoptimierung erschöpft. Die christliche Antwort ist Wandel und nicht Veränderung. Veränderung ist etwas Aggressives, ich muss ein anderer Mensch werden. Beim Wandel dagegen darf alles sein, ist es gut so, wie es ist, aber ich bin noch nicht die oder der, der ich von meinem Wesen her sein könnte. Verwandlung ist mehr, man selbst zu werden.“ 

Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir uns im Du-darfst-Modus und nicht im Du-musst-Modus weiterentwickeln dürfen. Mit Gottes Hilfe und auf ihn zu. 

das merkwürdige Paradoxon besteht darin, dass ich mich ändere, wenn ich mich so akzeptiere, wie ich bin. 

– Carl Rogers –  

Photo by Brett Jordan on Unsplash