Ich mache das gleiche wie die kirche nur gründlicher

Ich muss ehrlich sagen, ich bin froh, wenn die Wahlen endlich vorbei sind. Ich kann langsam keine Wahlwerbung und keine Diskussionen mehr hören. Nicht, dass es mich nicht interessieren würde. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass man für sich selbst nur Werbung machen kann, wenn man die anderen schlecht macht. Und dass irgendwie alles, was passiert und gesagt wird nur noch mit der Wahl in Verbindung gebracht wird. Was von den vielen Versprechen übrig bleibt, wird sich sowieso erst hinterher zeigen.Ich will Ihnen jetzt natürlich keinen Rat geben, was Sie wählen sollen. Aber ich wünsche mir manchmal, dass die Verantwortlichen mehr an das denken, was gut für unser Miteinander ist. Und weniger an ihr Wahlergebnis. Und dass wir Wähler begreifen, dass wir alle letztlich dafür verantwortlich sind, in was für einer Welt wir leben. Es sind nicht nur die Politiker „da oben", die darüber bestimmen, wie unsere Gesellschaft aussieht. Wir alle sind ein Teil davon. Und wir können alle ein bisschen mitgestalten.

Diese Erkenntnis ist eigentlich schon sehr alt. Die Bibel erzählt davon, dass das ganze Volk Israel ins Exil verschleppt worden ist. Also in Gefangenschaft. Nicht so mit Gittern und Stacheldraht. Sondern einfach in eine fremde Stadt. Hier mussten sie sich irgendwie einrichten und zurechtfinden. Und genau an diese Menschen schreibt der Prophet Jeremia einen Brief. Er schreibt: „Suchet der Stadt Bestes, ..., und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl."[1] Wenn dieser Satz also für Menschen im Exil gilt, dann kann er doch wohl auch für uns nicht ganz verkehrt sein, oder?


Für mich bedeutet das dreierlei: Das erste ist: Ich bin ein Teil von einem großen Ganzen. Deshalb muss ich auch ein bisschen einbringen. Das zweite ist: es gibt sicher nicht das Beste für alle. Deshalb muss man sich zusammensetzen und eben gemeinsam überlegen, wo´s hingehen soll wie Wohltaten und Lasten gerecht verteilt werden. Und das dritte ist: es ist gut, vielleicht ab und zu auch mal für unsere Gesellschaft zu beten. Denn: ein bisschen Segen von oben kann ja nie schaden.

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Wahrscheinlich hat jeder manchmal das Gefühl, ganz tief im Keller zu sitzen. In einem großen schwarzen Loch. Mit einer Treppe, die scheinbar in Nichts führt. Zumindest habe ich diese Bild vor Augen, wenn ich an einen Keller denke. Denn diese Treppe musste ich als Kind immer runter, wenn ich bei meinen Großeltern in den Keller gehen musste.

Das war ein alter Gewölbekeller, beleuchtet von nur einer einzigen Glühbirne. Es roch erdig nach Kartoffeln und süßlich nach Äpfeln. Das, kombiniert mit der schummrigen Beleuchtung, hat die Gruselatmosphäre perfekt gemacht. Eher ein Ort für Schauergeschichten, als ein Kinderspielplatz.

Mir hat dieser Keller in jedem Fall eine Heidenangst gemacht. Trotzdem musste ich immer mal wieder runter.

Vor einer Woche hat die Passionszeit begonnen. Wir Christen erinnern uns in dieser Zeit daran, wie Jesus verhaftet worden ist. Wie er hat leiden müssen. Verspottet wurde. Und wie er am Ende gekreuzigt wurde. Kein Licht mehr. Kein Stern mehr, wie damals, als seine Geburt angekündigt wurde. Keine leuchtenden Engel. Nur Kälte und Dunkelheit. Menschen, die ihm gerade noch zugejubelt hatten, haben total enttäuscht und wütend seine Hinrichtung gefordert. Sogar seine engsten Freunde haben Jesus im Stich gelassen. Wie tief im Keller wird auch er sich gefühlt haben, denke ich mir. Was kommen würde, konnte er noch nicht sehen. Dunkel und bedrohlich aber war es allemal. Wie ein großes schwarzes Loch. 

Wir wissen heute, wie das weiter gegangen ist. Am Ende musste er sogar sterben. Aber Gott hat ihn nicht untergehen lassen in diesem schwarzen Loch. Als alles zu Ende schien, gab es einen neuen Anfang.  Dafür allerdings musste er diesen Weg nach unten zuerst gehen.

Wahrscheinlich hatte jeder schon mal das Gefühl, ganz tief im Keller zu sitzen. Sorgen in der Schule oder am Arbeitsplatz, eine Krankheit oder auch der Verlust eines lieben Menschen. Diese Zeiten gibt es im Leben. Das wird mir gerade in der Passionszeit immer wieder deutlich. Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es dabei nicht bleibt. Nur, weil ich im Keller bin, ist das Licht nicht plötzlich verschwunden. Es gibt wieder einen Weg nach oben. Auch ich gehe in der Dunkelheit nicht verloren.

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„Später werde ich einmal Feuerwehrmann." Das verkündet unser Sohn gerade immer stolz im Wohnzimmer. Er sitzt auf seinem roten Bobbycar mit einer umgedrehten Küchenschüssel auf dem Kopf. Na ja, wenn ich ehrlich bin: mir wäre der Beruf zu gefährlich und ich würde ihn als Vater lieber nicht bei der Berufsfeuerwehr sehen.

Kennen sie diese Gedanken? Dass man oft bestimmte Vorstellungen hat, welche Plätze die Kinder im Leben einnehmen sollen?

Natürlich hätte ich gern, dass mein Sohn es zu etwas bringt. Im Beruf soll es bitte der Platz auf dem Chefsessel sein. Der viel Geld nach Hause bringt und hoffentlich nicht zu viele Sorgen. Und im Alltag soll es ein Platz an der Sonne sein.

Ich erlebe viele engagierte Eltern, die ihre Kinder mit all ihren Möglichkeiten unterstützen. Sie alle wollen das Beste für ihre Kinder. Dass sie eben den besten Platz in ihrem Leben erreichen.

Mich erinnert dass dann immer an eine biblische Geschichte, in der auch eine Mutter um die besten Plätze für ihre Kinder wirbt. Sie möchte, dass ihre beiden Kinder rechts und links neben Jesus sitzen. Auch sie möchte das Beste für ihre beiden Söhne.

Aber Jesus antwortet ihr: „Ich kann nicht bestimmen, wer auf den Plätzen rechts und links neben mir sitzen wird."[1]

Jesus selbst kann nicht über diese Plätze bestimmen. Das ist für mich ein Hinweis, dass es im Leben offensichtlich auch Plätze gibt, zu deren Erreichen ich gar nichts tun kann. Sie werden mir geschenkt. Oder sie sind einfach genau für mich da. Vielleicht ein Job, der nicht gerade in der Chefetage ist. Mir aber dafür unglaublich Spaß macht. Mich erfüllt. Oder der Platz, an dem genau ich gebraucht werde. Weil ich eben so bin, wie ich bin. Oder das kann, was ich kann. Vielleicht auch der Platz, an dem Gott mich braucht.

Das finde ich eine sehr tröstliche Vorstellung. Weil es im Leben dann nicht darum geht, wer besser, schneller oder intelligenter ist. Sondern es geht darum, meinen Platz zu finden. Den, der genau richtig für mich ist. Bei Gott, gibt es in jedem Fall einen Platz für mich. Vielleicht ist ja auch das der richtige Platz für mich.

Mal schauen, ob unser kleiner Sohn in ein paar Jahren immer noch Feuerwehrmann werden möchte. Egal welchen Platz er in seinem Leben mal anstrebt. Ich finde es wichtig, dass er seinen Platz findet.

[1] Matthäus 20,23

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„Wer Hoffnung hat, hat alles. Wer Hoffnung hat steht auf, auch wenn Dir Träume runter fallen, hebt sie die Hoffnung wieder auf."[1] Das singt Susan Ebrahimi in ihrer aktuellen Single. Ein ziemlich passender Titel für die Zeit, in der wir gerade leben, finde ich. Die schlimmen Bilder von Japan sind mir noch in Erinnerung. Auch die Berge von Gurken und Tomaten, die vernichtet werden mussten. Und immer wieder Bilder von Krieg, Arbeitslosigkeit und Armut. Eine heile Welt sieht wirklich anders aus. Susann Ebrahimi erinnert sich in ihrem Lied an die Worte von einem alten Mann. Dem muss es wohl ziemlich wichtig gewesen sein, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie singt: „Wer Hoffnung hat schafft alles."Aber stimmt das? Ist Hoffnung nicht so was wie ein Traum? Also wunderschön, aber eben nicht die Wirklichkeit.Ich glaube schon, dass das stimmt. Hoffnung ist keine Gewissheit - trotzdem hoffen Christen auf die Zukunft. Denn Jesus hat davon erzählt, dass es irgendwann einmal kein Leid mehr geben wird. Keine Ungerechtigkeiten, keine Benachteiligungen. Aber er hat den Menschen auch vorgelebt, dass Hoffnung eine Auswirkung auf mein Leben hier und jetzt haben kann: Immer, wenn man versucht hier und jetzt ein bisschen von dem umzusetzen, was Jesus erzählt hat - also z.B. jemandem einfach so eine Freude zu machen, oder auf jemanden zuzugehen - dann wird ein kleiner Teil von dieser Hoffnung Wirklichkeit. Dann kann Hoffnung vielleicht sogar Berge versetzen und mich zum Handeln motivieren.

Ich glaube deshalb, dass Hoffnung mehr ist als ein inneres Vertrösten auf irgendwann einmal. Sicher: Hoffnung heißt schon, dass ich eben darauf hoffe, dass irgendwann einmal alles besser wird. Aber trotzdem ist Hoffnung viel mehr. Wenn alle meine Sicherheiten verloren gehen, ist die Hoffnung wie ein Anker oder wie eine Hand, an der ich mich festhalten kann. Und selbst wenn eine Hoffnung enttäuscht wird, ein Herzenswunsch nicht in Erfüllung geht, gibt es Hoffnung, dass es anders weitergeht. Deshalb hat mich das Lied von Susan Ebrahimi so angesprochen. Ja ich hoffe darauf, dass die Welt irgendwann vielleicht ein bisschen besser wird. Aber ich möchte mich auch nicht damit zufrieden geben, dass das vielleicht irgendwann einmal so sein wird. Ich will versuchen jeden Tag ein bisschen von dieser Hoffnung zu finden oder selber zu leben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen mit Susan Ebrahimi einen hoffnungsvollen Abend.

[1]Susan Ebrahimi, Wer Hoffnung hat, hat alles, von ihrer aktuellen CD „Zauberhaft", DA Music 2011.

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Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben, schreibt Hermann Hesse in seinem Stufengedicht. Er fasst in Worte, was jeder kennt. Das Leben ist voller Anfänge: Geburt, Schulbeginn, Ausbildung, Studium, Familie, Beruf, Rente und viele mehr. Gerade steht bei mir auch wieder ein Anfang an - ein Stellenwechsel. So ein neuer Anfang heißt immer beides. Man lässt etwas zurück und bekommt die Chance etwas Neues zu machen. Die Menschen, mit denen ich jeden Tag zusammengearbeitet habe, werde ich in Zukunft nicht mehr so oft sehen. Und die Arbeit hat  Spaß gemacht. Andererseits freue ich mich auf neue Herausforderungen. Neue Menschen, neue Aufgaben, neues Umfeld. Also Koffer packen und los gehts.
Den ersten Jüngern von Jesus ist es damals bestimmt ähnlich gegangen.[1] Als Jesus so plötzlich am Seeufer stand und von einer ganz neuen Aufgabe gesprochen hat. Simon und Andreas waren wie jeden Tag fischen, sie waren ja Fischer. Jesus ist am Ufer vorbeigelaufen und hat gerufen, dass sie ihm nachfolgen sollen. Und das haben sie gemacht - einfach so. Wie konnten sie das? Ich glaube, Vertrauen ist das Zauberwort. Simon und Andreas haben diesem Jesus vertraut. Haben darauf vertraut, dass es das Richtige ist, was sie tun. Das hat ihnen Mut gemacht. Vielleicht ist das der Zauber, der uns beschützt und hilft zu leben, von dem Hermann Hesse spricht. Ich finde es jedenfalls sehr mutig, dass sie einfach ins Ungewisse mitgegangen sind. Und die Geschichten der Bibel zeigen ja auch, dass es nicht immer einfach war. Was wäre denn gewesen wenn die Jünger sich nicht getraut hätten. Wenn sie einfach Fischer geblieben wären? Hermann Hesse spricht in seinem Gedicht davon, dass sich dann lähmende Gewohnheit breit macht, wenn man sich irgendwo zu heimisch fühlt.

Die Geschichte von Simon und Andreas macht mir Mut für meinen neuen Anfang. Weil in ihrem Vertrauen zu Jesus dieser Zauber spürbar wird, von dem Hesse spricht. Und die Geschichte hilft mir zu spüren, dass ich diesen Weg nicht allein gehen werde. Das wünsche ich auch Ihnen heute Abend: Dass Sie Ihre Anfänge, die Sie vielleicht in der nächsten Zeit erwarten, auch mit dieser Gewissheit beginnen können, wie sie Hermann Hesse beschreibt:

Wie jede Blüte welktund jede Jugend dem Alter weicht,blüht jede Lebensstufe,blüht jede Weisheit auch und jede Tugendzu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.Es muss das Herz bei jedem Lebensrufebereit zum Abschied sein und Neubeginne,um sich in Tapferkeit und ohne Trauernin and're, neue Bindungen zu geben.Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

(Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,an keinem wie an einer Heimat hängen,der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten!Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreiseund traulich eingewohnt,so droht Erschlaffen!Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.Es wird vielleicht auch noch die Todesstundeuns neuen Räumen jung entgegen senden:des Lebens Ruf an uns wird niemals enden.

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!)

[2][1] Markus 1,16-18
[2]http://www.lyrikwelt.de/gedichte/hesseg1.htm oder Das Lied des Lebens - die schönsten Gedichte von Hermann Hesse, Suhrkamp Verlag, 1986.

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Neugeborene Kinder sind total hilflos. So klein, ein bisschen verschrumpelt und absolut darauf angewiesen, dass sich jemand um es kümmert. Unfähig richtige Nahrung aufzunehmen, unfähig sich fortzubewegen, unfähig sich zu artikulieren. Nur zwei riesengroße Kulleraugen, die mich ansehen mit dem Bitte-kümmer-Dich-um-mich-Blick. Man muss sie einfach Liebhaben, sich um sie kümmern.Aber wie ist das mit Erwachsenen?„Was ist der Mensch, dass Du an ihn denkst und des Menschen Kind, dass Du Dich seiner annimmst." (Psalm 8,5). So fragt ein Mensch, der nachts unter dem Sternenhimmel steht und es nicht fassen kann, wie klein der Mensch doch ist. Und hilflos, wie ein Baby. „Was ist der Mensch, dass Du an ihn denkst und des Menschen Kind, dass Du Dich seiner annimmst." Angesichts dieses Größenunterschieds zwischen Mensch und Gott, der alles geschaffen hat, kann er es einfach nicht fassen. „Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott." (Psalm 8, 6). So geht das Gebet weiter. Dieser Mann glaubt, dass Gott die Menschen und alles um uns herum gemacht hat. Und dass Gott die Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, also wie ein Gegenüber. Deshalb interessiert sich Gott für uns.Ich habe das wahrscheinlich erst richtig verstanden, als vor ein paar Monaten unser Kind geboren wurde. Mit jedem geschenktem Leben, zeigt Gott, dass wir ihm immer noch wichtig sind, sagt man ja. Und ein Geschenk ist das wirklich.Also was ist der Mensch? Na ja auf jeden Fall wenig niedriger als Gott. Sein Ebenbild. So was wie ein Spiegelbild - ein Gegenüber zu Gott. In den verschrumpelten Babys und in den verknitterten, verbrauchten Erwachsenen. D.h. aber auch, dass in jedem Menschen etwas von Gott spürbar oder erfahrbar wird. Und dass damit ja auch jeder erwachsene Mensch etwas ganz besonderes, Einzigartiges und Schützenswertes ist.Manchmal denke ich, bei Erwachsenen verwächst sich das irgendwie. Weil es so schwer zu erkennen und zu glauben ist. Denn eigentlich müsste ich ja mit einem Ebenbild Gottes ganz anders umgehen, als ich das manchmal tue. Deshalb ist es gut, dass einen Babys und Kinder immer neu daran erinnern. Wenn ein Baby strahlt, dann zieht das alles in seinen Bann. Und wenn ein Kind weint, dann habe ich manchmal das Gefühl, der Himmel weint mit.

Seit unser Sohn da ist, kann ich einfach nur staunen, über das kleine Ebenbild Gottes. Durch ihn habe ich gelernt, wie gut es Gott mit uns meint. Und dass man das mit dem Ebenbild vielleicht da am Besten sehen kann, wo Menschen am hilflosesten sind.

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Scheuklappen sind praktisch. Sie helfen Pferden und Eseln, dass sie sich nicht erschrecken und sie eben scheuen. Aber auch ich finde sie praktisch: Sie verhindern, dass ich unangenehme Aufgaben sehen muss. Das fängt beim Müll raus bringen an und hört bei der Steuererklärung noch lange nicht auf. Sie helfen mir mich ganz auf mich selbst zu konzentrieren. So kann ich mich ganz meinen eigenen Bedürfnissen widmen. Scheuklappen auf und nach mir die Sintflut. Ob die Menschen in der Bibel schon Scheuklappen kannten, weiß ich nicht. Aber das Verhalten, als ob sie welche aufhätten, das kannten sie anscheinend. Ich glaube, deshalb hat Jesus immer wieder Geschichten von Menschen erzählt, die gerade nicht nur nach ihren eigenen Bedürfnissen sehen. Für Jesus ist wichtig, zu sehen, was die Anderen brauchen. Das macht er auch selber ganz praktisch. Er isst mit Leuten, die als Betrüger gelten und er nimmt eine Ehebrecherin in Schutz, damit sie nicht gesteinigt wird. Jesus hat keine Angst davor, sich die Finger schmutzig zu machen. Er sieht, wo er gebraucht wird und er schaut nicht weg. Das tut den Betroffenen gut, weil sie das nicht gewohnt sind. So gut, dass sie ihr eigenes Leben überdenken. Immer wieder fordert Jesus die Menschen auf, auch die Bedürfnisse der Anderen zu sehen. Und vor allem ohne Scheu auf die Menschen zuzugehen. Denn so praktisch Scheuklappen ja sind, so sehr können sie uns auch im Weg stehen. „Der fährt doch mit Scheuklappen durch die Gegend“. Dieser Satz rutscht mir beim Autofahren immer wieder raus. Wenn vor mir einer einfach rauszieht, ohne zu blinken. Der schaut weder links noch rechts und fährt einfach drauf los. Dabei wäre es doch so einfach. Ein Blick nach links und ein Blick nach rechts würden schon genügen. Heute am Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit. Sieben Wochen vor Ostern. Für Viele eine Chance diese Zeit bewusst zu erleben und bewusst zu gestalten. Wie gut das tut, darauf will in diesem Jahr die Fastenaktion sieben Wochen ohne hinweisen. Wie jedes Jahr ist die Fastenzeit eine Gelegenheit etwas abzulegen oder sich etwas abzugewöhnen, was einen am Leben hindert. Sieben Wochen ohne Scheu ist das Thema der beginnenden Fastenzeit. Ich mache dieses Jahr wieder mit und ich habe mir vorgenommen, mich in dieser Zeit zu fragen: Wo habe ich Scheuklappen in meinem Leben? Vor welchen Dingen verschließe ich am liebsten die Augen? Gibt es vielleicht Menschen in meinem Umfeld, auf die ich zugehen sollte. Ganz ohne Scheu? Sieben Wochen ohne Scheu: Ich bin sehr gespannt, welche Begegnungen ich in dieser Zeit haben werde.

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In der fünften Jahreszeit ist nichts normal. Fantasievoll kostümierte Närrinnen und Narren versammeln sich zu Umzügen und lassen das Wintergrau für einige Tage verblassen. Liebevoll gebastelte Geschenke werden verschenkt und überall freuen sich die Kleinen und die Großen an dem bunten Treiben. In dieser Zeit ist nichts normal. Die Uhren laufen einfach anders. In dieser Zeit ist es überhaupt kein Problem offen und direkt z.B. den Politikern zu sagen, was man wirklich denkt. Der Bürgermeister wird aus seinem Rathaus vertrieben, Krawatten werden mit Freude abgeschnitten und unter der Maske ist es egal, ob ich Bankangestellter, Kellner oder Hartz IV-Empfänger bin. Es herrscht eben die buchstäbliche Narrenfreiheit. Im Alltag dagegen machen wir Unterschiede. Das war schon immer so. Die Bibel erzählt uns von Königen, den Oberen, die was Besseres sind. Es gibt Soldaten und Bauern und es gibt natürlich auch die Menschen, die eigentlich keine Rolle spielen. Bettler, Sklaven, Tagelöhner und auch die Fremden, die nicht von hier sind. Die Rollen sind klar verteilt. In diese Welt hinein ist Jesus gekommen und hat was davon erzählt, dass alle Menschen gleich sind. Dass die ersten die letzten und die letzten die ersten sein werden. Er hat davon erzählt, dass alle Menschen frei sind, dass die Sklaven nicht weniger wert sind als die Herren und dass auch die Frauen nicht weniger eine Rolle spielen als Männer. Ich kann mir vorstellen, wie das die Menschen durcheinander gebracht hat. Die Oberen hatten Angst, weil sie ja ihren Status nicht aufgeben wollten und die Kleinen haben sich gefragt, warum sie sich – wenn das so ist – alles von ihren Herren gefallen lassen sollen. Im Reich Gottes, hat Jesus gesagt, werden die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Und das gilt heute immer noch. Damit ist nicht die Narrenfreiheit gemeint, wie wir sie in diesen tollen Tagen erleben. Sondern damit ist gemeint, dass Menschen friedlich zusammen leben. Und dass Unterschiede keine Rolle spielen. Dazu braucht es Offenheit und die Bereitschaft sich gegenseitig zu akzeptieren. Und dazu braucht es soziale Strukturen, die keinen Unterschied zwischen den Menschen machen. Dazu braucht es auch Menschen, die nicht nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und die offen und direkt auf andere Menschen zugehen. Ein bisschen davon wird in diesen Tagen schon spürbar. Und ich wünsche mir, dass dieses bisschen auch spürbar bleibt, wenn die Masken und Kostüme dann morgen wieder weg gepackt werden.

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„Tanzen ist: Träumen mit den Füßen“ – so heißt der Titel eines Buches über das Tanzen. Eine tolle Vorstellung. Träumen mit den Füßen. Ich finde Tanzen unglaublich schön. Vor allem, wenn die Musik gut ist, macht es mir einfach Spaß mich zu bewegen. Ich lasse mich einfach fallen und die Musik trägt mich. Egal ob ich allein, zu zweit, oder mit einer ganzen Gruppe tanze. In dem Moment ist mir dann auch völlig egal was ich zu Hause noch alles machen müsste. Oder was ich alles schon längst hätte erledigen müssen. Beim Tanzen träumen meine Füße und ich träume einfach mit. Geträumt haben auch die Menschen, die sich endlich befreit hatten. Die Bibel erzählt die Geschichte der Befreiung des Volkes Israel von der Sklaverei in Ägypten. Mose hat das Volk in die Freiheit geführt. Mitten durch das geteilte Schilfmeer. Und ihre Verfolger, die Truppen des Pharaos, wurden unter den zusammenstürzenden Fluten begraben. Mose hat ein Loblied auf ihre Rettung angestimmt. Und Mirjam, seine Schwester, hat getanzt. Alle Frauen haben getanzt. Und ich bin mir sicher, dass sie in dem Moment alle einen Traum vor Augen hatten. Den Traum von einem besseren Leben in Freiheit. Ohne die Sklavenarbeit in Ägypten. Einfach nur frei sein – Gott sei Dank. Ich glaube in der Nacht hat keiner geschlafen. Sie haben ihren Traum gefeiert, haben ihn tanzend geträumt. Dass das Tanzen mehr ist als sich einfach nur Bewegen zur Musik, wusste auch schon der alte Kirchenlehrer Augustin. Er hat im vierten und fünften Jahrhundert gelebt. Und er hat einmal gesagt: „Oh Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit Dir nichts anzufangen.“ Das ist doch mal eine klare Ansage. Nur, wenn wir Tanzen können, können die Engel im Himmel etwas mit uns anfangen. Ich stelle mir das bildlich vor. Die Engel und die Menschen tanzen gemeinsam auf einer großen Party im Himmel. Wer also heute schon das Tanzbein schwingt, kann auch heute schon ein bisschen träumen. Den Traum von einem Leben ohne Angst. Ohne Schmerzen und Kummer. Denn im Himmel tanzen wir alle gemeinsam und feiern und singen ein Loblied auf Gott. Alle Unterschiede, die es vielleicht mal gegeben hat spielen dann keine Rolle mehr. Nur noch das gemeinsame Tanzen und Träumen. Und wer weiß … Vielleicht tanzt ja Gott selbst auch ein bisschen mit. Wenn Sie also heute oder morgen noch die Möglichkeit haben zu tanzen, dann denken Sie daran: Tanzen ist Träumen mit den Füßen.

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Liebeserklärungen werden immer kürzer. Früher haben sich Verliebte oft seitenlange Briefe geschrieben. Später waren es dann stundenlange Telefonate. Heute schreibt man sich Emails oder man smst sich schnell mal das Wichtigste zu. Für mehr reichen die 160 Zeichen einer Textnachricht oft nicht aus. Deshalb braucht man Abkürzungen. Eine meiner Lieblingsabkürzungen ist Hdgdl – Hab dich ganz doll lieb. Vielleicht noch ein bisschen zaghaft ist diese Abkürzung für viele junge Menschen der erste Versuch zu sagen: „Ich liebe Dich“. Aber es geht noch kürzer. Ganz ohne Worte kommen rote Rosen aus. Gerade heute am Valentinstag stehen sie ganz oben auf der Liste der Liebeserklärungen. Es gibt viele Möglichkeiten, um zu sagen: „Ich liebe Dich“ Mit vielen Worten, oder ganz ohne Worte. An einem Tag wie heute wird das besonders deutlich. Auch in der Bibel ist die Liebe sehr wichtig. Paulus zum Beispiel kommt regelrecht ins Schwärmen. Er stimmt das Hohelied der Liebe an: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört niemals auf.“ (1. Kor 13, 4-8) OK so rosig, wie das klingt erleben wir das nicht oft. Aber es ist trotzdem schön, wenn Menschen an einem Tag wie heute zueinander sagen: Ich liebe Dich! Paulus hat hier auch nicht einfach nur die Liebe zwischen Menschen im Sinn. Ihm geht es um die Liebe zwischen Gott und den Menschen. Immer wieder ist es Paulus wichtig das zu betonen: Und ich glaube für ihn ist die schönste Liebeserklärung: Ich liebe Dich Mensch. Aber genau dieses Ich liebe Dich Mensch ist der Grund, warum wir uns gegenseitig sagen können ich liebe Dich. Die Liebe zwischen Menschen ist wie ein Spiegelbild der Liebe Gottes. Gott braucht für seine Liebeserklärung an uns keine großen Worte oder rote Rosen – oder gerade doch. Denn, dass ich atme, dass ich denken und Liebe überhaupt empfinden kann, ist ein Teil dieser großen Liebeserklärung Gottes an mich. Und das erlebe ich jeden Tag neu. Wenn mich die Sonne in der Nase kitzelt, mein kleiner Sohn mich anlacht oder wenn jetzt dann im Frühling das Leben zurückkehrt. Darin sehe, höre, rieche und schmecke ich – manchmal ganz laut und manchmal ganz leise – ich liebe Dich, Mensch. Und ich kriege richtig Lust, das auch andere spüren zu lassen.

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